Entscheidungsstichwort (Thema)

Reformatio in peius im Widerspruchsverfahren

 

Orientierungssatz

1. Auf einen vor dem 1.1.1981 erlassenen Rückforderungsbescheid findet § 152 AFG idF vom 25.6.1969, nicht § 50 SGB 10 Anwendung (vgl BSG 19.3.1981 4 RJ 1/80 = SozR 2200 § 1301 Nr 14).

2. Eine Verschlechterung des Verwaltungsakts während des Widerspruchsverfahrens ist möglich, wenn die Verwaltung berechtigt ist, einen begünstigenden Verwaltungsakt zurückzunehmen oder zu widerrufen oder einen belastenden Verwaltungsakt zu verschärfen.

3. Nach dem bis 31.12.1980 geltenden Recht war die Bundesanstalt für Arbeit berechtigt, während des Widerspruchsverfahrens über einen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid weitere Aufhebungen und Rückforderungen auszusprechen, sofern die Voraussetzungen der §§ 151 ff AFG aF gegeben waren.

 

Normenkette

SGB 10 § 50 Fassung: 1980-08-18; SGB 10 Art 2 § 37 Abs 1 Fassung: 1980-08-18, § 40 Abs 2 S 1 Fassung: 1980-08-18; AFG § 151 Fassung: 1969-06-25, § 152 Fassung: 1969-06-25

 

Verfahrensgang

LSG Bremen (Entscheidung vom 19.04.1983; Aktenzeichen L 5 Ar 32/82)

SG Bremen (Entscheidung vom 14.09.1982; Aktenzeichen S 13 Ar 192/80)

 

Tatbestand

Der Rechtsstreit betrifft die Rückforderung von 1.228,51 DM überzahlter Arbeitslosenhilfe (Alhi).

Die Beklagte bewilligte dem 1916 geborenen Kläger ab 4. Dezember 1978 Alhi, und zwar zunächst nach einem wöchentlichen Arbeitsentgelt von 345,-- DM und der Leistungsgruppe C; der Leistungssatz betrug 154,20 DM wöchentlich (Bescheid vom 21. Dezember 1978). Ab 1. Januar 1979 erhöhte sich der Leistungssatz auf 156,-- DM. Ab 1. Februar 1979 legte die Beklagte nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) ein wöchentliches Arbeitsentgelt von 460,-- DM zugrunde; der Leistungssatz betrug nunmehr 199,20 DM wöchentlich. Ob die Beklagte eine entsprechende Bewilligung ausgesprochen hat, hat das LSG nicht festgestellt. Einen im November 1979 erhobenen Widerspruch, mit dem der Kläger geltend machte, daß von einem höheren Arbeitsentgelt auszugehen sei, hat die Beklagte wegen Verspätung als unzulässig verworfen (1. Widerspruchsbescheid vom 10. November 1980); über die deswegen vom Kläger erhobene Klage ist bislang noch nicht entschieden worden (Sozialgericht -SG- Bremen S 13 Ar 272/80).

Ab 4. Dezember 1979 bewilligte die Beklagte die Alhi nach einem wöchentlichen Arbeitsentgelt von 480,-- DM in Höhe von 206,40 DM wöchentlich (Bescheid vom 7. Dezember 1979). Den Widerspruch, mit dem der Kläger wiederum höhere Leistungen geltend machte, wies die Beklagte als unbegründet zurück (2. Widerspruchsbescheid vom 10. November 1980); über die vom Kläger erhobene Klage ist bislang noch nicht entschieden worden (SG Bremen S 13 Ar 273/80).

Nachdem die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte dem Kläger mit Bescheid vom 9. Mai 1980 ab 1. Januar 1980 vorzeitiges Altersruhegeld gewährt hatte, hob die Beklagte die Alhi-Bewilligung ab 1. Januar 1980 auf und forderte 4.002,47 DM an für die Zeit vom 1. Januar bis 21. Mai 1980 zu Unrecht gezahlter Alhi zurück (Bescheid vom 4. Juni 1980, 3. Widerspruchsbescheid vom 10. November 1980). Auch über die deswegen vom Kläger erhobene Klage ist noch nicht entschieden worden (SG Bremen S 13 Ar 274/80).

