Leitsatz (amtlich)

1. Eine Krankenkasse darf die Gewährung von Krankenhauspflege nicht allein deshalb ablehnen, weil die Erkrankung durch einen Sportunfall verursacht und der Versicherte gegen Sportunfälle privatrechtlich versichert ist. Sie kann sich in Fällen solcher Art jedenfalls dann nicht auf ihre besonders ungünstige wirtschaftliche Lage berufen, wenn sie bei anderen gleichartigen und gleichschweren Erkrankungen Krankenhauspflege gewährt.

2. Das Gericht hat bei der Prüfung, ob eine Krankenkasse die Krankenhauspflege unter Berufung auf ihr freies Ermessen zu Recht abgelehnt hat, auch solche Gründe zu berücksichtigen, die von der Krankenkasse erst im gerichtlichen Verfahren vorgebracht werden (Fortsetzung BSG 1956-08-23 3 RJ 293/55 = BSGE 3, 209).

3. Die Krankenkasse kann zur Zahlung von Krankenhauspflegekosten in bestimmter Höhe verurteilt werden, wenn die Ablehnung der Krankenhauspflege unter jedem denkbaren Gesichtspunkt einen Ermessensmißbrauch darstellen würde und die Sache in jeder Beziehung spruchreif ist.

 

Leitsatz (redaktionell)

Die im RVO § 192 Abs 1 Nr 2 genannten Ausnahmen kommen bei Sportunfällen in aller Regel nicht in Betracht (RVO §§ 184, 192).

 

Normenkette

RVO § 184 Fassung: 1933-08-14; SGG § 54 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1953-09-03, § 131 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03; RVO § 192 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1924-12-15

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 1954 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Der Kläger, von Beruf Maurer, ist bei der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse gegen Krankheit versichert. Am 21. Oktober 1951 zog er sich bei einem Fußballspiel einen Schienbeinbruch und einen großen Bluterguß mit anfänglich bestehendem Resorptionsfieber zu; er wurde deshalb vom Sportplatz in das Krankenhaus gebracht; dies hat der praktische Arzt Dr. med. H. in T. am 22. Oktober 1951 und später auch der Chefarzt der Krankenanstalten H. in T. als erforderlich bescheinigt. Die Beklagte, die dem Kläger für die Dauer seiner Arbeitsunfähigkeit Krankengeld zahlte, lehnte die Übernahme der entstandenen Krankenhauskosten (295,56 DM) sowie der Transportkosten (35 DM) unter Hinweis auf die "Kannbestimmung" des § 184 Abs. 1 Satz 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) ab: Sie sei nicht verpflichtet, diese Kosten zu tragen, zumal sie von einer privaten Sportunfallversicherung übernommen würden. Nachdem sich das Versicherungsamt - auf Antrag des Klägers - wiederholt mit der Sache befaßt und die Beklagte gegen die erste, der Kläger gegen die zweite Entscheidung des Versicherungsamts Beschwerde eingelegt hatten, ging das Verfahren am 1. Januar 1954 auf das Sozialgericht über; dieses verurteilte die Beklagte, dem Kläger die Krankenhaus- und Transportkosten - abzüglich des bereits gewährten Krankengeldes - zu zahlen. Die Entscheidung der Beklagten sei ermessensmißbräuchlich. Die Krankenhauspflege sei medizinisch notwendig gewesen und die Beklagte habe keinen schwerwiegenden Grund, der die Ablehnung der Kostenerstattung zu rechtfertigen vermöge. Finanzielle Gesichtspunkte schieden aus, da die Kosten der Krankenhauspflege das von der Beklagten gewährte Krankengeld nur um 178,92 DM überstiegen. Die entsprechende Anwendung der Vorschrift des § 192 RVO auf Teilnehmer an einem Fußballspiel komme nicht in Betracht. Die zugunsten des Klägers bestehende private Unfallversicherung berechtige die Beklagte gleichfalls nicht, die Übernahme der entstandenen Kosten abzulehnen.

