Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitgeber. Schadensersatzpflicht. Verletzung der Auskunftspflicht. Indienstnahme der Arbeitgeber. positive Forderungsverletzung. positive Vertragsverletzung. Zeugenpflicht. Schutzgesetz. Ordnungswidrigkeit
Leitsatz (amtlich)
Zu der Frage, ob der Arbeitgeber bei Verletzung der Auskunftspflicht nach § 98 Abs 1 S 1 SGB X schadensersatzpflichtig ist.
Normenkette
GVG § 17a Abs. 5; SGB X §§ 98-99, 20-21; AFG § 145; BGB §§ 276, 823 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 25. Februar 1992 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat dem Beklagten auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob der Beklagte der Klägerin wegen Verletzung der Auskunftspflicht schadensersatzpflichtig ist.
Die Klägerin gewährte dem Beigeladenen Kinderzulage für Schwerverletzte aus der gesetzlichen Unfallversicherung ua für seine volljährige Tochter Helga G.… Diese war bei dem Beklagten, einer Stiftung des privaten Rechts, seit 1. September 1984 zur Ausbildung beschäftigt. Auf eine Anfrage der Klägerin vom 4. August 1986 wegen der Höhe der Ausbildungsvergütung der Helga G.… ab September 1986 teilte der Beklagte mit Schreiben vom 11. August 1986 den laufenden Bezug mit. Dabei blieb eine ab September 1986 wirksame Tariferhöhung unberücksichtigt. Tatsächlich erhielt Helga G.… seit September 1986 Bezüge, deren Höhe (mit 755,00 DM) den Anspruch des Beigeladenen ausschloß.
Als die Klägerin dies erfuhr, stellte sie den Wegfall der Kinderzulage fest und machte die eingetretene Überzahlung in Höhe von 1.365,24 DM beim Beklagten als Schadensersatz geltend. Eine Rückforderung vom Beigeladenen hielt sie aus Rechtsgründen für aussichtslos.
Auf die Weigerung des Beklagten hin hat die Klägerin vor dem Amtsgericht (AG) Klage erhoben, die sie auf § 823 Abs 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) iVm § 98 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) gestützt hat. Das AG hat den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht (SG) Lübeck verwiesen (Urteile des AG Bad Segeberg vom 29. Juli 1988 und des Landgerichts Kiel vom 24. Februar 1989).
Klage und Berufung der Klägerin sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des SG Lübeck vom 11. Oktober 1990; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Schleswig-Holstein vom 25. Februar 1992).
Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt, der Beklagte sei als Arbeitgeber der Helga G.… nach § 98 SGB X zur Auskunft über die Höhe ihres Arbeitsentgelts verpflichtet gewesen und habe diese Auskunft fahrlässig falsch erteilt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt bei der Bearbeitung behördlicher Anfragen außer Acht gelassen habe. Gleichwohl sei der eingetretene Schaden nicht zu ersetzen, weil es hierfür an einer Anspruchsgrundlage fehle. In Betracht komme eine analoge Anwendung des § 823 Abs 2 BGB sowie der im Zivilrecht entwickelten Grundsätze über die positive Folgerungsverletzung und schließlich eine analoge Anwendung des § 145 Nr 2 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG). Auf diese Rechtsvorschriften oder Rechtsgrundsätze könne jedoch nicht zurückgegriffen werden, weil sich eine Analogie verbiete; eine planwidrige Lücke im Gesetz liege nicht vor. Aus der Vorschrift des § 145 Nr 2 AFG folge im Umkehrschluß, daß der Gesetzgeber in den übrigen Sozialversicherungszweigen keine Schadensersatzpflichten habe einführen wollen. Er habe mehrfach einschlägige Vorschriften geändert, ua auch § 98 SGB X, ohne dabei Schadensersatzpflichten gesetzlich zu begründen. Auskunfts- und Schadensersatzpflichten seien trennbar. Sei schon eine analoge Anwendung des § 823 Abs 2 BGB ausgeschlossen, komme auch eine direkte Anwendung des § 823 Abs 2 BGB iVm § 98 des SGB X nicht in Betracht.
Die Klägerin hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Sie rügt die unrichtige Anwendung des § 823 Abs 2 BGB iVm § 98 SGB X sowie der Grundsätze über die Haftung aus positiver Vertragsverletzung im Rahmen eines sozialrechtlichen Schuldverhältnisses.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Schleswig-Holstein vom 25. Februar 1992 und des Sozialgerichts Lübeck vom 11. Oktober 1990 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.365,24 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 29. Januar 1988 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Der Senat konnte in der Sache entscheiden, weil der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit von den Vorinstanzen im Ergebnis zutreffend bejaht worden ist. Dies war vom Revisionsgericht – ungeachtet des § 17a Abs 5 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) idF des Gesetzes zur Neuregelung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vom 17. Dezember 1990 (BGBl, 2809) – noch zu prüfen, weil diese Regelung in Rechtsstreitigkeiten, in denen – wie hier – der erste Rechtszug vor dem 1. Januar 1991 abgeschlossen war, noch nicht anzuwenden ist (Urteil des 3. Senats des Bundessozialgerichts ≪BSG≫ vom 30. März 1993 – 3 RK 1/93 – SozR 3-1720 § 17a Nr 2). Der Rechtsstreit ist durch rechtskräftiges Urteil des AG an das SG Lübeck verwiesen worden. Dieses war damit in der Rechtswegfrage gebunden, dh an einer Rückverweisung gehindert, allerdings nicht an einer Weiterverweisung des Rechtsstreits an das zuständige Gericht eines dritten Rechtszugs (vgl § 52 Abs 2, 3 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫ aF). Indessen kommt eine Weiterverweisung schon deshalb nicht in Betracht, weil der geltend gemachte Schadensersatzanspruch in der behaupteten Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten in Angelegenheiten der Sozialversicherung wurzelt, mithin ein dritter Rechtsweg jedenfalls ausscheidet (vgl zur Rechtswegfrage bei Schadensersatzansprüchen sozialrechtlicher Prägung BSGE 66, 176, 180 f = SozR 3-4100 § 155 Nr 1; BGHZ 103, 255, 256 f).
