Leitsatz (redaktionell)

1. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Versicherungspflicht sind nur dann als erfüllt anzusehen, wenn der Angestellte bis 1965-06-30 wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze versicherungsfrei war und ab 1965-07-01 infolge Erhöhung der Jahresarbeitsverdienstgrenze versicherungspflichtig wurde. Die Vorschrift erfaßt also nur Angestellte, die ohne Unterbrechung in einem Beschäftigungsverhältnis (vor und nach dem 1965-07-01) gestanden haben.

2. Die Befreiungsvorschrift des AnVNG Art 2 § 1 idF des RVÄndG vom 1965-06-09 findet auf solche Personen keine Anwendung, die vor und beim Inkrafttreten des Gesetzes nicht Angestellte gewesen sind und die es erst mehrere Monate danach wieder geworden sind.

3. Zur Anwendung des AnVNG Art 2 § 1:

Das versicherungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis endet grundsätzlich auch dann mit dem tatsächlichen Wegfall der persönlichen Abhängigkeit, wenn das Ende des Arbeitsverhältnisses im arbeitsrechtlichen Sinne durch gerichtlichen Vergleich auf einen späteren Zeitpunkt festgelegt wird.

 

Normenkette

AnVNG Art. 2 § 1 Fassung: 1965-06-09

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. November 1967 aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 18. April 1967 zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

In diesem Rechtsstreit geht es darum, ob der Kläger nach Art. 2 § 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) idF des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 von der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung (AnV) befreit werden kann.

Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) hatte der Kläger als Werksvertreter bei der Firma T-C GmbH. in H im Mai 1965 ein monatliches Einkommen von 1.500,- DM. Am 28. Mai 1965 kündigte ihm die Arbeitgeberin fristlos. Seine Klage hiergegen beim Arbeitsgericht erledigte sich durch einen am 30. August 1965 abgeschlossenen Vergleich, in dem ua festgelegt wurde, die Parteien seien sich darüber einig, daß das Arbeitsverhältnis am 30. Juni 1965 im gegenseitigen Einvernehmen beendet worden sei, und in dem sich die Arbeitgeberin zu einer Zahlung von 750,- DM an den Kläger verpflichtete.

Der Kläger nahm erst wieder am 1. Oktober 1965 bei einer Firma in B gegen ein monatliches Gehalt von 1.600,- DM eine neue Beschäftigung auf. Im Dezember 1965 beantragte er bei der Beklagten nach Art. 2 § 1 AnVNG die Befreiung von der Versicherungspflicht, wobei er auf einen am 16. November 1965 abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrag Bezug nahm. Die Beklagte lehnte den Befreiungsantrag mit Bescheid vom 14. April 1966 und Widerspruchsbescheid vom 12. Juli 1966 ab, weil der Kläger am 1. Juli 1965 nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gestanden habe und somit nicht auf Grund der Erhöhung der Jahresarbeitsverdienstgrenze durch das RVÄndG versicherungspflichtig geworden sei. Die Klage hatte keinen Erfolg. Dagegen verurteilte das LSG die Beklagte, dem Antrag des Klägers auf Befreiung von der Versicherungspflicht für die Zeit ab 1. Oktober 1965 zu entsprechen: Zwar müsse ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Inkrafttreten des RVÄndG und dem Versicherungspflichtigwerden bestehen; aber selbst wenn das Beschäftigungsverhältnis des Klägers bei der Firma T-C GmbH schon am 31. Mai 1965 geendet habe, so sei er doch in seiner am 1. Oktober 1965 aufgenommenen Beschäftigung allein auf Grund des RVÄndG versicherungspflichtig geworden. Dieses Beschäftigungsverhältnis sei allerdings erst drei Monate nach dem Inkrafttreten des Gesetzes begründet worden. Das sei aber unschädlich; denn für die Befreiung von der Versicherungspflicht genüge es, wenn - wie hier - ein natürlicher Zusammenhang zwischen dem Ende der früheren versicherungsfreien Beschäftigung und der Aufnahme der neuen Beschäftigung bestehe. Es widerspräche dem Sinn der Befreiungsvorschrift, wenn alle diejenigen keinen Gebrauch davon machen könnten, die nur zufällig am 1. Juli 1965 nicht in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden haben. Das LSG hat die Revision zugelassen (Urteil vom 29. November 1967).

Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt mit dem Antrag,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Nach ihrer Meinung ist Art. 2 § 1 AnVNG idF vom 9. Juni 1965 verletzt. Im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Vorschrift sei der Kläger nicht mehr beschäftigt, also auch kein Angestellter gewesen, der wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze versicherungsfrei war. Er sei nicht auf Grund jenes Gesetzes versicherungspflichtig geworden, sondern dadurch, daß er am 1. Oktober 1965 eine neue Beschäftigung aufgenommen habe mit einem Gehalt, das die drei Monate zuvor eingeführte Jahresarbeitsverdienstgrenze nicht überschritt. Die Auffassung des LSG, daß im vorliegenden Falle ein natürlicher Zusammenhang zwischen den beiden Beschäftigungen des Klägers anzunehmen sei, sei nicht haltbar und widerspreche dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung.

