Entscheidungsstichwort (Thema)

Beurteilung eines schädigungsunabhängigen Nachschadens im Zusammenhang mit der Gewährung eines Zuschusses zur Beschaffung eines Kfz (im Rahmen versorgungsrechtlicher Heilbehandlung)

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Zuschuß zur Beschaffung eines Motorfahrzeuges kann auch dann gewährt werden, wenn die Schädigungsfolgen nur Mitursache iS der im Versorgungsrecht geltenden Kausalitätsnorm (wesentliche Bedingung) für das Ausmaß der Gehbehinderung iS von DV § 11 Abs 3, §§ 13 und 15 BVG § 4 (Fassung: 1967-12-28) sind.

 

Leitsatz (redaktionell)

Zur Beurteilung eines schädigungsunabhängigen Nachschadens im Zusammenhang mit der Gewährung eines Zuschusses zur Beschaffung eines Kfz (im Rahmen versorgungsrechtlicher Heilbehandlung):

1. Für den Anspruch kommt es zunächst darauf an, ob das Gesamtausmaß der Gehbehinderung durch eine im Verhältnis zur Beinamputation mindestens annähernd gleichwertige Gesundheitsstörung mitverursacht wurde (vgl BVG§11/13/15DV §§ 5 Abs 1, 4 Abs 4).

2. Dabei ist zu prüfen, inwieweit nach Auswertung medizinischer Beurteilungen die Amputation allein (oder überwiegend) oder das schädigungsunabhängige Herz- und Kreislaufleiden allein (oder überwiegend) das Gesamtausmaß der Gehbehinderung bedingt hat.

Sind beide Bedingungen annähernd gleichwertig und damit wesentlich für das Gesamtausmaß der Gehbehinderung, kann bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen gemäß BVG§11/13/15DV § 5 Abs 1 Nr 1 der Zuschuß zur Beschaffung eines Kfz gewährt werden.

 

Normenkette

BVG § 10 Abs. 1 Fassung: 1966-12-28, § 11 Abs. 2; BVG§11Abs3§13DV § 4 Abs. 4 Fassung: 1967-12-28, § 5 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1967-12-28

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. März 1973 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Der 1912 geborene Kläger bezieht wegen Teilverlusts des rechten Oberschenkels Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 80 v.H. Ferner leidet er schädigungsunabhängig an coronaren Durchblutungsstörungen sowie Schwielenbildung nach Vorderwandinfarkt bei Gefäßsklerose.

Im September 1968 beantragte er einen Zuschuß zur Neuanschaffung eines PKWs. Durch Bescheid vom 20. Januar 1969 lehnte der Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, nach der medizinischen Beurteilung sei die Versorgung mit einem handbetriebenen Krankenfahrzeug nicht durch die anerkannten Schädigungsfolgen allein, sondern nur unter Berücksichtigung der auf innerfachärztlichem Gebiet bestehenden Leiden gerechtfertigt; diese Leiden seien jedoch nicht Schädigungsfolgen. Leistungen hierfür und somit auch die Ersatzleistung des Zuschusses zur Beschaffung eines PKWs seien nach § 10 Abs. 5 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) ausgeschlossen, weil das Einkommen des Klägers über der Jahresarbeitsverdienstgrenze der gesetzlichen Krankenversicherung liege. Den Widerspruch wies das Landesversorgungsamt (LVersorgA) durch Bescheid vom 23. April 1969 aus den gleichen Gründen zurück.

Zur Klagebegründung hat der Kläger geltend gemacht, bei ihm werde der Bedarf eines handbetriebenen Krankenfahrzeuges zumindest gleichwertig durch die Oberschenkelamputation und das Herzleiden verursacht. Deshalb sei die Schädigungsfolge versorgungsrechtlich als Mitursache für den Bedarf eines handbetriebenen Krankenfahrzeuges bzw. für die Ersatzleistung des Zuschusses zur Beschaffung eines PKWs anzusehen. Das Sozialgericht (SG) Dortmund hat sich im Urteil vom 11. Februar 1971 unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 26. Juni 1962 (Breithaupt 1962 S. 1019) der Auffassung des Klägers angeschlossen. Es hat unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide den Beklagten verpflichtet, dem Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts einen neuen Bescheid zu erteilen.

