Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 01.10.1991)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 1. Oktober 1991 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Der Kläger begehrt die Gewährung von Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit (BU). Umstritten ist insbesondere, ob er als selbständig tätiger Elektroinstallateurmeister zumutbar auf die Tätigkeit eines Sachbearbeiters im Elektrohandel verwiesen werden kann.

Der 1937 geborene Kläger hat den Beruf des Elektroinstallateurs erlernt. Er legte 1955 die Gesellen- und 1961 die Meisterprüfung ab. Seit 1965 führte er einen Betrieb als selbständiger Elektroinstallateurmeister, in dem er in der Zeit von 1973 bis zur Löschung in der Handwerksrolle im Jahre 1989 zwei bis sechs Mitarbeiter beschäftigte. Der letzte Pflichtbeitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung wurde für ihn im September 1973 entrichtet.

Den im November 1983 gestellten Antrag des Klägers auf Gewährung von Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit (BU/EU) lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24. Januar 1984 ab. Das Sozialgericht Gießen (SG) hat die hiergegen erhobene Klage mit Urteil vom 2. Februar 1988 abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Hessische Landessozialgericht (LSG) die Beklagte mit Urteil vom 1. Oktober 1991 verurteilt, ab 1. Dezember 1983 BU-Rente zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger sei vollschichtig leistungsfähig. Einschränkungen ergäben sich aus auf einen 1981 erlittenen Arbeitsunfall zurückzuführenden Gesundheitsstörungen im Bereich des linken Armes und der linken Hand, die eine weitere Tätigkeit im bisherigen Beruf als Elektroinstallateurmeister ausschlössen. Es könne offenbleiben, ob der Kläger mit diesem Beruf in das Mehrstufenschema der Rechtsprechung als Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion bzw besonders hoch qualifizierter Facharbeiter oder „nur” als Facharbeiter einzuordnen sei, weil ihm in jedem Fall ein Anspruch auf BU-Rente zustehe. Nach der berufskundlichen Stellungnahme des Landesarbeitsamtes Hessen vom 12. Juli 1991 schieden für ihn im eigenen Betrieb planende, anleitende, beaufsichtigende Funktionen sowie theoretische Unterweisung der Auszubildenden bzw als Lehrlingsausbilder in einem größeren Elektroinstallationsbetrieb bzw als Ausbildungsleiter/-meister, als Kundenbetreuer und -berater sowie als Lagermeister bzw Fachverkäufer in einem größeren Elektroinstallationsbetrieb oder im Elektrogroß- bzw Elektroeinzelhandel aus. Bei diesen Tätigkeiten seien insbesondere zwei gesunde Hände erforderlich, weil hier auch manuelle Arbeiten anfielen. Die vom Landesarbeitsamt als ungelernt qualifizierte Tätigkeit eines Pförtners sei ihm nicht zumutbar. Dies gelte auch für eine Tätigkeit als Sachbearbeiter in der Auftragsbearbeitung, -abwicklung und -überwachung im Elektrohandel, die für den Kläger berufsfremd sei. Da er sie gleichwohl nach einer Einarbeitungs- bzw Einweisungszeit von maximal drei Monaten verrichten könne, handele es sich dabei um eine qualitativ sehr niedrige Arbeit.

Mit ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 1246 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) und Verfahrensmängel. Daß der Kläger dank seiner Vorkenntnisse die Tätigkeit des Sachbearbeiters nach einer Einarbeitungszeit von längstens drei Monaten verrichten könne, mache diese nicht zu einer qualitativ sehr niedrig zu bewertenden Verweisungstätigkeit. Da vom Landesarbeitsamt nur Kaufleute und Handwerksmeister für diese Tätigkeit als geeignet angesehen würden, hätte das LSG hinsichtlich deren Anforderungsprofils Feststellungen treffen, insbesondere die tarifliche Einstufung ermitteln und seiner Entscheidung zugrunde legen müssen. Durch das Unterlassen sei es von der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) abgewichen (Hinweis auf BSGE 54, 37, 39; SozR 2200 § 1246 Nrn 95, 98). Die Ermittlungen hätten ergeben, daß die Tätigkeit eines Sachbearbeiters in der Auftragsbearbeitung, -abwicklung und -überwachung im Elektrohandel mindestens in die Tarifgruppe K 2 des Gehaltsrahmentarifvertrages für die Angestellten in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Landes Hessen vom 15. Januar 1992 einzuordnen sei. Da diese Tarifgruppe eine abgeschlossene kaufmännische Ausbildung voraussetze, sei diese Verweisungstätigkeit für den Kläger auch dann zumutbar, wenn man seinen bisherigen Beruf in die Gruppe der besonders qualifizierten Facharbeiter einstufe.

