Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 28.10.1965)

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. Oktober 1965 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob Ersatzzeiten anzurechnen sind, wenn vorher keine Versicherung bestanden hat, wohl aber innerhalb von zwei Jahren nach den in Betracht kommenden Zeitabschnitten eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen wurde, jedoch die dafür entrichteten Beiträge nach § 74 Abs. 3 des Gesetzes zu Art. 131 des Grundgesetzes (G 131) als freiwillige Beiträge zu bewerten sind.

Der Kläger hatte sich von September 1939 bis Juli 1945 im Kriegsdienst und in der Kriegsgefangenschaft befunden. Den vorher ausgeübten Beruf eines beamteten Lehrers hat er erst 1948 wieder fortsetzen können. Von August 1945 bis September 1948 war er außerhalb des öffentlichen Dienstes einer Beschäftigung als Hilfsarbeiter nachgegangen. Diese Zeit ist mit 38 Monatsbeiträgen zur Invalidenversicherung belegt. Nach seiner Rückkehr in den Schuldienst wendete der Kläger freiwillig 75 Monatsbeiträge auf.

Den Antrag auf Bewilligung des Altersruhegeldes lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29. Oktober 1962 ab, weil mit 113 Beitragsmonaten die nach § 1248 Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu fordernde Wartezeit von 180 Monaten Versicherungszeit nicht erfüllt sei und die Zeiten des Kriegsdienstes und der Kriegsgefangenschaft nicht als Ersatzzeiten berücksichtigt werden könnten. Dies gelte, obgleich der Kläger – wie es § 1251 Abs. 2 Satz 2 RVO aF gebiete – innerhalb von zwei Jahren nach dem Ende der Ersatzzeittatbestände in ein Arbeitsverhältnis eingetreten und Beiträge für ihn erbracht worden seien. Diese Beiträge hätten nämlich infolge der Vorschrift des § 74 Abs. 3 G 131 ihre Wirkung als Pflichtbeiträge eingebüßt.

Der Klage hat das Sozialgericht (SG) Landshut mit Urteil vom 14. Oktober 1963 stattgegeben; es hat die Beklagte zur Gewährung des Altersruhegeldes verurteilt. Seines Erachtens hat § 74 Abs. 3 G 131 den Beiträgen nicht nachträglich die Rechtsgrundlage des Pflichtversicherungsverhältnisses entzogen. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat dagegen in seinem Urteil vom 28. Oktober 1965 die Klage abgewiesen. Es hat sich von dem Gedanken leiten lassen, daß das G 131 mit der beamtenrechtlichen Rehabilitierung zugleich eine weitere Versorgung durch die Rentenversicherung habe ausschließen wollen, es sei denn, daß diese ausschließlich auf freiwilliger Basis beruhte.

Das LSG hat die Revision zugelassen. Der Kläger hat das Rechtsmittel eingelegt. Er macht geltend, das LSG verkenne die Tragweite des § 74 Abs. 3 G 131. Durch diese Vorschrift sei die Versicherungspflicht nicht mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen worden. Trotz der Fiktion der Freiwilligkeit seien die Beiträge nach wie vor die Basis für die damalige Pflichtzugehörigkeit des Klägers zur Rentenversicherung geblieben. Der Kläger beantragt, das Berufungsurteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen,

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Revision ist unbegründet.

