Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 29.01.1992)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. Januar 1992 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin begehrt Arbeitslosengeld (Alg) von der Beklagten.

Die am 1. Juli 1958 geborene Klägerin ist deutsche Staatsangehörige. Sie absolvierte in der Bundesrepublik Deutschland von 1973 bis 1975 eine Lehre als Verkäuferin und arbeitete sodann in diesem Beruf bis Mitte 1980. Vom 1. August 1980 bis zum 15. Dezember 1987 war die Klägerin als Fernschreiberin bei der Bundeswehr in Bayern beschäftigt; das Arbeitsverhältnis wurde durch Aufhebungsvertrag vom 24. November zum 15. Dezember 1987 einvernehmlich beendet. Anschließend ließ sich die Klägerin in K. … /Niederlande nieder, nachdem ihr Ehemann – Berufssoldat bei der Bundeswehr – schon im November 1987 der NATO unterstellt und nach B. … /Niederlande versetzt worden war.

Am 11. Mai 1988 meldete sich die Klägerin beim Arbeitsamt (ArbA) Aachen arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alg. Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, die Klägerin habe ihren Wohnsitz und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in die Niederlande und somit außerhalb des Geltungsbereichs des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) verlegt; Leistungen könnten deshalb nicht erbracht werden. Etwas anderes ergebe sich nicht unter Berücksichtigung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 12. Juni 1986, da es sich um eine Einzelfallentscheidung handele, die keine allgemeine Gültigkeit besitze (Bescheid vom 1. August 1988, Widerspruchsbescheid vom 17. April 1989).

Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben und zur Begründung ausgeführt, sie habe sich bereits vor ihrem Umzug in Bayern beim ArbA erkundigt, wo sie sich arbeitslos melden müsse. Dort habe man ihr die Auskunft erteilt, sie solle sich in den Niederlanden melden. Auf eine weitere Anfrage im August 1987 habe ihr das ArbA Aachen – Nebenstelle Geilenkirchen – dieselbe Auskunft gegeben. Am 15. Dezember 1987 habe sie sich sodann in den Niederlanden arbeitslos gemeldet und Leistungen beantragt; dort habe man ihr mitgeteilt, daß sie im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH vom 12. Juni 1986 dort keinen Anspruch habe. Am 22. Februar 1988 habe sie beim ArbA Augsburg nochmals ihre Ansprüche geltend gemacht; erneut sei ihr die Auskunft erteilt worden, die Arbeitsbehörden der Niederlande seien für sie zuständig.

Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben und die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin Alg ab 11. Mai 1988 zu gewähren (Urteil vom 4. Juli 1990). Zur Begründung hat das SG ausgeführt, die Klägerin sei der niederländischen Sprache nicht mächtig, komme schon deshalb für eine Vermittlung in den Niederlanden nicht in Betracht, halte zudem zu ihrer früheren Dienststelle zum Zwecke der Arbeitsuche laufend Kontakt und könne auch später wieder in die Bundesrepublik Deutschland ziehen, weil ihr Ehemann lediglich für vier Jahre nach B. … versetzt worden sei. Sie habe damit im Staate der letzten Beschäftigung persönliche und berufliche Bindungen solcher Art beibehalten, daß sie in diesem Staat die besten Aussichten auf berufliche Wiedereingliederung besitze. Ihr stehe daher ein Anspruch auf Alg nach Art 71 Abs 1 Buchst b Ziffer i EWGV 1408/71 zu.

Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 29. Januar 1992). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die Klägerin habe weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet und besitze deshalb keinen Anspruch auf Alg. Da sie bis zum 15. Dezember 1987 in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt gewesen sei und hier gewohnt habe, sei Art 71 Abs 1 Buchst b Ziffer i EWGV 1408/71 auf sie nicht anwendbar; auch nach dem Gemeinschaftsrecht stehe ihr kein Anspruch auf Alg zu.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des Art 71 Abs 1 Buchst b Ziffer i EWGV 1408/71 und führt dazu aus, sie stehe dem deutschen Arbeitsmarkt zur Verfügung und habe besonders enge persönliche und berufliche Bindungen zur Bundesrepublik Deutschland. Sie sei zwar keine Grenzgängerin im Sinne der EWGV 1408/71; durch die Aufnahme einer Tätigkeit im Großraum Aachen würde sie jedoch zu einer solchen, was für die Anwendung der Verordnung ausreiche. Zu Unrecht habe das LSG eine wortgetreue Interpretation des Wortes „während” in Art 71 Abs 1 EWGV 1408/71 vorgenommen. Unter Beachtung des Regelungszusammenhangs der Art 67 bis 71 EWGV 1408/71 iVm Art 51 EWGVtr sei die Vorschrift dahin zu verstehen, daß auch Personen erfaßt werden sollten, die ihre Beschäftigung wegen Familienzusammenführung zeitgleich aufgeben und deshalb in ein anderes EG-Land verziehen würden. Die entgegengesetzte Deutung des LSG beeinträchtige die Freizügigkeit der EG-Arbeitnehmer. Doch unabhängig hiervon könne ihr der begehrte Anspruch aus einem weiteren rechtlichen Gesichtspunkt nicht vollständig verwehrt werden: Sie sei im Vorfeld ihres geplanten Umzuges unzutreffend beraten worden und besitze deshalb einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch, weil die Beklagte ihr die Mitnahmemöglichkeit des Leistungsanspruchs nach Art 69 Abs 1 EWGV 1408/71 nicht offenbart habe.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. Januar 1992 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 4. Juli 1990 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das zweitinstanzliche Urteil für zutreffend und meint, das Wort „während” in Art 71 Abs 1 EWGV 1408/71 könne nicht anders ausgelegt werden, als es seinem natürlichen Sinn und dem herkömmlichen Sprachgebrauch entspreche. Die Freizügigkeit arbeitsloser Leistungsempfänger hinsichtlich der Wohnortwahl werde in der EWGV 1408/71 nur sehr begrenzt und unter genau festgelegten Voraussetzungen gewährleistet. Deshalb komme Art 71 EWGV 1408/71 auch nur auf einen ganz bestimmten Personenkreis zur Anwendung. Hierzu zähle die Klägerin nicht, da sie erst nach Beendigung ihrer Beschäftigung die Niederlassungsfreiheit in Anspruch genommen habe. Der Klägerin stehe auch kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch zu. Es sei schon zweifelhaft, ob die tatsächlichen Voraussetzungen des Art 69 EWGV 1408/71 fingiert werden könnten; es fehle jedoch an sachlichen Feststellungen des LSG zu einem entsprechenden Beratungsfehler.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Klägerin ist iS der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫), da der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen nicht entscheiden kann, ob die Beklagte der Klägerin ab 11. Mai 1988 Alg gewähren muß.