Berufungsausschließungsgründe der hier noch anzuwendenden, bis zum 28. Februar 1993 gültig gewesenen §§ 144 bis 150 SGG aF liegen nicht vor; § 144 Abs 1 SGG aF gilt nicht für Zahlungs- bzw Schadensersatzansprüche der öffentlichen Hand gegen den einzelnen (BSG SozR 3-4100 § 145 Nrn 2 und 3 mwN). Eine entsprechende Anwendung des § 149 SGG aF (Rückerstattung von Leistungen) kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der Beschwerdewert über 1.000,00 DM liegt. Der Klage mangelt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis; die Klägerin durfte ihre Forderung im Wege der Leistungsklage geltend machen. Ob Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung von Auskunftspflichten durch “in Dienst genommene” Arbeitgeber durch Verwaltungsakt zu verfolgen sind (str, vgl dazu BSGE 66, 176, 181 = SozR 3-4100 § 155 Nr 1), kann der Senat offenlassen. Jedenfalls kann das Rechtsschutzbedürfnis für eine Leistungsklage vorliegend nicht verneint werden, weil die Klägerin im Hinblick auf die vorliegende Rechtsprechung des BSG und die divergierende Rechtsprechung der Instanzgerichte nicht sicher damit rechnen konnte, daß die Geltendmachung durch Verwaltungsakt der rechtlichen Nachprüfung standhalten werde (vgl dazu BSG aaO; BSGE 66, 188, 190 = SozR 3-4100 § 145 Nr 1).
Das LSG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß der Klägerin ein Schadensersatzanspruch nicht zusteht. Dabei kann der Senat offenlassen, ob die Klägerin ihr Auskunftsersuchen zu Recht auf § 98 SGB X gestützt hat bzw ob diese Regelung überhaupt eine Auskunftspflicht des Beklagten begründet hat. Ist dies nicht der Fall, kommt eine Haftung für die Richtigkeit der – gleichwohl erteilten – Auskunft mangels einer Haftungsgrundlage ohnehin nicht in Betracht (vgl auch BSGE 64, 233 = SozR 4100 § 145 Nr 4). Wäre hingegen der Beklagte nach § 98 SGB X zur Erteilung der Auskunft verpflichtet gewesen, fehlt es hinsichtlich des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs ebenfalls an einer Rechtsgrundlage.
§ 98 SGB X ist hinsichtlich des Begriffs des Arbeitgebers nicht eindeutig. Die Vorschrift unterscheidet zwischen der Auskunftspflicht des Arbeitgebers wegen der Erbringung von Sozialleistungen (§ 98 Abs 1 Satz 1 SGB X) und der – hier nicht weiter interessierenden – Auskunftspflicht wegen der Entrichtung von Beiträgen (§ 98 Abs 1 Satz 2 SGB X). Nach der erstgenannten Regelung hat der Arbeitgeber auf Verlangen dem Leistungsträger oder der zuständigen Einzugsstelle Auskunft über die Art und Dauer der Beschäftigung, den Beschäftigungsort und das Arbeitsentgelt zu erteilen, “soweit es in der Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung im Einzelfall für die Erbringung von Sozialleistungen erforderlich ist”. Unklar ist, ob der Begriff des Arbeitgebers nach dieser Regelung nur den Arbeitgeber des am Sozialleistungsverhältnis unmittelbar Beteiligten, also des Leistungsempfängers, meint, oder ob auch der Arbeitgeber von Personen erfaßt ist, die nicht selbst Leistungsempfänger sind, deren Einkommensverhältnisse aber iS von § 99 SGB X bei der Gewährung der Leistung zu berücksichtigen sind. Das Schrifttum vertritt ganz überwiegend – ohne allerdings auf diese Frage einzugehen – die Auffassung, Arbeitgeber nach § 98 Abs 1 Satz 1 SGB X seien diejenigen Personen, bei denen die zu erwartenden oder gegenwärtigen Leistungsempfänger bzw der “Berechtigte” oder der “Versicherte” in einem Beschäftigungsverhältnis stehen oder gestanden haben (vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd IV S 965a; Verbandskomm, SGB, Anm 10 zu § 98 SGB X; Pappai, BKK 1983, 2, 5; Pickel, DOK 1984, 821; Drozd, Mitteilungen der LVA Oberfranken und Mittelfranken 1984, 419, 420; Schellhorn in von Maydell/Schellhorn, GK-SGB X 3, § 98 Rz 1). Allerdings verbietet der Wortlaut des Gesetzes nicht die Auslegung, daß auch der Arbeitgeber derjenigen Personen auskunftspflichtig ist, die wegen ihres Verhältnisses zum Leistungsempfänger – als Angehörige, Unterhaltspflichtige oder sonstige Dritte – iS von § 99 SGB X selbst auskunftspflichtig sind, weil ihre Einkommensverhältnisse den Leistungsanspruch des Berechtigten gegenüber dem Sozialverwaltungsträger beeinflussen. Letzteres trifft vorliegend zu: Nach § 583 Abs 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) hing der Anspruch des Beigeladenen auf die Gewährung von Kinderzulage aus der Unfallversicherung davon ab, daß seine Tochter Helga G.… sich in Ausbildung befand und ihr nicht aus dem Ausbildungsverhältnis Bruttobezüge in Höhe von wenigstens 750,00 DM monatlich zustanden. Ungeachtet der Auskunftspflicht der Helga G.… nach § 99 SGB X ist insoweit auch die Auskunft ihres Arbeitgebers für die “Erbringung von Sozialleistungen” an den leistungsberechtigten Beigeladenen iS von § 98 SGB X “erforderlich”, weil die Leistungsgewährung von der Prüfung abhängt, ob nicht anspruchsausschließende Tatbestände in der Person seiner Tochter – hier: eine Ausbildungsvergütung von wenigstens 750,00 DM – vorliegen.