Die Beklagte legte gegen das Urteil des Sozialgerichts Berufung ein. Sie trug vor: Ihr Verlast habe im Rechnungsjahr 1951 39.000 DM betragen; dies sei umso schwerwiegender, als sie einen Kassenbestand in Höhe der Ausgaben für sechs Wochen bereithalten müsse. Einsparungen könnten nur bei den Kannleistungen vorgenommen werden. Hierbei dürfe die wirtschaftliche Lage der Versicherten - auch das Bestehen einer Sportunfallversicherung - berücksichtigt werden. Bei Risikosport, zu dem Fußballwettspiele gehörten, könne auch der Grundgedanke des § 192 RVO herangezogen werden. Die Aufwendungen für Sportunfälle beliefen sich im Jahre 1951 auf 979,20 DM (drei Fälle), im Jahre 1952 auf 658,20 DM (zwei Fälle) und im Jahre 1953 auf 2.451,60 DM (neun Fälle). Der Kläger trug vor, das Defizit der Beklagten im Jahre 1951 sei durch die Krankenversicherung der Rentner entstanden und nicht durch Ausgaben für Sportunfälle. Ein solches Defizit könne nicht durch Beschneidung der Regelleistungen, zu denen auch Krankenhauspflege gehöre, eingeschränkt werden.

Das Landessozialgericht wies die Berufung der Beklagten - unter Zulassung der Revision - zurück: Die Krankenhauspflege sei vom Gesetzgeber nur deshalb nicht als Pflichtleistung vorgeschrieben worden, weil die Durchführung einer solchen Vorschrift praktisch am Fehlen von Krankenhausbetten gescheitert wäre. Die Krankenkassen seien aber allgemein angewiesen worden, Krankenhauspflege in allen Fällen zu gewähren, in denen sie notwendig sei. Allerdings begründe die medizinische Notwendigkeit allein keinen Anspruch auf Krankenhauspflege. Vielmehr dürfe die Krankenkasse die Kostentragung - selbst bei schweren Krankheitsfällen - auch im Hinblick auf ihre finanzielle Lage verweigern, wenn ihr die Gewährung "schlechterdings nicht zugemutet" werden könne. Jedoch rechtfertige die finanzielle Lage der beklagten Kasse ihre ablehnende Entscheidung nicht. Ihre Ausgaben für Krankenhauspflegekosten hätten sich im Jahre 1951 auf 251.589,12 DM belaufen. Die im Verhältnis zu diesem Betrag geringen Ausgaben für Sportunfälle mit nur 979,20 DM bedeuteten keine nennenswerte Erhöhung des Defizits der Beklagten. Die Ablehnung der Kostenübernahme durch die Beklagte sei jedenfalls deshalb ermessensmißbräuchlich, weil ihre Leistungsfähigkeit durch die Übernahme der Krankenhauspflegekosten für Sportunfälle "gar nicht ernsthaft gefährdet war". Eine Krankenkasse dürfe im übrigen auch zur Abwendung einer drohenden Gefährdung ihrer Leistungsfähigkeit keine willkürlichen Maßnahmen treffen. Die Beklagte könne sich auch nicht auf § 192 RVO berufen, weil sich § 192 RVO - als Ausnahmevorschrift - nur auf die Versagung von Krankengeld, nicht aber auf Versagung von Krankenhauspflege beziehe. Nach der RVO sei die Krankenhilfe in allen Fällen in ausreichendem und zweckmäßigem Maße zu gewähren. Daß die Beklagte zur Leistung verurteilt worden sei, sei nicht zu beanstanden, weil das Gericht alle zur Rechtfertigung der angefochtenen Entscheidung vorgebrachten Gründe geprüft habe. Das Gericht habe also gar nicht mehr in den Ermessensraum einer zur Entscheidung berufenen Stelle eindringen können, das ergangene Leistungsurteil sei daher zulässig.

