Leitsatz (amtlich)

1. Hatte das Berufungsgericht einen Rechtsbehelf irrtümlich als verspätet angesehen und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt, hat aber der Revisionskläger ausdrücklich nur die Versagung der Wiedereinsetzung gerügt, so ist hierin im Zweifel die Rüge mitenthalten, das Vordergericht habe den Rechtsbehelf zu Unrecht als verspätet angesehen.

2. Hat die erste Instanz einen Rechtsbehelf zu Unrecht als verspätet angesehen und hat das LSG die Berufung hiergegen aus dem gleichen Grunde zurückgewiesen, so liegt in dem Verfahren des LSG ein wesentlicher Verfahrensmangel (§ 162 Abs 1 Nr 2 SGG).

3. Die PostZustV vom 23.8.1943 (RGBl 1 1923, 527) war für die Zustellung von Bescheiden der landesunmittelbaren Versicherungsträger auch nach dem Zusammenbruch 1945 bis zum Inkrafttreten abweichenden Landesrechts anzuwenden.

4. Ist ein Bescheid nach § 1 PostZustV durch einfachen Brief zugestellt worden, so gilt er, wenn der Empfänger außerhalb des Ortsbestellbezirks wohnt, jedenfalls nicht vor dem vierten Werktag nach Aufgabe zur Post als zugestellt; das gilt auch, wenn der Empfänger den Brief tatsächlich schon früher erhalten hat. Breith &, 1957, 568 (LT1-4) &; NJW &, 1957, 764 (LT1-2)

 

Normenkette

SGG § 67 Fassung: 1953-09-03, § 162 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03, § 164 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03; PostZustV § 1 Fassung: 1943-08-23; VwZG § 4

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Celle vom 25. August 1954 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA.) lehnte die Anfang 1952 von der Klägerin beantragte Invalidenrente durch Bescheid vom 24. März 1952 ab. Der ablehnende Bescheid wurde am 23. April 1952 mit einfachem Brief an die Klägerin abgesandt. Sie erhielt ihn nach ihren eigenen Angaben am 25. April und legte dagegen am 27. Mai 1952 Berufung ein. Das Oberversicherungsamt (OVA.) Hannover verwarf die Berufung als verspätet: Die Berufungsschrift hätte nach § 128 der Reichsversicherungsordnung (RVO) innerhalb eines Monats nach Empfang des Bescheides eingehen müssen, spätestens also - da der 25. Mai 1952 ein Sonntag gewesen sei - am 26. Mai 1952. Wiedereinsetzungsgründe habe die Klägerin nicht geltend gemacht und seien auch nicht ersichtlich. Gegen dieses Urteil legte die Klägerin weitere Berufung beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg ein. Darin bat sie, die Fristversäumung mit Rücksicht auf den Tod ihres Bruders im April 1952 und eine eigene schwere Erkrankung während dieser Zeit nicht als schuldhaft anzusehen. Das Landessozialgericht (LSG.) Celle, auf das die Sache nach dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Berufung im Sinne des SGG überging (§ 215 Abs. 8 SGG), wies das Rechtsmittel als unbegründet zurück. Es sah die Berufung an das OVA. ebenfalls als verspätet an und lehnte eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab; die von der Klägerin vorgebrachten Tatsachen hielt es nicht für geeignet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu rechtfertigen. Hiergegen wendet sich die Revision mit der Rüge, das Berufungsgericht stelle zu strenge Anforderungen an die Gewährung der Wiedereinsetzung und habe diese daher zu Unrecht abgelehnt.