Der Kläger kann nicht verlangen, daß ihm die Zeiten des Kriegsdienstes und der Kriegsgefangenschaft als Ersatzzeiten gutgebracht werden. Die Anknüpfungstatbestände, die verwirklicht sein müssen, damit Ersatzzeiten angerechnet werden können (§ 1251 Abs. 2 RVO), sind nicht erfüllt. Vor seiner Einberufung zur Wehrmacht gehörte der Kläger keiner gesetzlichen Rentenversicherung an. Nachher nahm er zwar innerhalb von zwei Jahren nach dem Ende der Kriegsgefangenschaft eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung auf. Der rechtzeitige Beginn eines – seiner Art. nach – die Pflichtversicherung begründenden Arbeitsverhältnisses genügt indessen allein nicht den Erfordernissen des § 1251 Abs. 2 Satz 2 RVO. Indem das Gesetz an dieser Stelle den Eintritt in eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit vorschreibt, hält es das für § 1251 Abs. 2 Satz 1 RVO geltende Gebot aufrecht, wonach eine Ersatzzeit nur dann mit einer Versicherung in Verbindung gebracht werden kann, wenn diese sich in einer Beitragsleistung manifestiert hat. Denn in der gesetzlichen Rentenversicherung ist nur derjenige versichert, für den Beiträge rechtswirksam auf gewendet worden sind. Solche Beiträge sind unentbehrlich, einerlei, ob die Versicherung schon vor der Ersatzzeit bestand oder nachher innerhalb der gesetzlichen Frist eröffnet wurde. Allerdings wird in § 1251 Abs. 2 Satz 2 RVO die Beachtung eines nachfolgenden Versicherungsanfangs zusätzlich an die Bedingung gekoppelt, daß Beiträge auf Grund der Versicherungspflicht entrichtet sein müssen. Das bringt das Gesetz dadurch zum Ausdruck, daß es die Aufnahme einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit verlangt. Diese Auffassung hat das Bundessozialgericht (BSG) wiederholt vertreten und erläutert (BSG 20, 184; 22, 246, 247). Der Senat hält diese Auslegung aus den früher erörterten Gründen für richtig.

Der Fall des Klägers ist dieser Gesetzesbestimmung nicht unterzuordnen. Die für den Kläger zwischen dem 8. Mai 1945 und dem 31. März 1951 (vor dem Inkrafttreten des G 131) aufgewendeten Pflichtbeiträge sind keine Grundlage für die Anrechnung von vorausgegangenen Ersatzzeiten. Dem steht § 74 G 131 entgegen. Nach dieser Regelung konnte sich der Kläger die in jenen Beiträgen steckenden Arbeitnehmeranteile erstatten lassen, oder er muß es hinnehmen, daß die Beiträge so angesehen werden, als seien sie freiwillig entrichtet worden. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Der Kläger hat die Beiträge stehen lassen und die Versicherung freiwillig fortgesetzt. Damit hat er sich der Rechtsfolge unterworfen, daß die für ihn zwischen dem staatlichen Zusammenbruch und dem Inkrafttreten des G 131 entrichteten Beiträge als freiwillig erbracht gelten. Mit dieser Fiktion ist deutlich gemacht, daß die speziell für Pflichtbeiträge gegebenen Rechtsvorteile ausgeschlossen sein sollen.

Das erstinstanzliche Gericht hat der Fiktion des § 74 Ab. 3 G 131 eine weniger eingreifende Bedeutung beigemessen. Es hat angenommen, daß die Beiträge, von denen an dieser Stelle die Rede ist, sich von solchen Beiträgen unterschieden, die sonst zu einer „echten” freiwilligen Versicherung verwendet werden. Dem wird man zustimmen können. Die Wirksamkeit dieser Beiträge hängt nicht davon ab, daß der Versicherte zur Zeit ihrer Entrichtung zur Selbst- oder Weiterversicherung berechtigt war (§ 1446 RVO aF; § 1422 RVO nF). Die Beiträge sind nicht etwa rückschauend als zu Unrecht geleistet zu behandeln, wenn die Befugnis zur freiwilligen Versicherung gefehlt haben sollte. Mit dieser Überlegung ist aber der Inhalt des § 74 Abs. 3 G 131 nicht ausgeschöpft; es ist nicht erklärt, weshalb der Gesetzgeber diesen Beiträgen die Qualität von Pflichtbeiträgen genommen hat.