Auf die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen die Bundesrepublik Deutschland beigeladen, eine Auskunft über das Einkommen des Klägers als Finanzbeamter eingeholt und durch Urteil vom 28. März 1973 die Klage unter Aufhebung des Urteils des SG abgewiesen; es hat die Revision zugelassen. Da der Kläger im September 1968 mit einem Gehalt von 1.193,- DM über der damaligen Jahresarbeitsverdienstgrenze der gesetzlichen Krankenversicherung von 900,- DM monatlich gelegen und keine Ausgleichsrente bezogen habe, stehe ihm nach § 10 Abs. 1, 2 und 5 BVG Anspruch auf orthopädische Hilfsmittel im Rahmen der Heilbehandlung bzw. auf die begehrte Ersatzleistung hierfür nur wegen der Schädigungsfolgen, also nur wegen des Teilverlustes des rechten Oberschenkels, zu. "Wegen" der Schädigungsfolgen sei i.S. der letzten wesentlichen Ursache zu verstehen, wie sie das BSG in SozR Nrn. 15 und 16 zu § 30 BVG abgegrenzt habe. Daß der Kläger, der wegen des rechtsseitigen Oberschenkelverlusts allein unstreitig nicht eines handbetriebenen Krankenfahrzeuges bzw. der Ersatzleistung hierfür bedürfe, wegen des schädigungsunabhängigen Herz- und Gefäßleidens außerstande sei, längere Wegstrecken mit der Prothese zu gehen, dürfe bei Anwendung des § 10 Abs. 1 BVG nicht berücksichtigt werden.

Der Kläger hat gegen das ihm am 11. April 1973 zugestellte Urteil am 19. April 1973 die Revision eingelegt und diese am 12. Juni 1973 - der 11. Juni war Pfingstmontag - begründet.

Er will entgegen der Auffassung des Beklagten und des LSG auch im Rahmen der zur Heilbehandlung gehörenden Versorgung auf orthopädischem Gebiet die Kausalität nach der Theorie von der wesentlichen Bedingung beurteilt wissen. Deshalb dürfe ihm bei zumindest gleichwertigem Zusammentreffen von Schädigungs- und Nichtschädigungsfolgen die Ersatzleistung des Zuschusses zur Beschaffung eines Motorfahrzeuges nicht versagt werden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. März 1973 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 11. Februar 1971 zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er schließt sich der Auffassung der Beigeladenen an, im Rahmen der Heilbehandlung dürfe nur auf die Gesundheitsstörung als Endglied der versorgungsrechtlich erheblichen Kausalkette, nicht aber auf Funktionsausfälle wie z.B. die Gehunfähigkeit abgestellt werden. Deshalb müßten der Anspruch auf Heilbehandlung und ebenso auch die hier begehrte Ersatzleistung des Zuschusses zur Beschaffung eines Motorfahrzeuges danach beurteilt werden, ob sie allein durch als Schädigungsfolgen anerkannte Gesundheitsstörungen bedingt seien.

Die Beigeladene schließt sich dem Antrag des Beklagten an.

 

Entscheidungsgründe

Die durch Zulassung statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166, 64 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sie ist auch insoweit begründet, als das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache an dieses Gericht zurückzuverweisen ist.

Zu Recht hat das LSG hier ungeachtet des bei dem Anspruch auf eine einmalige Leistung aus § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG folgenden Berufungsausschlusses wegen Zulassung der Berufung durch das SG sachlich über das Berufungsbegehren entschieden (§ 150 Nr. 1 SGG). Dabei hat es zutreffend erkannt, daß der Anspruch des Klägers auf Heilbehandlung sich trotz seiner über 50 v.H. liegenden MdE (Schwerbeschädigter) gemäß § 10 Abs. 5 BVG idF des Dritten Neuordnungsgesetzes vom 28. Dezember 1966 (BGBl I 750) - jetzt § 10 Abs. 6 BVG - nicht nach § 10 Abs. 2 BVG auf alle Gesundheitsstörungen, sondern nach § 10 Abs. 1 BVG nur auf die schädigungsbedingten Gesundheitsstörungen erstreckt, weil sein Einkommen zur Zeit der Antragstellung die Jahresarbeitsverdienstgrenze der gesetzlichen Krankenversicherung von 10.800,- DM (vgl. Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes vom 24. August 1965 - BGBl I 912) überstiegen hat.