Durch den im vorliegenden Rechtsstreit streitigen Bescheid vom 18. Juli 1980 hob die Beklagte die Alhi-Bewilligung für die Zeit vom 25. Oktober bis 31. Dezember 1979 in Höhe von 64,96 DM wöchentlich und vom 3. bis 28. Januar 1980 in Höhe von 93,98 DM wöchentlich wegen anzurechnenden Einkommens der Ehefrau des Klägers auf und forderte einen Betrag von insgesamt 972,54 DM zurück; gleichzeitig leitete die Beklagte den Anspruch auf vorgezogenes Altersruhegeld in Höhe von 305,47 DM auf den Bund über und gestattete dem Kläger für den Restbetrag Ratenzahlung, und zwar in Höhe von 50,-- DM monatlich ab 1. September 1980. Vor Erlaß dieses Bescheides hatte die Beklagte dem Kläger im März 1980 mitgeteilt, daß sie beabsichtige, die 972,54 DM zurückzufordern, weil der Kläger das Einkommen seiner Ehefrau nicht angezeigt und hierdurch die Überzahlung bewirkt habe. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 4. September 1980 zurück; gleichzeitig erhöhte sie die angefochtene Aufhebung und Rückforderung, indem sie für die Zeit vom 25. Oktober bis 31. Dezember 1979 den Rückforderungsbetrag von 627,95 DM auf 883,92 DM (= 91,44 DM wöchentlich) erhöhte und nunmehr insgesamt 1.228,51 DM (= 883,92 DM + 344,59 DM) zurückforderte.

Die dagegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg (Urteil des SG vom 14. September 1982). Die Berufung hat das LSG als unzulässig verworfen, soweit sich die Berufung gegen die von der Beklagten verfügte teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung für die Zeit vom 25. Oktober bis 31. Dezember 1979 und vom 3. bis 28. Januar 1980 richtete; im übrigen hat das LSG die Berufung als unbegründet zurückgewiesen (Urteil vom 19. April 1983).

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ua ausgeführt, soweit die Beklagte einen Rückforderungsanspruch über 1.228,51 DM geltend mache, sei die Berufung gemäß § 149 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber nicht begründet. Die Aufhebung und Neufeststellung von Leistungen und deren eventuelle Rückforderung bestimmten sich seit dem 1. Januar 1981 für noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Verfahren einheitlich nach den §§ 48, 50 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X). Gemäß § 50 Abs 1 SGB X seien erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden sei. Wegen der fehlenden sachlichen Überprüfungsbefugnis des LSG habe dieses von der Aufhebung der Leistungsbewilligung, wie sie in dem Bescheid vom 18. Juli 1980 idF des Widerspruchsbescheides vom 4. September 1980 erfolgt sei, rechtsverbindlich auszugehen. Daraus folge gemäß § 50 Abs 1 SGB X das Recht der Beklagten zur Geltendmachung der Rückforderung der überzahlten Beträge, ohne daß - anders als in § 152 Abs 1 Nr 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) aF - weitere Voraussetzungen zu prüfen seien. Der Kläger sei danach zu einer Erstattung der festgestellten Überzahlung verpflichtet.

Die Revision gegen dieses Urteil hat der erkennende Senat zugelassen, soweit sich der Kläger gegen die Rückforderung von 1.228,51 DM wendet (Beschluß vom 20. März 1984 - 7 BAr 128/83 -).

Der Kläger rügt mit der Revision eine Verletzung des § 152 AFG aF und der Übergangsvorschriften des SGB X und trägt hierzu insbesondere vor: Das Rückforderungsrecht der Beklagten richte sich nicht, wie das LSG angenommen habe, nach § 50 SGB X, sondern nach § 152 AFG aF. Das SGB X sei erst am 1. Januar 1981 in Kraft getreten. Die zeitlich davorliegenden Fälle seien noch nach altem Recht zu beurteilen. Das angefochtene Urteil beruhe auf diesem falschen Ausgangspunkt. Das LSG habe nämlich nicht geprüft, ob die weiteren Rückforderungsvoraussetzungen des § 152 AFG aF gegeben seien.