Das LSG habe die Vorschrift des § 128 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verletzt, indem es zwar die berufskundliche Stellungnahme des Landesarbeitsamtes Hessen zum Gegenstand seiner Entscheidungsfindung gemacht habe, jedoch unter Nichtberücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu einem aufgrund der Entscheidungsgründe nicht nachvollziehbaren Ergebnis gekommen sei; insofern sei es ihr nicht möglich gewesen, sich zu dem Beweisergebnis zu äußern. Da das LSG seine Abweichung von der berufskundlichen Stellungnahme nicht begründe, seien die für die richterliche Überzeugungsbildung leitenden Gründe (§ 128 Abs 1 Satz 2 SGG) nicht zu erkennen. Schließlich enthalte das angefochtene Urteil insoweit keine Entscheidungsgründe, als nicht zu ersehen sei, daß die Anspruchsvoraussetzungen des § 1246 Abs 2 RVO erfüllt seien.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 1. Oktober 1991 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt ergänzend aus, er sei als besonders hoch qualifizierter Facharbeiter anzusehen, weil er zum Zeitpunkt der Entrichtung des letzten Pflichtbeitrages im Jahre 1973 vier Mitarbeiter einschließlich seiner Ehefrau beschäftigt und einen Lehrling ausgebildet habe. Die Beklagte erkenne einerseits seine Qualifikation als besonders hoch qualifizierten Facharbeiter nicht an, andererseits stelle sie aber auf seine besondere Qualifikation als Elektromeister ab, wenn es darum gehe, ob er den Anforderungen der Verweisungstätigkeit als Sachbearbeiter entspreche. Dabei handele es sich um einen Anlernberuf, auf den er sich nicht verweisen lassen müsse. Die tarifliche Einstufung einer Verweisungstätigkeit sei nach der Rechtsprechung des BSG nicht stets, sondern nur in Zweifelsfällen heranzuziehen. Die Tarifgruppe K 2 des Tarifvertrages zwischen dem Fachverband Elektrotechnik Hessen und der IG-Metall vom 27. November 1992, der hier allenfalls in Betracht komme, setze im übrigen keine abgeschlossene kaufmännische Ausbildung oder diese ersetzende praktische Tätigkeit voraus, sei für ihn also sozial unzumutbar.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist zulässig und begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Die berufungsgerichtlichen Feststellungen reichen – ungeachtet der Verfahrensrügen der Beklagten – für die abschließende Beurteilung, ob der Kläger Anspruch auf Gewährung von BU-Rente hat, nicht aus. Erforderlich sind noch ergänzende Feststellungen hinsichtlich einer Verweisungstätigkeit.

Der Anspruch des Klägers auf BU-Rente richtet sich noch nach § 1246 RVO, denn der Rentenantrag ist bereits im November 1983 – also bis zum 31. März 1992 – gestellt worden und bezieht sich auch auf die Zeit vor dem 1. Januar 1992 (§ 300 Abs 2 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Rentenversicherung – ≪SGB VI≫).

Berufsunfähig ist nach § 1246 Abs 2 RVO ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können.