Der Kläger beantragte

die Zurückweisung der Revision.

Die Revision ist zulässig und auch begründet. Die Beklagte hat den Antrag des Klägers auf Befreiung von der Versicherungspflicht zu Recht abgelehnt.

Das RVÄndG vom 9. Juni 1965 (BGBl I 476) hat die Jahresarbeitsverdienstgrenze, bis zu der eine entgeltliche Beschäftigung im Angestelltenverhältnis der Versicherungspflicht unterliegt, für die Zeit vom 1. Juli 1965 an (Inkrafttreten des Gesetzes) von bisher 1.250,- DM monatlich auf 1.800,- DM erhöht (Art. 1 § 2 Nr. 3 und 4 RVÄndG). Da der Kläger vom 1. Oktober 1965 an (Aufnahme einer neuen Beschäftigung) weniger als 1.800,- DM monatlich verdient hat, wäre er somit an sich rentenversicherungspflichtig gewesen. Er will jedoch von der Übergangsregelung des Art. 2 § 1 AnVNG idF des RVÄndG Gebrauch machen. Hiernach können Angestellte, die wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze vor dem 1. Juli 1965 nicht versicherungspflichtig waren und aufgrund des RVÄndG versicherungspflichtig werden, beim Vorliegen bestimmter weiterer Voraussetzungen auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit werden. Der Kläger erfüllt jedoch nicht alle dafür erforderlichen Voraussetzungen.

So fehlt es schon an der ersten Voraussetzung, von der das Gesetz die Befreiung von der Versicherungspflicht abhängig macht. Der Kläger gehörte nicht zu den Angestellten, die wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze vor dem 1. Juli 1965 nicht versicherungspflichtig waren. Sein versicherungsfreies Beschäftigungsverhältnis bei der Firma T-C GmbH. hat nur bis zum 31. Mai 1965 bestanden. Mit dem Wegfall der persönlichen Abhängigkeit und der übrigen für das Bestehen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses wesentlichen Merkmale (vgl. dazu die Rechtsprechung des BSG zu § 165 RVO in BSG 13, 130, 132; 15, 65, 69; 16, 98, 101; 16, 289, 293; 19, 265, 267; 20, 6, 8) verlor der Kläger auch die Eigenschaft als ein wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze versicherungsfreier Angestellter. Daran ändert auch nichts der Umstand, daß in dem arbeitsgerichtlichen Vergleich vom 30. August 1965 nachträglich das Ende des Arbeitsverhältnisses mit dem 30. Juni 1965 festgelegt wurde. Hinzu kommt, daß der Kläger für den Monat Juni 1965 kein Gehalt, sondern eine Abfindung erhielt, die weit unter der Jahresarbeitsverdienstgrenze lag. Wenn Art. 2 § 1 AnVNG idF des RVÄndG auf die Zeit "vor dem 1. Juli 1965" abstellt, so ist damit nicht eine irgendwann vor diesem Tag liegende Angestelltenzeit gemeint. Die Vorschrift unterscheidet sich allerdings gerade in diesem Punkt von Art. 2 § 1 AnVNG in der ursprünglichen Fassung vom 23. Februar 1957, in der von Angestellten die Rede ist, die wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze "bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes" nicht versicherungspflichtig waren. Diese unterschiedliche Wortfassung ist möglicherweise darauf zurückzuführen, daß das RVÄndG schon vor dem Inkrafttreten verkündet und bekannt gemacht wurde, während das AnVNG vom 23. Februar 1957 sich Rückwirkung zum 1. Januar 1957 zugelegt hat. Jedenfalls bedeutet aber der unterschiedliche Sprachgebrauch keinen Unterschied bei der sachlichen Auslegung; die Worte in Art. 2 § 1 AnVNG idF des RVÄndG "vor dem 1. Juli 1965" haben keine andere Bedeutung als wenn es hieße "bis zum 30. Juni 1965"; d.h. es muß bis dahin Versicherungsfreiheit wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze bestanden haben. Diese Voraussetzung ist aber beim Kläger nicht gegeben.

