Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 06.02.1991)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 6. Februar 1991 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Der klagende Kassenzahnarzt wendet sich gegen eine Honorarkürzung, die der RVO-Prüfungsausschuß bei der beigeladenen Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZÄV) wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise gegen ihn ausgesprochen hat. Der beklagte Beschwerdeausschuß wies den Widerspruch des Klägers zurück. Klage und Berufung blieben erfolglos. Bei der Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) hat als ehrenamtlicher Richter aus dem Kreis der Kassenzahnärzte der Hauptgeschäftsführer der beigeladenen KZÄV R. (im folgenden: R.) mitgewirkt, der nicht Zahnarzt, sondern Jurist ist. Das LSG hat sich als vorschriftsmäßig besetzt angesehen, weil § 17 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als Sondervorschrift für Geschäftsführer von Krankenkassen (KKen) und Kassenärztlichen Vereinigungen (KÄV) deren Bestellung zu ehrenamtlichen Richtern ohne weitere Einschränkung erlaube. R. sei auch nicht nach § 60 Abs 2 SGG von der Mitwirkung ausgeschlossen gewesen, weil er nicht an dem vorangegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt habe. Die bloße Beiladung der KZÄV schließe ihren Geschäftsführer als ehrenamtlichen Richter nicht aus, da die KZÄV nahezu an allen Rechtsstreitigkeiten als Beklagte oder Beigeladene beteiligt sei und ein Ausschluß des Geschäftsführers aus diesem Grunde die Sonderregelung für Geschäftsführer in § 17 Abs 4 SGG bedeutungslos werden ließe (Urteil des LSG vom 6. Februar 1991).

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger neben sachlich-rechtlichen Fehlern in erster Linie eine fehlerhafte Besetzung der Richterbank des Berufungsgerichts. § 17 Abs 4 SGG schließe nur Geschäftsführer von KKen und KÄVen nicht als ehrenamtliche Richter aus, entbinde aber nicht von den sonstigen Voraussetzungen für die Ausübung des Richteramts.

Der Kläger beantragt,

die angefochtenen Urteile zu ändern und die zugrundeliegenden Bescheide aufzuheben.

Der Beklagte und die Beigeladenen zu 3. und 4. stellen keinen Antrag. Die Beigeladenen zu 1., 2., 5., 6. und 7. beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist iS der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Vorinstanz begründet. Bei der Entscheidung hat R. als Richter mitgewirkt, obwohl er von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes (§ 41 Nr 4 Zivilprozeßordnung ≪ZPO≫) ausgeschlossen war. Es handelt sich um einen absoluten Revisionsgrund iS des § 551 Nr 1 ZPO iVm § 202 SGG, der zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führt, ohne daß zu prüfen ist, ob sich das Urteil aus anderen Gründen als richtig erweist. Der Auffassung des LSG, daß die gesetzliche Möglichkeit, R. zum ehrenamtlichen Richter zu berufen, die Anwendung des § 41 ZPO von vornherein ausschließe, da R. sonst in allen Verfahren ausgeschlossen sei, folgt der Senat nicht.

Der beisitzende Richter R. ist entgegen der Auffassung des LSG nicht rechtmäßig zum ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Kassenzahnärzte berufen worden, wie dies § 12 Abs 3 SGG vorschreibt, weil er kein Kassenzahnarzt ist. Daß er von der KZÄV für die Ernennung zum ehrenamtlichen Richter vorgeschlagen wurde, reicht nicht aus. Die Formulierung in § 12 Abs 3 SGG “aus den Kreisen der Kassenzahnärzte” meint ausschließlich zugelassene Kassenzahnärzte und umfaßt nicht auch von Kassenzahnärzten beauftragte Dritte. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Der dem heutigen § 12 Abs 3 SGG entsprechende § 11 Abs 3 des Entwurfes eines Sozialgerichtsgesetzes vom 25. März 1953 (BT-Drucksache 4225 S 3) lautete:

“In der Kassenarztkammer wirken in Angelegenheiten, welche die Zulassung betreffen, je ein Sozialrichter aus den Kreisen der Krankenkassen und der Mitglieder der kassenärztlichen (kassenzahnärztlichen) Vereinigung, in den sonstigen Streitigkeiten aus dem Kassenarztrecht wirken als Sozialrichter nur Kassenärzte (Kassenzahnärzte) mit. Bei Streitigkeiten, welche die Beteiligung eines Krankenhausarztes zum Gegenstand haben, tritt an die Stelle des Kassenarztes (Kassenzahnarztes) ein Krankenhausarzt als Sozialrichter.”