Zu Recht hat das LSG festgestellt, daß der Klägerin kein Anspruch auf Alg nach deutschem Recht zusteht.

Anspruch auf Alg hat nach § 100 Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) vom 25. Juni 1969 (BGBl I 582), wer arbeitslos ist, der Arbeitsvermittlung zu Verfügung steht, die Anwartschaftszeit erfüllt, sich beim ArbA arbeitslos gemeldet und Alg beantragt hat. Die Klägerin hat sich am 11. Mai 1988 beim ArbA Aachen persönlich arbeitslos gemeldet (§ 105 Satz 1 AFG) und Alg beantragt. Sie war arbeitslos, da sie vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stand (§ 101 Abs 1 AFG); die Anwartschaftszeit iS von § 104 AFG war erfüllt. Zweifelhaft ist jedoch, ob die Klägerin nach § 100 Abs 1, § 103 AFG der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stand und noch steht.

Selbst wenn man zugunsten der Klägerin unterstellt, daß sie der deutschen Arbeitsvermittlung trotz ihres niederländischen Wohnsitzes durchgängig zur Verfügung gestanden hat, so hätte sie gleichwohl keinen Anspruch auf Alg nach § 100 AFG, weil die Voraussetzungen des § 30 SGB I idF des Art II § 15 Nr 1 Buchst o Sozialgesetzbuch – Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten – vom 4. November 1982 (BGBl I 1450) im vorliegenden Falle nicht erfüllt sind. Gemäß § 30 Abs 1 SGB I gelten die Vorschriften dieses Gesetzbuchs nur für solche Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben. Nach den tatsächlichen und nicht mit zulässigen Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) hatte die Klägerin zum Zeitpunkt der Antragstellung (11. Mai 1988) und in der Folgezeit sowohl ihren Wohnsitz als auch den gewöhnlichen Aufenthalt in den Niederlanden und damit außerhalb des Geltungsbereichs des SGB I. Inländische Leistungen der Arbeitsförderung, insbesondere Alg nach § 19 Abs 1 Nr 5 SGB I, konnte sie daher nicht in Anspruch nehmen.

