Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 31.01.1995)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 31. Januar 1995 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung einer Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg).

Der Kläger bezog seit dem 16. Mai 1991, unterbrochen durch Übergangsgeld, bis zur Aussteuerung am 29. September 1992 Krankengeld. Mit Bescheid vom 22. September 1992 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 30. September 1992 Alg in Höhe von 382,20 DM wöchentlich. Nach einer ärztlichen Begutachtung wies die Beklagte mit Schreiben vom 8. Oktober 1992 den Kläger darauf hin, daß er der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung stehe und ihm Alg nur bis zur Feststellung der Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit durch den Rentenversicherungsträger zustehe; gleichzeitig forderte die Beklagte den Kläger auf, einen Antrag auf Rehabilitationsleistungen bzw Rente beim Rentenversicherungsträger zu stellen. Mit Bescheid vom 20. November 1992 bewilligte der Rentenversicherungsträger dem Kläger auf dessen am 25. Juni 1992 gestellten Antrag Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit vom 1. Januar bis 30. September 1993; als Eintritt des Versicherungsfalls wurde der Zeitpunkt der Antragstellung angenommen. Der Kläger hat den Rentenbescheid vor dem 8. Dezember 1992 erhalten, wie der Prozeßbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat eingeräumt hat. Die Beklagte erfuhr von der Rentengewährung am 4. Dezember 1992 durch den Rentenversicherungsträger.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 16. Dezember 1992 hob die Beklagte den Bewilligungsbescheid ab 4. Dezember 1992 auf. Eine Entscheidung über die Erstattung des tatsächlich bis zum 7. Dezember 1992 gezahlten Alg enthält der Bescheid nicht. Widerspruch und Klage blieben erfolglos. Die vom Sozialgericht zugelassene Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom 31. Januar 1995). Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt: Die Beklagte habe die Bewilligung des Alg zu Recht gemäß § 48 Abs 1 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch – (SGB X) aufgehoben, weil durch die Bewilligung der Rente gegenüber dem Zeitpunkt der Bewilligung des Alg eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten sei und der Kläger aufgrund des schriftlichen Hinweises gewußt habe, daß damit der Anspruch auf Alg entfallen sei. Das gemäß § 105a Arbeitsförderungsgesetz (AFG) geleistete Alg habe nur bis zur Feststellung der Erwerbsunfähigkeit durch den Rentenversicherungsträger gezahlt werden müssen, denn die Vorschrift habe nur die Nahtlosigkeit zwischen der Bewilligung von Alg und der Feststellung der Erwerbsunfähigkeit, nicht jedoch der Zahlung der Rente zum Inhalt. Es gehe letztlich um die Nahtlosigkeit von zwei Behördenentscheidungen, nicht um die von Sozialleistungen. Eine analoge Anwendung der Vorschrift scheide aus, weil es an der dafür erforderlichen planwidrigen Gesetzeslücke fehle. Verfassungsrechtliche Bedenken, insbesondere im Hinblick auf das Sozialstaatsprinzip, bestünden nicht.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 105a AFG, des Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) sowie des § 48 SGB X: Wenn sein Fall nicht von der Regelung des § 105a AFG erfaßt werde, müsse eine Regelungslücke vorliegen, die etwa in entsprechender Anwendung des § 118 AFG geschlossen werden könne. Außerdem werde er ohne sachlichen Grund im Vergleich zu den sonst durch § 105a AFG geregelten Fällen benachteiligt. Dies stelle eine Verletzung des Art 3 Abs 1 GG dar. Schließlich habe das LSG die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X verkannt. Insbesondere habe es zu Unrecht darauf abgestellt, er habe seine Sorgfaltspflichten verletzt. Folge davon sei, daß keine rückwirkende Aufhebung der Leistungsbewilligung hätte erfolgen dürfen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts und das Urteil des Sozialgerichts sowie den Bescheid vom 16. Dezember 1992 idF des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 1993 aufzuheben, soweit die Arbeitslosengeld-Bewilligung mit Wirkung vor dem 1. Januar 1993 aufgehoben worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hat den angefochtenen Bescheid dahin abgeändert, daß die Bewilligung von Alg erst ab 8. Dezember 1992 aufgehoben wird, und hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Beklagte hat die Bewilligung von Alg mit Recht ab 8. Dezember 1992 aufgehoben.