Dagegen kann der Auffassung des LSG nicht gefolgt werden, weil § 10 Abs. 1 BVG Heilbehandlung nur "wegen" der Schädigungsfolgen vorsehe, müßten die Schädigungsfolgen nicht nur eine wesentliche Bedingung, sondern die letzte wesentliche Bedingung für die Notwendigkeit der Heilbehandlung gewesen sein. Das LSG hat sich auf die Urteile des BSG vom 19. Juni 1962 - 11 RV 1188/60 - und vom 25. Juni 1963 - 11 RV 568/62 - (SozR Nrn. 15 und 16 zu § 30 BVG = BSG 17, 114; 19, 201), namentlich auf die darin enthaltene Begründung gestützt, es entspreche dem Ziel und Zweck des Versorgungsrechts, die "durch" ein versorgungsrechtlich erhebliches Ereignis ausgelöste Schädigung auszugleichen, nicht jedoch auch alle etwaigen anderen Nachteile, die einem Versorgungsberechtigten nach seiner Schädigung ohne ursächlichen Zusammenhang mit dieser erwachsen (übereinstimmend das Urteil des erkennenden Senats vom 27. Juli 1965 - 10 RV 659/63; SozR Nr. 20 zu § 30 BVG = BSG 23, 188). Deshalb sei auch bei der Entscheidung über den Anspruch auf Heilbehandlung die versorgungsrechtliche Kausalitätsnorm auf den Zeitpunkt des Eintritts des schädigenden Ereignisses zu beziehen und eine zeitlich danach schädigungsunabhängig eingetretene Gesundheitsstörung außer Betracht zu lassen. Diese Rechtsprechung ist indes - allerdings erst nach Erlaß des hier angefochtenen Urteils des LSG vom 28. März 1973 - vom erkennenden Senat in seinem Urteil vom 29. November 1973 - 10 RV 617/72 - (SozR Nr. 69 zu § 30 BVG) und in dem ebenfalls zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 25. Januar 1974 - 10 RV 261/73 - sowohl zu § 30 Abs. 2 BVG als auch zu § 30 Abs. 3 BVG mit eingehender Begründung aufgegeben worden. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat sich im Rundschreiben vom 30. April 1974 (BVBl 1974 S. 50 Nr. 31) der Rechtsauffassung im Urteil des Senats vom 29. November 1973 - zu § 30 Abs. 2 BVG - angeschlossen und empfohlen, die darin für die besondere berufliche Betroffenheit entwickelten Grundsätze auch auf den Berufsschadensausgleich anzuwenden.

Den zuletzt genannten Urteilen des Senats liegt die Erwägung zugrunde, daß die Kausalketten in § 30 Abs. 2 und Abs. 3 BVG durch den zusätzlichen Teilfaktor "Berufsbetroffenheit" bzw. durch die weitere Anspruchsvoraussetzung "Einkommensverlust" verlängert werden. Für diese Endglieder der Kausalketten ist deshalb die Frage zu stellen und nach der im Versorgungsrecht geltenden Kausalitätsnorm von der wesentlichen Bedingung zu beantworten, ob sie durch die Schädigung zumindest wesentlich mitbedingt und deshalb im Rechtssinne mitverursacht sind. Bei dieser Prüfung werden die schädigungsabhängigen und die schädigungsunabhängigen Bedingungen nicht etwa gleichermaßen zur Grundlage einer Berentung oder Entschädigung gemacht; sie werden vielmehr zur Feststellung, ob sie für den Eintritt des Erfolges "Berufsbetroffenheit" bzw. "Einkommensverlust" einander "annähernd gleichwertig" sind (vgl. BSG 1, 150, 157), gegeneinander abgewogen. Berentet oder entschädigt werden als Ergebnis dieser Abwägung stets nur die Fälle, in denen sich die Schädigungsfolgen zumindest als Mitursache der besonderen beruflichen Betroffenheit oder des Einkommensverlusts erweisen.

Nicht anders ist das BSG in seiner Rechtsprechung zur Pflegezulage (vgl. die Urteile vom 25. August 1960 - 11 RV 1368/59 - SozR Nr. 9 zu § 35 BVG = BSG 13, 40; vom 19. Juni 1962 - 11 RV 1188/60 - SozR Nr. 15 zu § 30 BVG = BSG 17, 114; vom 30. September 1966 - 9 RV 1006/63 - SozR Nr. 18 zu § 35 BVG) und zum Kleiderverschleiß (vgl. Urteil vom 12. Dezember 1972 - 8 RV 289/72 - SozR Nr. 2 zu § 15 BVG) sowie neuerdings auch zur Sonderanfertigung eines Brillengestells in einem Fall verfahren, in dem nur die Verstümmelung bzw. der Teilverlust der Ohrmuscheln, nicht aber auch die Beeinträchtigung der Sehfähigkeit schädigungsbedingt war (Urteil vom 4. Mai 1974 - 9 RV 54/73). Auch diesen Urteilen liegt die Erwägung zugrunde, daß die versorgungsrechtliche Entschädigung eines nicht selten durch Schädigungsfolgen bewirkten und deshalb zum tatbestandsmäßigen Endglied einer verlängerten Kausalkette erklärten Zustandes sich danach richten muß, ob die Schädigungsfolgen in ihrer Bedeutung und Tragweite zumindest annähernd gleichwertig neben anderen Bedingungen an der Herbeiführung dieses Zustandes beteiligt gewesen sind.