Allerdings bestehen gegen diese Auslegung in mehrfacher Hinsicht Bedenken. Die Einbeziehung des Arbeitgebers auch von Personen, die nicht selbst Leistungsempfänger sind, ist schon deshalb nicht unproblematisch, weil dadurch dem Arbeitgeber uU Einblicke in die Lebensbeziehungen seines Arbeitnehmers offenbart werden müssen, die ungeachtet des § 69 SGB X dessen grundrechtlich geschützte Intimsphäre berühren, Art 1 Abs 1 iVm Art 2 Abs 1 des Grundgesetzes (GG). Eingriffe in diesen Bereich sind grundsätzlich (ungeachtet der §§ 67, 69 SGB X) nur dann gerechtfertigt, wenn eine klare gesetzliche Grundlage vorhanden ist. Fehlt es – wie hier – an einer solchen, obwohl das Gesetz in anderen Regelungsbereichen durchaus eindeutige Regelungen kennt (vgl § 144 Abs 4 Nr 2 des AFG, § 116 Abs 2 des Bundessozialhilfegesetzes ≪BSHG≫), spricht viel dafür, daß § 98 Abs 1 Satz 1 SGB X, der insoweit keinerlei Bezugnahme auf den von § 99 SGB X erfaßten Personenkreis erkennen läßt, nur die Arbeitgeber der Leistungsempfänger meint. Dafür sprechen auch weitere Gründe, insbesondere die unterschiedliche Ausgestaltung der Auskunftspflichten in §§ 98 und 99 SGB X. Während in § 99 SGB X die Auskunftspflicht auch auf das Recht der sozialen Entschädigung erstreckt ist, das den Hauptanwendungsbereich dieser Regelung bildet, ist die Auskunftspflicht des Arbeitgebers nach § 98 SGB X hingegen auf Sozialleistungen nach dem Recht der Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung beschränkt. Ein Grund für diese Differenzierung ist schwer auszumachen. Auch aus den Motiven des Gesetzes ergibt sich kein Anhalt dafür, warum der Gesetzgeber mit § 98 SGB X auch die Arbeitgeber auskunftspflichtiger Personen iS von § 99 SGB X hätte erfassen wollen, obgleich er die Auskunftspflicht nach § 98 SGB X auf die Erbringung von Sozialleistungen nach dem Recht der Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung beschränkt hat.
Darüber hinaus sieht § 99 SGB X im Gegensatz zu § 98 Abs 5 SGB X nicht vor, daß die Nichterfüllung der Auskunftspflicht mit einer Geldbuße belegt werden kann. Es erscheint fraglich, ob es dem Willen des Gesetzgebers entspricht, daß der auskunftspflichtige Dritte (zB der Angehörige) seine Auskunftspflicht nach § 99 SGB X insoweit sanktionslos nicht oder nicht richtig erfüllen darf, hingegen sein Arbeitgeber bei gleichem Verhalten mit einer Geldbuße rechnen muß, obwohl er – anders als dieser – zum Leistungsempfänger in keinerlei Beziehung steht (zu diesem Wertungswiderspruch s auch unten).
Ferner ist der Ausgestaltung der Auskunftspflicht in § 99 Abs 1 SGB X zu entnehmen, daß der Leistungsträger grundsätzlich gehalten ist, zunächst den nach dieser Regelung Auskunftspflichtigen zu den rechtserheblichen Tatsachen um Auskunft zu ersuchen und erst dann – sofern dies erforderlich ist – an seinen Arbeitgeber herantreten kann, wenn er zuvor die Zustimmung des Auskunftspflichtigen eingeholt hat. Nach dem dort entsprechend anzuwendenden § 60 Abs 1 Nr 1 des Ersten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB I) haben die nach § 99 SGB X Auskunftspflichtigen, deren Einkommen bei der Sozialleistung eines anderen zu berücksichtigen ist, alle für die Leistung erheblichen Tatsachen anzugeben und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen. Dritter gem § 60 Abs 1 Nr 1 SGB I ist auch der Arbeitgeber, der allerdings durch diese Regelung nicht selbst zur Auskunftserteilung verpflichtet wird; eine solche kann sich für ihn jedoch aus anderen Vorschriften, zB den Regelungen über die Zeugenpflicht in § 21 SGB X ergeben (Hauck/Haines, SGB I, § 60 Rz 13). Würde eine Auskunftspflicht des Arbeitgebers der von § 99 SGB X erfaßten Personen bereits nach § 98 SGB X bestehen, wäre nicht nur die Einholung einer Zustimmungserklärung entbehrlich, sondern der Leistungsträger könnte unmittelbar – und ohne den nach § 99 SGB X Auskunftspflichtigen zunächst heranzuziehen – die Auskunft beim Arbeitgeber einholen, soweit sie im Einzelfall für die Erbringung der Sozialleistung “erforderlich” ist (§ 98 Abs 1 Satz 1 SGB X). Obwohl dem Merkmal der Erforderlichkeit und der Verweisung des § 98 Abs 2 SGB X auf § 65 Abs 1 SGB I eine Bindung an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu entnehmen ist, wird im Schrifttum auch die Auffassung vertreten, daß eine Rangordnung, nach der die Auskunftspflicht des Arbeitgebers an letzter Stelle stehe, nicht angenommen werden könne (von Maydell/Schellhorn, GK-SGB X 3, § 98 Rz 17) bzw daß der Leistungsträger nicht die Pflicht habe, zunächst sämtliche anderen Erkenntnisquellen auszuschöpfen (Hauck/Haines, SGB X, § 98 Rz 15). Demgegenüber müßte bei einer Einbeziehung auch der Arbeitgeber der nach § 99 SGB X Auskunftspflichtigen aus Gründen der Verhältnismäßigkeit mindestens gefordert werden, daß die von ihnen verlangten Auskünfte unabdingbar erforderlich sind und zunächst jedes andere Mittel genutzt wird (vgl zu § 144 AFG Gagel, Komm zum AFG, § 144 Rz 12).
