Entscheidungsstichwort (Thema)

Kassenzuständigkeit für den Krankengeldanspruch bei Kassenwechsel. Krankengeld. Dreijahresfrist. nachgehender Versicherungsschutz

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei einem Kassenwechsel hat die neue Krankenkasse nach § 212 RVO das Krankengeld aus einem bereits bei der alten Krankenkasse eingetretenen Versicherungsfall zu erbringen, auch wenn die fortgesetzte Versicherung bei der neuen Krankenkasse nicht mehr mit einem Anspruch auf Krankengeld ausgestattet ist.

2. Derselbe Versicherungsfall bleibt in seinem zeitlichen Zusammenhang auch bei Unterbrechung der Mitgliedschaft erhalten, wenn während dieser Zeiten für den Versicherungsfall noch ein nachgehender Versicherungsschutz iS des § 183 Abs 1 S 2 RVO bestanden hat.

 

Orientierungssatz

1. Die Wiederentstehung des Anspruchs auf Krankengeld innerhalb einer neuen Dreijahresfrist setzt die Mitgliedschaft des Arbeitsunfähigen zur Versicherung voraus (vergleiche BSG vom 1977-10-05 3 RK 35/75 = BSGE 45, 11). Eine solche Mitgliedschaft besteht auch dann, wenn der in einer späteren Dreijahresfrist an derselben Krankheit arbeitsunfähig erkrankte Versicherte der Krankenkasse als formalversicherter Rentenbewerber nach § 315a RVO angehört (vergleiche BSG vom 1979-11-28 3 RK 90/78 = BSGE 49, 163, 166 f).

2. Mit Beginn einer neuen Dreijahresfrist iS des § 183 Abs 2 S 1 RVO kann ein Krankengeldanspruch auch dann wieder aufleben, wenn zu diesem Zeitpunkt für den maßgebenden Versicherungsfall nur noch ein nachgehender Versicherungsschutz iS des § 183 Abs 1 S 2 RVO besteht (vergleiche BSG vom 1981-04-28 3 RK 8/80 = BSGE 51, 281, 283 f = SozR 2200 § 183 Nr 35).

 

Normenkette

RVO § 183 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1961-07-12, § 315a Abs. 1 Fassung: 1967-12-21, § 183 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1961-07-12, § 212 Fassung: 1972-08-10

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 03.09.1980; Aktenzeichen L 11 Kr 42/79)

SG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 02.05.1979; Aktenzeichen S 17 Kr 50/78)

 

Tatbestand

Umstritten ist die Wiedergewährung von Krankengeld.