Das BSG hat aber auch schon in dem vom SG zitierten Urteil vom 26. Juni 1962 - 8 RV 1025/59 - (Breithaupt 1962 S. 1019) zur Lieferung eines Krankenfahrstuhls ausgeführt, selbst wenn es erforderlich sein sollte, daß die unzureichende Gehfähigkeit des Beschädigten durch eine "unmittelbare Gehbehinderung" verursacht werde, so sei doch jedenfalls bei einem durch Verwundung blinden und oberschenkelamputierten Beschädigten die unzureichende Gehfähigkeit durch die unmittelbare Gehbehinderung infolge der Oberschenkelamputation wesentlich mitbedingt. Zu einer Einschränkung dahin, daß die unzureichende Gehfähigkeit ausschließlich auf einer unmittelbaren Gehbehinderung beruhen müsse, also zu einer Durchbrechung der Kausallehre des Versorgungsrechts, hätte es einer ausdrücklichen Vorschrift bedurft. Auch in diesem Urteil ist mithin der "Zustand" unzureichender Gehfähigkeit als Endglied der besonderen Kausalkette angesehen und die allgemein für das Versorgungsrecht geltende Kausalitätsnorm darauf angewendet worden.

Die Auffassung des LSG, bei Anwendung des § 10 Abs. 1 BVG dürfe grundsätzlich nicht berücksichtigt werden, daß der Kläger, der wegen des rechtsseitigen Oberschenkelverlusts allein nicht eines handbetriebenen Krankenfahrstuhls bzw. der Ersatzleistung hierfür bedürfe, wegen des nachträglich hinzugekommenen schädigungsunabhängigen Herz- und Gefäßleidens außerstande sei, längere Wegstrecken mit der Prothese zu gehen, findet im Gesetz keine Stütze. Denn sie würde eine unzulässige Einschränkung der im Versorgungsrecht geltenden Kausalitätsnorm (§ 1 Abs. 1 BVG; vgl. BSG 1, 150, 157; 1, 268; 17, 114, 119; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S. 480 d ff) bedeuten.

Ein Anhaltspunkt dafür, daß im Rahmen der Heilbehandlung oder in ihrem Teilbereich der orthopädischen Versorgung eine abgewandelte Kausalitätsnorm gelten sollte, läßt sich den §§ 10 bis 13 BVG nicht entnehmen. Dies kann - entgegen der Auffassung des LSG - insbesondere nicht im Umkehrschluß aus § 10 Abs. 2 BVG hergeleitet werden. Denn der Verzicht auf eine Kausalitätsprüfung, welcher sich daraus ergibt, daß den Schwerbeschädigten hier die Heilbehandlung grundsätzlich auch für schädigungsunabhängige Gesundheitsstörungen gewährt wird, deutet nicht darauf hin, daß für die übrigen Beschädigten eine Verschärfung der Prüfung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen ihrer Behandlungsbedürftigkeit und den Schädigungsfolgen - etwa i.S. der Alleinursache - gewollt ist. Wenn daher § 10 Abs. 1 Satz 1 BVG Heilbehandlung für Gesundheitsstörungen vorsieht, die "als Folge einer Schädigung anerkannt oder durch eine anerkannte Schädigungsfolge verursacht worden sind", so können davon Gesundheitsstörungen nicht ausgenommen sein, die durch Schädigungsfolgen "nur" mitverursacht im Rechtssinne sind (vgl. BSG 25, 257, 260). Andernfalls hätte die Heilbehandlung in § 10 Abs. 1 Satz 1 BVG ausdrücklich auf solche Gesundheitsstörungen beschränkt werden müssen, die "allein" als Folge einer Schädigung anerkannt oder "allein" durch eine anerkannte Schädigungsfolge verursacht worden sind. Das ist jedoch nicht geschehen. Im Gegenteil ergibt sich aus § 10 Abs. 1 Satz 2 BVG, daß die Mitverursachung der zur Heilbehandlung anstehenden Gesundheitsstörung durch Schädigungsfolgen genügt. In dieser Vorschrift wird nämlich bei schädigungsbedingter Verschlimmerung einer schädigungsunabhängig entstandenen Gesundheitsstörung Heilbehandlung für die gesamte Gesundheitsstörung gewährt, sofern nicht die Ausnahmeregelung des letzten Halbsatzes Platz greift. Durch § 10 Abs. 1 Satz 2 BVG ist auch für die Beschädigten mit einer unter 50 v.H. liegenden MdE die Prüfung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen ihrer Gesundheitsstörung und den Schädigungsfolgen wesentlich erleichtert worden. Bei Gesundheitsstörungen, die i.S. der Verschlimmerung anerkannt sind, ist der Anspruch auf Heilbehandlung für das Gesamtleiden nicht mehr davon abhängig, daß der anerkannte Verschlimmerungsanteil ursächlich i.S. der geltenden Kausalitätsnorm für die Behandlungsbedürftigkeit des Gesamtleidens ist (vgl. dazu Urteil vom 11. November 1966 - 10 RV 415/63 - in SozR Nr. 4 zu § 10 BVG = BSG 25, 257, 261).

