Leitsatz (redaktionell)

Für einen Angestellten, der am 1967-12-31 aus dem Beschäftigungsverhältnis ausgeschieden ist, bis zu diesem Zeitpunkts wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze rentenversicherungsfrei war und im Januar 1968 wiederum eine - nach AVG § 4 Abs 1 Nr 1 aF versicherungsfreie - Angestelltentätigkeit aufgenommen hat, konnte eine Befreiung von der Angestelltenversicherungspflicht nach AnVNG Art 2 § 1 in der Fassung des FinÄndG 1967 nur dann in Betracht kommen, wenn das neue Beschäftigungsverhältnis bereits vor dem 1968-01-01 vereinbart wurde.

 

Normenkette

AVG § 4 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1965-06-09; AnVNG Art. 2 § 1 Fassung: 1967-12-21

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 25. März 1970 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Der am 9. März 1932 geborene Kläger war im Jahre 1967 bei der B Straßenbahn AG als Direktionsassistent in der Angestelltenversicherung versicherungsfrei beschäftigt, weil sein Verdienst die Jahresarbeitsverdienstgrenze (JAV) überschritt (§ 4 Abs. 1 Nr. 1, § 5 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG - aF). Am 15. November 1967 bot ihm die H Hochbahn AG an, zum 1. Dezember 1967 in ihre Dienste einzutreten, gegen ein Gehalt, das ebenfalls über der JAV lag. Der Kläger nahm in seinem Schreiben vom 20. November 1967 dieses Angebot an, bat aber darum, seine Tätigkeit erst im Januar 1968 aufnehmen zu dürfen, da er im Dezember 1967 noch von der B Straßenbahn AG benötigt werde. Die H Hochbahn AG erklärte sich in ihrem Schreiben vom 28. November 1967 damit einverstanden, daß er seine Tätigkeit erst am 15. Januar 1968 aufnehme. Der Kläger ist bei seinem früheren Arbeitgeber am 31. Dezember 1967 ausgeschieden und trat das neue Beschäftigungsverhältnis vereinbarungsgemäß am 15. Januar 1968 an. Seine anteiligen Bezüge für Januar 1968 überstiegen 1800,- DM.

Inzwischen war am 1. Januar 1968 das Gesetz zur Verwirklichung der mehrjährigen Finanzplanung des Bundes, II. Teil - Finanzänderungsgesetz 1967 - (FinÄndG 1967) vom 21. Dezember 1967 (BGBl I S. 1259) in Kraft getreten, nach dem infolge Streichung der §§ 4 Abs. 1 Nr. 1, 5 AVG (Art. 1 § 2 Nr. 1, Art. 22 FinÄndG 1967) alle Angestellten ohne Rücksicht auf die Höhe ihres Verdienstes in der Angestelltenversicherung (AV) versicherungspflichtig sind. Deshalb beantragte der Kläger am 29. Juni 1968 bei der Beklagten die Befreiung von der Versicherungspflicht nach Art. 2 § 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) idF des Art. 2 § 2 Nr. 1 FinÄndG 1967. Er wies nach, daß er für die Zeit ab 1. September 1966 dieser Vorschrift entsprechende Lebensversicherungsverträge abgeschlossen hatte.

Die Beklagte lehnte die Befreiung mit Bescheid vom 30. September 1968 ab, weil der Kläger am 1. Januar 1968 in keinem Beschäftigungsverhältnis gestanden habe. Den Widerspruch hiergegen wies die Widerspruchsstelle mit Bescheid vom 16. Dezember 1968 zurück.

Das Sozialgericht (SG) Hamburg hat mit Urteil vom 28. August 1969 die Beklagte verurteilt, den Kläger von der Versicherungspflicht zu befreien. Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg hat in seinem Urteil vom 25. März 1970 die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil zurückgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, für die begehrte Befreiung sei nicht unbedingt erforderlich, daß der Antragsteller am 1. Januar 1968 in einem Versicherungsverhältnis gestanden habe. Das Urteil des 1. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 26. Februar 1969 (1 RA 23/68 in DAngVers 1969, 153) lasse sich nicht dahin verstehen, daß das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses am Tage des Inkrafttretens der Neuregelung unabwendbare Voraussetzung für die Befreiung sei.