Gegen das der Beklagten am 22. Februar 1955 zugestellte Urteil des Landessozialgerichts legte diese am 17. März 1955 Revision ein.

Die Beklagte rügt, das Landessozialgericht habe den Fragen der Bedürftigkeit und Würdigkeit des Klägers zu Unrecht nur eine untergeordnete Bedeutung beigemessen. Außerdem sei aber selbst eine in guter finanzieller Lage befindliche Kasse im Interesse der Versichertengemeinschaft berechtigt und verpflichtet, Einsparungen vorzunehmen, wenn dies auf Grund einer Prüfung der Bedürftigkeit und Würdigkeit der Versicherten gerechtfertigt sei. In diesem Sinne habe die Beklagte bei ihrer Entscheidung über die vom Kläger beantragte Ermessensleistung berücksichtigen müssen, daß für den Kläger eine Sportunfallversicherung bestanden habe und daß er sich in einer nicht zu verantwortenden Weise in Gefahr begeben habe.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, und trägt vor, die Sportunfallversicherung greife nur Platz, soweit nicht die Beklagte zur Leistung verpflichtet sei. Die Beklagte könne ihre Leistungspflicht daher nicht mit der Begründung verneinen, daß die Sportunfallversicherung für den Schaden aufzukommen habe. Auch auf § 192 Abs. 1 RVO könne sich die Beklagte nicht berufen. Die Ortskrankenkassen verträten allgemein den der Beklagten entgegengesetzten Standpunkt, daß es nur auf den krankhaften Zustand und die erfolgreiche medizinische Hilfe, Besserung oder Linderung ankomme und daß die Ursache der Erkrankung für die Krankenkasse bedeutungslos sei. Krankenhauspflege sei - wie in seinem Falle - stets zu gewähren, wenn sie "notwendig" sei.

II.

Die Revision ist vom Landessozialgericht zugelassen und daher statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG); sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt. Der Erfolg muß ihr jedoch versagt werden.

Der Senat hat das Rubrum des Rechtsstreits von Amts wegen geändert. Er hat bereits früher (BSG. 3 S. 30 ff. [34]) in einem ähnlichen Fall ausgesprochen, daß sich beim Übergang des Verfahrens von einer Versicherungsbehörde auf das Sozialgericht die prozessuale Stellung der bisher am Verfahren Beteiligten danach beurteile, welche Parteirolle sie in dem Rechtsstreit hätten, wenn er unter Geltung des Sozialgerichtsgesetzes anhängig gemacht worden wäre. In diesem Falle hatte aber der bisher als Beklagter bezeichnete Versicherte Todt gegen die beiden ablehnenden Bescheide der Allgemeinen Ortskrankenkasse Klage erhoben, so daß dem Versicherten im vorliegenden Verfahren die Rolle des Klägers, der Allgemeinen Ortskrankenkasse die der Beklagten zukommt.