Folgerichtig schließt an diese Regelung die Vorschrift des § 10 Abs. 2 BVG an, wonach Schwerbeschädigten Heilbehandlung auch für Gesundheitsstörungen gewährt wird, die nicht als Folge einer Schädigung anerkannt sind. Hier braucht eine ursächliche Verknüpfung zu dem schädigenden Ereignis überhaupt nicht zu bestehen, dieses braucht nicht einmal Bedingung - geschweige denn "wesentliche Bedingung" - für die Behandlungsbedürftigkeit des Leidens zu sein. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine ausgesprochen soziale Maßnahme im Interesse der Schwerbeschädigten, die allerdings nur subsidiär gilt (vgl. die Regelung des § 10 Abs. 5 bzw. Abs. 6 BVG); sie schließt aber nicht etwa ganz allgemein die Anwendung der Kausalitätsnorm auf dem Gebiet der Heilbehandlung aus und schränkt sie auch in keiner Weise ein. Demnach kann nicht in Zweifel gezogen werden, daß für den Anspruch auf Heilbehandlung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 BVG die Mitverursachung der behandlungsbedürftigen Gesundheitsstörung durch die im Verhältnis zu den übrigen Ursachen annähernd gleichwertigen Schädigungsfolgen genügt.

Im Rahmen der orthopädischen Versorgung ist wegen des Zuschusses zur Beschaffung von Motorfahrzeugen an Stelle bestimmter Hilfsmittel (§ 13 Abs. 1) in § 11 Abs. 3 BVG auf die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1, 2, 5 und 6 BVG und damit auch auf die für die Heilbehandlung maßgebende, oben bereits erörterte Kausalitätsnorm verwiesen worden. Die Frage, ob gleichwohl aus § 24 a Buchst. a BVG noch eine Ermächtigung abgeleitet werden könnte, durch Rechtsverordnung als "besondere Voraussetzungen der orthopädischen Versorgung und der Ersatzleistungen" die Alleinverursachung des Bedarfs an diesen Leistungen durch Schädigungsfolgen zu bestimmen, kann offen bleiben, weil dies in der hier maßgeblichen Durchführungsverordnung zu § 11 Abs. 3 und §§ 13 und 15 BVG vom 18. Dezember 1967 (BGBl I 1285) - DVO - nicht geschehen ist. Die DVO läßt vielmehr in § 5 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 erkennen, daß nicht von der im Versorgungsrecht geltenden Kausalitätsnorm abgewichen werden soll. Denn hier sind neben den Schädigungsfolgen Körperschwäche, übergroßes Körpergewicht, andere zwingende gesundheitliche Gründe, bergige Wohngegend und außergewöhnlich gefährliche Verkehrsverhältnisse als schädigungsunabhängige Mitursachen für die Unfähigkeit zur Benutzung eines Krankenfahrzeugs mit Handhebelantrieb genannt. Da die Schädigungsfolgen daneben nur als Mitursache in Betracht kommen können, genügt auch bei Anwendung der DVO die Mitverursachung des Bedarfs an Hilfsmitteln bzw. Ersatzleistungen durch die Schädigungsfolgen.