Die Beklagte hat gegen das Urteil die zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt unrichtige Anwendung des Art. 2 § 1 AnVNG. Nach dem Wortlaut des Gesetzes könnten nur die Angestellten von der Versicherungspflicht befreit werden, die bis zum 31. Dezember 1967 wegen Überschreitens der JAV versicherungsfrei gewesen und ab 1. Januar 1968 infolge Wegfalls der JAV versicherungspflichtig geworden seien. Diese Voraussetzungen verlangten einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Inkrafttreten des Gesetzes und dem Eintritt der Versicherungspflicht, der nur gegeben sei, wenn am Stichtage bei demselben Arbeitgeber ein Beschäftigungsverhältnis durchgängig - also vor und nach dem Stichtag - bestanden habe. Deshalb hinderten Beschäftigungslücken, und zwar gleich welcher Dauer die Befreiung von der Versicherungspflicht. Jede andere Auffassung würde zu einer Rechtsunsicherheit führen, da sich sichere Abgrenzungsmaßstäbe nicht finden ließen. Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil und das Urteil des SG Hamburg vom 28. August 1969 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er hält das angefochtene Urteil für richtig.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.

II

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Der Auffassung des LSG ist im wesentlichen zuzustimmen.

Nach Art. 2 § 1 AnVNG sind Angestellte auf ihren Antrag u.a. dann von der Versicherungspflicht in der AV zu befreien, wenn sie wegen Überschreitens der JAV vor dem 1. Januar 1968 nicht versicherungspflichtig waren, aufgrund des FinÄndG 1967 versicherungspflichtig werden, die in Abs. 1 Buchst. b genannten Lebensversicherungsverträge abgeschlossen und den Antrag auf Befreiung bis zum 30. Juni 1968 gestellt haben. Von diesen Voraussetzungen ist nur noch streitig - die übrigen sind erfüllt -, ob der Kläger "auf Grund" des FinÄndG 1967 versicherungspflichtig geworden ist. Der Senat hat dies entgegen der Ansicht der Revision bejaht.

Nach den Grundsätzen, die die Rechtsprechung des BSG zu der Befreiungsvorschrift des Art. 2 § 1 AnVNG in der jetzt geltenden Fassung und in der Fassung des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes vom 9. Juni 1965 (BGBl I S. 476) entwickelt hat, setzt sie für die Befreiung von der Versicherungspflicht voraus, daß das versicherungsfreie Beschäftigungsverhältnis, in dem der Angestellte am 31. Dezember 1967 gestanden hat, durch den Wegfall der Versicherungsfreiheit vom 1. Januar 1968 an in der AV versicherungspflichtig wird. Zwischen dem Inkrafttreten des FinÄndG 1967 und dem Versicherungspflichtigwerden des Angestellten, muß also ein Kausalzusammenhang bestehen. In der Regel ist dieser Kausalzusammenhang nur gegeben, wenn der Antragsteller am 31. Dezember 1967 und am 1. Januar 1968 ununterbrochen in einem Beschäftigungsverhältnis als Angestellter gestanden hat, wie der Senat in seinem früheren Urteil dargelegt hat. Deshalb hat das BSG die Befreiungsvorschrift auch nicht auf Personen angewandt, die vor und beim Inkrafttreten des Gesetzes nicht als Angestellte beschäftigt waren, sondern am 1. Januar 1968 arbeitslos und erst später nach 1 Monat in eine versicherungspflichtige Beschäftigung wieder eingetreten sind; denn es ist, wie das BSG hervorgehoben hat, ohne rechtliche Bedeutung, aus welchen Gründen beim Inkrafttreten des FinÄndG 1967 ein Beschäftigungsverhältnis nicht bestanden hat (Urteil des 11. Senats des BSG vom 21. Oktober 1971 - 11 RA 36/71 -). Ebenso genügt es nicht, wenn der Angestellte bis zum 31. Dezember 1967 nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 AVG aF zwar versicherungsfrei beschäftigt gewesen ist, sich sodann vom 1. Januar 1968 an aber freiberuflich betätigt hat und erst am 1. März 1968 wieder in ein Angestelltenverhältnis getreten ist (Urteil des 12. Senats des BSG vom 28.4.1971 - 12/11 RA 156/70 in SozR Nr. 7 zu Art. 2 § 1 ArVNG).

