Beteiligte

Klägerin und Revisionsbeklagte

Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

I

Die Beklagte fordert von der Klägerin einen Betrag von 1.274,10 DM zurück, der der Klägerin als Vorschuß gezahlt und bei der Feststellung der ihr zustehenden Leistung nicht gemäß § 42 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB 1) angerechnet worden ist.

Der Ehemann der Klägerin ist am 1. Juli 1979 verstorben. An Vorschüssen auf die Hinterbliebenenrente überwies die Beklagte der Klägerin 1.274,10 DM im August und 2.548,20 DM im September 1979. Die über das Bankinstitut ihres Ehemannes außerdem noch für den Monat August 1979 ausgezahlte Versichertenrente von ebenfalls 1.274,10 DM überwies die Klägerin am 5. Oktober 1979 an die Beklagte zurück. Diese gewährte der Klägerin mit Bescheid vom 31. Oktober 1979, ausgehändigt am 12. November 1979, Hinterbliebenenrente, die sich für das Sterbevierteljahr auf 1.274,10 DM und ab 1. November 1979 auf 764,50 DM monatlich belief. Für die Zeit vom 1. August bis zum 31. Dezember 1979 betrug die Nachzahlung insgesamt 5.351,20 DM. Dagegen, so heißt es in dem Bescheid, seien "einmalig aufzurechnen 2.548,20 DM", so daß noch 2.803,10 DM am 2. November 1979 an die Klägerin angewiesen wurden. Die Beklagte bemühte sich zunächst formlos, den Betrag von 1.274,10 DM von der Klägerin zu erhalten und forderte ihn dann mit Bescheid vom 26. August 1980 zurück. Der dagegen gerichtete Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 1. Oktober 1980).

Das Sozialgericht (SG) hat den angefochtenen Bescheid vom 26. August 1980 aufgehoben und das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteile vom 9. Juli 1981 und 28. November 1983). Das LSG hat die Rückforderung unter dem Gesichtspunkt des § 93 Abs. 2 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) geprüft, der hier noch anzuwenden sei. Die Beklagte habe schuldhaft die Überzahlung verursacht, indem sie bei der Erteilung des Bescheides vom 31. Oktober 1979 über die Gewährung der Hinterbliebenenrente die erste Vorschußzahlung von 1.274,10 DM entgegen § 42 Abs. 2 Satz 1 SGB 1 nicht angerechnet habe. Die Klägerin habe weder vorsätzlich noch grob fahrlässig die Überzahlung mitverursacht, denn die Anweisung des Nachzahlungsbetrages sei vor der Aushändigung des Bewilligungsbescheides erfolgt. Ein Erstattungsanspruch gemäß § 42 Abs. 2 Satz 2 SGB 1 stehe der Beklagten nicht zu, weil die der Klägerin für das Sterbevierteljahr gezahlten Vorschüsse die ihr für diesen Zeitraum zustehenden Leistungen nicht überstiegen hätten.

Die Beklagte hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Sie rügt eine Verletzung des § 42 Abs. 2 SGB 1. Diese Vorschrift begründe ein eigenes Forderungsrecht des Leistungsträgers, und aus ihr ergebe sich eine umfassende Pflicht zur Rückerstattung von Vorschüssen. Da der Bescheid vom 31. Oktober 1979 eine spezielle Regelung bezüglich des ersten Vorschusses nicht enthalte, berühre er grundsätzlich nicht die Erstattungspflicht und damit das Recht auf Einforderung, das hier auch nicht verwirkt sei und für die Klägerin keine besondere finanzielle Härte darstelle.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des LSG vom 28. November 1983 und das Urteil des SG vom 9. Juli 1981 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

II

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Die Klägerin ist nicht verpflichtet, den geforderten Betrag von 1.274,10 DM zu zahlen, denn insoweit kann die Beklagte weder die Erstattung eines Vorschusses noch die Rückzahlung zu Unrecht erbrachter Leistungen verlangen.

Die Beklagte hat der Klägerin vor der Feststellung des Anspruchs auf Witwenrente Vorschüsse gezahlt, die nach § 42 Abs. 2 Satz 1 SGB 1 auf die Hinterbliebenenrente anzurechnen sind. Diese Anrechnung wäre auch bezüglich des Betrages von 1.274,10 DM im Bescheid vom 31. Oktober 1979 durchaus möglich gewesen, sie ist jedoch unterblieben. Nach Satz 2 des § 42 Abs. 2 SGB 1 sind Vorschüsse, die die zustehende Leistung übersteigen, vom Empfänger zu erstatten. Diese Voraussitzungen sind hier nicht erfüllt, denn der im August 1979 gezahlte Vorschuß von 1.274,10 DM überstieg nicht die der Klägerin für diesen Monat zustehende Witwenrente noch überstiegen die Vorschüsse insgesamt den nachzuzahlenden Betrag.