Der Kläger beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen und den Bescheid der Beklagten vom 18. Juli 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. September 1980 insoweit aufzuheben, als 1.228,51 DM zurückgefordert werden,

und hilfsweise,

die Sache zur anderweitigen Verhandlung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte stellt keinen Antrag. Sie ist jedoch der Ansicht, daß die Voraussetzungen des § 152 Abs 1 Nr 1 AFG aF vorgelegen hätten, wie das SG zutreffend angenommen habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des berufungsgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG, soweit das Urteil der Überprüfung durch den Senat unterliegt. Das ist nur hinsichtlich der Rückforderung von 1.228,51 DM und der auf dieser Rückforderung fußenden weiteren Entscheidungen, nämlich der Überleitung des Anspruchs auf vorgezogenes Altersruhegeld in Höhe von 305,47 DM und der Einräumung von Ratenzahlungen der Fall, nicht dagegen hinsichtlich der teilweisen Aufhebung der Alhi-Bewilligung für die Zeit vom 25. Oktober bis 31. Dezember 1979 und 3. bis 28. Januar 1980. Das Urteil des LSG, das insoweit die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des SG als unzulässig verworfen hat, ist in diesem Punkte gemäß § 160a Abs 4 Satz 4 SGG dadurch rechtskräftig geworden, daß der Senat die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers durch den Beschluß vom 20. März 1984 insoweit als unzulässig verworfen hat. Dementsprechend hat die Revision sich auch darauf beschränkt, die Abweisung der Klage gegen die Rückforderung von 1.228,51 DM zu beanstanden.

Das LSG hat nur den Bescheid vom 18. Juli 1980 idF des Widerspruchsbescheides vom 4. September 1980 als Gegenstand des Verfahrens angesehen, nicht dagegen die nach der am 8. September 1980 erhobenen vorliegenden Klage ergangenen drei Widerspruchsbescheide vom 10. November 1980. Ob das LSG damit § 96 Abs 1 SGG verletzt hat, bleibt dahingestellt. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift stellt noch keinen in der Revisionsinstanz fortwirkenden und deshalb von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensmangel dar; das Revisionsgericht kann daher seine Entscheidung auf eine Verletzung des § 96 Abs 1 SGG nur stützen, wenn der Revisionsführer die Nichteinbeziehung der nach Klageerhebung ergangenen Verwaltungsakte innerhalb der Revisionsbegründungsfrist gerügt und begründet hat (BSG SozR 1500 § 53 Nr 2). Das ist hier jedoch nicht geschehen.

Das LSG hat angenommen, die Rechtmäßigkeit der Rückforderung der 1.228,51 DM, die die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid der Sache nach und ausdrücklich in dem Widerspruchsbescheid auf § 152 Abs 1 Nr 1 AFG in der bis zum 31. Dezember 1980 geltenden Fassung gestützt hat, sei nach dem Inkrafttreten des § 50 SGB X am 1. Januar 1981 nach dieser Vorschrift zu beurteilen. Diesen rechtlichen Ausgangspunkt beanstandet die Revision zu Recht. Er widerspricht der Rechtsprechung des Senats (vgl BSGE 52, 47, 48 = SozR 4100 § 117 Nr 7; SozR 1200 § 31 Nr 1; ferner die nicht veröffentlichten Urteile vom 10. Dezember 1981 - 7 RAr 55/80 - und vom 14. Juni 1983 - 7 RAr 62/82 -) und anderer Senate des Bundessozialgerichts -BSG- (SozR 2200 § 1301 Nr 14; Urteile vom 27. März 1984 - 5a RKn 2/83 - und vom 30. Mai 1984 - 5a RKn 3/84 -, beide zur Veröffentlichung vorgesehen).