Der Kläger hat sich nicht auf die Anfechtung der ablehnenden Bescheide der Beklagten beschränkt, sondern darüber hinaus die Verurteilung der Beklagten zur Erstattung der Kosten beantragt, die ihm durch die Krankenhauspflege und den Transport in das Krankenhaus entstanden sind. Dieses Begehren hat sich, wie die Vorinstanzen zutreffend angenommen haben, nicht dadurch erledigt, daß die Beklagte die genannten Kosten zunächst "vorgelegt" hat; denn sie hat dies nur unter dem Vorbehalt eines für den Kläger günstigen Ausgangs des Rechtsstreits getan. Beide Gerichte - das Sozialgericht und das Landessozialgericht - haben den Erstattungsanspruch des Klägers für begründet gehalten. Sie sind dabei mit Recht davon ausgegangen, daß dem Versicherten nach der RVO grundsätzlich kein Rechtsanspruch auf Gewährung von Krankenhauspflege oder Übernahme der dadurch entstandenen Kosten zusteht. Das ergibt sich schon aus dem wortlaut des § 184 RVO, wonach die Krankenkasse an Stelle der Krankenpflege und des Krankengeldes Krankenhauspflege gewähren kann; es wird weiter durch die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift bestätigt (vgl. die Begründung zu § 199 des Entwurfs einer RVO vom Jahre 1910, wonach "Krankenhauspflege zu gewähren... nach wie vor... dem pflichtmäßigen Ermessen der Träger der Krankenversicherung überlassen geblieben ist"). Auch die Rechtsprechung des RVA hat - mit gewissen Einschränkungen - im Grundsatz stets an dem Ermessenscharakter der Krankenhauspflege festgehalten (Grunds. Entsch. Nr. 1935, 2191, 2320, 2353 und 5456, AN. 1914 S. 818, 1916 S. 478, 1917 S. 388 u. 504, 1942 S. 31). Soweit die Krankenkasse hiernach ermächtigt ist, über die Gewährung oder Versagung von Krankenhauspflege nach ihrem Ermessen zu entscheiden, kann im sozialgerichtlichen Verfahren nur geprüft werden, ob die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Der Kläger hat dies geltend gemacht; seine Rüge ist begründet.

Die beklagte Krankenkasse hat nicht in Abrede gestellt, daß die Krankenhausbehandlung des Klägers vom medizinischen Standpunkt notwendig war. Auch die Vorinstanzen haben, ohne die Frage näher zu erörtern, angenommen, daß der Kläger der Krankenhauspflege bedurfte. Hiergegen sind rechtliche Bedenken nicht zu erheben; der Kläger ist durch einen Arzt in das Krankenhaus eingewiesen worden, der Chefarzt des Krankenhauses hat später bestätigt, daß diese Maßnahme nach der Art und Schwere der Verletzungen des Klägers erforderlich gewesen sei. Trotz der - auch von der Beklagten anerkannten - medizinischen Notwendigkeit der Krankenhauspflege hat die Beklagte es jedoch abgelehnt, dem Kläger Krankenhauspflege zu gewähren. Sie hat dies ursprünglich allein damit begründet, daß der Kläger gegen die Folgen des erlittenen Sportunfalls privat versichert sei. Später hat sie sich u.a. auch auf ihre ungünstige wirtschaftliche Lage berufen und im Verfahren vor dem Berufungsgericht hierzu nähere Angaben gemacht. Das Berufungsgericht hat diesen "nachgeschobenen" Ablehnungsgrund mit Recht bei seiner Entscheidung berücksichtigt; denn der Gegenstand des Rechtsstreits ist durch das neue Vorbringen der Beklagten nicht verändert worden, auch hat der Kläger hinreichend Gelegenheit gehabt, dazu Stellung zu nehmen (BSG. 3, 209, 216; BSG. 7, 257, 261 f. mit weiteren Nachweisen). Der Umstand, daß der von der Beklagten nachträglich vorgebrachte Grund eine Ermessensleistung betrifft, steht seiner Berücksichtigung nicht entgegen, mag den Gerichten auch versagt sein, in Fällen dieser Art von sich aus - auf Grund ihrer Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) - neue, das Ermessen betreffende Tatsachen in den Rechtsstreit einzuführen (vgl. BSG. 3, 209, 214; BVerwG., DVBl. 1959, S. 438; OVG. Koblenz, DVBl. 1958, S. 835).