Entgegen dem Revisionsvorbringen der Beklagten begründet § 42 Abs. 2 SGB 1 kein über den ausdrücklichen Regelungsinhalt hinausgehendes Forderungsrecht des Leistungsträgers und keine umfassende Pflicht des Leistungsempfängers zur Rückerstattung von nach Satz 1 der Vorschrift anrechnungsfähigen aber nicht angerechneten Vorschüssen. Schon vor dem Inkrafttreten des SGB 1 am 1. Januar 1976 hatten Vorschüsse im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung, in der eine Rechtsgrundlage für die Vorschußgewährung fehlte, den Charakter vorläufiger Leistungen, die unter dem Vorbehalt der Rechtmäßigkeit standen (vgl. Bundessozialgericht - BSG - Urteil vom 31. August 1983 in SozR 1200 § 42 Nr. 2 m.w.N.). Die Rückerstattung zu Unrecht gewährter Vorschüsse hat die Rechtsprechung nach den - mit Wirkung vom 1. Januar 1981 aufgehobenen - Vorschriften der §§ 628, 1301 Reichsversicherungsordnung (RVO), 93 Abs. 2 RKG über die Rückforderung zu Unrecht gezahlter Leistungen abgewickelt (vgl. Urteil des Senats vom 29. Januar 1975 in BSGE 39, 86 = SozR 2200 § 628 Nr. 1 m.w.N.). § 42 SGB 1 hat nun eine einheitliche Regelung der Vorschußzahlung für alle Sozialleistungsbereiche gebracht, wobei hinsichtlich der Rückabwicklung zu Unrecht gewährter Leistungen der Vorschuß und die endgültige Leistung unterschiedliche rechtliche Schicksale aufweisen (so Urteil vom 31. August 1983 a.a.O.). Während sich beim Vorschuß die Anrechnungs- und Erstattungsansprüche nach § 42 Abs. 2 SGB 1 richten, bestimmt sich die Rückforderung der endgültigen Leistung nach den dafür geltenden allgemeinen Regelungen (nach dem Inkrafttreten des SGB - Verwaltungsverfahren - SGB 10 - am 1. Januar 1981 nun nach deren §§ 44 ff., 50). Vorgesehen ist für Vorschüsse, die - wie hier - die zustehende Leistung nicht übersteigen, in § 42 Abs. 2 Satz 1 SGB 1 nur die Anrechnung, die sich aus dem Charakter des Vorschusses ergibt. Eine Erstattungspflicht hat der Gesetzgeber insoweit nicht geschaffen. Sie ist auch nicht notwendig, denn nach dem gesetzgeberischen Auftrag sind die Vorschüsse auf die zustehende Leistung anzurechnen, und dem Leistungsträger ist dabei kein Ermessen eingeräumt worden, ob er diesen Weg des Ausgleichs beschreiten oder die Vorschüsse vom Empfänger zurückfordern will.

Schließlich spricht die ab 1. Juli 1983 geltende Fassung des § 42 Abs. 2 SGB 1 gegen ein über seinen Wortlaut hinausgehendes Recht des Versicherungsträgers, Vorschüsse zurückzufordern. An diese Vorschrift ist Satz 3 durch Art. II § 15 Nr. 1 des Sozialgesetzbuches - Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten - vom 4. November 1982 (BGBl. I, 1450) angefügt worden. Danach gilt § 50 Abs. 4 SGB 10, der die Verjährung von Erstattungsansprüchen betrifft, entsprechend. Der Gesetzgeber hat also nicht für die Rückabwicklung überzahlter Vorschüsse § 50 SGB 10 insgesamt mit der Verpflichtung, zu Unrecht erbrachte Leistungen zu erstatten, übernommen. Die Verweisung lediglich auf die Verjährungsvorschrift läßt nur den Schluß zu, daß ansonsten § 42 Abs. 2 SGB 1 eine abschließende Regelung enthält. Zwar gilt dessen Satz 3 erst mit Wirkung vom 1. Juli 1983 an, während der hier angefochtene Bescheid der Beklagten bereits am 26. August 1980 erteilt worden ist. In der Ergänzung dieser Vorschrift ist aber eine gesetzgeberische Klarstellung des schon vorher bestehenden Rechtszustandes zu erblicken, wonach über die normierten Anrechnungs- und Erstattungsansprüche hinaus den Versicherungsträgern keine Möglichkeiten zur Rückforderung von Vorschüssen eröffnet worden sind.

