Beteiligte

… Kläger und Revisionskläger

Beschwerdeausschuß bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg

AOK-Landesverband Hamburg

 

Tatbestand

G r ü n d e :

I.

In dem Rechtsstreit geht es um einen Regreß wegen Verordnungen von Ellsurex Shampoo Paste, Polytar Haarshampoo, de-Squaman-Creme und Ichto Cadmin Waschcreme.

Der Kläger, ein als Kassenarzt zugelassener Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten, hat diese Mittel im zweiten Quartal 1983 verordnet. Mit dem angefochtenen Beschluß hat der Beklagte auf Antrag des Beigeladeren den Regreß festgesetzt, weil es sich um Mittel handele, die neben dem therapeutischen Zweck auch eine reinigende und pflegende Wirkung haben und daher nach Nr. 21 Buchst. c der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Arzneimitteln in der kassenärztlichen Versorgung, Arzneimittel-Richtlinien (AMR) i.d.F. vom 26. Februar 1982 - nicht verordnungsfähig seien. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen und die Berufung hinsichtlich der streitigen Mittel zugelassen.

Die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, der Beklagte sei für die Prüfung der Verordnungsfähigkeit und für den Erlaß des Regreßbescheides zuständig gewesen. Die AMR seien verbindliches Recht, das von den an der kassenärztlichen Versorgung beteiligten Ärzten zu beachten sei. Vom Verordnungsverbot der Nr. 21 Buchst. c AMR würden die hier streitigen Mittel erfaßt, obwohl es sich dabei um Arzneimittel handele. Die Mittel hätten neben ihrer medizinischen auch eine reinigende und dadurch hygienische Wirkung, die der Versicherte anderenfalls durch handelsübliche Kopfwaschmittel auf seine Kosten herbeiführen müßte. Durch das Verordnungsverbot werde auch nicht die Therapiefreiheit des Arztes eingeschränkt.

Der Kläger macht mit der Revision geltend, der Beklagte sei zum Erlaß des angefochtenen Bescheides nicht zuständig gewesen. Zutreffend habe das LSG festgestellt, daß es sich nicht um einen

Regreß wegen Unwirtschaftlichkeit der Verordnungsweise handele. Eine Feststellung des sonstigen Schadens durch die Prüfungseinrichtungen setze die schuldhafte Verletzung kassenärztlicher Pflichten voraus (§ 34 Abs. 3 des Bundesmantelvertrages-Ärzte - BMV-Ä -), die dem Kläger nicht angelastet werde. Von Anfang an habe er sich bereit erklärt, patientenbezogen die Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der Verordnungen darzulegen. Reinigende und pflegende Wirkungskomponenten von Präparaten im dermatologischen Bereich seien notwendiger Bestandteil einer gesetzmäßigen Behandlung. Wenn die streitigen Mittel nicht verordnungsfähig seien, dann könnten auch sämtliche zur Operation nötigen Desinfektionsmittel, die vor der Operation auf die Haut aufzutragen sind, nicht verordnet werden. Der angefochtene Bescheid verstoße schließlich gegen das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 des Grundgesetzes (GG) und gegen Art. 12 GG sowie gegen die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 3. Juli 1974 - 6 RKa 22/73 und 6 RKa 23/73 - sowie vom 5. Mai 1988 - 6 RKa 27/87 - = BSGE 63, 163.

Der Kläger beantragt,

das Urteil, des Landessozialgerichts Hamburg vom 9. März 1988 - II KABf 9/86 - sowie das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 22. Januar 1986 - 3 KA 41/85 -, soweit es die Mittel Ellsurex Shampoo Paste, Polytar Haarshampoo, de-Squaman-Creme und Ichto Cadmin Waschcreme betrifft und im selben Umfang die Bescheide vom 21. Juni 1984 und vom 11. April 1985 aufzuheben.

Der Beklagte und der Beigeladene beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie halten die Zuständigkeit des Beklagten nach § 34 Abs. 1 Buchst. d BMV-Ä für gegeben und meinen, den AMR komme eine Verbindlichkeit aufgrund des § 28 BMV-Ä zu.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist nicht begründet.