Der Senat läßt im Hinblick auf diese Zweifelsfragen offen, ob die Auskunftspflicht des Arbeitgebers nach § 98 Abs 1 Satz 1 SGB X auch diejenige des Arbeitgebers auskunftspflichtiger Dritter iS von § 99 SGB X erfaßt. Denn auch dann, wenn in Übereinstimmung mit dem LSG eine Auskunftspflicht des Beklagten nach § 98 SGB X bejaht und unterstellt wird, der Beklagte habe ein danach zulässiges Auskunftsbegehren zurechenbar fahrlässig falsch beantwortet und hierdurch einen Schaden in der geforderten Höhe verursacht, ist er zum Schadensersatz nicht verpflichtet.
Eine spezielle Schadensersatzregelung fehlt im SGB X. Sie kann nicht dadurch ersetzt werden, daß vorliegend eine im Gesetz nicht enthaltene Schadensersatzpflicht im Wege der Analogie angenommen wird. Zutreffend hat das LSG das Vorliegen einer planwidrigen Gesetzeslücke verneint. Die in zahlreichen Sozialleistungsgesetzen enthaltenen Regelungen zur Auskunftspflicht von Arbeitgebern, die jeweils unterschiedliche Sanktionen vorsehen, schließen es aus, insoweit von einem dem Gesetz zugrundeliegenden Plan oder Konzept auszugehen.
So ist im Arbeitslosenversicherungsrecht bereits 1929 eine Schadensersatzpflicht der Arbeitgeber bei vorsätzlicher oder fahrlässiger Verletzung der Bescheinigungspflicht eingeführt worden, allerdings vor dem Hintergrund, daß die in § 170 Abs 2 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG aF) enthaltene Bescheinigungspflicht dem Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer oblag und als privatrechtlich qualifiziert wurde. Obwohl später das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des AVAVG vom 23. Dezember 1956 (BGBl I, 1018) eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung zur Ausstellung einer Arbeitsbescheinigung begründet hat (vgl § 170 Abs 2 AVAVG nF und die Amtliche Begründung, BT-Drucks II/1274 S 161 zu § 170 Abs 2), hat der Gesetzgeber gleichwohl die ausdrückliche Regelung der Schadensersatzpflicht im AVAVG beibehalten und später in das Arbeitsförderungsgesetz (§ 145 AFG) übernommen.
Demgegenüber ist im Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) eine Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers nicht vorgesehen. Dort ist zwar seit der Einfügung des § 47a BAföG durch das 2. BAföG-Änderungsgesetz (BAföG-ÄndG) vom 31. Juli 1974 (BGBl I, 1649) eine derartige Verpflichtung des Ehegatten oder der Eltern des Auszubildenden ua wegen vorsätzlich oder fahrlässig falscher oder unvollständiger Angaben geregelt, wobei hinsichtlich der Erstreckung auf fahrlässiges Verhalten eine Übereinstimmung mit der Bußgeldandrohung des § 58 BAföG herbeigeführt worden ist. Eine Erstreckung der Schadensersatzpflicht auf die auskunftspflichtigen Arbeitgeber ist indessen auch nicht im Zusammenhang mit dem 6. BAföG-ÄndG vom 16. Juli 1979 (BGBl I, 1037) vorgenommen worden, das das Erfordernis der Einwilligung der Betroffenen zur Erteilung der Arbeitgeberauskunft entfallen ließ.
Ähnliche Regelungen finden sich auch im Unterhaltsvorschußgesetz (UnterhVG). Auskunftspflichtig sind danach auch der Elternteil, bei dem das Kind nicht lebt, sowie sein Arbeitgeber (§ 6 Abs 1 und 2 UnterhVG). Die Verletzung dieser Pflicht stellt eine Ordnungswidrigkeit dar (§ 10 Abs 1 Nr 1 UnterhVG). Eine Schadensersatzpflicht dieser Personen ist im Gesetz nicht geregelt. Dagegen enthält § 5 Abs 1 UnterhVG eine detaillierte Ersatzpflicht des Elternteils, bei dem das Kind lebt, sowie des gesetzlichen Vertreters des Berechtigten.