Etwas anderes ergibt sich nicht aus § 37 SGB I. Danach gilt der Wohnsitzgrundsatz des § 30 Abs 1 SGB I nur, soweit sich aus dem Zweiten bis Neunten Buch SGB oder aus den in Art II § 1 SGB I genannten Besonderen Teilen des SGB nichts Abweichendes ergibt. Das AFG ist gemäß Art II § 1 Nr 2 SGB I bis zu seiner Einordnung in das SGB als eines seiner Besonderen Teile anzusehen; im AFG finden sich jedoch keine spezialgesetzlichen Regelungen, aufgrund derer der Klägerin mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in den Niederlanden Alg zu gewähren wäre. Zwar existieren auch im Arbeitsförderungsrecht von der Grundregelung des § 30 Abs 1 SGB I abweichende Vorschriften, die die Gewährung von Leistungen nicht nur an den Wohnsitz oder den gewöhnlichen Aufenthalt eines Berechtigten anknüpfen (vgl zB für Wintergeld § 80 Abs 2 Satz 1 AFG); hierbei handelt es sich jedoch um auf bestimmte Leistungsarten zugeschnittene Sondervorschriften, die nicht verallgemeinerungsfähig sind (dazu allgemein Rüfner in: Wannagat, Sozialgesetzbuch, Stand September 1989, § 37 SGB I RdNr 6). Nach § 173a AFG gelten des weiteren einzelne Vorschriften des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) im Arbeitsförderungsrecht entsprechend. So bestimmt § 173a AFG iVm § 3 Nr 1 SGB IV für die Beitragspflicht im Arbeitsförderungsrecht, daß allein auf den Beschäftigungsort abzustellen ist. Danach gelten die deutschen Bestimmungen über die Beitragspflicht der Arbeitnehmer und Arbeitgeber, soweit sie eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit voraussetzen, für alle Personen, die in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt oder selbständig tätig sind. Durch diese Regelung der Beitragspflicht wird jedoch der für das Leistungsrecht geltende Wohnsitzgrundsatz des § 30 Abs 1 SGB I nicht berührt. Wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits entschieden hat, läßt die Verpflichtung zur Beitragsentrichtung im Arbeitsförderungsrecht nicht den Schluß darauf zu, daß sie mit äquivalenten beitragsabhängigen Gegenleistungen der Bundesanstalt für Arbeit (BA) verbunden ist (vgl BVerfGE 53, 313 ≪326 ff≫ = SozR 4100 § 168 Nr 12). Im übrigen stellen sich sowohl der Wohnsitzgrundsatz des § 30 Abs 1 SGB I als auch die genannten arbeitsförderungsrechtlichen Sonderregelungen als Bestandteile eines einheitlichen Prinzips – des Territorialitätsprinzips – dar; in all diesen Fällen hat der Gesetzgeber Folgen allein an inländische Tatbestände geknüpft. Nach nationalem Recht hat die in den Niederlanden lebende Klägerin deshalb keinen Anspruch auf Alg gegen die Beklagte.

Der Klägerin könnte allerdings aus Regelungen des über- oder zwischenstaatlichen Rechts (§ 30 Abs 2 SGB I) ein Alg-Anspruch zustehen. Auf der Grundlage der vom LSG festgestellten Tatsachen (§ 202 SGG iVm § 561 Abs 1 Zivilprozeßordnung ≪ZPO≫) ist dazu jedoch eine abschließende Entscheidung nicht möglich.

Ein Anspruch der Klägerin auf Alg könnte sich ergeben aus den Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EWGV 1408/71 – hier idF der Verordnung (EWG) Nr 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 – ABl Nr L 230/6 vom 22. August 1983). Das zum Versicherungsfall „Arbeitslosigkeit” in Kap 6, Abschn 2 und 3 EWGV 1408/71 niedergelegte Regelungswerk unterscheidet zwischen zwei Gruppen von Arbeitslosen – solchen, die sich in einen anderen Mitgliedstaat als den zuständigen Staat begeben (Art 69 und 70 EWGV 1408/71), und solchen, die während ihrer letzten Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen Staat wohnten (Art 71 EWGV 1408/71).

Art 69 Abs 1 EWGV 1408/71 scheidet vorliegend als Grundlage eines Anspruchs gegen die Beklagte aus. Diese Vorschrift erlaubt es einem Arbeitslosen, sich unter bestimmten Voraussetzungen zeitlich begrenzt zur Arbeitssuche in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben. Der Arbeitslose behält in dieser Zeit seinen gegen den Träger des bisherigen Mitgliedstaates erworbenen Alg-Anspruch; Leistungen hieraus hat in der Zeit der Arbeitsuche jedoch der Träger des Staates zu erbringen, in den sich der Arbeitslose zur Arbeitsuche begeben hat; dieser Träger hat insoweit einen Erstattungsanspruch gegen den Träger des bisherigen Mitgliedstaates (Art 70 EWGV 1408/71). Art 69 ist wie die gesamte EWGV 1408/71 in der Bundesrepublik Deutschland ohne innerstaatlichen Umsetzungsakt geltendes Recht (Art 189 Abs 2, 51 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ≪EWGVtr≫ vom 25. März 1957 iVm Art 24 Abs 1 Grundgesetz ≪GG≫ und dem Vertragsgesetz zum EWGVtr – Art 59 Abs 2 Satz 1 GG) und daher revisibel (§ 162 SGG). Das von der Klägerin erhobene Begehren unterfällt zwar dem sachlichen Anwendungsbereich der EWGV 1408/71, wie die ausdrückliche Erwähnung der Leistungen bei Arbeitslosigkeit in Art 4 Abs 1 Buchst g EWGV 1408/71 und in der gemäß Art 5 EWGV 1408/71 von der Bundesrepublik Deutschland abgegebenen Erklärung (ABl Nr C 139/6 vom 9. Juni 1980) zeigt. Die Klägerin ist auch „Arbeitnehmer” iS von Art 1 Buchst a Ziffer i EWGV 1408/71, da sie als ehemals abhängig Beschäftigte nach § 168 Abs 1 Satz 1 AFG gegen die Risiken der Arbeitslosigkeit pflichtversichert war (vgl EuGHE 1976, 1901 = SozR 6050 Art 71 Nr 1). Dabei spielt es keine Rolle, daß die Klägerin zwischenzeitlich arbeitslos geworden ist; die Definition des Begriffs „Arbeitnehmer” ist von allgemeiner Tragweite und nicht davon abhängig, ob die betreffende Person derzeit eine Erwerbstätigkeit ausübt oder nicht (vgl EuGHE 1979, 1977 = SozR 6050 Art 22 Nr 4).