Rechtsgrundlage dafür ist § 48 SGB X. Nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlaß eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Letzteres ist der Fall, wenn die Änderung im Vergleich zur Rechts- und Sachlage bei Erlaß des maßgeblichen Verwaltungsakts dazu führt, daß die Behörde unter den nunmehr objektiv vorliegenden Verhältnissen den ergangenen Verwaltungsakt nicht hätte erlassen dürfen (BSG SozR 1300 § 48 Nr 22). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Denn nach der Feststellung der Erwerbsunfähigkeit des Klägers durch den Rentenversicherungsträger hätte die Beklagte dem Kläger Alg nicht mehr wie geschehen bewilligen dürfen.

Anspruch auf Alg hat nach § 100 Abs 1 AFG nur, wer ua objektiv verfügbar ist, dh eine zumutbare, nach § 168 AFG die Beitragspflicht begründende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben kann und darf (§ 103 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG). Objektive Verfügbarkeit setzt demnach voraus, daß der Arbeitslose unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes 18 Stunden wöchentlich arbeiten kann; denn eine Beschäftigung, die auf weniger als 18 Stunden wöchentlich beschränkt ist, wäre beitragsfrei (§ 169a Abs 1, § 102 AFG). Schon als der Kläger sich zum 30. September 1992 arbeitslos meldete, war er aufgrund seines Herzleidens zu einer 18 Wochenstunden umfassenden Arbeit nicht in der Lage, wie die arbeitsamtsärztliche Auswertung der medizinischen Unterlagen des Klägers ergab und von ihm nicht in Abrede gestellt worden ist. Da der Rentenversicherungsträger zu diesem Zeitpunkt weder Berufs- noch Erwerbsunfähigkeit festgestellt hatte, stand dem Kläger allerdings nach § 105a AFG Alg zu. Nach dieser Vorschrift hat Anspruch auf Alg auch, wer die in den §§ 101 bis 103 genannten Voraussetzungen für den Anspruch allein deshalb nicht erfüllt, weil er wegen einer nicht nur vorübergehenden Minderung seiner Leistungsfähigkeit keine längere als kurzzeitige Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben kann, wenn vom Rentenversicherungsträger weder Berufsunfähigkeit noch Erwerbsunfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung festgestellt worden ist.

Dieser Anspruch entfällt allerdings, sobald der Rentenversicherungsträger Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit feststellt. Maßgebend ist, wie der Senat bereits in einem ähnlich gelagerten Fall entschieden hat, der Zeitpunkt des Zugangs der entsprechenden Mitteilung des Rentenversicherungsträgers bei der Beklagten (vgl BSGE 71, 12, 17 = SozR 3-4100 § 105a Nr 4). Nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG ist die entsprechende Mitteilung des Rentenversicherungsträgers der Beklagten am 4. Dezember 1992 zugegangen. Nur bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger deshalb Anspruch auf Alg.

Die Auffassung des Klägers, sein Anspruch auf Alg sei gemäß § 105a AFG erst mit Beginn der Rentenzahlung am 1. Januar 1993 entfallen, ist unrichtig. Sie widerspricht nicht nur dem Wortlaut der Vorschrift, der nicht auf eine Rentengewährung, sondern die Feststellung der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit abstellt, sondern auch dem vom Gesetzgeber mit § 105a AFG unmittelbar verfolgten Zweck, unterschiedlichen Beurteilungen der Leistungsfähigkeit durch Arbeitslosen- und Rentenversicherung und damit der Gefahr entgegenzuwirken, daß tatsächlich kein Versicherungsschutz gewährt wird, obwohl gegen eine der Versicherungen Anspruch besteht (BSG SozR 3-4100 § 105a Nr 1; BSGE 71, 12, 15 = SozR 3-4100 § 105a Nr 4; zum früheren Recht BSGE 44, 29, 32; 48, 288, 291; 49, 1, 6). Es war dagegen nicht die Absicht des Gesetzgebers, den objektiv nicht verfügbaren Arbeitslosen nach der Feststellung der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit durch den Rentenversicherungsträger einen Anspruch auf Alg zu verschaffen, bis tatsächlich eine Rente gewährt wird. Mit der Bekanntgabe der Feststellung der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit entfällt nach § 105a AFG der Anspruch auf Alg daher auch, wenn eine Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit nicht oder noch nicht zu zahlen ist, wenn etwa die Wartezeiten nicht erfüllt sind (BSGE 49, 114, 125 = SozR 4100 § 100 Nr 5; BSGE 71, 12, 15 = SozR 3-4100 § 105a Nr 4) oder nach § 101 Abs 1 SGB – Sechstes Buch – (SGB VI) eine befristete Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht vor Beginn des 7. Kalendermonats nach dem Eintritt der Erwerbsfähigkeit geleistet wird.