Auskunfts- und Bescheinigungspflichten sind den Arbeitgebern ferner zB nach § 116 Abs 2 BSHG, § 19 Abs 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG), § 12 Abs 2 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG), § 20 Abs 2 Unterhaltssicherungsgesetz (USG) und § 25 Abs 2 Wohngeldgesetz (WoGG) auferlegt. Bei Verstößen gegen diese Pflichten ist jeweils als gesetzlich geregelte Sanktion die Ahndung als Ordnungswidrigkeit vorgesehen. Dabei sind allerdings hinsichtlich der Fahrlässigkeit Differenzierungen zu beachten: Teilweise ist leichtfertiges Handeln erforderlich (§ 43 WoGG), teilweise genügt einfache Fahrlässigkeit (§ 116 Abs 4 BSHG, § 29 BKGG, § 14 BErzGG, § 24 Abs 2 USG). Eine Verpflichtung zum Ersatz des Schadens ist dagegen nicht gesetzlich bestimmt.
Daraus kann nur der Schluß gezogen werden, daß vereinzelt geregelte Schadensersatzpflichten Dritter bei Verletzung der Auskunftspflicht (zB nach § 145 AFG des Arbeitgebers oder sonstiger Personen, nach § 47a BAföG der Eltern und des Ehegatten) nicht verallgemeinerungsfähig sind (vgl auch BVerwG, DÖV 1993, 344, 345). Mit der Heranziehung zu Auskünften werden Außenstehende für Sozialleistungszwecke “in Dienst genommen”. Schon im Hinblick hierauf und auf den Eingriffscharakter des regelmäßig durch Verwaltungsakt (vgl BSG SozR 4100 § 144 Nr 1) geltend zu machenden Auskunftsverlangens ist eine klare gesetzliche Grundlage für die Inanspruchnahme auf Schadensersatz zu fordern (so auch BSG, Urteil vom 18. November 1993 – 12 RK 26/92 – zur Veröffentlichung vorgesehen, S 6). Soweit danach für das Recht der Arbeitsförderung spezielle Regelungen bestehen, sind diese nicht analogiefähig. Dies wird in der Rechtsprechung des BSG zum Verhältnis von § 144 Abs 3 AFG und § 99 SGB X vorausgesetzt. Dort hat das BSG ua aus dem Umstand, daß die Nichterfüllung der Auskunftspflicht nach § 144 Abs 3 AFG eine Ordnungswidrigkeit darstellt (§ 230 Abs 1 Nr 5 AFG) und zum Schadensersatz führen kann (§ 145 Nr 2 AFG), das Gesetz dagegen für § 99 SGB X vergleichbare Sanktionen nicht geschaffen hat, auf die verdrängende Wirkung des § 144 Abs 3 AFG gegenüber § 99 SGB X geschlossen (BSG SozR 4100 § 144 Nr 1 S 3). Aus der fehlenden Erwähnung des § 98 SGB X im Katalog der zum Schadensersatz führenden Pflichtverletzungen in § 145 AFG sowie aus dem Umstand, daß hinsichtlich der Ahndung als Ordnungswidrigkeit in § 98 Abs 5 SGB X und § 230 AFG unterschiedliche Haftungsmaßstäbe bestimmt sind, ist vielmehr auf den abschließenden Charakter der in § 145 AFG enthaltenen Regelung zu schließen (vgl auch Henke in Hennig/Kühl/Heuer/Henke, AFG, § 145 Rz 34). Hinzu kommt, daß das Problem einer Schadensersatzpflicht bei Verletzung der Auskunftspflicht nach § 98 SGB X seit Jahren bekannt ist (vgl zB Gagel, NJW 1985, 1872 ff; von Einem, SGb 1986, 325 ff). Es spricht deshalb viel dafür, die Untätigkeit des Gesetzgebers (zuletzt bei der Änderung des § 98 Abs 5 SGB X durch das Gesetz vom 6. Oktober 1989, BGBl I, 1822) als sog beredtes Schweigen zu deuten (Ebsen, Jahrbuch des Sozialrechts der Gegenwart, Bd 15, 1993, S 407, 408).
Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht aus der entsprechenden Anwendung der Grundsätze über die positive Vertragsverletzung (vgl dazu Palandt/Heinrichs, BGB, 53. Aufl 1994, § 276 Rz 105 f 130 f). Ob diese Grundsätze im Verhältnis zwischen der Auskunft begehrenden Einzugsstelle und dem Arbeitgeber wegen der Entrichtung von Beiträgen (§ 98 Abs 1 Satz 2 SGB X) oder im Verhältnis zwischen Sozialleistungsträger und dem Arbeitgeber des Sozialleistungsempfängers wegen der Erbringung von Sozialleistungen (§ 98 Abs 1 Satz 1 SGB X) eine Haftung aus positiver Vertragsverletzung rechtfertigen können, bedarf hier keiner näheren Prüfung. Jedenfalls liegt zwischen dem Beklagten und der auskunftsbegehrenden Klägerin keine öffentlich-rechtliche Sonderbeziehung vor, die die sinngemäße Heranziehung der Grundsätze über die positive Vertragsverletzung rechtfertigen könnte. Die sinngemäße Anwendung des vertraglichen Schuldrechts als Ausdruck allgemeiner Rechtsgedanken auch auf öffentlich-rechtliche Verhältnisse ist (nur) in solchen Fällen anerkannt, in denen “ein besonders enges Verhältnis” des einzelnen zur Verwaltung besteht und mangels gesetzlicher Regelung ein Bedürfnis zu einer angemessenen Verteilung der Verantwortung innerhalb des öffentlichen Rechts vorliegt (stRspr seit BGHZ 21, 214, 218; 59, 303, 305). Ob neben der “besonders engen Beziehung” zusätzlich zu fordern ist, daß das “Handeln des Staates Ausfluß einer fürsorgerischen Tätigkeit in Bezug auf den einzelnen ist” (vgl BGHZ 21, 214, 220; dazu kritisch Bender, Staatshaftungsrecht, 2. Aufl, 1974, Rz 189; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 4. Aufl, 1991, S 296 f; Papier, Die Forderungsverletzung im Öffentlichen Recht, 1970, S 52 ff; Koenig, DÖV 1994, 286, 289), bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn im Verhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten besteht lediglich die dem Beklagten gem § 98 SGB X auferlegte Auskunftspflicht, die nicht selbst ein besonders enges Verhältnis zum auskunftsberechtigten Kläger schafft. Der Beklagte ist nicht Arbeitgeber des Leistungsempfängers, sondern Arbeitgeber einer nach § 99 SGB X auskunftspflichtigen dritten Person, so daß die von ihm verlangte Auskunft im Rechtssinne nicht seinem Arbeitnehmer zugute kommt, sondern einem Dritten, dem Beigeladenen. Deshalb läßt sich eine öffentlich-rechtliche Sonderbeziehung in derartigen Fällen auch nicht daraus herleiten, daß der Arbeitgeber im Rahmen seiner sozialstaatlich gebotenen Fürsorgepflicht seinen Arbeitnehmer bei der Verwirklichung von dessen Sozialleistungsansprüchen unterstützt (vgl BSG SozR 4100 § 145 Nr 3 zur Rechtfertigung der Indienstnahme des Arbeitgebers nach §§ 133, 145 Nr 1 AFG als mit der Verfassung vereinbare Berufsausübungsregelung). In Fällen der vorliegenden Art könnte eine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers allenfalls darin bestehen, daß er seinen Arbeitnehmer bei der Erfüllung von dessen Auskunftspflicht nach § 99 SGB X unterstützt. Das reicht jedoch zur Begründung einer schuldrechtsähnlichen öffentlich-rechtlichen Sonderbeziehung nicht aus.
Insoweit ist auch zu beachten, daß die Auskunftspflicht des Arbeitgebers im Verhältnis zur anfragenden Behörde – jedenfalls in Fällen der vorliegenden Art, in denen der Arbeitgeber ausschließlich als Auskunfts- und Beweisperson in einem Einzelfall benötigt wird – strukturell der allgemeinen Zeugenpflicht entspricht. Die Zeugenpflicht begründet aber keine öffentlich-rechtliche Sonderverbindung und dementsprechend auch keine Haftung aus positiver Forderungsverletzung. Die Auskunftspflicht nach § 98 Abs 1 SGB X steht im Zusammenhang mit der Auskunftspflicht im Rahmen der Sachverhaltsermittlung nach den Vorschriften der §§ 20, 21 SGB X. Nach § 21 Abs 1 SGB X kann die Behörde, soweit sie dies für notwendig erachtet, Auskünfte jeder Art einholen (Nr 1) und ua Zeugen (formfrei) anhören (Nr 2). Eine Pflicht zur Aussage besteht nach § 21 Abs 3 Satz 1 SGB X für Zeugen nur dann, wenn sie gesetzlich – wie zB in § 98 SGB X – vorgesehen ist. Ist indessen die Aussage zur Entscheidung über eine Sozialleistung sowie deren Höhe “unabweisbar”, besteht eine Aussagepflicht nach § 21 Abs 3 Satz 2 SGB X. Diese Verpflichtung kann bei unberechtigter Weigerung des Pflichtigen durch Ersuchen um Vernehmung durch das Sozial- oder Verwaltungsgericht durchgesetzt werden (§ 22 SGB X). Bei Verstößen gegen Zeugenpflichten sind im Verfahren die Verhängung von Ordnungs- und Zwangsmitteln sowie die Auferlegung der verursachten Kosten vorgesehen. Dagegen ist eine Schadensersatzpflicht des Zeugen bei schuldhaften Verstößen gegen die inhaltliche Richtigkeit seiner Aussagen in den Verfahrensgesetzen nicht gesondert geregelt. Sie kann auch nicht aus den Grundsätzen über die positive Vertragsverletzung im öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis hergeleitet werden, weil die Zeugenpflicht als allgemeine Staatsbürgerpflicht eben keine öffentlichrechtliche Sonderverbindung zwischen Staat und Bürger begründet. Inwieweit der Zeuge für den Inhalt seiner Aussage auf Schadensersatz haftet, bemißt sich ausschließlich danach, ob die Verletzung eines Schutzgesetzes iS von § 823 Abs 2 BGB anzunehmen oder § 826 BGB anzuwenden ist (vgl dazu unten).
Soweit der Gesetzgeber die allgemeine Zeugenpflicht aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität typisierend zu konkreten Auskunftspflichten des Arbeitgebers und anderer gegenüber der Behörde ausgeformt hat, bedürfen Haftungsverschärfungen gegenüber der “normalen” Zeugenstellung deshalb der gesetzlichen Grundlage. Die diesen Personen auferlegten Auskunftspflichten können in Bezug auf gesetzlich nicht geregelte Sanktionen nicht durch die Konstruktion eines – haftungserzeugenden – “Auskunftsrechtsverhältnisses” angereichert werden. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Auskunftspflicht – wie hier – (alleinige) Hauptpflicht ist und sich nicht – wie etwa bei bestehendem Versicherungsverhältnis – als Nebenpflicht aus einem öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis ergeben kann. Deshalb ist auch hier nicht auf die Frage einzugehen, inwieweit sich Schadensersatzpflichten ergeben, wenn innerhalb von Versicherungsverhältnissen Pflichten verletzt werden (vgl dazu BSGE 45, 119, 125; 66, 176, 187; 70, 186, 188, 193; ferner Urteil des 12. Senats vom 18. November 1993 – 12 RK 26/92 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Anders als im Beitragseinzugsverfahren ist der Arbeitgeber der nach § 99 SGB X Auskunftspflichtigen weder am Versicherungsverhältnis beteiligt, noch hat er einen eigenen Beitragsanteil zu tragen.