1. Für die Feststellung des Regresses war der Beklagte zuständig. Seine Zuständigkeit ergibt sich aus § 34 Abs. 1 Buchst. d BMV-Ä. Unter Regreßforderungen wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise im Sinn dieser Bestimmung sind alle Regreßforderungen wegen Verordnungen zu verstehen, die nach § 368e Reichsversicherungsordnung (RVO) unzulässig sind. Der an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmende Arzt darf nach § 368e Satz 2 RVO keine Leistungen verordnen, die zur Erzielung des Heilerfolges nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind. Nach § 368e Satz 1 RVO hat der Versicherte Anspruch auf die ärztliche Versorgung, die zur Heilung oder Linderung nach den Regeln der ärztlichen Kunst zweckmäßig und ausreichend ist (§ 182 Abs. 2 RVO). Der Anspruch des Versicherten ist aber auch dadurch begrenzt, daß neben den im einzelnen unwirtschaftlichen Leistungen die Leistungspflicht der Krankenkassen nach besonderen gesetzlichen Bestimmungen ausgeschlossen sein kann - z.B. die Pflicht zur Gewährung eines Hilfsmittels, weil es als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen ist (§ 182b RVO) -. Auch das Verordnungsverbot des § 368e Satz 2 RVO wird durch die Begrenzung des Anspruchs des Versicherten bestimmt. Die Leistungspflicht des Kassenarztes deckt sich insoweit mit dem Anspruch des Versicherten (Peters, Handbuch der Krankenversicherung § 368e RVO Anm. 3). Es ist deshalb geboten, den Begriff der Unwirtschaftlichkeit in § 368e Satz 2 RVO und in § 34 Abs. 1 Buchst d BMV-Ä dahin auszulegen, daß er auch die Verordnung von Mitteln erfaßt, die die Kasse aus anderen Gründen nach ihrer gesetzlichen Aufgabenstellung nicht zu gewähren hat. Das muß insbesondere für die Zuständigkeitsvorschrift des § 34 BMV-Ä gelten, denn den Prüfungsinstanzen kann damit nicht aufgegeben sein, über ihre Zuständigkeit erst aufgrund eingehender Prüfung der materiellen Rechtslage zu entscheiden. Vielmehr ist der Begriff der Unwirtschaftlichkeit hier in einem weiten Sinn auszulegen.

2. Aufgrund seiner nicht mit Revisionsgründen angegriffenen Feststellungen hat das LSG zutreffend entschieden, daß die streitigen Mittel nicht verordnungsfähig sind und der Regreß gerechtfertigt ist.

2.1 Zutreffend hat das LSG die Vorschrift der Nr. 21 Buchst c der AMR als für den Kassenarzt verbindlich angesehen. Die AMR sind zumindest in der Weise verbindlich, daß sie von den Kassenärzten beachtet werden sollen. Diese Verbindlichkeit haben die Kassenärztlichen Vereinigungen (KÄV) nach § 368p Abs. 3 RVO in ihren Satzungen zu bestimmen. Das LSG hat festgestellt, daß die Satzung der KÄV Hamburg eine entsprechende Bestimmung enthält. Diese Bestimmungen des § 368p Abs. 3 RVO und des § 28 BMV-Ä i.V.m. der damit übereinstimmenden Satzung der KÄV Hamburg begründen jedenfalls eine Verbindlichkeit für den Regelfall (vgl. BSGE 63, 163, 166).