Ausgangspunkt für die Prüfung der BU ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG der „bisherige Beruf”, den der Versicherte ausgeübt hat (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 107, 169). In der Regel ist dies die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, von der auch bei nur kurzfristiger Ausübung auszugehen ist, wenn sie zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten gewesen ist (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 130, 164). Dies gilt auch dann, wenn während einer späteren selbständigen Beschäftigung freiwillige Beiträge entrichtet worden sind (vgl BSGE 7, 66, 69; BSG SozR Nrn 10, 25, 65, 67, 69, 92, 112 zu § 1246 RVO; SozR 3-2200 § 1230 Nr 1; zur Verfassungsgemäßheit s BVerfG SozR 2200 § 1246 Nrn 28, 156; Urteil des erkennenden Senats vom 25. August 1993 – 13 RJ 59/92 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).

Die letzte vom Kläger versicherungspflichtig ausgeübte Tätigkeit in diesem Sinne und damit „bisheriger Beruf” ist die eines selbständigen Elektroinstallateurmeisters. Maßgeblich für die Beurteilung dieser Tätigkeit sind dabei die Umstände, unter denen er sie im Jahre 1973 verrichtet hat. Diesen Beruf kann der Kläger nach den nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen und damit für den Senat gem § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben.

Bei der nunmehr erforderlichen Suche nach einer Verweisungstätigkeit ist zu beachten, daß sich deren Zumutbarkeit nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs beurteilt. Zur Erleichterung dieser Beurteilung hat die Rechtsprechung des BSG ein Mehrstufenschema entwickelt, das die Berufe der Versicherten in verschiedene „Leitberufe” untergliedert, nämlich die des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters (vgl zB BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 138, 140; SozR 3-2200 § 1246 Nr 17).

Zur Gruppe mit dem Leitbild des Facharbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters gehören Versicherte, die ihre zur Gruppe der Facharbeiter zählenden Arbeitskollegen wegen der qualitativen, insbesondere geistigen und persönlichen Anforderungen ihrer bisherigen, tatsächlich verrichteten Arbeiten deutlich überragt haben und deswegen – soweit eine tarifliche Einstufung erfolgt ist – der Spitzengruppe der Berufsgruppeneinteilung zugeordnet waren. Besonders hoch qualifizierte Facharbeiter sind ua Versicherte, die eine Tätigkeit ausgeübt haben, zu der sie sich zusätzlich zu einer vorgeschriebenen, mit einer Facharbeiter- oder Gehilfenprüfung abgeschlossenen Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf durch eine längere planmäßige spezielle weitere Ausbildung mit Prüfungsabschluß qualifiziert haben (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 37, 103, 144 mwN). Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion müssen Weisungsbefugnis gegenüber mehreren anderen Facharbeitern gehabt haben und dürfen selbst nicht Weisungen eines anderen Beschäftigten im Arbeiterverhältnis unterlegen haben (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 44, 145 mwN).

Es ist zweifelhaft, ob die Tätigkeit des Klägers im maßgeblichen Zeitraum als die eines Facharbeiters mit Vorgesetztenfunktion zu qualifizieren war, denn das LSG hat nicht festgestellt, ob der Kläger zur Zeit seiner pflichtversicherten Beschäftigung im Jahre 1973 gegenüber anderen Facharbeitern weisungsbefugt war. Er war aber wie ein besonders hoch qualifizierter Facharbeiter tätig. Durch die Absolvierung der mit der Gesellenprüfung abgeschlossenen Ausbildung zum Elektroinstallateur und der durch Ablegung der Meisterprüfung beendeten zusätzlichen Ausbildung zum Meister in diesem Handwerk hat der Kläger eine Qualifikation erlangt, welche die der übrigen Facharbeiter erheblich übertrifft. Er hat durch die Meisterprüfung seine Fähigkeit nachgewiesen, einen Handwerksbetrieb selbständig zu führen, Lehrlinge ordnungsgemäß auszubilden sowie die in seinem Handwerk gebräuchlichen Arbeiten meisterhaft verrichten zu können. Er hat auch dargetan, daß er die notwendigen Fachkenntnisse sowie die erforderlichen betriebswirtschaftlichen, kaufmännischen, rechtlichen und berufserzieherischen Kenntnisse besitzt (s §§ 48, 49 der Handwerksordnung ≪HwO≫; vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 145 mwN).