Die Revision ist statthaft. Da sie vom Berufungsgericht nicht zugelassen ist, hängt ihre Statthaftigkeit davon ab, ob ein wesentlicher Mangel des berufungsgerichtlichen Verfahrens in der vorgeschriebenen Form gerügt worden ist (§§ 162 Abs. 1 Nr. 2, 164 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Obwohl sich die Rüge der Klägerin, das Berufungsgericht habe ihre (erste) Berufung an das OVA. in Übereinstimmung mit dem OVA. zu Unrecht als verspätet verworfen, dem ersten Anschein nach nur gegen den Inhalt der vordergerichtlichen Entscheidung richtet, ist ihr Gegenstand das von der Vorinstanz angewandte Verfahren. Ein Mangel des berufungsgerichtlichen Verfahrens liegt nämlich nicht nur dann vor, wenn das Berufungsgericht zu Unrecht eine Sachentscheidung über die gegen ein erstinstanzliches Urteil eingelegte Berufung getroffen oder unterlassen und damit die besonderen Voraussetzungen seines eigenen Tätigwerdens verkannt hat. Das Verfahren des Berufungsgerichts ist vielmehr auch dann als fehlerhaft anzusehen, wenn es - unter Bejahung der Zulässigkeit der Berufung - eine vom Vorderrichter zu Unrecht ausgesprochene Prozeßabweisung bestätigt; denn damit verkennt es die allgemein, d. h. in allen Instanzen zu beachtenden Voraussetzungen, unter denen sachlich über die Klage entschieden werden darf. Bei richtiger Beurteilung dieser (allgemeinen) Voraussetzungen für den Erlaß eines Sachurteils hätte das Berufungsgericht nach Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils entweder selbst in der Sache entscheiden oder den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückverweisen müssen. Die falsche Beurteilung der Prozeßvoraussetzungen, zu denen unbestritten auch die Rechtzeitigkeit der Klagerhebung gehört (vgl. Klinger, MRVO 165, 3. Aufl., § 75 Anm. F 2 f; BGHZ. 21, 142), betrifft somit das eigene Verfahren des Berufungsgerichts (vgl. Urteil des 4. Senats vom 15.12.1955, SozR. SGG § 162 Bl. Da 8 Nr. 40).

Die Klägerin hat form- und fristgerecht, auch unter Angabe von Tatsachen und Beweismitteln, ausdrücklich nur gerügt, daß das Vordergericht ihr die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist zu Unrecht versagt und deshalb eine Sachentscheidung unterlassen habe. Dadurch ist das Revisionsgericht aber nicht gehindert, auch zu prüfen, ob die Berufungsfrist überhaupt versäumt war (§ 128 RVO) und demnach Anlaß für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorlag. Wiedereinsetzung ist zu gewähren, wenn jemand durch unabwendbaren Zufall (so früher § 131 RVO) oder ohne Verschulden (so jetzt § 67 SGG) verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Voraussetzung für die Anwendung der Wiedereinsetzungsvorschriften ist hiernach die Nichteinhaltung einer Verfahrensfrist. Wenn eine solche Fristversäumung nicht eingetreten ist, fehlt es an der Möglichkeit, eine Entscheidung über das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen zu treffen. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt wird (zur Frage der "vorsorglichen" Gewährung der Wiedereinsetzung vgl. Urteil des 6. Senats vom 4.12.1956 (SozR. SGG § 67 Bl. Da 3 Nr. 7) sowie BGHZ. 4, 396). Hat das Gericht die Versäumung einer Frist nicht festgestellt oder ist die Feststellung einer Fristversäumung rechtsirrig, so ermangelt die weitere Feststellung, daß Wiedereinsetzungsgründe nicht vorliegen, der rechtlichen Grundlage; sie muß daher selbst dann aufgehoben werden, wenn sie als solche nicht zu beanstanden ist. Das gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung angerufene Rechtsmittelgericht hat deshalb zunächst zu prüfen, ob die Frist, deretwegen Wiedereinsetzung begehrt wird, nicht eingehalten worden ist. Die Rüge, die Wiedereinsetzung sei zu Unrecht versagt worden, erstreckt sich mithin auch auf die - für die Entscheidung über die Wiedereinsetzung vorgreifliche - Frage der Nichteinhaltung der Frist. Es würde auch der Billigkeit widersprechen, die rechtliche Nachprüfung der Entscheidung des Berufungsgerichts über die Versäumung der Rechtsmittelfrist der Revisionsklägerin zu versagen, denn es war gerade der - fehlerhafte - Rechtsstandpunkt des Vordergerichts zur Frage der Wiedereinsetzung, der die Klägerin veranlaßte, ihre Verfahrensrüge ausdrücklich auf die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu stützen. Das Revisionsgericht kann aber keine Nachprüfung der sachlichen Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vornehmen, ohne zugleich von bestimmten Feststellungen über die Laufzeit der Berufungsfrist auszugehen.