Der im Jahre 1927 geborene Kläger ist von Beruf Ofenmaurer. Die sich auf das Arbeitsverhältnis gründende Mitgliedschaft bei der Beklagten endete am 8. Juni 1974. Seit November 1977 bezieht er eine Rente wegen Berufsunfähigkeit. Der Kläger war wegen einer Magenerkrankung erstmals am 5. August 1968 arbeitsunfähig geworden. Während der ersten Dreijahresfrist (bis 4. August 1971) bezog er für 78 Wochen Krankengeld. Während der zweiten Dreijahresfrist (5. August 1971 bis 4. August 1974) bezog er ab 10. Februar 1972 - seither ist er durchgehend wegen derselben Krankheit arbeitsunfähig - erneut Krankengeld, nämlich bis zum 8. Juni 1974, dem Zeitpunkt des Endes seiner Mitgliedschaft bei der Beklagten. Am 4. Juli 1974 (- einen Monat vor Ablauf der zweiten Dreijahresfrist -) stellte er einen Rentenantrag. Er bezog (innerhalb der dritten Dreijahresfrist - 5. August 1974 bis 4. August 1977 -) erneut Krankengeld von der Beklagten, nämlich vom 19. September 1974 bis 1. Februar 1976. Am 4. Februar 1976 nahm er beim Sozialgericht (SG) die auf Gewährung einer Rente gerichtete Klage zurück. Ab 1. März 1976 war er freiwilliges Mitglied der AOK G. - der Beigeladenen - ohne Anspruch auf Krankengeld. Während der vierten Dreijahresfrist (5. August 1977 bis 4. August 1980) beantragte er am 12. Oktober 1977 erneut eine Rente. Am 20. Oktober 1977 stellte er Antrag auf weiteres Krankengeld. Die Beklagte hat den Antrag abgelehnt. Das SG hat unter Aufhebung der entsprechenden Bescheide die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 20. Oktober 1977 Krankengeld zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen. Der Kläger sei zwar nach der Beendigung des Pflichtversicherungsverhältnisses bei der Beklagten (8. Juni 1974) bis zum Beginn der Versicherung als Rentenantragsteller nach § 315a Reichsversicherungsordnung -RVO- (4. Juli 1974) kein Mitglied einer gesetzlichen Krankenversicherung gewesen. Welche Bedeutung diese Unterbrechung habe, brauche nicht entschieden werden, da die Beklagte nach Beginn der nachfolgenden Dreijahresfrist (5. August 1974) Krankengeld an den Kläger bezahlt habe. Zwar habe der Kläger durch seine Klagrücknahme vom 4. Februar 1976 auch die am 4. Juli 1974 durch den Rentenantrag begründete formale Mitgliedschaft zu Ende gebracht; eine Mitgliedschaft habe aber nach § 315a Abs 2 Satz 2 RVO in der bis zum 30. Juni 1977 geltenden Fassung erst mit Ablauf des Monats (Februar) geendet, so daß sich seiner Pflichtversicherung die am 1. März 1976 begründete freiwillige Mitgliedschaft nahtlos angeschlossen habe. Dem Anspruch stehe auch nicht entgegen, daß der Kläger ab 1. März 1976 lediglich freiwillig, also ohne Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten. Sie rügt die Verletzung des § 183 Abs 1 Satz 1 RVO. Der Kläger sei zwar seit dem 10. Februar 1972 ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt gewesen, es fehle jedoch an einer ununterbrochenen Mitgliedschaft bei der Beklagten, nämlich in der Zeit vom 9. Juni bis zum 3. Juli 1974 (- Ende des Versicherungsverhältnisses bei der Beklagten bis zum Tag der Rentenantragstellung, beides innerhalb der zweiten Dreijahresfrist -). Zu Beginn der dritten Dreijahresfrist (5. August 1974) sei der Kläger daher nur als Rentenantragsteller Mitglied gewesen; als solcher habe er aber keinen Anspruch auf Krankengeld. Soweit das LSG den genannten mitgliedschaftsfreien Zeitraum deshalb außer Betracht lasse, weil auch in der nachfolgenden (dritten) Dreijahresfrist Krankengeld bezahlt worden sei - nämlich vom 19. September 1974 bis 1. Februar 1976 -, verkenne es, daß der Kläger aus dieser (- in der dritten Dreijahresfrist erfolgten -) fehlerhaften Zahlung keine weiteren rechtswidrigen Leistungen in der vierten Dreijahresfrist herleiten könne. Im übrigen habe auch der Zeitraum vom 5. bis 29. Februar 1976 (- zwischen der Rücknahme der Klage und der freiwilligen Mitgliedschaft -) die Mitgliedschaft unterbrochen. Entgegen der Ansicht des LSG sei die Mitgliedschaft mit der Rücknahme des Rentenantrags erloschen. Das LSG unterliege auch insoweit einem Rechtsirrtum, als es die freiwillige Mitgliedschaft als ausreichend angesehen habe, den Anspruch auf Krankengeld in der vierten Dreijahresfrist zu erhalten.