In dem gegenwärtigen Fall war der Kläger am 31. Dezember 1967 als Angestellter beschäftigt und wegen Überschreitens der JAV versicherungsfrei. Er hat aber auch am 1. Januar 1968 i.S. der Rechtsprechung des BSG bei seinem neuen Arbeitgeber in einem Angestelltenverhältnis gestanden und ist infolge Inkrafttretens des FinÄndG 1967 in diesem Angestelltenverhältnis versicherungspflichtig geworden. Wenn er sein Beschäftigungsverhältnis bei der Hamburger Hochbahn AG tatsächlich auch erst am 15. Januar 1968 angetreten hat, so hatte er doch mit diesem Arbeitgeber das Angestelltenverhältnis schon im November 1967 durch schriftliche Abmachungen nachweisbar fest vereinbart. Am 1. Januar 1968 lag ein Angestelltenverhältnis jedenfalls in dem Sinne vor, daß der Kläger zur Aufnahme einer abhängigen Beschäftigung am 15. Januar 1968 verpflichtet war, und zwar zu einer Beschäftigung, die nach den Vorschriften der bei Eingehung des Angestelltenverhältnisses geltenden Rechtsvorschriften wegen Überschreitens der JAV versicherungsfrei war. In dieses vom Kläger bereits im Jahre 1967 eingegangene Angestelltenverhältnis hat das Inkrafttreten des FinÄndG 1967 in der Weise eingewirkt, daß der Kläger seine Beschäftigung am 15. Januar 1968 nicht mehr wie ursprünglich vorgesehen, in der Angestelltenversicherung versicherungsfrei, sondern nur noch versicherungspflichtig antreten konnte. Auch dieser Fall wird von der Befreiungsvorschrift des Art. 2 § 1 AnVNG erfaßt; denn im Hinblick auf die vom Kläger vor dem 1. Januar 1968 übernommene Verpflichtung, sein Beschäftigungsverhältnis am 15. Januar 1968 anzutreten, ist er so zu behandeln, als wenn das sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis am 31. Dezember 1967 und am 1. Januar 1968 bestanden hat. Die Rechtsprechung nimmt auch in anderen Fällen, wenn besondere Ausnahmetatbestände gegeben sind, das Bestehen des sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses an, obschon die sonst für das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses im allgemeinen geltenden Voraussetzungen in tatsächlicher Hinsicht nicht erfüllt sind, z.B. bei einem kurzfristigen Streik, einer kurzfristigen Erkrankung oder Beurlaubung oder an sogenannten Bummeltagen, die das sozialversicherungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis unberührt lassen (vgl. Beschluß des BSG vom 10. November 1970 - 3 RK 87/68 -).

In dem Sinne, daß die Vorschrift des Art. 2 § 1 AnVNG ausnahmsweise auch anzuwenden ist, wenn der Angestellte am 1. Januar 1968 nicht in einem typischen Beschäftigungsverhältnis im Sinne des Sozialversicherungsrechts gestanden hat, hat auch bereits der 12. Senat in seinem Urteil vom 26. Mai 1971 - 12/11 RA 160/70 - entschieden. In diesem Urteil ist ausgesprochen, daß bei Angestellten, die vor dem 1. Januar 1968 wegen Überschreitens der damaligen JAV-Grenze (§ 5 AVG aF) nicht versicherungspflichtig waren, sich aber freiwillig weiterversichert hatten, die Ableistung des Grundwehrdienstes am 1. Januar 1968 der Befreiung von der Versicherungspflicht nach Art. 2 § 1 AnVNG idF des FinÄndG 1967 nicht entgegensteht. Hier hat der 12. Senat ausgeführt, daß die besagte Befreiungsvorschrift in der Regel zwar das Bestehen des Beschäftigungsverhältnisses als Angestellter am 31. Dezember 1967 und 1. Januar 1968 voraussetzt. Das Angestelltenverhältnis während des Wehrdienstes habe nur geruht. Hinsichtlich der Befreiung von der Versicherungspflicht nach Art. 2 § 1 Abs.1 AnVNG sei ein solcher Angestellter aber ebenso zu stellen, wie wenn sein Arbeitsverhältnis am 31. Dezember 1967 nicht geruht hätte, sondern zu diesem Zeitpunkt tatsächlich wegen Überschreitens der JAV versicherungsfrei beschäftigt gewesen wäre. Der 12. Senat hat noch besonders hervorgehoben, daß die Auslegung der Befreiungsvorschrift in diesem Sinne dem Urteil des erkennenden Senats vom 26. Februar 1969 (DAngVers 1969, 153) nicht entgegenstehe. Der 1. Senat habe einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Inkrafttreten des neuen Rechts und dem Versicherungspflichtigwerden verneint, wenn beim Inkrafttreten der neuen gesetzlichen Regelung keine Angestellten-Eigenschaft vorgelegen habe, die Versicherungspflicht zur Folge haben könne. Im Hinblick auf die Bestimmungen des Arbeitsplatzschutzgesetzes über das bloße Ruhen des Arbeitsverhältnisses könne aber nicht gesagt werden, daß die Angestellten-Eigenschaft durch die Wehrdienstleistung bei Inkrafttreten des Finanzänderungsgesetzes 1967 gefehlt habe. Dieser Gesichtspunkt hat auch hier zu gelten. Die für die Befreiung von der Versicherungspflicht vorausgesetzte Angestellten-Eigenschaft des Klägers am 1. Januar 1968 ergibt sich aus dem mit dem neuen Arbeitgeber bereits im November 1967 vertraglich begründeten Angestelltenverhältnis.

Aus diesen Gründen ist der Entscheidung des LSG beizutreten und die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1670357

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