Die in dem Vorbringen der Klägerin hiernach mitenthaltene Rüge, das Berufungsgericht habe ihre (erste) Berufung an das OVA. zu Unrecht als verspätet angesehen, ist begründet; denn die Annahme des Vorderrichters, die Berufungsfrist habe mit dem Tage begonnen, an dem die Klägerin den Bescheid der Beklagten tatsächlich erhalten habe, ist rechtsirrig. Nach dem zur Zeit der Einlegung der Berufung beim OVA. geltenden Recht (vgl. Rosenberg, Lehrbuch des Zivilprozeßrechts, (6.) S. 23) wurden Rechtsmittelfristen in der Sozialversicherung grundsätzlich durch Zustellung eines (rechtsmittelfähigen) Bescheides in Lauf gesetzt (§ 128 RVO). Das Zustellungsrecht war durch Kriegsmaßnahmen vereinfacht worden, und zwar zunächst durch die VO zur Vereinfachung und Vereinheitlichung des Zustellungsrechts vom 9. Oktober 1940 (RGBl. I S. 1340), später durch die VO über Kriegsmaßnahmen auf dem Gebiete der bürgerlichen Rechtspflege ( Kriegsmaßnahmenverordnung ) vom 12. Mai 1943 (RGBl. I S. 290) und durch die VO über Postzustellung in der öffentlichen Verwaltung ( Postzustellungsverordnung ) vom 4. August 1943 (RGBl. I S. 527) nebst Ausführungsbestimmung hierzu: Runderl. des Reichsministers des Innern vom 31. August 1943 - I 4332/43 - 7050 - AN. S. 446, ferner Erlaß des RAM. vom 5. Oktober 1943, I a - 5230/43 - (AN. a. a. O.). Nach der erwähnten Postzustellungsverordnung ( PZVO ) waren Zustellungen durch die Post auf dem Gebiete der öffentlichen Verwaltung in der Weise zu bewirken, daß das mitzuteilende Schriftstück unter der Anschrift des Empfängers zur Post gegeben wurde, und zwar nach der ergänzenden Anordnung in dem angeführten Runderlaß des Reichsministers des Innern vom 31. August 1943 "in der Regel als gewöhnliche Sendung". Das hiernach für das Gebiet der öffentlichen Verwaltung - eingeschlossen die Sozialversicherung - geltende vereinfachte Zustellungsrecht, nach dem im vorliegenden Falle verfahren worden ist, war zur Zeit der Berufungseinlegung durch die Klägerin noch in Kraft.