Die vom Senat vertretene Auffassung, daß die nicht erstatteten Beiträge lediglich mit den Wirkungen ausgestattet sein sollen, die einer freiwilligen Versicherung zuteil werden, folgt aus dem Zweck des Gesetzes überhaupt und des § 74 Abs. 3 G 131 insbesondere. Das G 131 dient der Aufgabe, den früheren Verwaltungsangehörigen, die infolge des Zusammenbruchs des Reichs im Jahre 1945 ihr Amt, ihren Arbeitsplatz oder ihre Versorgungsbezüge verloren hatten – soweit dies die veränderte Situation zuließ –, denjenigen Rechtsstatus wieder zu verleihen, den sie vorher gehabt hatten. Hinzukam – bei Erfüllung der entsprechenden Voraussetzungen – das Recht auf Versorgung (vornehmlich §§ 29 bis 42 & 131). Mit dem G 131 war den betreffenden Personen rückwirkend diejenige dienst- und versorgungsrechtliche Rechtsposition wieder verschafft, die eine zwischenzeitlich vorgenommene Rentenversicherung entbehrlich erscheinen ließ. Gleichartige Beschäftigungen wären, wenn das Gesetz von 1945 an gegolten hätte, versicherungsfrei gewesen, und zwar wegen der – rückwirkend gewährleisteten – Anwartschaft auf Versorgung (vgl. §§ 169 RVO, 1234 RVO aF). Aus dieser Rechtsgestaltung folgerte der Gesetzgeber, daß der zwischenzeitlich Versicherte der Pflichtversicherung nicht mehr bedurfte; andererseits sollte er aber die einmal begonnene Versicherung freiwillig fortführen können. Es bestand jedoch kein Bedürfnis dafür, daß diese zusätzlich durch staatliche Begünstigungen – wie die hier in Betracht kommenden – angereichert werde. Sowohl in der beamtenrechtlichen Versorgung als auch in der gesetzlichen Rentenversicherung kommt der Zeit, die jemand in ihr verbracht hat, ein maßgebliches Gewicht bei. Einbußen an Zeit, die der einzelne infolge politischer Geschehnisse erlitten hat, suchen beide Rechtsinstitutionen in vergleichbarer Weise wettzumachen. Der Ausgleich, den die Versicherten für Beitragsausfälle infolge Kriegsdienstes und der Kriegsgefangenschaft erhalten, indem ihnen Ersatzzeiten angerechnet werden, wird nach dem G 131 (vgl. § 29 G 131 i.V.m. § 114 BBG) durch Berücksichtigung ruhegehaltsfähiger Dienstzeiten gewährt.

Wer nun vor Beginn einer solchen Zeit die Anwartschaft auf beamtenrechtliche Versorgung besaß, aber nicht schon rentenversichert war, wird regelmäßig in der Rentenversicherung nicht durch einen Zeitverlust benachteiligt worden sein. Diese Rechts- und Sachlage trifft erst recht zu, wenn der Betreffende auch später wieder an der beamtenrechtlichen Versorgung teilhat. Diesem Regelfall folgt die Gesetzgebung.

Der Zweck, diese „verlorenen” Zeiten für die Alters- und Hinterbliebenenversorgung aufzuwerten, wird in derjenigen Sicherungseinrichtung erreicht, die dem einzelnen nach seiner Lebensgestaltung am nächsten steht. Die Rentenversicherung, der die beamtenrechtliche Versorgung vorgeht, hatte insoweit keine Aufgabe mehr zu erfüllen. Es ist daher sachgerecht und folgerichtig, wenn das Gesetz sich darauf beschränkt, dem einzelnen in der Rentenversicherung nur die Gelegenheiten zur Verfügung zu stellen, die er aus eigenen Mitteln und ohne staatliches Dazutun nutzen kann (übereinstimmend: BSG vom 25. Okt. 1966 – 11 RA 352/65 –).

Die Beklagte hat § 74 Abs. 3 G 131 somit richtig angewendet.

Das Berufungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen; die Revision ist mit der auf § 193 Abs. 1, 4 des Sozialgerichtsgesetzes beruhenden Kostenentscheidung zurückzuweisen.

 

Unterschriften

Penquitt, Schmitt, Dr. Ecker

 

Fundstellen

Dokument-Index HI927539

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