Der Klägerin kann jedoch ungeachtet der Frage, ob die in Art 69 Abs 1 Buchst a bis c EWGV 1408/71 näher dargelegten Voraussetzungen für einen Leistungsexport überhaupt erfüllt waren oder sind, aus dieser Vorschrift gegen die beklagte BA kein Leistungsanspruch zustehen. Dies ist eine Frage der Regelung in Art 70 Abs 1 Satz 1 EWGV 1408/71, wonach – wie schon erwähnt – Leistungen in den in Art 69 Abs 1 EWGV 1408/71 bezeichneten Fällen immer vom Träger des Staates zu erbringen sind, in dem der Arbeitslose eine Beschäftigung sucht – hier also von der Arbeitsverwaltung in den Niederlanden. Die Beklagte als zuständiger Träger des Mitgliedstaates hätte deren Leistungen lediglich zu erstatten (Art 70 Abs 1 Satz 2 EWGV 1408/71). Kann der Klägerin somit nach Art 69 Abs 1 EWGV 1408/71 kein Anspruch gegen die Beklagte zustehen, gilt dasselbe für den von ihr „hilfsweise” geltend gemachten sozialrechtlichen Herstellungsanspruch (vgl zu dessen Voraussetzungen BSG SozR 3-4100 § 103 Nr 8 und SozR 6050 Art 69 Nr 4 – jeweils mwN), den die Klägerin auf die Behauptung stützt, sie sei von der Beklagten nicht ausreichend über die Möglichkeiten zur Mitnahme eines Leistungsanspruchs in das Ausland belehrt worden. Selbst wenn dies zuträfe und alle Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs erfüllt wären, wäre wiederum nicht die Beklagte leistungsverpflichtet, sondern gemäß Art 70 Abs 1 Satz 1 EWGV 1408/71 die Arbeitsverwaltung in den Niederlanden.

Ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf deutsches Alg könnte sich allerdings aus Art 71 Abs 1 Buchst b Ziffer i EWGV 1408/71 ergeben. Nach dieser Vorschrift erhalten Arbeitnehmer, die während ihrer letzten Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen Staat wohnten, nicht Grenzgänger sind und weiterhin ihrem Arbeitgeber oder der Arbeitsverwaltung des zuständigen Staates zur Verfügung stehen, bei Vollarbeitslosigkeit Leistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Staates, als ob sie in diesem Staat wohnten. Zuständig zur Leistungsgewährung ist in diesen Fällen der zuständige Träger des früheren Beschäftigungsstaates; dies wäre hier also die Beklagte.

Ein Anspruch nach Art 71 Abs 1 Buchst b Ziffer i EWGV 1408/71 gegen den zuständigen Träger des früheren Beschäftigungsstaates – die Beklagte – kann jedoch nur dann gegeben sein, wenn Wohnstaat und Beschäftigungsstaat während der zuletzt vor der Arbeitslosigkeit ausgeübten Beschäftigung nicht identisch waren. Infolgedessen gelten die Vergünstigungen des Art 71 EWGV 1408/71 nicht für einen Arbeitslosen, der während seiner letzten Beschäftigung in dem Mitgliedstaat wohnte, in dem er beschäftigt war (EuGHE 1984, 3507 = SozR 6050 Art 71 Nr 7). Nach der Rechtsprechung des EuGH ist Art 71 Abs 1 Buchst b EWGV 1408/71 hingegen auf einen Arbeitnehmer anwendbar, der während seiner letzten Beschäftigung seinen Wohnort aus familiären Gründen in einen anderen Mitgliedstaat verlegt und nach dieser Verlegung nicht mehr in den Beschäftigungsstaat zurückkehrt, um dort seine Tätigkeit auszuüben (EuGHE 1988, 5125 = SozR 6050 Art 71 Nr 10). Mithin kommt es entscheidend auf die Frage an, wann genau die Klägerin ihren Wohnsitz in die Niederlande verlegt hat. Hierzu hat das LSG keine ausreichenden Feststellungen getroffen.

Das LSG hat zwar ausgeführt, daß die Klägerin bis zum 15. Dezember 1987 als Fernschreiberin bei der Bundeswehr beschäftigt war und „anschließend” nach K. … /Niederlande verzog. Gleichzeitig hat das Berufungsgericht jedoch darauf hingewiesen, daß der Ehemann der Klägerin bereits im November 1987 dorthin versetzt worden war. Dies und die Tatsache, daß die Klägerin eigenen Angaben zufolge schon im August 1987 beim ArbA Aachen – Nebenstelle Geilenkirchen -Auskünfte über etwaige Leistungsansprüche eingeholt hat, lassen es möglich erscheinen, daß die Klägerin ihren Wohnsitz bereits vor dem 15. Dezember 1987 und damit vor Beendigung ihres deutschen Arbeitsverhältnisses in die Niederlande verlegt hat. In diese Richtung könnte auch der Umstand deuten, daß sich die Klägerin nach eigenem Bekunden bereits am 15. Dezember 1987 – dies ist nach den Feststellungen des LSG auch der letzte Tag ihrer inländischen Beschäftigung in Bayern – bei den Arbeitsbehörden in den Niederlanden gemeldet und dort Leistungen beantragt hat.