Als Begründung ist in dem Gesetzentwurf angeführt: “Für die besonderen Kammern, die Streitigkeiten aus dem Kassenarztrecht zu entscheiden haben, wird sichergestellt, daß als Sozialrichter Personen mitwirken, die mit den schwierigen Rechtsvorschriften und tatsächlichen Gegebenheiten vertraut sind.”

Daraus geht hervor, daß als Sozialrichter in kassenzahnärztlichen Angelegenheiten nur Kassenzahnärzte ins Auge gefaßt waren, da nur sie Mitglieder der kassenzahnärztlichen Vereinigung sein können. Aus dem Gesetzentwurf läßt sich weiterhin entnehmen, daß in § 12 Abs 3 Satz 1 SGG mit der Formulierung (“aus den Kreisen der Kassenärzte ≪Kassenzahnärzte≫” derselbe Personenkreis gemeint ist, wie im nachfolgenden Satz 2 mit der Formulierung “Kassenärzte ≪Kassenzahnärzte≫”). Während des Gesetzgebungsverfahrens ist nur streitig gewesen, ob Krankenhausärzte gesondert zu beteiligen sind und ob überhaupt nur mit Kassenärzten (Kassenzahnärzten) besetzte Kammern gebildet werden sollten. Die Frage, ob neben Kassenärzten (Kassenzahnärzten) auch andere Personen ehrenamtliche Richter in Kassenarztkammern sein können, hat hingegen keine Rolle gespielt. Daß es in § 12 Abs 3 Satz 1 SGG in der zum Gesetz gewordenen Fassung nunmehr nur noch heißt “aus den Kreisen der Kassenärzte (Kassenzahnärzte)” und nicht mehr “aus den Kreisen der Mitglieder der kassenärztlichen (kassenzahnärztlichen) Vereinigung” kann nur als sprachliche Überarbeitung des Textes angesehen werden, die keine inhaltliche Änderung bewirken sollte. Daraus folgt, daß als ehrenamtliche Richter aus den Kreisen der Kassenzahnärzte nur Kassenzahnärzte berufen werden können und daß ein ehrenamtlicher Richter seines Amts zu entheben ist, wenn er die Zulassung als Kassenzahnarzt verliert (so ständige Praxis des für Amtsenthebungsverfahren nach § 22 SGG zuständigen 1. Senats des Bundessozialgerichts (BSG), vgl Beschlüsse vom 11. März 1992 – 1 S 1/92 – und vom 17. August 1992 – 1 S 9/92 –).