Der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen war zum Erlaß der Vorschrift der Nr. 21 Buchst c AMR nach § 368p Abs. 1 RVO ermächtigt. Allerdings stellt die Bestimmung der Nr. 21 Buchst. c AMP nicht nur eine Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots dar (vgl. dazu BSG a.a.O.), sondern geht zumindest auch darüber hinaus. Bei den nach Nr. 21 Buchst. c AMR ausgeschlossenen Mitteln, die auch zur Reinigung und Pflege der Haut oder des Haares dienen, handelt es sich jedenfalls um Verordnungen, die die Kassen nach ihrer gesetzlichen Aufgabenstellung nicht zu gewähren haben. Zur Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Kranken i.S. des § 368p Abs. 1 RVO sind solche Verordnungen ausgeschlossen. Die Beschränkung der gesetzlichen Aufgabenstellung bei Reinigungs- und Pflegemitteln ergibt sich aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot (§§ 182 Abs. 2, 368e RVO) und dem Grundgedanken der Vorschriften der §§ 182b Satz 1 letzter Halbsatz, 184 Abs. 3, 184a Abs. 2 RVO. Danach haben die gesetzlichen Krankenkassen Hilfsmittel nicht zu gewähren, soweit sie als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind. Die Versicherten müssen bei Krankenhauspflege und Behandlung mit Unterkunft und Verpflegung in Kur- oder Spezialeinrichtungen täg-

liche Zuzahlungen leisten; dazu konnten sie verpflichtet werden, weil sie entsprechende Aufwendungen des täglichen Lebens ersparen.

Die Bestimmung der Nr. 21 Buchst c AMR ist darin durch den Rechtsgedanken der §§ 182b Satz 1 letzter Halbsatz, 184 Abs. 3, 184a Abs. 2 RVO gedeckt, daß die üblich er Mittel zur Reinigung der Haut oder des Haares von der Leistungspflicht der Krankenkassen ausgeschlossen sind. Bei diesen Mitteln handelt es sich um Verbrauchsgegenstände des täglichen Lebens. Der Rechtsgedanke erfaßt nicht nur Gebrauchsgegenstände. Zwar mögen nach § 182b RVO dem Wortlaut entsprechend nur Gebrauchsgegenstände ausgeschlossen sein (Peters, Handbuch der Krankenversicherung § 182b Anm. 2). Der allgemeine Rechtsgedanke gilt aber, wie sich insbesondere aus §§ 184 Abs. 3 und 184a Abs. 2 RVO ergibt, auch für Verbrauchsgegenstände.

Die Besonderheit der von Nr. 21 Buchst c AMR erfaßten Mittel besteht darin, daß sie nicht nur Verbrauchsgegenstände des täglichen Lebens sind, sondern noch einen anderen Zweck haben können, nämlich den der Heilung oder Linderung von Krankheiten oder der Verhütung ihrer Verschlimmerung. Wenn mit der Anwendung eines Arzneimittels gleichzeitig der Zweck eines Ge- oder Verbrauchsgegenstandes des täglichen Lebens erfüllt wird, kann dies Auswirkungen auf die Leistungspflicht der Krankenkasse haben. So ist es in einigen Bereichen der sozialen Krankenversicherung möglich, daß der Versicherte eine das Maß des Notwendigen überschreitende Leistung in Empfang nimmt, von der Kasse aber nur die notwendige Leistung erhält (BSG SozR 2200 § 182b RVO Nr. 2). Wenn ein Mittel wegen der Eigenschaft als Verbrauchsgegenstand des täglichen Lebens insgesamt von der Verordnungsfähigkeit und der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgenommen werden soll, muß sich sein therapeutischer Zweck vernachlässigen und das Mittel insgesamt als Verbrauchsgegenstand einordnen lassen. Die Verordnungsfähigkeit kann nicht nur dann rechtmäßig ausgeschlossen werden, wenn das Mittel ausschließlich als Verbrauchsgegenstand des täglichen Lebens und zu keinem anderen Zweck dient. So

bleibt ein Kunstmilchpräparat, dem auch eine krankheitsheilende, krankheitslindernde oder verschlimmerungshindernde Wirkung zu kommt, doch ein Lebensmittel i.S. Nr. 21 Buchst. i AMR; es kann nur unter besonderen Voraussetzungen als Heilmittel angesehen werden (Urteil des 3. Senats vom 23. März 1988 - 3/8 EK 11/85 -).