Es fehlt aber auch an der weiteren Voraussetzung, daß er aufgrund des RVÄndG versicherungspflichtig geworden ist. Diese gesetzliche Folge wäre bei ihm nur eingetreten, wenn er beim Inkrafttreten jenes Gesetzes eine Angestellten-Tätigkeit ausgeübt hätte. Nur wenn er im Juli 1965 in einem Arbeitsverhältnis der in § 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) genannten Art gestanden hätte, hätte er "durch" das RVÄndG, d.h. durch dessen Inkrafttreten versicherungspflichtig werden können. Es muß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Inkrafttreten des neuen Rechts und dem Versicherungspflichtigwerden bestehen. Dieser Zusammenhang fehlt aber, wenn beim Inkrafttreten des RVÄndG keine Angestellteneigenschaft vorliegt, die eine Versicherungspflicht zur Folge haben kann. Der Kläger, der im Juli 1965 unbestritten in keinem Arbeitsverhältnis gestanden hat, wurde deshalb vom Inkrafttreten des RVÄndG und der darin enthaltenen Heraufsetzung der Jahresarbeitsverdienstgrenze nicht berührt. Bei seinem Eintritt in ein neues Beschäftigungsverhältnis am 1. Oktober 1965 war aber der erwähnte ursächliche Zusammenhang zwischen dem Inkrafttreten des RVÄndG und dem Versicherungspflichtigwerden nicht mehr gegeben; der Kläger unterlag hier wie jeder andere, der an diesem Tag erstmals eine Beschäftigung aufnahm, der durch das RVÄndG neu gefaßten Vorschrift über die Jahresarbeitsverdienstgrenze (§ 5 AVG nF).

Sinn und Zweck der Befreiungsvorschrift des Art. 2 § 1 AnVNG liegen darin, den bisher versicherungsfrei gewesenen Angestellten, die infolge der Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze durch das RVÄndG erstmals oder erneut versicherungspflichtig werden und die in der Regel schon anderweitig für ihr Alter und ihre Hinterbliebenen vorgesorgt hatten, die Möglichkeit (wenn auch nur für eine beschränkte Übergangszeit) zu belassen, weiterhin selbst und in eigener Verantwortung für den Fall des Alters und des Todes vorzusorgen und ihnen eine doppelte finanzielle Belastung zu ersparen (BArbBl. 1965, 588). Die Einräumung dieser Möglichkeit, d.h. die Beibehaltung der bisherigen Gestaltung ihrer Altersversorgung, erscheint sinnvoll aber nur für Angestellte, deren Beschäftigungsverhältnis durchgängig (vor und nach dem 1. Juli 1965) bestanden hat. Nur dann ist der in Art. 2 § 1 AnVNG vorausgesetzte ursächliche Zusammenhang zwischen dem Inkrafttreten des Gesetzes und dem Versicherungspflichtigwerden vorhanden. Es liegt nicht in der Absicht des Gesetzes, die Befreiungsvorschrift auch auf solche Personen anzuwenden, die vor und beim Inkrafttreten des Gesetzes nicht Angestellte gewesen sind und dies erst mehrere Monate danach wieder geworden sind. Dabei ist es auch ohne rechtliche Bedeutung, aus welchen Gründen die Angestellten-Eigenschaft beim Inkrafttreten des RVÄndG gefehlt hat. Der Kläger, der bei seiner früheren Arbeitgeberin (T-C GmbH.) mit einem die Jahresarbeitsverdienstgrenze überschreitenden Einkommen tatsächlich nur bis zum 31. Mai 1965 beschäftigt gewesen ist und eine neue Beschäftigung erst wieder am 1. Oktober 1965 aufgenommen hat, erfüllt somit nicht die zur Anwendung des Art. 2 § 1 AnVNG notwendigen Voraussetzungen.

Das LSG meint zwar, ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Inkrafttreten des RVÄndG und dem Eintritt der Versicherungspflicht sei auch dann zu bejahen, "wenn der zeitliche Abstand zwischen zwei Beschäftigungsverhältnissen durch vernünftige Gründe erklärt werden kann", d.h. ein "natürlicher Zusammenhang" zwischen dem Ende der früheren versicherungsfreien Beschäftigung und der Aufnahme einer neuen Beschäftigung bestehe. Dabei verkennt es aber die dargelegte Zweckbestimmung der Befreiungsvorschrift, die keinen Raum läßt für diese Auslegung des LSG. Im übrigen wäre auch ein "natürlicher Zusammenhang" zwischen zwei Beschäftigungsverhältnissen nur geeignet, das Fortbestehen eines früheren, faktisch schon gelösten Beschäftigungsverhältnisses bis zur Aufnahme des neuen zu fingieren. Das Gesetz sieht aber - erklärlicherweise - eine solche Fiktion nicht vor.

Das Sozialgericht ist somit zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, daß beim Kläger die Voraussetzungen zur Befreiung von der Versicherungspflicht nicht gegeben sind. Das entgegenstehende Urteil des LSG muß daher aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil als unbegründet zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2284824

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