Da der Senat die erforderlichen Tatsachenfeststellungen nicht selbst treffen kann, mußte die Sache an das LSG zurückverwiesen werden. Das LSG wird zu prüfen haben, wann genau die Klägerin ihren Wohnsitz in die Niederlande verlegt hat. Auszugehen ist dabei von der Begriffsbestimmung in Art 1 Buchst h EWGV 1408/71; als „Wohnort” ist gemeinschaftsrechtlich immer der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts anzusehen. Maßgeblich ist, von welchem Zeitpunkt an sich die Klägerin gewöhnlich in den Niederlanden aufgehalten und dort den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen begründet hat (vgl EuGHE 1977, 315 = SozR 6050 Art 71 Nr 2).

Die vorgenannten weiteren Ermittlungen sind nicht im Hinblick auf das Vorbringen der Klägerin entbehrlich, das Wort „während” in Art 71 Abs 1 EWGV 1408/71 müsse dahingehend verstanden werden, daß von dieser Bestimmung auch solche Personen erfaßt würden, die unmittelbar im Anschluß an die Aufgabe ihrer Beschäftigung in ein anderes EG-Land verziehen. Diese Auffassung trifft nicht zu. Nach der Systematik der EWGV 1408/71 und dem darin zum Ausdruck gekommenen Willen des Verordnungsgebers sollen Arbeitnehmer, die als Arbeitslose ihren Wohnstaat wechseln, ausschließlich nach Art 67 und 69 EWGV 1408/71 behandelt werden. Sie behalten nach insoweit eindeutiger Regelung ihren Leistungsanspruch für drei Monate und müssen vor Ablauf dieses Zeitraums, um weiterhin in den Genuß der Leistungen kommen zu können, wieder in den Mitgliedstaat zurückkehren, in dem sie zuletzt beschäftigt waren (EuGHE 1984, 3507 = SozR 6050 Art 71 Nr 7; vgl auch LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30. Juni 1992 – L 1 Ar 107/90 –, SGb 1993, 83 mit insoweit zust Anm von Eichenhofer aaO, 88 f). Unerheblich ist dabei, ob der Wohnstaatwechsel unmittelbar im Anschluß an die Aufgabe der früheren Beschäftigung oder erst später erfolgt; in keinem Fall sind Ansprüche aus Art 71 EWGV 1408/71 begründbar.

Je nach dem Ergebnis der noch durchzuführenden weiteren Ermittlungen wird das LSG unterschiedliche rechtliche Schlußfolgerungen zu ziehen haben. Sollte das LSG aufgrund seiner Ermittlungen zu dem Ergebnis gelangen, daß sich die Klägerin bis zum Ende ihres Arbeitsverhältnisses am 15. Dezember 1987 gewöhnlich in der Bundesrepublik aufgehalten und hier ihren räumlichen und persönlichen Lebensmittelpunkt behalten hat, so stünde ihr trotz des anschließenden Wechsels in die Niederlande kein Anspruch aus Art 71 Abs 1 Buchst b Ziffer i EWGV 1408/71 zu. Nach der Systematik der EG-Verordnung hätte sie allein von den in Art 67 und 69 eingeräumten Möglichkeiten Gebrauch machen können; auf die Ausnahmeregelung des Art 71 EWGV 1408/71 könnte sie sich dann nicht berufen, weil diese Vorschrift nur dem Schutz der Grenzgänger und sonstigen Personen dient, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen als dem, in dem sie beschäftigt sind (EuGHE 1984, 3507 = SozR 6050 Art 71 Nr 7).

Ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Alg ergäbe sich in diesem Fall auch nicht unter Berücksichtigung der Grundsätze, die der EuGH im Urteil vom 12. Juni 1986 zur Anwendung des Art 71 Abs 1 Buchst b EWGV 1408/71 entwickelt hat. Danach ist ein vollarbeitsloser Arbeitnehmer, der zwar die Kriterien des Art 1 Buchst b EWGV 1408/71 (Grenzgängereigenschaft) erfüllt, aber im Mitgliedstaat der letzten Beschäftigung persönliche und berufliche Bindungen solcher Art aufrecht erhält, daß er dort die besten Aussichten auf berufliche Wiedereingliederung hat, als unter Art 71 Abs 1 Buchst b EWGV 1408/71 fallender „Arbeitnehmer, der nicht Grenzgänger ist”, anzusehen mit der Folge, daß er wahlweise Leistungen der Behörden des Wohnstaates oder des früheren Beschäftigungsstaates in Anspruch nehmen kann (EuGHE 1986, 1837 = SozR 6050 Art 71 Nr 8). Diese Voraussetzungen sind im Falle der Klägerin jedoch nicht erfüllt, wenn sie erst nach dem 15. Dezember 1987 ihren Wohnsitz in die Niederlande verlegt hat; es fehlte dann die Grenzgängereigenschaft iS von Art 71 Abs 1 Buchst b EWGV 1408/71.