Die Beklagte beantragt, die Urteile des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 3. September 1980 - L 11 Kr 42/79 - und des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 2. Mai 1979 - S 17 Kr 50/78 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, - unter Aufhebung der Urteile der 1. und 2. Instanz - anstelle der Beklagten die Beigeladene zu verurteilen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Für die Beigeladene ist in der mündlichen Verhandlung niemand erschienen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist insoweit begründet, als der umstrittene Krankengeldanspruch dem Kläger zwar zusteht, leistungsverpflichtet aber nicht die Beklagte, sondern die Beigeladene ist.

Nach § 183 Abs 2 Satz 1 RVO wird Krankengeld ohne zeitliche Begrenzung gewährt, für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit jedoch für höchstens 78 Wochen innerhalb von je 3 Jahren, gerechnet vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an. Der erstmalige Eintritt der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit löst somit eine Kette aufeinanderfolgender Dreijahreszeiträume aus, innerhalb derer jeweils bis zu 78 Wochen Krankengeld bezogen werden kann (Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, Stand Juli 1982, Anm 3.3 zu § 183 RVO; BSGE 31, 125). Die Wiederentstehung des Anspruchs auf Krankengeld innerhalb einer neuen Dreijahresfrist setzt jedoch die Mitgliedschaft des Arbeitsunfähigen zur Versicherung voraus (BSGE 45, 11 in Abgrenzung zu BSGE 31, 125). Da nach den Feststellungen des LSG, an die das Revisionsgericht gebunden ist (§ 163 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), der Kläger am 5. August 1968 während eines bestehenden Pflichtversicherungsverhältnisses arbeitsunfähig erkrankte und seit dem 10. Dezember 1972 wegen derselben Krankheit arbeitsunfähig ist, ist die von ihm (innerhalb der mit dem 5. August 1977 einsetzenden vierten Dreijahresfrist) ab 20. Oktober 1977 beantragte Wiedergewährung von Krankengeld allein von dem Fortbestehen der Mitgliedschaft zu diesem Zeitpunkt abhängig.

Eine solche Mitgliedschaft besteht auch dann, wenn der in einer späteren Dreijahresfrist an derselben Krankheit arbeitsunfähig erkrankte Versicherte der Krankenkasse als formalversicherter Rentenbewerber nach § 315a RVO angehört (BSGE 49, 163, 166 f). Der Kläger hat am 4. Juli 1974 einen Rentenantrag gestellt; am 4. Februar 1976 hat er die auf die Rentengewährung gerichtete Klage zurückgenommen. Nach der zu beiden Zeitpunkten (- vor der ab 1. Juli 1977 -) geltenden Fassung des § 315a RVO gelten als Mitglieder (der gesetzlichen Krankenversicherung) Personen, die eine Rente aus der Rentenversicherung der Arbeiter oder der Rentenversicherung der Angestellten beantragt haben, ohne die Voraussetzungen für den Bezug der Rente zu erfüllen. Im Absatz 2 der Vorschrift war bestimmt, daß die Mitgliedschaft mit dem Tage der Stellung des Rentenantrags beginnt und mit dem Ablauf des Monats, in dem die Ablehnung des Rentenantrages endgültig geworden ist, endet. Demnach begann die formale Mitgliedschaft des Klägers nach § 315a RVO aF am 4. Juli 1974, also noch innerhalb der zweiten (bis zum 4. August 1974 reichenden) Dreijahresfrist und endete am 29. Februar 1976. Denn mit der Rücknahme der Klage am 4. Februar 1976 ist die Ablehnung des Rentenantrags endgültig, also unanfechtbar geworden. Die Beklagte übersieht, daß mit einer schlichten Klagrücknahme keine Rücknahme des Rentenantrags verbunden ist, und mit ihr der über den bestehenbleibenden Antrag ergangene ablehnende Bescheid rechtsbeständig wird. In der ab 1. Juli 1977 geltenden Fassung des § 315a Abs 2 Satz 2 RVO heißt es, daß die Mitgliedschaft "endet mit dem Tode oder mit dem Tage, an dem der Antrag zurückgenommen oder die Ablehnung des Antrags unanfechtbar wird". Damit entfällt zwar eine Erstreckung der Mitgliedschaft bis zum Monatsende (sowohl bei der Antragsrücknahme als auch) im Falle des Eintritts der Unanfechtbarkeit. Eine Rückwirkung dieser Bestimmung ist rechtlich jedoch nicht möglich. Somit schließt sich an die Zeit der Formalmitgliedschaft nach § 315a RVO unmittelbar die ab 1. März 1976 - noch innerhalb der dritten Dreijahresfrist - eingetretene freiwillige Mitgliedschaft des Klägers bei der Beigeladenen an. Für eine Wiederentstehung des Anspruchs in einer späteren Dreijahresfrist genügt aber auch eine Mitgliedschaft, mit der, wie hier, kein Anspruch auf Krankengeld verbunden ist, da der Krankengeldanspruch dem Grunde nach schon durch den während der Mitgliedschaft eingetretenen Versicherungsfall entstanden ist (BSGE 51, 281, 282).