Sollen Leistungen, die infolge Nichtanrechnung von Vorschüssen gezahlt worden sind, zurückgefordert werden, so kommen dafür nur die einschlägigen allgemeinen Regelungen in Betracht. Ob diese trotz der in § 42 Abs. 2 Satz 1 SGB 1 zwingend vorgeschriebenen Anrechnung angewendet werden können, kann im Falle der Klägerin unentschieden bleiben, denn der Beklagten steht jedenfalls der im Bescheid vom 26. August 1980 festgestellte Rückforderungsanspruch nicht zu. Da die Rückforderung hier vor dem 1. Januar 1981, dem Inkrafttreten des SGB 10, erklärt worden ist, kann nicht § 50 SGB 10 angewendet werden. Der Rückforderungsanspruch ist vielmehr nach § 93 Abs. 2 RKG in der bis zum 1. Januar 1981 gültigen Fassung zu prüfen (vgl. BSG in SozR 2200 § 1301 Nr. 14, Urteil des Senats vom 27. März 1984 - 5a RKn 2/83 -). Nach dieser Vorschrift darf eine zu Unrecht gezahlte Leistung von der Beklagten zurückgefordert werden, wenn (1.) sie für die Überzahlung kein Verschulden trifft, (2.) soweit der Empfänger der Leistung bei deren Empfang wußte oder wissen mußte, daß sie ihm nicht oder nicht in der gewährten Höhe zustand und (3.) soweit die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers vertretbar ist. Diese drei Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein.

Die Rückforderung des Vorschusses scheitert schon daran, daß er nicht zu Unrecht gewährt worden ist, denn die Voraussetzungen des § 42 Abs. 1 Satz 1 SGB 1 waren erfüllt. Danach kann der zuständige Leistungsträger Vorschüsse zahlen, wenn Anspruch auf Geldleistungen dem Grunde nach besteht und zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist. Der ohne förmliches Verfahren ergangene Verwaltungsakt über die Vorschußgewährung, der schon in der entsprechenden Zahlung zu erblicken ist, ist nicht zurückgenommen worden. Auch wenn man den Vorschuß bis zur Anrechnung mit einem Erstattungsanspruch kraft Gesetzes behaftet ansieht, so ist bei unterbliebener Anrechnung allenfalls die zustehende Leistung im Umfang des Vorschusses zu Unrecht gewährt worden.

Durch den angefochtenen Rückforderungsbescheid vom 26. August 1980 ist der Bescheid über die Gewährung der Witwenrente vom 31. Oktober 1979 - soweit darin eine auszuzahlende Nachzahlung in Höhe von 2.803,10 DM festgestellt worden ist - nicht ausdrücklich aufgehoben oder zurückgenommen worden. Selbst wenn man davon ausgehen will, daß dies konkludent geschehen ist und - einmal unterstellt - auch rechtlich möglich war, so hat die Beklagte die Überzahlung allein verursacht und verschuldet. Das hat das LSG unangegriffen und für den Senat nach § 163 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bindend festgestellt. Als die Klägerin den Bewilligungsbescheid vom 31. Oktober 1979 am 12. November 1979 erhielt, war die Nachzahlung am 2. November 1979 bereits angewiesen worden, so daß es der Klägerin überhaupt nicht möglich war, bei Empfang der Nachzahlung zu einer Korrektur des Bescheides beizutragen. Damit fehlt schon die 1. Voraussetzung des Rückforderungsanspruchs, ein Mitverschulden der Klägerin bei der Verursachung der Überzahlung.

Die Beklagte deutet in der Revisionsbegründung an, möglicherweise bestünde ein Rückforderungsanspruch über den Weg, einer offenbaren Unrichtigkeit oder über den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -). Das ist jedoch ebenfalls zu verneinen. Abgesehen davon, daß eine Berichtigung bislang nicht erfolgt ist, beruht die Überzahlung auch nicht auf einem Schreib- oder Rechenfehler oder einer sonstigen offenbaren Unrichtigkeit, sondern auf der unzutreffenden Annahme, es sei nur ein Vorschuß in Höhe von 2.548,20 DM gezahlt worden. Im übrigen würde dann die Rückforderung wiederum am Mitverschulden der Klägerin scheitern. Solange der Bescheid vom 31. Oktober 1979 hinsichtlich des darin ausgewiesenen Nachzahlungsbetrages bestandskräftig ist, sind auch keine Anhaltspunkte für ein treuwidriges Verhalten der Klägerin i.S. des § 242 BGB ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.5a RKn 3/84

Bundessozialgericht

Verkündet am

30. Mai 1984

 

Fundstellen

BSGE, 38

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