Das Berufungsgericht hat sich mit dem Einwand der Beklagten, ihre wirtschaftliche Lage habe im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls (Oktober 1951) die Gewährung von Krankenhauspflege bei Sportunfällen nicht gestattet, eingehend auseinandergesetzt. Es ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, die Leistungsfähigkeit der Beklagten sei in der fraglichen Zeit nicht ernstlich gefährdet gewesen; im übrigen sei die Verweigerung von Krankenhauspflege allein bei Sportunfällen wegen der Geringfügigkeit der hierfür erforderlichen Beträge kein geeignetes Mittel gewesen, um die finanziellen Verhältnisse der Beklagten entscheidend zu bessern. Ob diesen Ausführungen beizutreten ist, kann dahingestellt bleiben. Grundsätzlich wird einer Krankenkasse das Recht nicht abzusprechen sein, im Falle eines Mißverhältnisses von Einnahmen und Ausgaben an Stelle einer Beitragserhöhung die von ihrem Ermessen abhängigen Leistungen einzuschränken oder sogar teilweise einzustellen. Es wäre allerdings bedenklich, wenn eine Krankenkasse - wie das Berufungsgericht es offenbar für zulässig hält - unter Berufung auf wirtschaftliche Schwierigkeiten u.U. sogar bei schweren und schwersten Erkrankungen die Krankenhauspflege verweigern dürfte. Den in diesem Zusammenhang auftauchenden Fragen braucht hier indessen nicht weiter nachgegangen zu werden; denn der Senat hält es jedenfalls unter keinen Umständen für zulässig, daß ein Versicherungsträger, wie es hier geschehen ist, den Einwand des wirtschaftlichen Unvermögens allein gegenüber Versicherten erhebt, deren Erkrankung auf einem Sportunfall beruht.

Die Träger der sozialen Krankenversicherung sind ebenso wie sonstige Verwaltungsstellen gehalten, die von ihr betreuten Personen gleichmäßig zu behandeln (vgl. Art. 3 und Art. 1 Abs. 3 GG). Für das Sozialversicherungsrecht ist der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung der Kassenmitglieder schon in der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts als "eine zwingende Norm" angesehen worden (Grunds. Entsch. Nr. 5147, AN. 1937 S. 351). Das bedeutet, daß die Versicherungsträger keine willkürlichen Differenzierungen, sei es im begünstigenden, sei es im benachteiligenden Sinne, vornehmen dürfen (vgl. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 7. Aufl., S. 464). Willkür in diesem Sinne liegt aber stets dann vor, wenn sich ein sachgerechter Grund für die verschiedene Behandlung nicht erkennen läßt (vgl. BVerfG. 4 S. 443 f.; BSG. 2 S. 201, 217). Das ist hier der Fall. Eine Abgrenzung des Kreises der Leistungsberechtigten je nachdem, welcher Umstand den Eintritt des Versicherungsfalls herbeigeführt hat, ist dem Recht der sozialen Krankenversicherung im allgemeinen fremd und nach der Art der von ihr geregelten Lebensverhältnisse auch nicht sachgemäß. Mit dem Zweck der Sozialversicherung, den Versicherten in den Wechselfällen des Lebens Schutz und Hilfe zu bieten, ist es grundsätzlich unvereinbar, die Gewährung der Hilfe davon abhängig zu machen, auf welche Weise die Krankheit entstanden ist; insbesondere ist das Bedürfnis nach sachgemäßer ärztlicher Versorgung und Pflege in den Fällen, in denen die Erkrankung auf einem Sportunfall beruht, nicht geringer als in anderen Fällen, in denen die gleiche Erkrankung vorliegt, ihre Entstehung aber in keinem Zusammenhang mit einer sportlichen Betätigung steht. Wenn schon wegen der wirtschaftlichen Lage der Krankenkasse bei der Gewährung von Krankenhauspflege eine Auswahl unter den Versicherten vorgenommen werden muß, so kann hierbei allein der verschiedene Grad des medizinischen Bedürfnisses - einschließlich der "sozialen Indikation" - maßgebend sein. So mag die Krankenkasse u.U. das Recht haben, in bestimmten Versicherungsfällen, in denen Krankenhauspflege zwar angezeigt erscheint, aber nicht unbedingt geboten ist, die Krankenhauspflege zu versagen; es mag ihr auch unbenommen sein, Erkrankungen bestimmter Art und Schwere, wenn ihre wirtschaftliche Lage dazu zwingt, nicht im Krankenhaus, sondern ambulant behandeln zu lassen. In jedem Fall muß die Krankenkasse jedoch, wenn sie sich zu Maßnahmen dieser Art entschließt, alle davon betroffenen Versicherten nach gleichen Gesichtspunkten behandeln und darf nicht, wie es hier geschehen ist, Angehörige einer bestimmten Gruppe, deren einziges gemeinsames Merkmal darin liegt, daß die Erkrankung auf einer sportlichen Betätigung beruht, einem Ausnahmerecht unterstellen. Damit werden die Grenzen überschritten, die einer pflichtgemäßen Ermessensausübung gezogen sind.