Nach Art 1 Buchst b EWGV 1408/71 ist „Grenzgänger” jeder Arbeitnehmer oder Selbständige, der seine Berufstätigkeit im Gebiet eines Mitgliedstaats ausübt und im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt, in das er in der Regel täglich, mindestens aber einmal wöchentlich zurückkehrt. Nach dieser Legaldefinition wäre die Klägerin keine Zeit Grenzgängerin gewesen, wenn bei ihr bis zur Aufgabe ihrer Beschäftigung Wohnsitz und Beschäftigungsort in der Bundesrepublik Deutschland zusammenfielen.

An dieser Rechtsfolge würde es nichts ändern, wenn die Klägerin unmittelbar nach dem Ende ihrer Beschäftigung zum Zwecke der Familienzusammenführung in die Niederlande übergesiedelt wäre. Wie der EuGH mit Urteil vom 22. September 1988 bereits entschieden hat, ist ein Arbeitnehmer, der während seiner letzten Beschäftigung seinen Wohnort in einen anderen Mitgliedstaat verlegt und nach dieser Verlegung nicht mehr in den Beschäftigungsstaat zurückkehrt, um dort seine Tätigkeit auszuüben, nicht als Grenzgänger iS von Art 1 Buchst b und Art 71 Abs 1 Buchst a EWGV 1408/71 anzusehen (EuGHE 1988, 5125 = SozR 6050 Art 71 Nr 10). Die Grenzgängereigenschaft ist dann erst recht zu verneinen, wenn der Wohnortwechsel nicht während, sondern erst nach dem Ende der letzten Beschäftigung erfolgt ist. Der Grund für die Wohnsitzverlegung ist nicht ausschlaggebend; maßgeblich kommt es allein auf die tatsächlichen Voraussetzungen des Art 1 Buchst b EWGV 1408/71 an – ob nämlich der Arbeitnehmer täglich, mindestens aber einmal wöchentlich in den Wohnstaat zurückkehrt. Hieran würde es im vorliegenden Fall fehlen.

Der Begriff „Grenzgänger” ist in gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung nicht dahingehend weiter zu entwickeln, daß darunter auch solche Personen zu verstehen sind, die sich in einem anderen als dem Wohnstaat um Arbeitsvermittlung und Aufnahme einer Beschäftigung bemühen, um dadurch später die tatsächlichen Voraussetzungen von Art 1 Buchst b EWGV 1408/71 zu erfüllen. Während Art 48 EWGVtr den Inhalt der Freizügigkeit für Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft regelt, wird Art 51 EWGVtr von der Zielsetzung bestimmt, daß die aufgrund der gewährten Freizügigkeit durchgeführten Wanderbewegungen von einem Mitgliedstaat in einen anderen nicht zum Verlust von Ansprüchen im Bereich der Sozialen Sicherheit führen dürfen. Diesem Ziel hat der Rat ua dadurch Rechnung getragen, daß er die EWGV 1408/71 erlassen hat. Damit wurde ein System eingeführt, das eine Schlechterstellung von Wanderarbeitnehmern auf dem Gebiet der Sozialen Sicherheit gegenüber Personen verhindert, die nur in einem Mitgliedstaat erwerbstätig waren (vgl Willms in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Handbuch des Europäischen Rechts, Stand Juni 1993, Art 51 RdNr 1 mwN). Unter Berücksichtigung dieser Zielsetzung ist es gemeinschaftsrechtlich nicht geboten, den Anwendungsbereich des Art 1 Buchst b EWGV 1408/71 dahingehend auszudehnen, daß er auch solche Personen erfaßt, die bislang nur in einem Mitgliedstaat beschäftigt waren und deren Bemühungen erstmals darauf gerichtet sind, in einem anderen Mitgliedstaat als dem Wohnstaat zu arbeiten. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Anwendung des Art 71 Abs 1 Buchst b EWGV 1408/71 ist somit das Auseinanderfallen von Wohnstaat und Beschäftigungsstaat, nicht jedoch die Tatsache der Arbeitsuche in einem anderen Mitgliedstaat.

Die Versagung von deutschem Alg in Fällen dieser Art würde schließlich weder eine nach Gemeinschaftsrecht unzulässige Diskriminierung darstellen noch gegen Verfassungsrecht verstoßen.

Das Diskriminierungsverbot des Art 7 Abs 1 EWGVtr, konkretisiert durch den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 48 Abs 2 EWGVtr, ist auf dem Gebiet der Sozialen Sicherheit durch Art 3 Abs 1 EWGV 1408/71 verfestigt worden. Danach haben Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die diese EG-Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit besondere Bestimmungen dieser Verordnung nichts anderes vorsehen. Die Klägerin unterfällt dem Geltungsbereich der EWGV 1408/71; sie würde jedoch nicht aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit, sondern allein wegen ihres Wohnsitzwechsels von den Leistungen der deutschen Arbeitslosenversicherung ausgeschlossen. Im übrigen würde Gleichbehandlung im vorliegenden Falle auch nur bedeuten, daß die Klägerin aufgrund ihres Wohnsitzes in den Niederlanden nicht anders als niederländische Staatsangehörige behandelt werden dürfte.