Der Kläger hat eine entsprechende Tätigkeit auch tatsächlich verrichtet. Ein versicherungspflichtig beschäftigter Handwerksmeister, der Lehrlinge ausbildet, erfüllt nach der Rechtsprechung des BSG die Voraussetzungen für die Einstufung in die höchste Gruppe des Mehrstufenschemas zwar immer (vgl BSG Urteile vom 21. Februar 1985 – 4 RJ 25/84 – und vom 21. Juli 1978 – 4a RJ 71/86 – SozR 2200 § 1246 Nr 145). Daraus ist jedoch nicht der Schluß zu ziehen, die Arbeit eines Handwerksmeisters besitze nur dann die erforderliche besonders hohe Qualität, wenn er mit der Ausbildung von Lehrlingen betraut war. Entscheidend ist vielmehr das Gesamtbild seiner Tätigkeit; hierfür müssen seine meisterlichen Kenntnisse und Fähigkeiten prägend gewesen sein. Das ist der Fall, wenn der Versicherte überwiegend mit Arbeiten befaßt war, welche die durch die Zusatzausbildung zum Meister vermittelten besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten auf betriebswirtschaftlichem, kaufmännischem, rechtlichem und berufserzieherischem – aber auch handwerklichem Gebiet – erforderten (vgl dazu BSG SozR 2200 § 1246 Nr 35; Urteil des erkennenden Senats vom 25. August 1993 – 13 RJ 59/92 –). Der Kläger hatte nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG auch schon im Jahre 1973 einen Handwerksbetrieb mit mehreren Beschäftigten – also keinen bloßen Einmannbetrieb – über einen längeren Zeitraum hinweg selbständig geleitet. Es muß davon ausgegangen werden, daß er dabei überwiegend mit Arbeiten befaßt war, welche die durch die Zusatzausbildung zum Meister vermittelten besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten auf betriebswirtschaftlichem, kaufmännischem, rechtlichem und berufserzieherischem Gebiet erforderten, daß seine meisterlichen Kenntnisse und Fähigkeiten für diese Tätigkeit also prägend gewesen sind.

Als Angehöriger der obersten Gruppe des Mehrstufenschemas kann der Kläger sozial zumutbar nur auf Tätigkeiten dieser und der nächstniedrigen Gruppe des Mehrstufenschemas, also der mit dem Leitberuf des Facharbeiters verwiesen werden (BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 31, 37, 49, 70). Ob dem Kläger mindestens eine Tätigkeit benannt werden kann, die diese Voraussetzungen erfüllt, und die er trotz seiner gesundheitlichen Leistungseinschränkungen mit seinen Kenntnissen und Fähigkeiten noch verrichten kann, läßt sich noch nicht abschließend beurteilen. Die Feststellungen im Berufungsurteil reichen hierfür nicht aus.

Das LSG hat zwar für den Senat bindend festgestellt, daß die vom Landesarbeitsamt genannten „berufsnahen” Tätigkeiten wegen der damit verbundenen Anforderungen an die manuellen Fähigkeiten als Verweisungstätigkeiten für den Kläger ausscheiden. Es hat auch zu Recht die (ungelernte) Tätigkeit eines Pförtners als sozial unzumutbar abgelehnt (s dazu auch BSG SozR 2200 § 1246 Nr 73). Soweit das LSG jedoch die Tätigkeit als Sachbearbeiter in der Auftragsbearbeitung, -abwicklung und -überwachung im Elektrohandel wegen deren von ihm als „sehr niedrig” angesehenen qualitativen Wertes als für den Kläger sozial unzumutbar erachtet, kann seinen Erwägungen nicht gefolgt werden.