Eine Sonderbehandlung von Sportunfällen läßt sich auch nicht, wie die Beklagte will, damit rechtfertigen, daß die Teilnahme an sportlichen Veranstaltungen, namentlich an Fußballwettkämpfen, erhöhte gesundheitliche Gefahren mit sich bringt. Nach § 192 RVO, auf den sich die Beklagte in diesem Zusammenhang beruft, kann die Satzung zwar das Krankengeld ganz oder teilweise versagen, wenn die Versicherten sich eine Krankheit vorsätzlich oder durch schuldhafte Beteiligung bei Schlägereien oder Raufhändeln zugezogen haben. Daß die Anwendung dieser Vorschrift in Fällen der vorliegenden Art nicht unmittelbar in Betracht kommt, verkennt auch die Beklagte nicht; denn abgesehen davon, daß es sich hier nicht um die Versagung des Krankengeldes, sondern der Krankenhauspflege handelt, kann von einer vorsätzlichen Herbeiführung des Versicherungsfalls oder einer schuldhaften Beteiligung an einer "Schlägerei" oder einem "Raufhandel" nicht die Rede sein. Die Beklagte glaubt jedoch, dem § 192 RVO den allgemeinen Rechtsgedanken entnehmen zu können, daß die Mitwirkung an Veranstaltungen, die ein besonderes - von den Versicherten bewußt in Kauf genommenes - Risiko in sich bergen, nach dem Ermessen des Versicherungsträgers grundsätzlich keinen Versicherungsschutz genießen soll. Der Senat kann dieser Auffassung nicht folgen. Gegen eine solche Deutung des § 192 RVO spricht vor allem, daß der Gesetzgeber die Versagung des Krankengeldes von einem "vorsätzlichen" oder "schuldhaften" Verhalten des Versicherten abhängig gemacht hat, die Entziehung des Versicherungsschutzes offenbar also nur in den Fällen zulassen will, in denen der Versicherungsfall durch ein vorwerfbares Verhalten des Versicherten herbeigeführt worden ist. Davon kann indessen bei der Teilnahme an sportlichen Veranstaltungen im allgemeinen nicht die Rede sein. Der Senat braucht vorliegend nicht zu entscheiden, ob unter besonderen Voraussetzungen, etwa bei grob leichtfertigem Verhalten des Versicherten, etwas anderes zu gelten hat, da ein Fall dieser Art hier nicht gegeben ist. Im übrigen darf bei der Bewertung der von der Beklagten hervorgehobenen Risiken des heutigen Kampfsportes nicht vergessen werden, daß ausgiebige sportliche Betätigung auch zur Hebung der allgemeinen Volksgesundheit beiträgt, von Staat und Gemeinden deshalb durch teilweise erhebliche Mittel gefördert wird und im Ergebnis auch zu einer finanziellen Entlastung der Krankenkassen führt. Der Umstand, daß der Kläger sich mit der Teilnahme an einem Fußballwettspiel bewußt in eine Gefahrenlage begeben hat, darf hiernach bei der Ermessensentscheidung über die Gewährung oder Versagung von Krankenhauspflege nicht in die Wagschale gelegt werden. Selbst wenn es aber zulässig sein sollte, Gesichtspunkte dieser Art im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 184 RVO zu berücksichtigen, dürften sie, wie bereits ausgeführt, nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Versicherten nicht allein bei Sportunfällen zur Anwendung gebracht werden. Vorliegend ist nichts dafür dargetan, daß die Beklagte in anderen vergleichbaren Fällen die Gewährung der Krankenhauspflege wegen der besonderen Risiken der zur Erkrankung führenden Tätigkeit abgelehnt hat. Auch dem Kläger durfte daher die Krankenhauspflege mit Rücksicht auf seine freiwillige Mitwirkung an einem Kampfspiel nicht versagt werden.