Zwar sind nach Art II § 37 Abs 1 des Gesetzes vom 18. August 1980 (BGBl I 1469) bereits begonnene Verfahren nach den Vorschriften der mit diesem Gesetz eingeführten §§ 1 bis 85 SGB X zu Ende zu führen. Auf die Erwägung, daß mit dem Erlaß des Widerspruchsbescheides das Verwaltungsverfahren noch nicht zu Ende geführt sei, läßt sich die Maßgeblichkeit des § 50 SGB X für Rückforderungen in den Übergangsfällen aber nicht stützen, weil sich aus § 50 SGB X und Art II § 40 Abs 2 Satz 1 des genannten Gesetzes das Gegenteil ergibt. Die Erstattungsvorschrift des § 50 Abs 1 SGB X bezieht sich nämlich nur auf Aufhebungen nach den §§ 44 bis 49 SGB X. Diese Vorschriften sind aber nach Art II § 40 Abs 2 Satz 1 des Gesetzes vom 18. August 1980 erstmals anzuwenden, wenn nach dem 31. Dezember 1980 ein Verwaltungsakt aufgehoben wird. Dies hat nicht nur zur Folge, daß die Rechtmäßigkeit einer vor dem 1. Januar 1981 erfolgten Aufhebung einer Leistungsbewilligung im Rahmen einer Anfechtungsklage nach dem bisherigen Recht zu beurteilen bleibt (vgl BSG SozR 1300 § 45 Nr 1; SozR 5866 § 12 Nr 6); vielmehr ergibt sich hieraus auch, daß die Rechtmäßigkeit der vor dem 1. Januar 1981 erlassenen Rückforderungsbescheide nicht nachträglich auf § 50 SGB X gestützt werden kann (BSG SozR 2200 § 1301 Nr 14; SozR 1200 § 31 Nr 1). Ob dagegen neues Recht anzuwenden ist, wenn mit der (kombinierten Anfechtungs- und) Leistungs- oder Verpflichtungsklage geltend gemacht wird, ein bestandskräftig gewordener Bescheid sei wegen anfänglicher oder zwischenzeitlich eingetretener Rechtswidrigkeit aufzuheben, ist hier nicht zu entscheiden. Der Senat weicht daher von den Entscheidungen BSGE 53, 235 = SozR 1300 § 48 Nr 2 und BSGE 54, 223 = SozR 1300 § 44 Nr 3, auf die das LSG Bezug genommen hat, nicht ab. Ebenso besteht keine Abweichung zu dem vom LSG ferner erwähnten Urteil des 4. Senats vom 16. September 1981 - 4 RJ 63/80 - USK 81202. Dieses Urteil betrifft nicht die Geltung der §§ 44 bis 50 SGB X, sondern die der Änderung des § 51 SGB I durch das Gesetz vom 18. August 1980; auch der 4. Senat vertritt die Ansicht, daß Rückforderungsbescheide nicht nachträglich auf § 50 SGB X gestützt werden können (SozR 2200 § 1301 Nr 14).

Ob die Rückforderung der 1.228,51 DM gerechtfertigt ist, ist daher nach § 152 AFG in der bis zum 31. Dezember 1980 geltenden ursprünglichen Fassung vom 25. Juni 1969 (BGBl I 582) zu beurteilen. Danach ist, soweit eine Entscheidung, durch die Leistungen nach dem AFG bewilligt worden sind, aufgehoben worden ist, die Leistung insoweit zurückzuzahlen, als der Empfänger die Gewährung dadurch herbeigeführt hat, daß er vorsätzlich oder grob fahrlässig falsche oder unvollständige Angaben gemacht oder eine Anzeige nach § 148 Abs 1 AFG vorsätzlich oder grob fahrlässig unterlassen hat (Nr 1) oder der Empfänger wußte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht wußte, daß die Voraussetzungen für die Leistung nicht vorlagen (Nr 2). Ob einer dieser beiden Rück- forderungstatbestände vorliegt, die nach dem Sachverhalt für die Überzahlungen für die Zeit bis zum 31. Dezember 1979 allein und für die Überzahlungen für Januar 1980 jedenfalls solange ausschließlich in Betracht kommen, als die Klage gegen die Aufhebung der Alhi-Bewilligung ab 1. Januar 1980 wegen Zuerkennung des Altersruhegeldes nicht rechtskräftig abgewiesen bzw die Aufhebung von der über die Rückforderung entscheidenden Instanz nicht bestätigt worden ist, hat das LSG nicht geprüft, wozu es von seinem Rechtsstandpunkt aus auch nicht veranlaßt war. Es fehlen daher tatsächliche Feststellungen, die dem Senat eine Bestätigung der Rückforderung der 1.228,51 DM erlauben; damit ist auch eine Bestätigung der weiteren Entscheidungen nicht möglich, die auf der Rückforderung beruhen.