Zum einen hat das LSG dabei nicht berücksichtigt, daß die für die Einordnung eines Berufes in das Mehrstufenschema zugrunde zu legende Ausbildungsdauer nicht mit der für den betroffenen Versicherten erforderlichen Einarbeitungszeit in diese Tätigkeit gleichzusetzen ist. Die Ausbildungsdauer ist bei staatlich anerkannten Berufen der jeweiligen nach § 25 Abs 1 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) erlassenen Ausbildungsordnung zu entnehmen; bei nicht staatlich geregelten Berufen kommt auch die Dauer einer echten betrieblichen Ausbildung, die eindeutig über die bloße Einweisung und Einarbeitung hinausgeht, in Betracht (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 16). Es handelt sich dabei um Regelausbildungszeiten, die keine berufsspezifischen Kenntnisse voraussetzen. Die Mindestdauer einer Ausbildung, die zur Einstufung einer Tätigkeit in die Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters führt, beträgt drei Monate (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 109). Davon zu unterscheiden ist die Dauer der Einweisung bzw Einarbeitung, die erforderlich ist, um die für die Ausübung einer Verweisungstätigkeit notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben. Diese kann für jeden Versicherten unterschiedlich sein; neben seiner individuellen Umstellungs- und Lernfähigkeit werden hierfür in der Regel die berufs- bzw tätigkeitsspezifischen Vorkenntnisse und Fertigkeiten maßgeblich sein. Sie darf, um zumutbar zu sein, höchstens drei Monate betragen (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 23, 84, 86, 101). Für die Erlernung einer Verweisungstätigkeit mit Facharbeiterqualität innerhalb dieser Frist sind daher in aller Regel gewisse Vorkenntnisse unerläßlich. Für die Bestimmung der Wertigkeit eines Berufs kann nur die regelmäßige Ausbildungsdauer, nicht jedoch die individuell erforderliche Einweisungs- bzw Einarbeitungszeit herangezogen werden. Das LSG hat demgegenüber unzutreffend die Dauer der für die Tätigkeit eines Sachbearbeiters erforderlichen Einarbeitungs- bzw Einweisungszeit, die das Landesarbeitsamt Hessen in seiner Auskunft vom 12. Juli 1991 für den Kläger als Handwerksmeister der betreffenden Branche – nicht generell – mit maximal drei Monaten angibt, als Ausbildungsdauer für die Klassifizierung dieses Berufs im Mehrstufenschema berücksichtigt. Hinsichtlich der regelmäßigen Ausbildungsdauer für diese Tätigkeit hat es keine Feststellungen getroffen.

Zum anderen hat das LSG auch insoweit die Leitlinien der Rechtsprechung des BSG über die Bestimmung der Wertigkeit von Verweisungstätigkeiten nicht beachtet, als es bei seiner Beurteilung allein auf die Ausbildungsdauer (bzw der von ihm dieser unzutreffend gleichgesetzten Einarbeitungszeit) abgestellt hat. Von allen Senaten des BSG, die für die Arbeiterrentenversicherung zuständig sind, ist jedoch immer wieder deutlich gemacht worden, daß maßgebend für die Zuordnung einer bestimmten Tätigkeit zu einer der Gruppen des Mehrstufenschemas nicht allein die Dauer der absolvierten Ausbildung ist. Ausschlaggebend hierfür ist vielmehr allein die Qualität der verrichteten Arbeit, dh der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO am Ende genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufs, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird (vgl zB Urteile des erkennenden Senats vom 8. Oktober 1992 – 13 RJ 41/91 – und vom 17. Juni 1993 – 13 RJ 33/92 – SozR 3-2200 § 1246 Nr 33).

In diesem Rahmen hat das BSG den durch die Ausbildungsdauer charakterisierten Leitberufen solche Berufe als gleichwertig erachtet, die von den Tarifvertragsparteien in einem nach Qualitätsstufen geordneten Tarifvertrag durch die tarifliche Klassifizierung gleichgestellt sind. So läßt die tarifvertragliche Einordnung einer bestimmten beruflichen Tätigkeit in eine vom Leitberuf des Facharbeiters geprägte Tarifgruppe in der Regel den Schluß zu, daß diese Berufstätigkeit als Facharbeitertätigkeit zu qualifizieren ist (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 111, 116, 122, 123, 164; SozR 3-2200 § 1246 Nr 17 mwN; Urteil des erkennenden Senats vom 17. Dezember 1991 – 13/5 RJ 14/90 – SozR 3-2200 § 1246 Nr 21). Die tarifvertragliche Einstufung ist in der Regel für den qualitativen Wert einer Berufstätigkeit maßgebend; Ausnahmen von diesem Grundsatz werden von der Rechtsprechung des BSG nur anerkannt, wenn die tarifvertragliche Klassifizierung durch qualitätsfremde Merkmale bestimmt ist (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 101, 123, 129, 140; SozR 3-2200 § 1246 Nrn 13, 17, 21, 32).