Die Beklagte hat sich zur Begründung ihrer ablehnenden Bescheide schließlich noch darauf berufen, daß eine privatrechtliche Unfallversicherung zu Gunsten des Klägers abgeschlossen worden sei, die im Streitfall in Anspruch genommen werden könne. Das Berufungsgericht hat auch diesen Einwand nicht für begründet gehalten, ohne näher aufzuklären, welche Bedingungen dem privaten Versicherungsvertrag zugrunde liegen, ob insbesondere der andere Versicherungsträger im Verhältnis zur beklagten Krankenkasse nur subsidiär haftet. Nach Auffassung des Senats bedurfte es insoweit auch keiner weiteren Ermittlungen. Denn selbst wenn die Privatversicherung - was bei Sportunfallversicherungen ungewöhnlich wäre - ohne Rücksicht auf die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für den eingetretenen Schaden aufzukommen hätte, könnte die Beklagte den Kläger nicht auf jene andere Versicherung verweisen. In § 189 Abs. 2 RVO hat der Gesetzgeber das Bestehen einer anderen - privaten - Versicherung neben der gesetzlichen nur insoweit als erheblich angesehen, als dadurch dem Versicherten u.U. ein Krankengeld zufließt, das den Durchschnittsbetrag seines täglichen Arbeitsverdienstes übersteigt. Soweit dies der Fall ist, hat die gesetzliche Krankenkasse ihre Leistungen zu kürzen, es sei denn, daß ihre Satzung die Kürzung ganz oder teilweise ausschließt. Im übrigen soll dem Versicherten also offenbar eine weitere eigene Vorsorge nicht zum Nachteil gereichen, zumal er sich gegebenenfalls den doppelten Versicherungsschutz durch doppelte Beitragszahlung erkaufen muß. Die Frage braucht hier indessen nicht abschließend erörtert zu werden. Denn auch wenn das Bestehen einer privaten Versicherung neben der gesetzlichen Krankenversicherung im Rahmen einer Ermessensentscheidung nach § 184 RVO berücksichtigt werden dürfte, könnte dies niemals allein bei Sportunfällen geschehen. Auch insoweit gebietet der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Versicherten, die auf Sportunfällen beruhenden Versicherungsfälle nicht einem Sonderrecht zu unterstellen. Das Berufungsgericht hat demnach die Bescheide der Beklagten mit Recht wegen fehlerhafter Ermessensausübung als rechtswidrig angesehen (im Ergebnis und z.T. auch in der Begründung gleicher Auffassung: LSG. Schleswig, Urt. vom 17.2.1956 und LSG. Nordrhein-Westfalen, Urt. vom 12.2.1957, beide abgedruckt in "Die Krankenversicherung in Rechtsprechung und Schrifttum" unter 2500/4 und 2500/6; Erlaß des RAM vom 28. November 1922, BKK. 1923 S. 48, Dersch, ZRR. 1936 S. 337 [343 Ziff. 2 a], Dick/Pesch SGb. 1955 S. 65 [mit Angaben über Judikatur]; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil II [März 1958] § 184 Anm. 3 b; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung [Stand Juni 1958] Bd. II S. 400 a 2. Abs. mit Angaben über Rechtsprechung und Schrifttum; Völcker in Anm. zu einer entsprechenden Entscheidung des SG. Frankfurt, SGb. 1955 S. 242; Beuster, BKK. 1959 S. 67, der jedoch zulassen will, daß in allen Fällen das Bestehen einer Privatversicherung zu berücksichtigen sei; Nicolai, Die Sozialversicherung, 1958 S. 14; A.A. Müller, SGb. 1955 S. 365).