Schließlich ist auch ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs 2 BGB zu Recht verneint worden. § 98 Abs 1 Satz 1 SGB X ist kein Schutzgesetz iS dieser Vorschrift. Dafür genügt es nicht, daß die Norm im allgemeineren Sinne Schutz und Förderung einzelner Bürger oder bestimmter Personenkreise bewirkt oder bezweckt. Vielmehr muß die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruches erkennbar vom Gesetz erstrebt sein oder zumindest im Rahmen des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheinen, wie der Bundesgerichtshof (BGH) und im Anschluß hieran das BSG in ständiger Rechtsprechung entschieden haben (BGHZ 46, 17, 23; BGH NJW 1976, 2129; BSGE 66, 176, 182/83; vgl ferner BGHZ 116, 7, 12 f = ZIP 1991, 1597 mwN). Diese Voraussetzungen sind bei der Auskunftspflicht nach § 98 SGB X jedenfalls dann nicht erfüllt, wenn es – wie hier – um die Auskunftspflicht der Arbeitgeber der nach § 99 SGB X auskunftspflichtigen Personen geht.
Zunächst ist in § 98 Abs 1 Satz 1 SGB X ein bestimmtes Verletzungsobjekt nicht genannt (vgl dazu Mertens in MünchKomm, BGB, § 823 Rz 146 mN). Der Regelungsgehalt der Vorschrift erschöpft sich vielmehr darin, den Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzungen zur Auskunft über einzelne, genau bezeichnete Tatsachen zu verpflichten. Ziel der Regelung ist es mithin, den Leistungsträger bei seiner Verpflichtung zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 20 SGB X) zu entlasten und die ihm dazu ohnehin eröffneten Befugnisse (vgl § 21 SGB X) im Interesse der Verfahrensbeschleunigung gegenüber denjenigen Personen zu erweitern, die – wie der Arbeitgeber – Zugang zu den maßgeblichen Informationen besitzen. Damit dient § 98 Abs 1 Satz 1 SGB X der rechtmäßigen Aufgabenerfüllung und nicht dem Vermögensschutz (so auch zur Frage der Mitwirkungslast der Beteiligten nach § 60 SGB I als Schutzgesetz BSGE 66, 176, 183; BVerwG, DÖV 1993, 344, 345). Ob hinsichtlich der Auskunftspflicht wegen der Erbringung von Beiträgen nach § 98 Abs 1 Satz 2 SGB X, für den die Einschränkung des § 98 Abs 2 Satz 1 SGB X nicht gilt, eine andere Betrachtung veranlaßt ist, kann hier dahinstehen. Dort wird der Auskunftspflicht nach der amtlichen Begründung eine besondere Bedeutung beigemessen: Im Interesse aller Sozialversicherten sei es unbedingt erforderlich, daß die kraft Gesetzes festgelegten Beiträge auch dem jeweiligen Leistungsträger zur Verfügung stehen (vgl BR-Drucks 526/80 zu § 104, S 23).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, daß nach § 98 Abs 5 SGB X ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder leichtfertig ua der Auskunftspflicht nicht nachkommt (aA OLG Düsseldorf, NJW-RR 1992, 1507). Auch wenn die Bußgeldbewehrung die unrichtig erteilte Auskunft umfaßt (vgl dazu BR-Drucks, aaO), kann daraus auf den Schutzgesetzcharakter der Regelung nicht geschlossen werden. Zwar kann die Sanktion als Ordnungswidrigkeit ein wertvoller Hinweis sein (vgl RGZ 138, 165), besagt jedoch für sich allein in dieser Hinsicht nichts Entscheidendes (BGHZ 84, 312, 317; BSGE 66, 176, 183). Bei Ordnungswidrigkeiten ist insoweit eine Gesamtbetrachtung der Regelung, die das schützenswerte Interesse des Beeinträchtigten absichert, erforderlich. Sind dessen Belange anderweit ausreichend abgesichert, ist daneben ein deliktischer Schutz derselben Interessen über § 823 Abs 2 BGB entbehrlich (BGH, aaO). Das ist aber hier der Fall, denn wie ein Blick auf das sozialrechtliche Erstattungs- und Sanktionssystem zeigt, haben die Vermögensinteressen der Sozialversicherungsträger durchaus einen gesetzlichen Schutz erfahren. Nach den §§ 44 ff SGB X stehen der Klägerin gegenüber dem Leistungsempfänger wegen zu Unrecht erbrachter Leistungen grundsätzlich hinreichende Erstattungsansprüche zu, zB wenn der Leistungsanspruch infolge nachträglich erzielten Einkommens oder Vermögens weggefallen oder gemindert worden wäre (§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 iVm § 50 SGB X) oder die Leistung von Anfang an nicht hätte bewilligt werden dürfen, sofern der Empfänger die Rechtswidrigkeit der Bewilligung kannte oder grob fahrlässig nicht kannte (§ 45 Abs 1, 2 Satz 3 Nr 3 iVm § 50 SGB X). Ob dieser Schutz ausreicht, weil derartige Ansprüche nicht immer zu realisieren sind, und ob im Sozialrechtsbereich insoweit ein geschlossenes öffentlich-rechtliches Erstattungs- und Sanktionssystem vorliegt, kann hier dahinstehen, denn der Unrechtsgehalt einer lediglich fahrlässigen Verletzung der in § 98 Abs 1 Nr 1 SGB X statuierten Auskunftspflicht reicht jedenfalls in Fällen der vorliegenden Art, in denen der Arbeitgeber eines primär auskunftspflichtigen Dritten iS von § 99 SGB X herangezogen wird, nicht aus, um ein dringendes praktisches Bedürfnis für die Anwendung von § 823 Abs 2 BGB zu begründen, mag § 98 SGB X auch mit einer Bußgelddrohung bewehrt sein. Insoweit ergäbe sich auch ein schwer verständlicher Wertungswiderspruch zu § 99 SGB X, der mangels einer solchen Bußgelddrohung nicht als Schutzgesetz zu werten ist und dementsprechend eine Inanspruchnahme des primär Auskunftspflichtigen ausschließt.