Verboten sind jedoch nicht nur solche Regelungen, die ausdrücklich an die Staatsangehörigkeit anknüpfen (offene Diskriminierung), sondern auch alle übrigen – indirekten – Formen der Diskriminierung. Für den Anwendungsbereich des Art 48 Abs 2 EWGVtr ist deshalb maßgeblich, ob eine bestimmte Regelung gerade die Benachteiligung von Ausländern bewirkt (EuGHE 1974, 153; 1988, 5391; EuGH SozR 6050 Art 73 Nr 9 – st Rspr; vgl auch Wölker in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, aaO Art 48 RdNr 13 mwN). Im vorliegenden Fall beruht der Umstand, daß die Klägerin bei „nachträglichem” Wohnsitzwechsel keine Leistungen der deutschen Arbeitsverwaltung beziehen kann, auf dem in § 30 Abs 1 SGB I normierten Wohnsitzgrundsatz; dieser gilt für deutsche und ausländische Arbeitnehmer gleichermaßen. Da die Klägerin jedoch deutsche Staatsangehörige ist und es vorliegend um einen Anspruch gegen einen deutschen Versicherungsträger geht, kann keine nach EG-Recht verbotene – versteckte – Diskriminierung vorliegen. Auch eine sog Inländerdiskriminierung (vgl dazu BSG SozR 3-4100 § 4 Nr 3 mwN) ist nicht gegeben, weil das Gemeinschaftsrecht hier eine Schlechterstellung der Klägerin im Vergleich zu Arbeitnehmern aus anderen Mitgliedstaaten der EG nicht bewirkt. Wäre die Klägerin zB französische oder britische Staatsangehörige, hätte sie bei identischem Sachverhalt ebenfalls keinen Anspruch gegen die Beklagte auf deutsches Alg.

In der Literatur ist allerdings wiederholt ausgeführt worden, es sei sozialpolitisch bedenklich und lasse sich kaum noch mit der Freizügigkeitsregelung des Art 48 EWGVtr vereinbaren, daß Arbeitnehmer wie die Klägerin – weiterhin unterstellt, sie habe ihren Wohnsitz erst nach Beendigung des deutschen Beschäftigungsverhältnisses in die Niederlande verlegt – ihrer Leistungsansprüche mit Ausnahme der Regelung in Art 69 EWGV 1408/71 verlustig gingen, wenn sie nach Beendigung ihrer Beschäftigung in einen anderen Wohnstaat wechselten (vgl Eichenhofer SGb 1983, 377 ≪384≫ und 1993, 87 ≪89≫; Lichtenberg, SGb 1989, 302 ≪304≫). Des weiteren ist eingewendet worden, daß der Leistungsexport bei Arbeitslosigkeit in Art 69 EWGV 1408/71 wegen seiner zahlreichen Einschränkungen sehr unbefriedigend geregelt sei (Willms in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann aaO Art 51 RdNr 106 ff); ein solcher Mitnahmeanspruch sei zudem in der Regel nur durch wahrheitswidriges Vortäuschen der Bereitschaft zur Fortsetzung der Inlandsbeschäftigung erreichbar (Hennig/Kühl/Heuer/Henke, Kommentar zum AFG, Stand Februar 1993, Anhang V, E4). Es mag dahingestellt bleiben, inwieweit diese Einwände berechtigt sind. Derartige sozialpolitische Erwägungen können jedenfalls keine Leistungsansprüche begründen, solange die hierfür maßgeblichen Rechtsnormen dies ausschließen.

In der Tatsache, daß bei entsprechendem Sachverhalt die Klägerin nach Gemeinschaftsrecht lediglich auf Ansprüche nach Art 69 EWGV 1408/71 verwiesen wäre, läge schließlich auch kein Verstoß gegen die Eigentumsgarantie.

Das Eigentumsrecht zählt zwar zu den Grundrechten, deren Schutz die Gemeinschaftsrechtsordnung – ausgehend von den gemeinsamen Verfassungskonzeptionen der Mitgliedstaaten und unter Berücksichtigung der internationalen Verträge über den Schutz der Menschenrechte – gewährleistet (EuGHE 1980, 1979 = SozR 6050 Art 69 Nr 6 mwN). Wie sich aus dem Achten Erwägungsgrund zur EWGV 1408/71 ergibt, stellt die Regelung des Art 69 EWGV 1408/71 eine Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz dar, daß die Leistungsansprüche bei einem Wohnstaatwechsel nach eingetretener Arbeitslosigkeit grundsätzlich erlöschen. Die Vorschrift beschränkt daher nicht Ansprüche nach dem AFG, sondern sie erweitert die Rechte arbeitsloser Arbeitnehmer, indem ihnen – für eine begrenzte Zeit – die Mitnahme ihrer Leistungsansprüche zur Arbeitsuche in einem anderen Mitgliedstaat ermöglicht wird (vgl EuGH aaO; BSG, Urteil vom 13. Mai 1981 – 7 RAr 110/78 – mwN ≪nicht veröffentlicht≫). Ein Verstoß gegen die Eigentumsgarantie läge deshalb nicht vor.

Sollte das LSG bei seinen weiteren Ermittlungen zu dem Ergebnis gelangen, daß die Klägerin ihren Wohnsitz schon vor dem 15. Dezember 1987 – dem Ende ihres deutschen Beschäftigungsverhältnisses – in die Niederlande verlegt und dort bereits ihren räumlichen und persönlichen Lebensmittelpunkt begründet hatte, so würde ihr nach Überzeugung des Senats ein Anspruch aus Art 71 Abs 1 Buchst b Ziffer i EWGV 1408/71 gegen die Beklagte zustehen, soweit auch alle sonstigen Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt sind; diese hat das LSG bislang – aus seiner Sicht folgerichtig – noch nicht vollständig festgestellt.