Bereits das Sozialgericht hat - offenbar weil es "die Frage in jeder Beziehung für spruchreif" hielt (§ 131 Abs. 2 SGG) - die Leistungsverpflichtung des Versicherungsträgers unmittelbar selbst ausgesprochen. Das Berufungsgericht hat dies mit Recht nicht beanstandet. Nach § 54 Abs. 4 SGG ist zwar, wie der Senat in BSG. 2, 142 (148 f.) näher dargelegt hat, bei Streit über die Gewährung einer Leistung, auf die kein Rechtsanspruch besteht, eine Verurteilung zur Gewährung der Leistung "grundsätzlich" nicht zulässig (ebenso Urt. des 7. Sen. v. 27.2.1959, 7 RAr 4-5/58). Dieser Grundsatz gilt indessen nicht ausnahmslos. Einen Ausnahmefall hält der Senat dann für gegeben, wenn die Ablehnung der Krankenhauspflege unter jedem denkbaren Gesichtspunkt einen Ermessensmißbrauch darstellen würde und die Sache in jeder Beziehung spruchreif ist. Hier hat das Landessozialgericht nach genauer Prüfung des gesamten Sachverhalts und unter zutreffender Würdigung der Umstände des Einzelfalles die durch das Sozialgericht ausgesprochene Verurteilung der Beklagten bestätigt, "da alle von der Beklagten - im Laufe des nahezu drei Jahre dauernden Verfahrens - zur Begründung der Ablehnung der Krankenhauspflegekosten vorgebrachten Gründe rechtswidrig sind". Die Beklagte hat auch im Revisionsverfahren - von ihrem unzutreffenden rechtlichen Standpunkt in der Hauptfrage abgesehen - nichts geltend gemacht, was gegen die Beurteilung des Landessozialgerichts sprechen und die Verurteilung der Beklagten als einen Eingriff in ihren Handlungs- und Beurteilungsspielraum erscheinen lassen könnte. Der erkennende Senat hat es daher in diesem Falle nicht beanstandet, daß das Landessozialgericht die Verurteilung der Beklagten gutgeheißen hat, indem es die Berufung der Beklagten zurückwies; denn die Ablehnung der Krankenhauspflege unter Bezug auf das der Beklagten bei Bewilligung von Krankenhauspflege an sich zustehende freie Ermessen würde unter jedem, hier erörterten und denkbaren Gesichtspunkt einen Ermessensmißbrauch bedeuten. Die Sache ist auch spruchreif, um ein Zahlungsurteil gegen die Beklagte zu erlassen. Nach einer so eingehenden Prüfung des Sachverhalts, wie sie hier vorgenommen wurde, wäre es prozeßökonomisch nicht vertretbar, die Sache noch einmal an die Verwaltung zurückgelangen zu lassen, zumal keine Gewähr gegeben ist, daß nicht auch die erneute Entscheidung der Krankenkasse angefochten würde. Hiernach hat es der erkennende Senat als zulässig erachtet, daß die Vorinstanzen die Beklagte zur Zahlung verurteilt haben, anstatt sie lediglich zu verpflichten, einen neuen Verwaltungsakt zu erlassen (vgl. Urteil des 6. Senats vom 3. Juli 1957, BSG. 5 S. 239 [245]; ebenso Bayer. VGH. Sammlung von Entscheidungen NF Bd. 10 S. 110 [118]; grundsätzlich zustimmend: OVG. Rheinland-Pfalz, Amtl. Sammlung Bd. 1 S. 165, Bd. 4 S. 171 [177]; OVG. Lüneburg in Amtl. Sammlung Bd. 7 S. 383 [390]).

Die Revision muß danach als unbegründet zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 232

NJW 1959, 2327

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