Davon abgesehen ist im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung auch auf eine hinreichende Synchronisation der Deliktshaftung für eine fahrlässig falsche Auskunft nach § 98 Abs 1 Satz 1 SGB X und eine fahrlässig falsche Zeugenaussage zu achten. Zu Recht zieht die Rechtsprechung bei der Verletzung bloßer Vermögensinteressen durch eine Zeugenaussage die Grenze beim fahrlässigen Falscheid gem § 163 Strafgesetzbuch (vgl BGHZ 42, 313, 317 f; dazu Canaris, 2. Festschrift für Larenz, 1983, S 52 ff, 58 bis 60). Denn erst die tatsächliche Beeidigung und die damit verbundene Strafdrohung führt dem Zeugen oder Sachverständigen den Ernst und die Veranwortlichkeit seiner Aussage besonders drastisch vor Augen, während die in §§ 392, 410 ZPO vorausgesetzte, auch uneidlich verletzbare Wahrheitspflicht für sich genommen nicht zur Annahme eines Schutzgesetzes führt (vgl BGHZ, aaO; Canaris, aaO S 60; zustimmend ebenfalls Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 52. Aufl, § 410 Anm 2; Döbereiner/von Keyserlingk, Sachverständigenhaftung, 1979, RdNr 248; Jessnitzer/Frieling, Der gerichtliche Sachverständige, 1992, RdNr 687 jeweils mwN; aA Blomeyer, Schadensersatzansprüche des im Prozeß Unterlegenen wegen Fehlverhaltens Dritter, 1972, 192 ff, 197). Begründet aber die Verletzung der Zeugenpflicht keinen Schadensersatzanspruch, ist kein Grund dafür ersichtlich, die Verletzung der Auskunftspflicht nach § 98 Abs 1 Satz 1 SGB X insoweit anders zu behandeln. Soweit der Gesetzgeber eine Schadensersatzpflicht für erforderlich hält, etwa weil eine Verwirklichung von Rückerstattungsansprüchen nur in begrenztem Maße in Betracht kommt, mag er sie spezialgesetzlich vorsehen (wie in § 145 AFG, § 47a BAföG). Ihrer Einführung im Wege des Richterrechts steht im Lichte des haftpflichtrechtlichen Gesamtsystems entgegen, daß damit im Ergebnis die Entscheidung des Gesetzgebers gegen eine allgemeine Haftung für Vermögensschäden unterlaufen würde (BGH NJW 1976, 1740, 1741). Denn die – sei es auch vorsätzliche – Nichterfüllung einer Verbindlichkeit ist de lege lata kein Delikt (Canaris, aaO, S 65; vgl auch Honsell, JA 1983, 101, 105), es sei denn, es liege ein Fall des § 826 BGB oder des (Eingehungs-)betrugs vor. Deshalb sieht der BGH in der Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung durch den Arbeitgeber zwar mit Recht einen Verstoß gegen ein Schutzgesetz, weil darin eine Verletzung einer treuhänderisch zu verwaltenden Rechtsposition liegt (BGHZ 58, 199, 201), verneint dies indessen für die Nichteinzahlung von Arbeitgeberanteilen, weil es sich hier um die Nichterfüllung einer eigenen Verbindlichkeit handelt (BGHZ 84, 312; BGH NJW 1976, 2129). Diese ist deliktsrechtlich regelmäßig ohne Belang. Insoweit macht es keinen Unterschied, wenn die “Verbindlichkeit” – wie hier – in der Abgabe einer Auskunft liegt. Das Berufungsgericht hat damit im Ergebnis zu Recht einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs 2 BGB verneint.
Scheidet mithin eine direkte Anwendung des § 823 Abs 2 BGB aus den genannten Gründen aus, was vorliegend vom Senat zu prüfen war (§ 17 Abs 2 GVG), kann offen bleiben, ob im Bereich des öffentlichen Rechts überhaupt nur oder jedenfalls daneben eine entsprechende Anwendung des § 823 Abs 2 BGB in Betracht kommt (vgl einerseits BSG, Urteil vom 18. November 1993, aaO; andererseits BVerwG, DÖV 1993, 344, 345).
Da auch für einen Anspruch aus § 826 BGB kein Anhalt besteht, erweist sich die Revision der Klägerin als unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG. Hierbei konnte der Senat auch die für den Beklagten ungünstige Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils ändern, weil insoweit das Verbot der reformatio in peius nicht gilt (BSGE 62, 131, 136 mwN).
Fundstellen
Haufe-Index 913307 |
BSGE, 139 |