Diese Grundsätze haben dabei gleichermaßen Bedeutung für den qualitativen Wert der bisherigen Berufstätigkeit und den der für eine Verweisung in Betracht kommenden Berufsarten (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nrn 17, 21). Sofern die in Aussicht genommene Verweisungstätigkeit nicht bereits durch die Dauer der für ihre Ausübung erforderlichen Ausbildung als Facharbeitertätigkeit bestimmt wird, ist primär unter Heranziehung der Tarifverträge der qualitative Wert der Verweisungstätigkeit zu ermitteln (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 69, 86, 102). Erst wenn sich dieser Weg im Einzelfall für die Bestimmung der Wertigkeit als unergiebig erweist, besondere Umstände andererseits die Annahme nahelegen, daß der Tätigkeit eine Qualität zukommt, die von der durch die erforderliche Ausbildungsdauer bestimmten abweicht, sind sonstige sachdienliche Ermittlungen zur Klärung dieser Frage erforderlich (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 102; Urteil des erkennenden Senats vom 12. Oktober 1993 – 13 RJ 53/92 –, zur Veröffentlichung bestimmt).

Der erkennende Senat kann die danach erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen (§ 163 SGG). Die Sache war daher an das LSG zurückzuverweisen. Bei der erneuten Behandlung werden die regelmäßige Ausbildungszeit für die Tätigkeit des Sachbearbeiters zu ermitteln, die einschlägigen Tarifverträge heranzuziehen und ggf weitere Ermittlungen anzustellen sein. Sofern das LSG dabei etwa den von der Beklagten genannten Gehaltsrahmentarifvertrag für die Angestellten in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Landes Hessen vom 15. Januar 1982 in seiner seit April 1990 gültigen Fassung als einschlägig ansehen sollte, wäre zu beachten, daß die darin aufgeführten Gehaltsgruppen für kaufmännische Angestellte (K 1 bis K 6) keine Berufe nennen, sondern für die Einordnung Tätigkeitsmerkmale vorgeben. Dies gilt auch für den Gehalts- und Lohntarifvertrag für den Groß- und Außenhandel des Landes Hessen vom 1. Juni 1992, dessen Heranziehung auch zu erwägen wäre. Auch solche Tarifverträge sind für die nach § 1246 Abs 2 RVO vorzunehmende Beurteilung von Bedeutung, falls die einzelnen Tätigkeitsmerkmale nicht qualitätsfremd sind (vgl Urteil des erkennenden Senats vom 17. Dezember 1991 – 13/5 RJ 14/90 – SozR 3-2200 § 1246 Nr 21). Für die Klärung der Frage, welche Berufe im einzelnen unter die aufgeführten Tätigkeitsmerkmale fallen, und in welche Tarifgruppen sie demgemäß einzuordnen sind, können zB Auskünfte größerer tarifgebundener Betriebe (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 45) oder auch der Tarifvertragsparteien dienlich sein. Auf diese Weise kann sowohl ermittelt werden, ob und ggf in welche Gehaltsgruppe die Tätigkeit eines Sachbearbeiters in der Auftragsbearbeitung, -abwicklung und -überwachung im Elektrohandel einzustufen wäre und – durch Vergleich mit der Einordnung von Tätigkeiten mit Facharbeiterqualität – welche Qualität ihr zukommt. Falls diese Prüfung ergibt, daß die Tarifvertragsparteien dieser Tätigkeit Facharbeiterqualität beigemessen haben, ist sie für den Kläger sozial zumutbar.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173140

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