Für dieses Verständnis des § 105a AFG spricht die Rechtsentwicklung dieser Vorschrift, wie der Senat bereits ausgeführt hat (vgl BSG SozR 3-4100 § 105a Nr 1; BSGE 71, 12, 15 = SozR 3-4100 § 105a Nr 4). Eine dem § 105a AFG ähnliche Regelung war in § 103 AFG ursprünglicher Fassung vom 25. Juni 1969 (BGBl I 582) enthalten. Der Gesetzgeber hatte sich schon damals zum Ziel gesetzt, einen lückenlosen Übergang zwischen Arbeitslosenversicherung und Rentenversicherung für Fälle der mangelnden Verfügbarkeit wegen geminderter Leistungsfähigkeit des Versicherten und dem Eintritt von Berufsunfähigkeit sicherzustellen. Wie aus den Gesetzesmaterialien hervorgeht, sollte die volle Nahtlosigkeit dadurch hergestellt werden, daß der Arbeitslose bis zur Entscheidung des Rentenversicherungsträgers nicht als berufsunfähig angesehen werden durfte (vgl BT-Drucks V/2291 S 79 f; BT-Drucks zu V/4110 S 18). Die Regelung des § 105a AFG hat daran nichts geändert, vielmehr das Ziel des Gesetzes noch verdeutlicht. Nunmehr wird nämlich neben der in § 103 Abs 1 Satz 1 AFG aF allein genannten Berufsunfähigkeit auch die Erwerbsunfähigkeit genannt (vgl BT-Drucks 8/4022 S 89). Die Gesetzesentwicklung macht danach ebenfalls deutlich, daß mit § 105a AFG kein ununterbrochener Leistungsbezug gewährleistet werden sollte, sondern lediglich bis zur Feststellung der Berufs- bzw Erwerbsunfähigkeit durch den Rentenversicherungsträger die Arbeitsverwaltung eine dem Arbeitslosen nachteilige Entscheidung über seine Leistungsfähigkeit nicht sollte treffen dürfen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der zuständige Rentenversicherungsträger Erwerbsunfähigkeit auf Dauer oder – wie hier – nur für einen befristeten Zeitraum feststellt; die Entscheidung über die Leistungsfähigkeit des Arbeitslosen ist nämlich auch in dem Fall keine andere als bei Vorliegen dauernder Erwerbsunfähigkeit. Hieraus folgt ohne weiteres, daß die Vorschrift keine planwidrige Lücke enthält.

Der Kläger wird entgegen seiner Auffassung durch § 105a AFG nicht in seinen von der Verfassung geschützten Rechten (Art 3 Abs 1 GG und Art 20 GG) verletzt.

§ 105a AFG verletzt das Gleichheitsgebot des Art 3 Abs 1 GG nicht. Zwar sind die Grenzen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz, soweit es um die „Rechtssetzungsgleichheit” geht, umstritten (vgl dazu Senatsurteil vom 10. August 1995 – 11 RAr 67/94 – zur Veröffentlichung vorgesehen –; sowie Schoch DVBl 1988, 863, 875 ff). Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers besteht aber gerade darin, „diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpft, die er also im Rechtssinn als gleich ansehen will” (BVerfGE 90, 226, 239 = SozR 3-4100 § 111 Nr 6). Diese Prärogative läßt sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur mit Bezug auf bestimmte Merkmale konkretisieren. Deshalb ist jeweils sachbereichsbezogen auszuweisen, unter welchen Voraussetzungen die Zuordnung von Sachverhalten zu Rechtsfolgen sachgerecht, vertretbar oder willkürlich ist (BVerfG aaO 239). Hier kann kein Zweifel bestehen, daß der Gesetzgeber § 105a AFG in diesem Sinn sachgerecht gestaltet hat, wenn es allein an die Feststellung der geminderten Leistungsfähigkeit durch den Rentenversicherungsträger anknüpft. Insoweit ist aber keine Ungleichbehandlung von Personen oder Personengruppen erkennbar. Der Kläger ist nicht anders als andere Personen nach diesem Gesetz behandelt worden.

