Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 30.11.1972)

SG Frankfurt am Main (Urteil vom 09.06.1970)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 30. November 1972, das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 9. Juni 1970 und der Bescheid der Beklagten vom 8. Januar 1968 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. August 1968 auf gehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Krankengeld für die Zeit vom 21. Oktober 1967 bis zum 6. November 1967 zu zahlen.

Die Beklagte hat der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin, eine spanische Gastarbeiterin, verlangt Krankengeld für die Zeit vom 21. Oktober bis zum 6. November 1967. Sie war nach einer Herzoperation bis zum 15. Oktober 1967 arbeitsunfähig krank. Für die anschließende Zeit bis zum 6. November 1967 erhielt sie von ihrem Arbeitsgeber Urlaub (bis zum 20. Oktober bezahlten, danach unbezahlten). Am letzten Tag des bezahlten Urlaubs (20. Oktober 1967) wurde sie wiederum arbeitsunfähig – nach Ansicht ihres behandelnden Arztes wahrscheinlich infolge der anstrengenden Reise nach Spanien – und blieb bis zum 8. Dezember 1967 arbeitsunfähig.

Die beklagte Krankenkasse, deren Pflichtmitglied die Klägerin ist, zahlte ihr Krankengeld für die Zeit ab 7. November 1967. Für die vorhergehende Zeit (21. Oktober bis 6. November 1967), die die Kasse als Zeit eines unbezahlten Urlaubs ansah, lehnte sie dagegen eine Krankengeldzahlung ab, weil Krankengeld an Versicherte, die, wie die Klägerin, in Betrieben mit Fünf-Tage-Woche arbeiteten, nur für „Arbeitstage und bezahlte Feiertage” zu zahlen sei (§ 182 Abs. 5 letzter Satz der Reichsversicherungsordnung –RVO–). Außerdem sei der Klägerin während dieser Zeit kein – durch Krankengeld zu ersetzender – Lohnausfall entstanden.

Die Vorinstanzen haben die Auffassung der Beklagten gebilligt und die Klage deshalb für unbegründet gehalten (Urteile des Sozialgerichts –SG– Frankfurt vom 9. Juni 1970 und des Hessischen Landessozialgerichts –LSG– vom 30. November 1972).

Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter: Während des unbezahlten Urlaubs habe ihr Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krankengeld fortbestanden; § 182 Abs. 5 RVO regele nur die Berechnung des Krankengeldes und stelle im übrigen auf die betriebliche Arbeitszeit ab. Das Krankengeld habe auch nicht in jedem Fall Lohnersatzfunktion, andernfalls dürfte es weder nach dem Ausscheiden aus den Versicherungsverhältnis (vgl. § 214 RVO) noch für Zeiten eines Streiks oder einer Betriebsstörung gezahlt werden. Wäre die Ansicht der Beklagten richtig, so würde sie, die Klägerin, trotz Fortdauer ihres Arbeits- und Versicherungsverhältnisses während des unbezahlten Urlaubs schlechtergestellt sein, als wenn sie ihr Arbeitsverhältnis gekündigt hätte und bei der Beklagten ausgeschieden wäre. Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung aller. Vorentscheidungen die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 21. Oktober bis zum 6. November 1967 Krankengeld zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie beruft sich vor allem auf ein Urteil des Senats vom 24. November 1967, wonach für Zeiten unbezahlter Betriebsferien kein Anspruch auf Krankengeld bestehe.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Klägerin ist begründet. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen steht ihr für die streitige Zeit Krankengeld zu.

Nach Feststellung des LSG ist die Klägerin am letzten Tag ihres bezahlten Urlaubs (20. Oktober 1967) arbeitsunfähig geworden. Schon dieser Umstand unterscheidet ihren Fall von einem früher vom Senat entschiedenen eines türkischen Gastarbeiters, der während eines unbezahlten Urlaubs in seiner Heimat arbeitsunfähig erkrankt war; außerdem hatte er – anders als die Klägerin, die nur für 17 Tage ohne Bezahlung beurlaubt worden war – einen drei Wochen übersteigenden unbezahlten Urlaub erhalten. Sein Versicherungsverhältnis hatte deshalb mit Beginn des unbezahlten Urlaubs geendet, so daß ihm für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit keinerlei Krankengeldansprüche, auch nicht für die (damals nur streitige) Zeit nach Ablauf des unbezahlten Urlaubs, zustanden (SozR Nr. 70 zu § 165 RVO; vgl. auch die Neufassung des § 311 RVO durch das Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974, BGBl I 1881, 1889, wonach die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger erhalten bleibt, „solange das Arbeitsverhältnis ohne Entgelt Zahlung fortbesteht, längstens jedoch für drei Wochen”).

Da der Versicherungsfall – die Erkrankung – bei der Klägerin mithin noch während ihrer (auf einer versicherungspflichtigen Beschäftigung beruhenden) Mitgliedschaft bei der Beklagten eingetreten ist – ob die Klägerin über das Ende der früheren, mit dem 15. Oktober 1967 weggefallenen Arbeitsunfähigkeit hinaus krank geblieben war oder zugleich mit der Arbeitsunfähigkeit am 20. Oktober 1967 neu erkrankt ist, kann dahingestellt bleiben –, ist dem Grunde nach ein Anspruch auf Krankengeld für die Zeit ab 21. Oktober 1967 entstanden (§ 182 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 RVO).