Nachdem das Versicherungsverhältnis des Klägers am 8. Juni 1974 (innerhalb der bis zum 4. August 1974 reichenden Dreijahresfrist) geendet hatte, war er bis zum 4. Juli 1974, dem Zeitpunkt des Beginns seiner Formalmitgliedschaft nach § 315a RVO, nicht versichert (3 Wochen und 4 Tage). Durch diese Unterbrechung der Mitgliedschaft ist der Krankengeldanspruch aber nicht entfallen. Wie der Senat entschieden hat, kann mit Beginn einer neuen Dreijahresfrist iS des § 183 Abs 2 Satz 1 RVO ein Krankengeldanspruch auch dann wieder aufleben, wenn zu diesem Zeitpunkt für den maßgebenden Versicherungsfall nur noch ein nachgehender Versicherungsschutz iS des § 183 Abs 1 Satz 2 RVO besteht (BSGE 51, 281, 283 f = SozR 2200 § 183 RVO Nr 35 im Anschluß an BSGE 45, 11, 17; 49, 163, 169). Da hier bei Beginn der dritten Dreijahresfrist am 5. August 1974 die Nachfrist des § 183 Abs 1 Satz 2 RVO von 26 Wochen noch nicht abgelaufen war, konnte der Krankengeldanspruch - ganz abgesehen davon, daß bereits ab 4. Juli 1974 die Formalmitgliedschaft nach § 315a RVO bestand - zu Beginn der neuen Rahmenfrist wiederentstehen. Insofern hat die Beklagte das in der dritten Dreijahresfrist ab 19. September 1974 gewährte Krankengeld nicht zu Unrecht bewilligt.

Für das vom Kläger ab 20. Oktober 1977 begehrte Krankengeld liegen daher die gesetzlichen Voraussetzungen vor. Leistungsverpflichtet ist aber nicht die Beklagte, sondern die Beigeladene. Denn nach § 212 RVO übernimmt derjenige Träger der Krankenversicherung die weiteren Leistungen, zu dem der Leistungen beziehende Versicherte übergetreten ist. Das ist hier die Beigeladene, da der Kläger, wie oben ausgeführt, nur bis zum 29. Februar 1976 (als Rentenantragsteller) bei der Beklagten versichert, seit 1. März 1976 aber Mitglied der Beigeladenen war. Demnach war anstelle der Beklagten die Beigeladene zu verurteilen, dem Kläger Krankengeld ab 20. Oktober 1977 - abzüglich der bezahlten Rente wegen Berufsunfähigkeit (§ 183 Abs 5 RVO) - zu gewähren. Daß nach § 183 Abs 2 RVO das Krankengeld auch im Falle der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit in immer weiteren Dreijahresfristen gewährt wird, mag, weil es damit einen rentenähnlichen Charakter bekommt, unbefriedigend sein. Diese Rechtslage kann aber nicht von den Gerichten, sondern nur vom Gesetzgeber geändert werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1658364

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