Leitsatz (amtlich)

Eine Weihnachtszuwendung, die zwar dem Grund nach in einer Betriebsordnung festgelegt ist, aber der Höhe nach nicht feststeht oder errechenbar ist, ist nicht auf den Jahresarbeitsverdienst in der Angestelltenversicherung anzurechnen.

 

Leitsatz (redaktionell)

Handelt es sich um die Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung und der Arbeitslosenversicherung, ist die BA nicht notwendige Streitgenossin der BfA.

 

Normenkette

AVG § 1 Fassung: 1952-08-13, § 3 Fassung: 1952-08-13; RAMErl Fassung: 1943-01-06; SGG § 74 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 62

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 8. Mai 1957 wird aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Der Streit der Beteiligten geht darum, ob eine Weihnachtszuwendung, die die Klägerin ihren Arbeitnehmern, den Beigeladenen R, K, G, Ö, Z und B, sowie dem verstorbenen Ehemann der Beigeladenen H im Jahre 1952 gewährt hat, als versicherungspflichtiges Entgelt auf den Jahresarbeitsverdienst anzurechnen ist.

Die Klägerin zahlt ihren Arbeitnehmern seit langem Weihnachtszuwendungen. Ihre Betriebsordnung vom 16. Oktober 1947 bestimmt unter freiwilligen Sonderleistungen: "Die Sonderzuwendungen, die seither die Arbeiter in Gestalt von Urlaubsgeld, Winterbeihilfe sowie Weihnachtsgeld und die Angestellten in Gestalt einer Weihnachtsgratifikation erhalten haben, werden auch künftighin den Betriebsangehörigen, und zwar nach Maßgabe der von der Betriebsleitung festzusetzenden Grundsätze, gewährt werden, vorausgesetzt, daß die finanziellen Verhältnisse der Gesellschaft es gestatten." (In einer späteren Betriebsvereinbarung von 1955 heißt es: "Jeder Arbeitnehmer erhält grundsätzlich eine Weihnachtszuwendung, deren Höhe der Vorstand von Jahr zu Jahr festsetzt.") Die Klägerin führte für die Zeit vom 1. August 1951 bis 31. August 1952 für den Beigeladenen B und für die Zeit vom 1. Januar 1952 bis 31. August 1952 für die Beigeladenen R, K, G, Ö, Z und den verstorbenen Ehemann der Beigeladenen H keine Pflichtbeiträge zur Angestellten- und Arbeitslosenversicherung ab, weil sie die Jahresarbeitsverdienstgrenze von 7200.- DM bzw. ab 1. September 1952 von 9000.- DM für überschritten hielt. Zu diesem Ergebnis kam sie, indem sie die Weihnachtszuwendung nach Abzug eines Freibetrages von 100.- DM auf die Jahresarbeitsverdienstgrenze anrechnete. Die Weihnachtszuwendungen überstiegen im Jahre 1952 nicht die Höhe eines Monatsgehalts. Bei einer Prüfung der einzelnen Werke und der Betriebskrankenkasse der Klägerin beanstandeten das Landesarbeitsamt (LArbA.) Baden-Württemberg und die Landesversicherungsanstalt (LVA.) Baden sowie die LVA. Württemberg dieses Vorgehen. Die sich hieraus ergebenden Verfahren vor den Versicherungsämtern K und S gingen mit dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf das Sozialgericht (SG.) Mannheim über. Dieses verurteilte die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA.) und die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (BfArb.), von einer Beitragsforderung zur Angestellten- und Arbeitslosenversicherung abzusehen, und zwar für R, H K, Ö, G und Z für die Zeit vom 1. Januar 1952 bis 31. August 1952 und für B für die Zeit vom 1. August 1951 bis 31. August 1952. Die Berufungen der BfA. und BfArb. wies das Landessozialgericht (LSG.) durch Urteil vom 8. Mai 1957 zurück: Der den Freibetrag von 100.- DM übersteigende Teil der Weihnachtszuwendung sei jeweils dann beitragspflichtiges Entgelt, wenn ein schriftlich festgelegter Rechtsanspruch auf sie bestehe (Erlaß des früheren RAM vom 6.1.1943, AN. 1943 S. 6); diesem Erfordernis werde schon genügt, wenn der Anspruch dem Grunde nach festgelegt sei. Der Rechtsanspruch sei auch nicht dadurch in Frage gestellt gewesen, daß die einschlägige Bestimmung der Betriebsordnung unter den mit "freiwillige Sonderleistungen" bezeichneten Bestimmungen aufgeführt gewesen sei. Das LSG. ließ die Revision zu.