Die Bestimmung der Nr. 21 Buchst. c AMR schließt alle Mittel von der Verordnungsfähigkeit aus, die auch zur Reinigung und Pflege der Haut oder des Haares dienen, auch wenn sie gleichzeitig zur Heilbehandlung bestimmt sind. Sie ist darin durch den Rechtsgedanken der §§ 182b Satz 1 letzter Halbsatz, 184 Abs. 3, 184a Abs. 2 RVO gerechtfertigt. Ausgeschlossen werden durch die Bestimmung bei gesetzeskonformer Auslegung nur Mittel, die auch zur üblichen Haarwäsche bestimmt sind und sich für jedermanns Reinigung und Pflege der Haut und des Haares eignen. Die Haarwäsche aus hygienischen oder kosmetischen Gründen gehört zur allgemeinen Lebensführung, die Aufwendungen dafür sind nicht von der Krankenkasse zu tragen. Deshalb sind die dafür bestimmten und geeigneten Mittel im ganzen Verbrauchsgegenstände des täglichen Lebens, auch wenn sie gleichzeitig therapeutischen Zwecken dienen. Wie der Bundesausschuß auf eine Anfrage des Sozialgerichts Karlsruhe geäußert hat, enthält das Angebot kosmetischer Haarwaschmittel Anwendungsformen, die auf eine erkrankungsanfällige Haut zugeschnitten sind. In diesen Fällen ergibt sich die Eigenschaft als Verbrauchsgegenstand des täglichen Lebens schon aus der Bezeichnung als kosmetisches Mittel. Auch wenn eine solche eindeutige Bezeichnung fehlt, steht der Zuschnitt des zur üblichen Haarwäsche geeigneten Mittels auf einen therapeutischen Zweck nicht dem Ausschluß der Verordnungsfähigkeit entgegen. Es ist dem Versicherten zuzumuten, seine Lebensführung auf seinen Gesundheitszustand einzustellen und unter den üblichen Haarwaschmitteln dasjenige auszuwählen und sich zu beschaffen, das gleichzeitig den therapeutischen Zweck fördert.

Durch Nr. 21 Buchst. c AMR werden nicht alle Mittel, die auch eine Reinigung der Haut oder des Haares bewirken, von der Verordnung zu Lasten der Krankenkassen ausgeschlossen. Die Anwendung der

Nr. 21 Buchst c AMR setzt vielmehr, wie bereits dargelegt, voraus, daß das Mittel zur üblichen Haarwäsche bestimmt und geeignet ist. Wenn es aber dafür nicht in einer den Versicherten zuzumutenden Weise in Betracht kommt, ist die Verordnungsfähigkeit gegeben. Dies könnte der Fall sein bei Begleiterscheinungen oder Nebenwirkungen, die eine ärztliche Beratung für die Anwendung des Mittels erfordern oder aus anderen Gründen (z.B. wegen eines anhaltend abstoßenden Geruchs) einer Verwendung zur üblichen Haarwäsche entgegenstehen, oder auch dann, wenn seine Kosten die Aufwendungen für ein übliches Haarwaschmittel in einem Maß übersteigen, daß die Anschaffung auf eigene Kosten den Versicherten unter Berücksichtigung auch der Interessen der Solidargemeinschaft nicht mehr zumutbar ist. Zu prüfen ist dann allerdings die Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der Verordnung des Mittels im Einzelfall.

2.2 Die Verordnungsfähigkeit der streitigen Mittel hat das LSG aufgrund seiner tatsächlichen Feststellungen zutreffend verneint. Es hat sich nicht auf die Feststellung beschränkt, daß die Mittel eine reinigende und pflegende Wirkung haben. Vielmehr ist seinen Feststellungen zu entnehmen, daß die streitigen Mittel auch zur üblichen Haarwäsche bestimmt und geeignet sind. Da diese Feststellungen nicht mit Revisionsgründen angegriffen worden sind (§ 163 SGG), ist der Senat daran gebunden.

Die Revision ist aus allen diesen Gründen zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 154

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