Die Revision ist daher begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG, soweit dieses die Berufung als unbegründet zurückgewiesen hat. Eine abschließende Entscheidung ist dem Senat auch insoweit nicht möglich, als die Beklagte mit dem Widerspruchsbescheid für die Zeit vom 25. Oktober bis 31. Dezember 1979 neben den 627,95 DM weitere 255,97 DM zurückgefordert hat. Die Beklagte ist hieran nicht schon durch ein Verbot der reformatio in peius gehindert gewesen.

Die Frage, ob im Widerspruchsverfahren eine Änderung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung zum Nachteil des den Rechtsbehelf einlegenden Verfahrensbeteiligten zulässig ist, hat das SGG nicht ausdrücklich geregelt. Bedenken gegen die Zulässigkeit einer reformatio in peius werden allgemein zum einen aus dem Vertrauensschutz des Widersprechenden auf die im angefochtenen Verwaltungsakt enthaltene Begünstigung abgeleitet, zum anderen aus der Sachbefugnis der Stelle, die den Widerspruchsbescheid zu erlassen hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine reformatio in peius im Widerspruchsverfahren durch die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung weder ausgeschlossen noch geboten; ihre Zulässigkeit richte sich vielmehr nach Maßgabe des jeweils anzuwendenden Rechts, vorrangig nach positiv rechtlichen Spezialregelungen oder, wo solche fehlen, nach den Grundsätzen über die Rücknahme und den Widerruf von Verwaltungsakten (BVerwGE 51, 310, 313 f; 65, 313, 319). Auch den Vorschriften des SGG über das Widerspruchsverfahren läßt sich ein allgemeines Verbot der reformatio in peius nicht entnehmen. Allerdings kommt sie insoweit nicht in Betracht, als die in dem angefochtenen Verwaltungsakt enthaltene Begünstigung für die Verwaltung mit der Zustellung bzw dem Zugang des Bescheides bindend geworden ist und nicht zurückgenommen oder widerrufen werden kann (vgl BSG SozR Nr 44 zu § 77 SGG; SozR 1200 § 34 Nr 8; BSGE 53, 284); denn ist die den Verwaltungsakt erlassende Behörde nicht zur Rücknahme bzw zum Widerruf berechtigt, so kann im allgemeinen auch der Widerspruchstelle ein solches Recht nicht zustehen (BSGE 53, 284, 288). Ist es aber die Bindungswirkung des Verwaltungsaktes, die einer Verschlechterung des Verwaltungsaktes während des Widerspruchsverfahrens entgegensteht, so muß folgerichtig jedenfalls dann, wenn die Verwaltung berechtigt ist, einen begünstigenden Verwaltungsakt zurückzunehmen oder zu widerrufen oder einen belastenden Verwaltungsakt zu verschärfen, auch während des Widerspruchsverfahrens eine solche Verschlechterung möglich sein (Peters/Sautter/Wolff, Komm zum SGG, § 78 Anm 6 aE; Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 2. Aufl 1981, § 85 RdNr 5). Dies hat für das bis zum 31. Dezember 1980 geltende und hier noch maßgebende Recht zur Folge, daß die Beklagte berechtigt war, während des Widerspruchsverfahrens über einen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid weitere Aufhebungen und Rückforderungen auszusprechen, sofern die Voraussetzungen der §§ 151 f AFG aF gegeben waren. Wie das BSG wiederholt zum Ausdruck gebracht hat, kannte das AFG einen Vertrauensschutz in die Bestandskraft von Bescheiden nicht (BSGE 38, 63, 68 = SozR 4100 § 151 Nr 1; BSGE 41, 260, 261 = SozR 4100 § 151 Nr 3; BSGE 41, 263, 266 = SozR 4460 § 24 Nr 2; BSGE 48, 33, 37 = SozR 4100 § 44 Nr 19; SozR 4100 § 78 Nr 3). Lediglich die Rückforderung von Leistungen schloß das AFG aus, wo Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes dies geboten.