Entgegen der Rechtsauffassung der Berufungsinstanz erlaubt auch die Sondervorschrift des § 17 Abs 4 SGG nicht die Berufung von Nichtkassenzahnärzten zu ehrenamtlichen Richtern, wenn sie Geschäftsführer von KZÄVen sind. Diese Vorschrift ist nur als Ausnahme von den voranstehenden Ausschließungsgründen des § 17 Abs 2 und Abs 3 SGG zu verstehen. Hiernach ist ein Kassen(zahn)arzt, der zugleich Geschäftsführer einer K(Z)ÄV ist, in den Fällen des § 17 Abs 2 und 3 SGG nicht ausgeschlossen. Die Vorschrift erweitert aber nicht den Bereich der den zahnärztlichen Berufsstand repräsentierenden ehrenamtlichen Richter über den Kreis der Kassenzahnärzte hinaus allgemein auf die Geschäftsführer von KZÄVen. Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Norm: Danach sind Geschäftsführer (oder deren Stellvertreter) der KZÄVen als ehrenamtliche Richter in den Kammern für Angelegenheiten des Kassenzahnarztrechts nur “nicht ausgeschlossen”, also nicht ausdrücklich und ohne weitere Einschränkung zugelassen. Diese Auslegung wird durch die Entstehungsgeschichte der Norm bestätigt. § 17 Abs 4 SGG ist durch das Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Zweiten Buches der RVO und zur Ergänzung des SGG (Gesetz über Kassenarztrecht) vom 17. August 1955 (BGBl I S 513) eingefügt worden, um den Streit darüber zu beenden, ob Geschäftsführer unter die Ausschließungstatbestände des § 17 Abs 2 SGG (Vorstandsmitglieder) oder des § 17 Abs 3 SGG (Bedienstete) fallen oder nicht (vgl Rohwer-Kahlmann, Geschäftsführer von Krankenkassen als Sozialrichter, DOK 1955, 476 ff; Hessisches LSG, SGb 1955, 106 mit Anmerkung Sautter; Hess/Venter, Handbuch des Kassenarztrechts, Bd 1 Art 2 Anm IV 1; Bley in Peters/Sautter/Wolff, Komm zur Sozialgerichtsbarkeit, § 17 RdNr 19). Der Gesetzgeber wollte wenigstens in den Kammern und Senaten für Angelegenheiten des Kassenarztrechts Geschäftsführer von KKen bzw deren Verbänden und der KÄVen im Hinblick auf ihre besondere Sachkenntnis ohne Rücksicht auf darauf beruhende mögliche Interessenkollisionen nicht vom Amt des ehrenamtlichen Richters ausschließen (vgl Bley in Peters/Sautter/Wolff, § 17 RdNr 12). Dafür, daß er bei Geschäftsführern von KÄVen auch von dem Erfordernis der Kassenarztzulassung absehen wollte, gibt die Entstehungsgeschichte nichts her.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist eine andere Auslegung des § 17 Abs 4 SGG auch nicht deshalb geboten, weil andernfalls die Vorschrift “leerlaufen” würde. Dieses Argument zielt darauf ab, daß bei einer engen Auslegung die Vorschrift weitgehend ihre praktische Bedeutung verlieren und der gesetzgeberische Zweck damit verfehlt würde. Das ist indessen nicht der Fall. Die Vorschrift behält in jedem Fall ihre uneingeschränkte Bedeutung für Geschäftsführer von KKen und deren Verbänden. Sie behält auch Bedeutung für solche Geschäftsführer von KÄVen, die selbst als Kassenärzte zugelassen sind. Daß es solche nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in seinem Zuständigkeitsbereich nicht gibt, schließt nicht aus, daß sie jedenfalls im gesamten Geltungsbereich des Gesetzes vorkommen, was bei der Auslegung der Norm allein maßgeblich sein könnte. Näherer Feststellungen dazu bedarf es nicht. Selbst wenn sich im gesamten Bundesgebiet solche Geschäftsführer nicht oder nicht mehr finden ließen, würde dies nur bedeuten, daß ein faktischer Anwendungsbereich der Norm für ehrenamtliche Richter aus dem Kreis der Kassenärzte gegenwärtig nicht gegeben ist. Das schließt nicht aus, daß dies früher der Fall war und künftig wieder der Fall sein könnte. Das gegenwärtige Fehlen der praktischen Relevanz der Vorschrift in einem Teilbereich, dem der Kassenärzte, kann nicht dazu führen, den Anwendungsbereich der Norm durch erweiternde Auslegung auch auf solche Personen zu erstrecken, die – soweit erkennbar -der Gesetzgeber bei der Schaffung der Norm nicht im Auge gehabt hat. Wenn das Gesetz die Berufung ehemaliger Kassen(zahn)ärzte trotz fortbestehender Sachkunde nicht zuläßt, kann nicht angenommen werden, daß ein Geschäftsführer auch beim Fehlen jeglicher ärztlicher Fachkunde zugelassen werden sollte. Vergleichsweise ist eher anzunehmen, daß sich der Gesetzgeber über den Anwendungsbereich der Regelung irrte, als daß er Nichtmedizinern die Berufung zum ehrenamtlichen Richter aus dem Kreis der Kassen(zahn)ärzte ermöglichen wollte.