Die PZVO stand, soweit sie das Zustellungsverfahren der Landesbehörden und landesunmittelbaren Körperschaften betraf, nach dem Zusammenbruch des Jahres 1945 zur Disposition des Landesgesetzgebers; das gilt auch für die Zeit nach Inkrafttreten des Grundgesetzes (Art. 70 GG). Das Land Niedersachsen konnte daher durch das Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) vom 20. November 1953 (Nds. GVBl. S. 86) vorschreiben, daß die PZVO in Niedersachsen mit Wirkung vom 1. April 1954 "nicht mehr anzuwenden" sei (§§ 3, 4; vgl. auch die entsprechende Vorschrift in § 18 des VwZG des Bundes vom 3.7.1952, BGBl. I S. 379). Wie die Fassung des Niedersächsischen Gesetzes zeigt, ging der Gesetzgeber bei Erlaß dieser Vorschrift davon aus, daß die PZVO bis zum Inkrafttreten des neuen Rechts in Niedersachsen anwendbar gewesen ist. Diese Auffassung entspricht der im Schrifttum und in der Rechtsprechung herrschenden Meinung (vgl. von Rosen- von Hoewel, Verwaltungsvollstreckungsgesetz und Verwaltungszustellungsgesetz, 1953, S. 95; Sautter, SGb. 1954, S. 154 Anm.; Baden-Württ., SGb. 1956, S. 130 mit weiteren Nachweisen). Dagegen haben sich, soweit ersichtlich, nur Peters (Kühne-Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 1951, Vorbem. vor § 135 RVO) und - ihm folgend - v. Altrock/Fürst (Koch-Hartmann, AVG, 2. Aufl., § 205 Anm. 2 zu §§ 135, 136 RVO, S. 797) ausgesprochen. Sie begründen ihre abweichende Ansicht damit, daß die PZVO ausdrücklich als Kriegsmaßnahme im Anschluß an § 5 der Kriegsmaßnahmenverordnung vom 12. Mai 1943 erlassen worden sei; nachdem diese Verordnung in der ehemaligen britischen Besatzungszone durch Art. 6 II 2 der Verordnung des Zentral-Justizamts vom 27. Januar 1948 (VOBl. brit. Zone 1948 S. 13), im übrigen Bundesgebiet durch Art. 8 II Nr. 27 des Vereinheitlichungsgesetzes vom 12. September 1950 (BGBl. I S. 455) aufgehoben worden sei, dürfe auch die PZVO nicht mehr angewandt werden. Dieser Ansicht kann nicht beigetreten werden. Die PZVO ist zwar auf Grund des "Führererlasses" über die Vereinfachung der Verwaltung vom 28. August 1939 ergangen und offensichtlich bestimmt gewesen, dem mit diesem Erlaß verfolgten Zweck der Verwaltungsvereinfachung während des Krieges zu dienen. Diese der PZVO zugrunde liegende Zweckbestimmung ist jedoch nicht in dem Sinne Bestandteil der Verordnung, insbesondere der ihren zeitlichen Geltungsbereich regelnden Vorschriften geworden, daß die Verordnung mit der Änderung der Verhältnisse von selbst, d. h. ohne weiteren Aufhebungsakt des Gesetzgebers, außer Kraft getreten wäre. Auch der Umstand, daß § 1 PZVO dem § 5 der für den Bereich der bürgerlichen Rechtspflege erlassenen Kriegsmaßnahmenverordnung vom 12. Mai 1943 nachgebildet, diese Verordnung aber durch die angeführten Vorschriften aufgehoben worden ist, berührt die Rechtsgeltung der - für einen ganz anderen sachlichen Bereich erlassenen - PZVO nicht. Es wäre auch mit den Erfordernissen der Rechtssicherheit nicht zu vereinbaren, wenn der Fortbestand einer rechtlichen Regelung schon mit der Begründung in Frage gestellt werden könnte, daß eine gleichartige Regelung auf einem anderen Rechtsgebiet außer Kraft getreten sei.