Bedenken ergeben sich ferner nicht deswegen, weil etwa die Widerspruchstelle nicht die erforderliche Sachbefugnis hatte. Dieses Problem stellt sich im vorliegenden Falle schon deshalb nicht, weil nach Nr 1 des Beschlusses des Verwaltungsrates der Beklagten gemäß § 85 Abs 2 Nr 3 SGG idF der Bekanntmachung vom 27. Februar 1975 (ANBA 1975, 425) Widerspruchstelle der Leiter der Dienststelle ist, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat. Entsprechend hatte hier der Leiter des Arbeitsamtes zu entscheiden, in dessen Vertretung der Widerspruchsbescheid auch ergangen ist. Der Direktor des Arbeitsamtes ist aber für Entscheidungen dieser Art auch als Ausgangsbehörde zuständig, wie sich aus § 146 AFG ergibt. Zwar hat die Beklagte für den Fall, daß die Überprüfung aufgrund eines Widerspruches zu einem für den Widersprechenden ungünstigeren Ergebnis führt, durch Runderlaß angeordnet, den angefochtenen Verwaltungsakt nicht durch Widerspruchsbescheid zu Ungunsten des Widersprechenden zu ändern, sondern zunächst außerhalb des Vorverfahrens einen neuen Verwaltungsakt zu setzen, der dann gemäß § 86 Abs 1 SGG Gegenstand des Vorverfahrens wird (Nr 66 des RdErl 233/56.4.7 in der derzeit geltenden Fassung); jedoch ist dieses in vielen Fällen umständliche Verfahren von Gesetzes wegen nicht geboten. Aus der Nichtbeachtung der genannten Verwaltungsvorschrift läßt sich daher die Rechtswidrigkeit der Rückforderung der weiteren 255,97 DM nicht begründen. Der Kläger ist nach den Feststellungen des LSG zu der Rückforderung wegen Nichtangabe der Einkünfte seiner Ehefrau gehört worden. Einer erneuten Anhörung zu diesem Sachverhalt bedurfte es daher vor Erlaß des Widerspruchsbescheides nicht.

Ist somit nach den bisher getroffenen Feststellungen für die Rechtmäßigkeit der Rückforderung und der auf die Rückforderung fußenden Überleitung und Stundung von Bedeutung, ob die besonderen Rückforderungsvoraussetzungen des § 152 AFG aF vorliegen, muß das angefochtene Urteil in Ermangelung der erforderlichen tatsächlichen Feststellungen gemäß § 170 Abs 2 SGG in dem geschilderten Umfange aufgehoben und die Sache an das LSG zurückverwiesen werden, damit dieses die erforderlichen Feststellungen nachholen kann.

Es wird sich für das LSG empfehlen, eine erneute Entscheidung erst zu treffen, wenn über die Klagen S 13 Ar 272 - 274/80 rechtskräftig entschieden ist, das LSG über die entsprechenden Klagebegehren entschieden hat oder jedenfalls gleichzeitig entscheiden kann; denn sollte, wie der Kläger geltend macht, sowohl für den ersten Bewilligungsabschnitt vom 4. Dezember 1978 bis 3. Dezember 1979 (S 13 Ar 272/80) als auch für die Zeit ab 4. Dezember 1979 (S 13 Ar 273/80) von einem höheren wöchentlichen Arbeitsentgelt auszugehen sein, wird sich der Rückforderungsbetrag, wie ihn die Beklagte mit dem Widerspruchsbescheid vom 4. September 1980 festgesetzt hat, mindern. Ebenso ist für die Frage, ob die Beklagte 344,59 DM an für die Zeit vom 3. bis 28. Januar 1980 gewährter Alhi durch den Bescheid vom 18. Juli 1980 idF des Widerspruchsbescheides vom 4. September 1980 zurückfordern kann, die Rechtmäßigkeit der schon mit Bescheid vom 4. Juni 1980 in der Gestalt des 3. Widerspruchsbescheides vom 10. November 1980 ausgesprochenen Rückforderung von 4.002,47 DM (S 13 Ar 274/80) vorgreiflich; denn auch mit den 4.002,47 DM wird für die Zeit vom 3. bis 28. Januar 1980 gewährte Alhi zurückgefordert. Insoweit wird darauf hingewiesen, daß die Beklagte für die Zeit vom 3. bis 28. Januar 1980 insgesamt nicht mehr zurückfordern kann, als sie für diese Zeit geleistet hat. Es dürfte auch nicht zu rechtfertigen sein, einen bescheidmäßig zurückgeforderten Betrag ein zweites Mal bescheidmäßig zurückzufordern, selbst wenn inzwischen eine zweite Anspruchsgrundlage für die Rückforderung erwachsen ist.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1659920

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