Die fehlerhafte Berufung von R. zum ehrenamtlichen Richter muß aber nicht zwangsläufig zur Folge haben, daß das Berufungsgericht nicht vorschriftsmäßig besetzt iS von § 551 Nr 1 ZPO gewesen ist, solange ein Amtsenthebungsverfahren nach § 22 SGG nicht durchgeführt worden ist. In der bisherigen Rechtsprechung des BSG ist allerdings stets angenommen worden, daß der Beschluß über die Amtsenthebung in solchen Fällen lediglich deklaratorische Bedeutung habe, sodaß die ordnungsgemäße Besetzung des Spruchkörpers vom jeweils erkennenden Gericht eigenständig zu prüfen ist und in der Rechtsmittelinstanz überprüft werden kann (vgl BSGE 4, 242; SozR Nr 9 zu § 33 SGG; BSGE 23, 26 = SozR Nr 2 zu § 16 SGG; BSGE 23, 105, 106; BSGE 59, 4 = SozR 1500 § 22 Nr 1; SozR 1500 § 14 Nr 2; SozR 1500 § 45 Nr 2). Dagegen werden im Schrifttum beachtliche Bedenken erhoben (vgl Scherer, SGb 1977, 290; Schieckel, SGb 1965, 410; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand April 1981, S 18w II; Bley in Peters/Sautter/Wolff, § 22 RdNr 15). Der 1. Senat des BSG hat in Abkehr von der früheren Rechtsprechung nunmehr entschieden, daß jedenfalls für nachträglich eintretende Ausschließungsgründe der Beschluß über die Amtsenthebung konstitutive Bedeutung habe, der ehrenamtliche Richter also bis dahin rechtmäßig sein Amt ausübe und zur richterlichen Tätigkeit heranzuziehen sei (Beschluß vom 18. August 1992 – 1 S 8/92 zur Veröffentlichung vorgesehen). Ob dies auch für Fälle – wie dem vorliegenden – einer fehlerhaften Berufung des ehrenamtlichen Richters zu gelten habe, ist offengelassen worden. Auch der erkennende Senat ist nicht genötigt, die Frage abschließend zu entscheiden. Denn das Berufungsgericht war jedenfalls deshalb nicht ordnungsgemäß besetzt, weil R. als Prozeßbevollmächtigter einer Partei gemäß § 41 Nr 4 ZPO iVm § 60 Abs 1 SGG im vorliegenden Verfahren vom Richteramt ausgeschlossen war.

Die KZÄV, deren Prozeßbevollmächtigter R. war, ist als Beigeladene Partei iS des § 41 ZPO. Das BSG hat bereits entschieden, daß der Geschäftsführer einer beigeladenen KK vom Richteramt ausgeschlossen ist, selbst wenn er am vorangegangenen Verwaltungsverfahren nicht mitgewirkt hat, sofern es sich um ein laufendes Verwaltungsgeschäft der KK gehandelt hat (BSGE 40, 130 = SozR 1750 § 41 Nr 1). Es hat aus den seinerzeit geltenden Vorschriften des Selbstverwaltungsgesetzes (jetzt ersetzt durch die §§ 31 ff Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – ≪SGB IV≫) hergeleitet, daß der Geschäftsführer einer KK im Rahmen der laufenden Verwaltungsgeschäfte kraft Gesetzes befugt ist, den Versicherungsträger gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten. Demzufolge hat der seinerzeit erkennende Senat den Ausschließungsgrund des § 41 Nr 4 ZPO iVm § 60 Abs 1 SGG, daß der Geschäftsführer als gesetzlicher Vertreter einer Partei aufzutreten berechtigt oder berechtigt gewesen ist, bejaht. Er hat dazu ausgeführt, der Begriff “Partei” iS des § 41 Nr 4 ZPO erfasse sinngemäß im sozialgerichtlichen Verfahren auch einen Beigeladenen, und das sog Geschäftsführerprivileg des § 17 Abs 4 SGG entbinde nicht von der Prüfung, ob im Einzelfall besondere Beziehungen vorliegen, die zum Ausschluß des Geschäftsführers als ehrenamtlicher Richter führen.