Ist hiernach davon auszugehen, daß die PZVO im Land Niedersachsen bis zum Inkrafttreten des Niedersächsischen VwZG (1.4.1954) anzuwenden war, so ist die Frage, wann der am 23. April 1952 mit einfachem Brief zur Post gegebene Bescheid der Beklagten zugestellt worden ist, allein nach § 1 Satz 3 PZVO zu beantworten. Nach dieser Bestimmung gilt die Zustellung bei Empfängern, die im Bereich des Ortsbestellverkehrs wohnen, am zweiten Werktag, im übrigen - wie hier - am vierten Werktag nach der Aufgabe zur Post als bewirkt, sofern nicht den Umständen nach anzunehmen ist, daß die Sendung nicht oder erst in einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Die Auslegung dieser Bestimmung hat in mehrfacher Hinsicht Anlaß zu Zweifeln gegeben, namentlich in der Richtung, ob damit fingiert oder unwiderleglich vermutet werde, daß die Sendung dem Empfänger nicht vor dem zweiten bzw. vierten Werktag zugegangen sei, oder ob die in § 1 Satz 3 PZVO enthaltene Vermutung durch den Nachweis entkräftet werden könne, daß der Empfänger die Sendung tatsächlich früher erhalten habe. Der Senat ist in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung (vgl. LSG. Baden-Württ., SGb. 1956, S. 130 und das dort in der Anmerkung von Glücklich angeführte Schrifttum) der Auffassung, daß gegenüber der durch § 1 Satz 3 PZVO begründeten Vermutung der Nachweis des früheren Zugangs ausgeschlossen ist. Dafür spricht, daß der Begriff der Zustellung nicht die Kenntnisnahme von dem zugestellten Schriftstück erfordert, vielmehr als die in gesetzlicher Form erfolgte, beurkundete Übergabe eines Schriftstücks anzusehen ist (Stein-Jonas-Schönke, 18. Aufl., Vorbem. vor § 166 IV; Baumbach-Lauterbach, Übersicht vor § 166 Bem. 1). Die Beurkundung der Übergabe kann nicht durch andere Beweise für die Übergabe des Schriftstücks ersetzt werden (RGZ 124, 17). Bei der vereinfachten Zustellung nach der PZVO tritt an die Stelle der beurkundeten Übergabe die Aufgabe zur Post. Andere Beweise der Übergabe sind auch hier nicht möglich. Wie Glücklich a. a. O. mit Recht betont, muß im Zustellungswesen vor allem Sicherheit und Klarheit herrschen. Dieser Forderung würde nicht ausreichend Rechnung getragen werden, wenn bei Zustellungen nach § 1 PZVO der tatsächliche Zugang der Sendung rechtserheblich und für den Beginn der durch die Zustellung u. U. in Lauf gesetzten Rechtsmittelfrist maßgebend wäre; der Absender könnte dann Gewißheit über Anfang und Ende der Frist nur durch Rückfrage bei der Post oder dem Empfänger erlangen, der Empfänger den Ablauf der Frist nur durch eigene Aufzeichnungen überwachen. Einfach und klar ist hingegen die Regelung, die den Zeitpunkt der Zustellung in der Weise festlegt, daß dem Tage, an dem die Sendung zur Post gelangt und den sowohl der Absender - aus dem bei den Akten befindlichen Absendevermerk - als auch der Empfänger - aus dem Aufgabestempel - im allgemeinen leicht feststellen können, eine bestimmte Anzahl von Tagen hinzugerechnet wird. Ob diese Zahl zwei oder vier (wie nach der PZVO ) oder drei (wie nach § 4 VwZG des Bundes) beträgt, ist eine Frage von untergeordneter Bedeutung; entscheidend ist dagegen, daß ein etwa früher erfolgter Zugang der Sendung rechtlich außer Betracht bleibt. Das muß aber bei § 1 Satz 3 PZVO nach Wortlaut und Sinn der Vorschrift angenommen werden.

Hiernach ist es im vorliegenden Fall unerheblich, daß die Klägerin den Bescheid der Beklagten tatsächlich schon vor dem Tage, der nach § 1 Satz 3 PZVO als Tag der Zustellung gilt, erhalten hat. Die Rechtsvermutung, daß der Bescheid ihr nicht früher als am vierten Werktage nach Aufgabe zur Post (28. April 1952) zugegangen ist, wird dadurch nicht widerlegt. Ist die Zustellung aber keinesfalls vor dem 28. April 1952 erfolgt, so hat die Klägerin ihre Berufung am 27. Mai 1952 noch innerhalb der einmonatigen Berufungsfrist, mithin rechtzeitig, eingelegt. Das LSG. hätte sich daher einer sachlichen Nachprüfung des OVA.-Urteils nicht entziehen dürfen. Da das Urteil des LSG. auf diesem Verfahrensmangel beruht, ist die Revision begründet. Das angefochtene Urteil war deshalb aufzuheben und der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, das nunmehr sachlich über die Klage zu entscheiden haben wird.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2324652

NJW 1957, 764

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