Leitsatz (redaktionell)

Prozeßbevollmächtigter iS des ZPO § 41 Nr 4 ist jeder prozessuale Bevollmächtigte, ohne daß es darauf ankommt, ob der Bevollmächtigte als solcher im Verfahren tätig geworden ist (SozR ZPO § 41 Nr 5). Er ist von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetz ausgeschlossen (so auch BSG 1963-10-10 10 RV 31/63 = BVBl 1964, 83).

Hat er dennoch an einer Entscheidung mitgewirkt, war das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt (ZPO § 551 Nr 3). Die vorschriftsmäßige Besetzung gehört zu den sogenannten unverzichtbaren Prozeßvoraussetzungen, zu den sogenannten absoluten Revisionsgründen.

 

Normenkette

SGG § 202 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 41 Nr. 4, § 551 Nr. 3

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerinnen wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 10. Juni 1965 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Gründe

Die Klägerinnen streiten als Miterben je zur Hälfte um die Beschädigtenrente des verstorbenen Ehemannes und Vaters, der über den Bezug einer Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v. H. hinaus höhere Beschädigtenrente erstrebte, aber am 9. April 1959 verstorben ist. Vor dem Sozialgericht (SG) war der Beschädigte ua durch den Vorsitzenden des Bundes der Hirnverletzten Heinz R laut Prozeßvollmacht vom 31. Juli 1957 vertreten. Nach dem Tode des Beschädigten haben die Erben das Streitverfahren fortgesetzt. Der bisherige Prozeßbevollmächtigte Heinz R hat laut Prozeßvollmacht vom 14. Mai 1959 die Klägerinnen wiederum vor dem SG vertreten. Das SG sprach den Klägerinnen mit Urteil vom 4. Januar 1963 Versorgung nach einer MdE um 50 v. H. vom 1. Juli 1950 bis zum 30. April 1959 zu. Im Berufungsverfahren wurde die Witwe des Beschädigten nicht mehr von dem Prozeßbevollmächtigten R vertreten, sondern von anderen Vertretern (Prozeßvollmachten vom 4. Juni 1963, 24. Juni 1964 und 10. Juni 1965). Die Tochter des Beschädigten legte während des Berufungsverfahrens keine neue Prozeßvollmacht vor. Das Landessozialgericht (LSG) hob mit Urteil vom 10. Juni 1965 das erstinstanzliche Urteil auf und wies die Klage ab. Unter den ehrenamtlichen Richtern (Landessozialrichtern) wirkte laut Niederschrift zur Sitzung vom 10. Juni 1965 und nach dem Kopf des Urteils der Rentner Heinz R mit.

Mit der nicht zugelassenen Revision rügen die Klägerinnen eine vorschriftswidrige Besetzung des LSG, weil der Prozeßbevollmächtigte der ersten Instanz, der damalige Bundesvorsitzende Heinz R, als Landessozialrichter in der gleichen Sache mitgewirkt hat. Jeder, der früher als Prozeßbevollmächtigter zur Vertretung befugt war, auch wenn die Vollmacht für mehrere Vertreter erteilt war, sei von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen (§ 60 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -; § 41 Nr. 4 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Die fehlerhafte Besetzung des LSG könne auch noch in der Revisionsinstanz gerügt werden, weil die vorschriftsgemäße Besetzung zu den unverzichtbaren Prozeßvoraussetzungen gehöre.

Die Klägerinnen beantragten,

in Abänderung des angefochtenen Urteils die Berufung gegen das Urteil des SG Berlin vom 4. Januar 1963 als unbegründet zurückzuweisen,

hilfsweise,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Berlin zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragte, die Revision zurückzuweisen.

Die nicht zugelassene Revision ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 162, 164 SGG). Sie ist auch statthaft und begründet; denn mit ihr wird ein Verfahrensmangel mit Erfolg gerügt, welcher die Revision statthaft macht. Die Begründetheit ergibt sich aus der Prozeßgeschichte und ist durch den Akteninhalt erweislich.

Nach § 60 Abs. 1 SGG gelten für die Ausschließung von Gerichtspersonen ua die §§ 41 bis 44 ZPO entsprechend. Nach § 41 Nr. 4 ZPO ist ein Richter von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen in Sachen, in denen er als Prozeßbevollmächtigter einer Partei aufzutreten berechtigt ist oder gewesen ist.

Prozeßbevollmächtigter im Sinne des § 41 Nr. 4 ZPO ist jeder prozessuale Bevollmächtigte, ohne daß es darauf ankommt, ob der Bevollmächtigte als solcher im Verfahren tätig geworden ist (SozR ZPO § 41 Nr. 5). Er ist von der Ausübung des Richteramts, auch eines ehrenamtlichen Richteramts als Landessozialrichter, kraft Gesetz ausgeschlossen (ebenso BSG vom 10.10.1963 - 10 RV 31/63 in BVersorgBl. 1964, 83 Nr. 15).

Die Klägerinnen haben in dem Streit um die Beschädigtenrente des verstorbenen Ehemannes bzw. Vaters ua dem damaligen Bundesvorsitzenden R am 14. Mai 1959 Prozeßvollmacht erteilt. Der Landessozialrichter Heinz R, der mit dem Prozeßbevollmächtigten Heinz R identisch ist, war ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 10. Juni 1965 mitentscheidender Richter, als im zweiten Rechtszug der Rechtsstreit um die fragliche Beschädigtenrente verhandelt und entschieden wurde. Der Landessozialrichter R war daher von der Mitwirkung bei der Entscheidung über die Beschädigtenrente (in eadem re) ausgeschlossen.

Die Klägerinnen haben das Recht, diesen Mangel zu rügen, nicht etwa verloren, weil ihnen oder ihrem Prozeßbevollmächtigten, der nach der Sitzungsniederschrift ebenfalls erschienen war, nicht entgangen sein konnte, daß sich unter den Landessozialrichtern ihr früherer Bevollmächtigter befand. Die fehlerhafte Besetzung des LSG kann in jedem Fall noch im Revisionsverfahren gerügt werden, da die vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts zu den sogenannten unverzichtbaren Prozeßvoraussetzungen gehört (vgl. Baumbach/Lauterbach, ZPO, 28. Aufl., 3 A und B zu § 295 ZPO). Wird der Mangel einer solchen Voraussetzung gerügt, so wird die Revision auch dann statthaft, wenn er schon im Berufungsverfahren hätte geltend gemacht werden können.

Da die Rüge der vorschriftswidrigen Besetzung des Gerichts in der gesetzlich gebotenen Form erhoben (§§ 164, 166 SGG) und gerechtfertigt ist, ist die Revision schon aus diesem Grunde nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft. Die Revision ist auch begründet. Die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des erkennenden Gerichts gehört zu den sogenannten absoluten Revisionsgründen im Sinne von § 551 ZPO, die auch im sozialgerichtlichen Verfahren zu beachten sind (§ 202 SGG; BSG 5, 176 ff.). Sie begründen eine unwiderlegbare Vermutung dafür, daß das angefochtene Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruht. Auf die Revision der Klägerinnen war daher das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kostenausspruch bleibt der dem Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten (§ 193 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2387457

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