Die beklagte BfA. legte gegen das am 2. August 1957 zugestellte Urteil am 21. August 1957 Revision ein und begründete sie am 19. September 1957. Sie trägt vor, das LSG. habe zwar zutreffend die Gültigkeit des Erlasses des Reichsarbeitsministers vom 6. Januar 1943 bejaht, jedoch zu Unrecht angenommen, ein schriftlich festgelegter Rechtsanspruch auf die Weihnachtszuwendung sei schon dann gegeben, wenn er nur dem Grunde nach festgelegt sei.

Die Beklagte beantragte,

das Urteil des LSG. Baden-Württemberg vom 8. Mai 1957 und das Urteil des SG. Mannheim vom 27. November 1955 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

Nach ihrer Ansicht reicht zur Anwendung des Erlasses die grundsätzliche Zusage der Weihnachtszuwendung aus, auch wenn sie der Höhe nach nicht feststeht.

Die BfArb. teilt mit, sie beabsichtige weder Anträge zu stellen noch in der mündlichen Verhandlung aufzutreten.

Die Beigeladenen äußerten sich nicht.

II.

Die Revision ist zulässig und begründet.

Im Revisionsverfahren ist nur noch als Beklagte die BfA., aber nicht mehr die BfArb. beteiligt. Letztere war im bisherigen Verfahren neben der BfA. ebenfalls Beklagte, ohne daß eine notwendige Streitgenessenschaft vorgelegen hätte. Denn eine solche ist nach § 74 SGG in Verbindung mit § 62 der Zivilprozeßordnung (ZPO) nur dann gegeben, wenn das streitige Rechtsverhältnis allen Streitgenossen gegenüber nur einheitlich festgestellt werden kann oder wenn die Streitgenossenschaft aus einem sonstigen Grunde eine notwendige ist. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Entscheidung, ob Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung und in der Arbeitslosenversicherung besteht oder nicht, hängt zwar in beiden Versicherungszweigen u. a. davon ab, ob die Weihnachtszuwendung als versicherungspflichtiges Entgelt anzusehen ist oder nicht. Jedoch handelt es sich um zwei voneinander unabhängige Ansprüche, wobei das Urteil gegen die eine Beklagte nicht auch gegen die andere Beklagte wirkt (vgl. BSG. Bd. 11 S. 35). Allerdings hat das Bundessozialgericht (BSG.) in Band 10 S. 176 ausgeführt, wenn in einem Rechtsstreit über die Versicherungspflicht in der Krankenversicherung, der Angestelltenversicherung und der Arbeitslosenversicherung, an dem die Träger dieser Versicherungszweige beteiligt seien, nur der Träger der Arbeitslosenversicherung Berufung eingelegt habe, und wenn die Entscheidung über die Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung von der Entscheidung über die Versicherungspflicht in der Krankenversicherung oder der Angestelltenversicherung abhänge, so erstrecke sich das Berufungsverfahren auch auf die Versicherungspflicht in diesen Zweigen. Der hier zur Entscheidung anstehende Fall ist jedoch anders gelagert. Denn hier handelt es sich nicht um die Frage der Krankenversicherungspflicht, die für die Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung und der Arbeitslosenversicherung von Bedeutung ist, sondern um die Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung und der Arbeitslosenversicherung. Dabei hängt die Versicherungspflicht in dem letztgenannten Versicherungszweig nicht nur von der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung, sondern noch von anderen Vorschriften ab, die nur für die Arbeitslosenversicherungspflicht gelten (vgl. §§ 70 ff. des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung - AVAVG - a. F., 57 ff. AVAVG n. F.). Mit der Entscheidung über die Angestelltenversicherungspflicht ist daher noch nicht die Entscheidung über die Arbeitslosenversicherungspflicht gefallen. Deshalb ist die BfArb. nicht notwendige Streitgenossin der BfA. Sie ist deshalb auch nicht gemäß § 62 ZPO durch die BfA. vertreten. Weil das Urteil des LSG. auch über den Streitgegenstand gegenüber der BfArb. einschließlich der Kosten vollständig entschieden hat und weil sie Beklagte, aber nicht Beigeladene war, ist sie deshalb in der Revisionsinstanz nicht mehr beteiligt.