Auch das in Art 20 Abs 1 GG verankerte Sozialstaatsprinzip ist vorliegend nicht verletzt. Bei dem Sozialstaatsprinzip handelt es sich um ein konkretisierungsbedürftiges Grundprinzip des Grundgesetzes, das zu verwirklichen in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers ist (BVerfGE 65, 182, 193; 71, 66, 80). Dieser soll für eine gerechte Sozialordnung sorgen (BVerfGE 22, 180, 204). Ihm steht dabei ein weiter Gestaltungsspielraum zu (BVerfGE 70, 278, 288). Unter diesen Gesichtspunkten ist § 105a AFG nach dem soeben beschriebenen und auch durchgeführten Ordnungsplan des Gesetzgebers nicht zu beanstanden. Selbst wenn aufgrund der vorgenommenen Abgrenzungen in Einzelfällen Unbilligkeiten oder Härten auftreten, wäre es keine Aufgabe des Sozialstaatsprinzips, solche zu modifizieren (vgl BSGE 60, 189, 193 = SozR 2200 § 183 Nr 50; BVerfGE 69, 272, 314 f).

Mit ihren Einwänden gegen den Wegfall des Alg vor Rentenbeginn übersieht die Revision im übrigen, daß die aufgetretene Versorgungslücke wesentlich darauf zurückzuführen ist, daß befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach § 101 Abs 1 SGB VI – planmäßig zu Lasten der Krankenversicherung (vgl BT-Drucks 11/4124 S 176) – nicht vor Beginn des 7. Kalendermonats nach dem Eintritt der Erwerbsunfähigkeit geleistet werden und im Falle des Klägers die Krankenversicherung mit Krankengeld nur deshalb nicht wie sonst eingetreten ist, weil der Anspruch auf Krankengeld gemäß § 48 Abs 1 SGB – Fünftes Buch – nach 78 Wochen Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit erschöpft war. Da typischerweise nicht die Arbeitslosen-, sondern die Rentenversicherung das Risiko der Erwerbsunfähigkeit trägt, hätte es näher gelegen, den Beginn der Erwerwerbsunfähigkeitsrente und im Zusammenhang damit die Regelung des § 101 Abs 1 SGB VI zu beanstanden, wenn der Kläger meint, es sei verfassungsrechtlich geboten, Versorgungslücken vorliegender Art zu schließen.

Hatte der Kläger hiernach Anspruch auf Alg nur bis zum 4. Dezember 1992, war die Aufhebung des Alg für die Zukunft, dh für die Zeit nach Bekanntgabe des Aufhebungsbescheides vom 16. Dezember 1992 an den Kläger (zu diesem Zeitpunkt vgl Schroeder-Printzen, SGB X, 2. Aufl 1990, § 44 Anm 6), rechtmäßig. Nichts anderes gilt, soweit die Aufhebung für die Vergangenheit, dh ab 8. Dezember 1992, erfolgt ist. Gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse ua dann aufgehoben werden, soweit der Betroffene wußte, daß der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes ganz oder teilweise weggefallen ist. Liegt kein sogenannter atypischer Fall vor, dh ein Fall, bei dem die dort vorliegenden Umstände eine signifikante Erhöhung der Nachteile für den Betroffenen gegenüber den Normalfällen bewirken, so daß der Betroffene in eine besondere Bedrängnis gerät (vgl BSGE 59, 111, 116 = SozR 1300 § 48 Nr 19), steht der Verwaltung grundsätzlich kein Aufhebungsermessen zu. Der Verwaltungsakt ist vielmehr regelmäßig mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse, also für die Vergangenheit, aufzuheben.

So liegt es hier. Weder nach den Feststellungen des LSG noch sonst liegen hier Anhaltspunkte für die Annahme eines atypischen Falles vor. Deshalb mußte die Beklagte die Bewilligung des Alg des Klägers ab 8. Dezember 1992 aufheben, denn nach den Feststellungen des LSG wußte der Kläger, daß sein Anspruch auf Alg mit Feststellung seiner Erwerbsunfähigkeit durch den Rentenversicherungsträger weggefallen war. Mit Schreiben vom 8. Oktober 1992 hatte ihn die Beklagte ausdrücklich und eindeutig darauf hingewiesen, daß er Alg gemäß § 105a AFG nur solange beziehen werde, bis Erwerbsunfähigkeit bei ihm festgestellt worden ist. Der Kläger wußte auch, daß er erwerbsunfähig war, denn er hatte den Bescheid über die Bewilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit, wie aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils hervorgeht und vom Prozeßbevollmächtigten des Klägers vor dem Senat bestätigt worden ist, bereits vor dem 8. Dezember 1992 erhalten. Somit war die Aufhebung der Bewilligung ab dem 8. Dezember 1992 ebenfalls rechtmäßig.

Nach alledem konnte die Revision keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1172807

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