Wie der EuGH bereits mit Urteil vom 22. September 1988 entschieden hat, findet Art 71 Abs 1 Buchst b Ziffer i EWGV 1408/71 auf einen Arbeitnehmer Anwendung, der während seiner letzten Beschäftigung seinen Wohnort aus familiären Gründen in einen anderen Mitgliedstaat verlegt und nach dieser Verlegung nicht mehr in den Beschäftigungsstaat zurückkehrt, um dort seine Tätigkeit auszuüben. Zur Begründung hat der EuGH auf den Zweck des Art 71 EWGV 1408/71 hingewiesen, dem Wanderarbeitnehmer Leistungen bei Arbeitslosigkeit zu den Bedingungen zu garantieren, die für die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz am günstigsten sind (EuGHE 1988, 5125 = SozR 6050 Art 71 Nr 10). Im vorliegenden Fall – ein Wohnsitzwechsel vor dem 15. Dezember 1987 unterstellt – sucht die Klägerin allerdings keine Arbeit im neuen Wohnstaat, sondern im Staat der letzten Beschäftigung. Sollten ihre Vermittlungsaussichten aber tatsächlich – wie vom LSG noch ergänzend festzustellen wäre – in der Bundesrepublik Deutschland besser sein als in den Niederlanden, so wäre es nach Auffassung des Senats unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des Art 71 Abs 1 Buchst b EWGV 1408/71 folgerichtig, der Klägerin auch die dort gegebene Wahlmöglichkeit zu eröffnen und ihr einen Anspruch gegen den deutschen Versicherungsträger einzuräumen. Denn allein diese Interpretation entspräche der vom EuGH in der oa Entscheidung ausdrücklich genannten Zielsetzung des Art 71 EWGV 1408/71, Wanderarbeitnehmern Leistungen bei Arbeitslosigkeit zu den Bedingungen zu garantieren, die für die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz am günstigsten sind (EuGH aaO).

Allerdings besteht die stillschweigende Annahme, daß ein „echter Grenzgänger” im Wohnstaat, wo er Familie und Freunde hat und sich gesellschaftlich und politisch betätigt, grundsätzlich auch die günstigsten Voraussetzungen für die Arbeitsuche vorfindet (EuGHE 1986, 1837 = SozR 6050 Art 71 Nr 8). Dies gilt jedoch nicht bei bestimmten Arbeitnehmern, die weitaus engere Kontakte zum Staat der letzten Beschäftigung als zum Wohnstaat unterhalten und bei denen es sich in Wirklichkeit um „untypische Grenzgänger” handelt; solchen Arbeitnehmern muß es ermöglicht werden, sich auf Art 71 Abs 1 Buchst b Ziffer i EWGV 1408/71 berufen zu können (EuGH aaO). Im vorliegenden Falle wäre die Klägerin, geht man von einer Wohnsitzbegründung in den Niederlanden vor dem 15. Dezember 1987 aus, zwar nicht als Grenzgänger iS von Art 1 Buchst b EWGV 1408/71 anzusehen (EuGHE 1988, 5125 = SozR 6050 Art 71 Nr 10); sie wäre jedoch ebenso schutzwürdig wie ein vollarbeitsloser Arbeitnehmer, der zwar die Kriterien des Art 1 Buchst b EWGV 1408/71 erfüllt, ausnahmsweise aber im Staat der letzten Beschäftigung persönliche und berufliche Bindungen solcher Art beibehält, daß er in diesem Staat die besten Aussichten auf berufliche Wiedereingliederung hat.

Ob das LSG bei Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen selbst entscheiden kann, daß der Klägerin ein Anspruch auf Alg gegen die Beklagte nach Art 71 Abs 1 Buchst b Ziffer i EWGV 1408/71 zusteht, oder ob es die entscheidungserheblichen gemeinschaftsrechtlichen Fragen erst nach Vorabentscheidung des EuGH beantworten kann, hat der Senat nicht zu entscheiden. Nach Art 177 Abs 3 EWGVtr besteht eine Pflicht zur Vorlage allein für das letztinstanzlich entscheidende einzelstaatliche Gericht, allerdings nur dann, wenn Zweifel über die Auslegung des (für die Entscheidung erheblichen) Gemeinschaftsrechts bestehen und bislang noch keine Klärung durch die Rechtsprechung des EuGH herbeigeführt worden ist (BSG SozR 3-4100 § 4 Nr 3 mwN). Nicht die Pflicht, wohl aber das Recht zur Vorlage haben auch die Instanzgerichte. Das LSG wird deshalb zu erwägen haben, ob es die aufgeworfenen gemeinschaftsrechtlichen Fragen bereits anhand der bisherigen Rechtsprechung des EuGH eindeutig beantworten kann oder ob eine Vorlage an den EuGH angezeigt ist, um eine einheitliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu sichern.

Abschließend wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174520

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