Der Kläger, der nicht Empfänger einer Pflegezulage mindestens nach Stufe III ist, kann den Zuschuß zur Beschaffung eines Motorfahrzeuges gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 der DVO nur "an Stelle" eines handbetriebenen Krankenfahrzeuges für den Straßengebrauch erhalten (vgl. hierzu auch das Urteil des BSG vom 26. Januar 1962 - 8 RV 1025/59 - in SozR Nr. 1 zu § 13 BVG). Handbetriebene Krankenfahrzeuge werden einseitig Beinamputierten nach § 4 Abs. 4 der DVO geliefert, wenn sie dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich armamputiert sind oder diesen Personen hinsichtlich der Art und Schwere der Behinderung oder hinsichtlich des Ausmaßes der Gehbehinderung gleichzuachten sind. Da der Kläger nach den Feststellungen des LSG als einseitig Beinamputierter die ersten drei Alternativen dieser Vorschrift nicht erfüllt, kommt es darauf an, ob er hinsichtlich der Art und der Schwere der Behinderung oder hinsichtlich des Ausmaßes der Gehbehinderung den dort genannten Personen gleichzuachten ist. Diese Anspruchsvoraussetzung - das letzte Glied der Kausalkette - muß also daraufhin geprüft werden, ob und inwieweit es auf Schädigungsfolgen und auf Nichtschädigungsfolgen zurückzuführen ist. Hierzu hat das LSG ausreichende Feststellungen nicht getroffen. Abgesehen davon, daß das LSG unmittelbar auf die Voraussetzungen der Ersatzleistung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 der DVO eingegangen ist, erweisen sich die Feststellungen des LSG deshalb nicht als für eine Entscheidung des Senats ausreichend, weil das Gericht dabei von der irrigen Rechtsauffassung ausgegangen ist, die Schädigungsfolgen müßten die letzte Ursache für die besondere Gehbehinderung des Klägers gewesen sein; danach aufgetretene schädigungsunabhängige Ursachen hätten außer Betracht zu bleiben. Hat aber das LSG eine Mitverursachung des beim Kläger bestehenden Gesamtausmaßes der Gehbehinderung durch die Schädigungsfolgen grundsätzlich für unerheblich erachtet, so kann dem Hinweis in den Urteilsgründen, erst durch das Zusammenwirken von Schädigungsfolgen und schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörungen sei eine Behinderung gegeben, die die Gleichstellung des Klägers mit den in § 5 der DVO bezeichneten Personen gestatten würde, keine eindeutige Feststellung darüber entnommen werden, ob durch den schädigungsbedingten Beinverlust im rechten Oberschenkel auf der einen und das schädigungsunabhängige Herz- und Gefäßleiden auf der anderen Seite annähernd gleichwertig das Gesamtausmaß der Gehbehinderung des Klägers bedingt wird. Deshalb mußte die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das LSG zurückverwiesen werden.

Das LSG wird nunmehr - ausgehend von der im Versorgungsrecht geltenden Kausalitätsnorm - feststellen müssen, inwieweit das für eine Gleichstellung mit den in § 4 Abs. 4 der DVO bezeichneten Personen an sich hinreichende Gesamtausmaß der Gehbehinderung des Klägers auf Schädigungsfolgen und inwieweit es auf schädigungsunabhängige Leiden zurückzuführen ist. Hierzu wird sich das LSG der Hilfe eines medizinischen Sachverständigen bedienen müssen. Unter Auswertung dieser medizinischen Beurteilung wird das LSG zunächst zu prüfen und festzustellen haben, ob die Schädigungsfolgen allein (oder überwiegend) oder die schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörungen allein (oder überwiegend) das Gesamtausmaß der Gehbehinderung des Klägers bedingt haben. Kommt das LSG dabei zu dem Ergebnis, daß weder die Schädigungsfolgen noch die schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörungen als überwiegende Bedingung anzusehen sind, dann wird es die rechtliche Wertung dahin vorzunehmen haben, ob beide Bedingungen "annähernd gleichwertig" und damit wesentlich für das Gesamtausmaß der Gehbehinderung des Klägers gewesen sind. Sollte das zutreffen und somit der Anspruch des Klägers auf Lieferung eines handbetriebenen Krankenfahrstuhls nach § 4 Abs. 4 der DVO gegeben sein, wären auch noch Feststellungen zu den weiteren Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 der DVO für die Gewährung des im Ermessen des Beklagten stehenden Zuschusses zur Beschaffung eines Motorfahrzeuges zu treffen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1647908

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