Ob der Anspruch auch für die hier streitige Zeit gegeben wäre, wenn die Klägerin sich während dieser Zeit in unbezahltem Urlaub befunden hätte, wie sie selbst anscheinend bisher angenommen hat, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Offen kann insbesondere bleiben, ob in einem solchen Fall eine Krankengeldgewährung durch die Vorschrift, daß Krankengeld nur „für Arbeitstage und bezahlte Feiertage” zu zahlen ist (§ 182 Abs. 5 letzter Satz RVO), oder durch die allgemeine Zweckbestimmung des Krankengeldes als Ersatz „des wegen der Arbeitsunfähigkeit entgangenen regelmäßigen Arbeitsentgeltes” (§ 182 Abs. 4 RVO) ausgeschlossen ist (künftig wird Krankengeld in allen Fällen „für Kalendertage” zu zahlen sein, § 182 Abs. 4 in der ab 1. Januar 1975 in Kraft tretenen Fassung des genannten Gesetzes vom 7. August 1974). Im vorliegenden Fall war die streitige Zeit für die Klägerin keine Urlaubszeit; denn die mit dem Arbeitgeber getroffene Urlaubsabrede ist mit dem Eintritt ihrer Arbeitsunfähigkeit am 20. Oktober 1967 hinfällig geworden.

Das Mindesturlaubsgesetz für Arbeitnehmer (Bundesurlaubsgesetz – BUrlG–) vom 8. Januar 1963 (BGBl I 2) schreibt in § 9 vor, daß bei Erkrankung des Arbeitnehmers während des Urlaubs die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den (bezahlten) Jahresurlaub nicht angerechnet werden. Der Eintritt von Arbeitsunfähigkeit unterbricht also den Urlaub mit der Folge, daß dem Arbeitsunfähigen für die Zeit der Krankheit Krankenlohn – unter Verrechnung mit dem zurückzuerstattenden Urlaubsgeld – zu zahlen ist (vgl. Dersch-Neumann, BUrlG, 4. Aufl., § 9 Rd.Nr. 18 mit weiteren Schrifttumsnachweisen). Diese Regelung beruht, wie das Bundesarbeitsgericht (BAG) ausgeführt hat, auf dem Gedanken, daß ein Arbeitnehmer, der während des Urlaubs erkrankt, sich nicht erholen könne; Urlaub und Krankheit schlössen einander aus; der mit der Urlaubsgewährung verfolgte Zweck werde durch den Eintritt der Krankheit vereitelt; dies solle nicht zu Lasten des Arbeitnehmers gehen, dessen Erholungsbedürfnis weiterbestehe; dieselben Erwägungen seien angebracht, wenn im Anschluß an den gesetzlichen Erholungsurlaub ein unbezahlter Urlaub ebenfalls zu Erholungszwecken gewährt werde; deshalb müsse auf diesen Urlaubsteil § 9 BUrlG entsprechend angewendet werden; das gelte jedenfalls dann, wenn mit der Gewährung des unbezahlten Urlaubs einem berechtigten Urlaubsbedürfnis des Arbeitnehmers entsprochen werde (Urteil vom 1. Juli 1974 – 5 AZR 600/73 –; ähnlich schon die Urteile vom 23. Dezember 1971 und 3. Oktober 1972, Nachschlagewerk des BAG – Arbeitsrechtliche Praxis – Nr. 2 und Nr. 4 zu § 9 BUrlG).

Von diesen arbeitsrechtlichen Grundsätzen ist auch für das Recht der Sozialversicherung auszugehen. Auch hier gilt mithin ein unbezahlter Urlaub, der einem bezahlten zeitlich folgt und wie dieser Erholungszwecken dienen soll, als unterbrochen, wenn der Arbeitnehmer während des Urlaubs arbeitsunfähig krank wird. Für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit ist dann, sofern nicht der Arbeitgeber den Lohn als Krankenlohn fortzahlt, von der Krankenkasse Krankengeld zu gewähren.

Im Falle der Klägerin sollte ein unbezahlter Urlaub unmittelbar an den bis zum 20. Oktober 1967 gewährten bezahlten Urlaub anschließen und wie dieser der Erholung der – bis zum 15. Oktober krank gewesenen – Klägerin dienen. Beide Urlaubszeiten – die bezahlte und die unbezahlte – sahen die Beteiligten mithin als eine Einheit an. Dieser Gesamturlaub wurde mit dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin am 20. Oktober 1967 unterbrochen und damit auch die Abrede über den Beginn des unbezahlten Urlaubs am 21. Oktober 1967 hinfällig.

Da sonstige Gründe, die dem Krankengeldanspruch der Klägerin für die streitige Zeit entgegenstehen könnten, aus dem festgestellten Sachverhalt nicht ersichtlich sind, hat der Senat die Beklagte unter Aufhebung aller Vorentscheidungen zur Zahlung des geforderten Krankengeldes verurteilt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 130

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