In der Sache hat das LSG. die Auffassung vertreten, die Weihnachtszuwendung (soweit sie den Freibetrag von 100.- DM übersteigt) sei beitragspflichtiges Entgelt, weil auf sie ein schriftlich festgelegter Rechtsanspruch besteht; diesem Erfordernis sei schon dann genügt, wenn der Anspruch dem Grunde nach festliege. Dieser Auffassung vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Das LSG. ist zutreffend bei der Prüfung, ob die Weihnachtszuwendung auf den Jahresarbeitsverdienst anzurechnen ist oder nicht, von der Rechtsgültigkeit des Erlasses des früheren Reichsarbeitsministers vom 6. Januar 1943 (AN. 1943 S. 6) ausgegangen. Mit der Gültigkeit dieses Erlasses hat sich der 3. Senat des BSG. in seinem Urteil vom 20. Dezember 1957 (BSG. 6 S. 204) befaßt und sie bejaht. Er hat ausgeführt, auch wenn der spätere Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 24. Oktober 1944 in Verbindung mit dem gemeinsamen Erlaß des Reichsministers der Finanzen und des Reichsarbeitsministers vom 10. September 1944 (AN. 1944 S. 281) sämtliche einmaligen festversteuerten Bezüge, soweit sie beitragsfrei waren (darunter auch Weihnachtszuwendungen jeder Art und Höhe), von der Anrechnung auf den Jahresarbeitsverdienst freistellte und damit die bisherige anderweitige Regelung des Erlasses vom 6. Januar 1943 aufgehoben habe, so sei jedoch mit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Kontrollratsgesetzes (KRG) Nr. 12, dem 1. Januar 1946, das die Besteuerung nach festen Steuersätzen für einmalige Bezüge aufgehoben habe (Art. III Nr. 4), wieder der Erlaß vom 6. Januar 1943 (Ziff. II Abs. 1 Nr. 1) anzuwenden; die für die Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes geltenden Bestimmungen wiesen insofern eine Lücke auf, als der vom Gesetzgeber gewollten und bis zum Jahre 1945 auch verwirklichten Anrechnungsfreiheit schriftlich nicht festgelegter Weihnachtszuwendungen seit dem Inkrafttreten des KRG Nr. 12 am 1. Januar 1946 die Stütze im gesetzten Recht fehle; diese Lücke im Gesetz müsse in der Form geschlossen werden, daß bei unveränderter Willensrichtung des Gesetzgebers für die Zeit vom 1. Januar 1946 an Weihnachtszuwendungen nach den Grundsätzen des Erlasses vom 6. Januar 1943 von der Anrechnung auf den Jahresarbeitsverdienst freizustellen seien. Danach müßten Weihnachtszuwendungen, die der schriftlichen Festlegung entbehrten, bis zur Höhe eines Monatsgehalts frei bleiben. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an.