Der Geschäftsführer einer KZÄV ist allerdings im Unterschied zum Geschäftsführer einer KK, der nach § 31 Abs 1 Satz 2 SGB IV Mitglied des Vorstands sein muß und bei laufenden Geschäften der Verwaltung nach § 36 Abs 1 SGB IV die Krankenkasse gerichtlich und außergerichtlich vertritt, nicht als gesetzlicher Vertreter seiner Anstellungskörperschaft anzusehen. Als Organe einer KÄV (und damit auch einer KZÄV, vgl § 72 Abs 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch – ≪SGB V≫) sind in § 79 Abs 1 SGB V nur die Vertreterversammlung und der Vorstand aufgeführt. Nach § 77 Abs 6 SGB V werden die KÄVen durch ihre Vorstände oder einzelne Vorstandsmitglieder gerichtlich und außergerichtlich vertreten, wobei das Nähere die Satzung bestimmt. In der Satzung (§ 12) der beigeladenen KZÄV wird der Hauptgeschäftsführer erwähnt, ihm aber keine Vertretungsbefugnis eingeräumt. Der Hauptgeschäftsführer ist danach Leiter der Geschäftsstelle, die die laufenden Geschäfte der Verwaltung nach Weisung des Vorstandes erledigt. Der Aufgabenbereich und die Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer bzw des Hauptgeschäftsführers beruhen allein auf einer Dienstanweisung des Vorstandes, die dem Hauptgeschäftsführer ua das Recht zur Vertretung der KZÄV vor Gerichten einräumt. Die Befugnis des Hautpgeschäftsführers, die KZÄV gerichtlich zu vertreten, folgt damit nicht aus einer gesetzlichen oder satzungsmäßigen Vertretungsmacht, sondern aus einer durch Rechtsgeschäft des Vorstandes eingeräumten Prozeßvollmacht. Nach bürgerlichem Recht (§ 167 Bürgerliches Gesetzbuch ≪BGB≫) reicht es aus, daß die Erteilung der Vollmacht gegenüber dem Bevollmächtigten erklärt wird. Soweit im sozialgerichtlichen Verfahren abweichend vom Zivilprozeß (vgl dort § 80 ZPO; dazu Hartmann in Baumbach/Lauterbach, ZPO, 47. Aufl, § 80 Anm D; Thomas/Putzo, ZPO, 13. Aufl, § 80 Anm 1) nicht nur zum Nachweis, sondern zur Wirksamkeit der Prozeßvollmacht die Schriftform verlangt wird (§ 73 Abs 2 SGG; dazu Hennig/Danckwerts/König, SGG § 73 Anm 3.2), ist dieser Form dadurch genügt, daß die Dienstanweisung als Vorstandsbeschluß protokolliert und unterschrieben worden ist. Es kann damit offenbleiben, ob für R. auch bei den Gerichten eine formgültige Vollmacht hinterlegt war.

Aufgrund der Dienstanweisung war der ehrenamtliche Richter R. berechtigt, auch im vorliegenden Verfahren als Prozeßbevollmächtigter der beigeladenen KZÄV aufzutreten, weil es sich um einen Honorarkürzungsstreit und damit um ein Geschäft der laufenden Verwaltung gehandelt hat. Unerheblich ist, daß er davon keinen Gebrauch gemacht hat. Wenn nach dem Wortlaut des § 41 Nr 4 ZPO der Prozeßbevollmächtigte “bestellt” sein oder gewesen sein muß, während es für den gesetzlichen Vertreter heißt, daß er aufzutreten berechtigt sein oder gewesen sein muß, liegt darin kein sachlicher Unterschied. Aus dem abweichenden Wortlaut folgt nicht, daß der Prozeßbevollmächtigte als solcher dem Gericht gegenüber aufgetreten sein muß. Nach der einhelligen Rechtsprechung und dem Schrifttum wird zwischen dem gewillkürten und dem gesetzlichen Vertreter im Hinblick auf den Ausschluß vom Richteramt kein Unterschied gemacht (vgl RGZ 152, 9, 11; BSG, Urteil vom 10. Oktober 1963 – 10 RV 31/63 – BVBl 1964, 83; BSG, Urteil vom 22. Juni 1966 – 8 RV 727/65 –; Stein-Jonas, ZPO, 20. Aufl 1984, § 41 RdNr 14; Hartmann in Baumbach/Lauterbach, § 41 Anm 2 D; im Ergebnis auch Wieczorek ZPO, 2. Aufl 1976, § 41 Anm C IId 2). Es ist auch kein überzeugender Grund erkennbar, weshalb der gesetzliche Vertreter in weiterem Umfange als der gewillkürte Vertreter an der Ausübung des Richteramtes gehindert werden sollte. Der gesetzliche Ausschließungsgrund beruht auf dem Grundgedanken, daß eine unvoreingenommene, unparteiliche Entscheidung des Rechtsstreits nicht mehr erwartet werden kann, wenn der Richter selbst berechtigt und verpflichtet ist oder gewesen ist, die Interessen einer am Rechtsstreit beteiligten Partei wahrzunehmen. Die Grundlage für diesen Interessenkonflikt, ob gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher Auftrag, ist dafür ohne Bedeutung. Im Hinblick auf den Umfang der Vertretungsmacht ist ebenfalls kein Unterschied zu machen, wenn die Prozeßvollmacht – wie hier – unbeschränkt erteilt worden ist und wie eine gesetzliche Vertretungsmacht die Befugnis verleiht, in der betreffenden Angelegenheit die Interessen des Auftraggebers umfassend zu vertreten (vgl §§ 81, 84 ZPO).

Wie vom BSG im bereits erwähnten Falle eines Geschäftsführers einer Krankenkasse entschieden (BSGE 40, 130), besteht auch bei einem Geschäftsführer einer KZÄV keine Möglichkeit, von dem besonderen Ausschließungsgrund des § 41 Nr 4 ZPO im Hinblick auf das sog Geschäftsführerprivileg des § 17 Abs 4 SGG abzusehen. Wie oben ausgeführt, hat der Gesetzgeber bei der Schaffung der Vorschrift wohl die allgemeine Interessengebundenheit der Geschäftsführer, die aus ihrer beruflichen Stellung herrührt, in Kauf genommen, um deren besonderen Kenntnisse in Kassenarztangelegenheiten nutzen zu können. Das bedeutet aber nicht, daß damit auch über solche Interessenkonflikte hinweggesehen werden sollte, die sich aus der Nähe zu einem unmittelbar am Verfahren Beteiligten ergeben. Schon weil das verfassungsrechtliche Gebot des neutralen und unabhängigen Richters (Art 20 Abs 2 und Art 97 Abs 1 Grundgesetz) berührt wird, ist eine enge Auslegung der Vorschrift geboten (vgl BSG GS 12, 237, 238 = SozR Nr 10 zu § 12 SGG).

Demzufolge kann auch in diesem Zusammenhang die Erwägung des Berufungsgerichts, daß bei einer engen Auslegung § 17 Abs 4 SGG “leerlaufe”, weil an nahezu allen Streitigkeiten in Kassenarztangelegenheiten die beigeladene KZÄV in irgendeiner Form beteiligt sei, nicht durchschlagen. Im übrigen gilt auch hier, daß für die Auslegung einer bundesweit geltenden Rechtsnorm nicht allein die tatsächlichen Gegebenheiten im Zuständigkeitsbereich des Berufungsgerichtes entscheidend sein können.

Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung des Rechtsstreits wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

BSGE, 97

NJW 1993, 2070

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