Es kommt also für die Entscheidung des Rechtsstreits darauf an, ob die Weihnachtszuwendung in der Zeit vom 25. November bis 24. Dezember gewährt wurde, das Gehalt oder den Lohn für einen Monat nicht überstieg und nicht in einer Tarif-, Betriebs- oder Dienstordnung oder in einem schriftlichen Vertrage festgelegt war. Eine solche Festlegung, wie sie der genannte Erlaß fordert, ist hier nicht getroffen. Zwar werden in der hier maßgebenden Betriebsordnung vom 16. Oktober 1947 grundsätzlich Weihnachtszuwendungen zugesichert, und zwar nach den von der Betriebsleitung festzusetzenden Sätzen, vorausgesetzt daß die finanziellen Verhältnisse der Gesellschaft es gestatten. Auch wenn das LSG. für das BSG. bindend festgestellt hat (§ 163 SGG), daß alle Betriebsangehörigen eine Weihnachtszuwendung erhielten, so konnten sie doch auf Grund der genannten Betriebsordnung nicht mit einem bestimmten Betrag rechnen, selbst wenn dieser nach der Darstellung der Klägerin sich etwa in der Höhe eines Monatsgehalts bewegt hat. Denn die Weihnachtszuwendung wird jedes Jahr von der Betriebsleitung festgesetzt, wobei die Klägerin sich nach ihrem eigenen Vortrag die Möglichkeit vorbehalten hat, einem Angestellten aus besonderem Grunde mehr, einem anderen weniger als ein Monatsgehalt zu zahlen und so die tüchtigeren Angestellten günstiger zu stellen. Wenn auch die Angestellten mit einer Weihnachtszuwendung von etwa einem Monatsgehalt rechnen konnten, so ließ sich doch niemals eine sichere Voraussage über die Höhe treffen, insbesondere auch, weil diese Zuwendung auch von der jeweiligen finanziellen Lage der Klägerin abhing. Etwas anderes wäre es, wenn bestimmte Mindestsätze festgelegt wären oder wenn die Weihnachtszuwendung in irgendeiner Form errechenbar wäre (z. B. ein gewisser Bruchteil des Reinverdienstes oder ein gewisses Verhältnis zur gezahlten Dividende). Eine Anrechnung der Weihnachtszuwendung auf den Jahresarbeitsverdienst mit der Folge, daß die beigeladenen Arbeitnehmer aus der Angestelltenversicherungspflicht ausscheiden, kann aber nur erfolgen, wenn die Weihnachtszuwendung der Höhe nach festgelegt oder errechenbar ist. Denn dann weiß der Arbeitnehmer, wie hoch sein Einkommen ist und ob er der Angestelltenversicherungspflicht unterliegt oder nicht. Die Kenntnis dieser Umstände wird ihn u. U. dazu veranlassen, anderweitig für seine Alterssicherung und für die Sicherung seiner Angehörigen zu sorgen. Ist die Weihnachtszuwendung aber der Höhe nach nicht festgelegt oder errechenbar, so genügt die allgemeine Erwartung, es werde jedes Jahr etwa ein Monatsgehalt gezahlt, nicht, um die Bezüge als festes Einkommen anzusehen und die Entscheidung über Versicherungspflicht oder Versicherungsfreiheit von derartig ungewissen Umständen abhängig zu machen. Die gleichen Gedankengänge hat auch der 3. Senat in seinem genannten Urteil (vgl. BSG. 6 S. 204 (209, 210)) vertreten, indem er ausführt, es wäre unbillig, wenn ein Arbeitnehmer allein wegen einer ihm anläßlich eines Weihnachtsfestes gemachten Zuwendung, die nicht durch eine schriftliche Vereinbarung gesichert sei und daher den ursprünglichen Geschenkcharakter noch nicht völlig abgestreift habe, die Grenze der Versicherungspflicht überschreiten würde und damit des Schutzes der Sozialversicherung verlustig ginge. Die Voraussetzung des Erlasses des Reichsarbeitsministers vom 6. Januar 1943, daß die Weihnachtszuwendung nicht in einer Tarif-, Betriebs- oder Dienstordnung oder in einem schriftlichen Vertrag festgelegt ist, ist damit erfüllt.

Auch die weitere Voraussetzung, daß sie im Jahre 1952 nicht ein Monatsgehalt überschritten hat, ist nach der von der Revision nicht angegriffenen Feststellung des LSG. gegeben. Dagegen ist nicht geklärt, in welcher Höhe sie im Jahre 1951 gewährt worden ist; dies ist bei dem Beigeladenen Biedermann von Bedeutung, weil für ihn schon vom 1. August 1951 an keine Beiträge mehr zur Angestelltenversicherung entrichtet worden sind. Schließlich fehlen auch Feststellungen darüber, ob die Weihnachtszuwendung in der Zeit vom 25. November bis 24. Dezember gewährt worden ist; dies ist ebenfalls nach dem genannten Erlaß eine Voraussetzung für die Nichtanrechnung der Zuwendung auf den Jahresarbeitsverdienst.

Weil somit der Sachverhalt noch nicht zu einer Entscheidung des Senats genügend geklärt ist, war das angefochtene Urteil, soweit es die Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung betrifft, aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Dem LSG. wird auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

 

Fundstellen

NJW 1960, 1735

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