Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufs- bzw Erwerbsunfähigkeit. konkrete Benennung von Verweisungstätigkeiten. Verschlossenheit des Arbeitsmarktes

 

Orientierungssatz

Dem Großen Senat werden nach § 41 Abs 4 des SGG folgenden Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:

1. Ist für die Beurteilung, ob ein Versicherter der Gruppe mit dem Leitbild des angelernten Arbeiters im unteren Bereich oder der Gruppe mit dem Leitbild des ungelernten Arbeiters berufs- oder erwerbsunfähig ist, die konkrete Benennung von Verweisungstätigkeiten erforderlich, wenn er seinen bisherigen Beruf nicht mehr ausüben und auch sonst nur noch körperlich leichte Arbeiten mit weiteren Einschränkungen verrichten kann?

2. Sind die Fallgruppen, bei denen das BSG bisher die erhebliche Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes angenommen hat, als abschließend anzusehen?

 

Normenkette

RVO § 1246 Abs. 2 S. 2, § 1247 Abs. 2; SGB 6 § 43 Abs. 2 S. 2; SGB 6 § 44 Abs. 2; SGG § 41 Abs. 4

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 25.11.1992; Aktenzeichen L 2 J 138/91)

SG Braunschweig (Entscheidung vom 26.03.1991; Aktenzeichen S 5 J 339/89)

 

Tatbestand

Streitig ist im Revisionsverfahren noch die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU), hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit (BU), für die Zeit ab 1. August 1992.

Der im Jahre 1935 geborene Kläger absolvierte vom 1. April 1950 an eine Lehre als Bierbrauer und Mälzer, 1953 schloß er diese mit der Gesellenprüfung ab. In dem erlernten Beruf war er bis 1969 tätig. Anschließend arbeitete er bei verschiedenen Unternehmen mit Unterbrechungen als Auslieferungs- und Verkaufsfahrer sowie als Kraftfahrer im Werksverkehr. Von 1984 bis in das Jahr 1987 hinein war er als Nachtportier beschäftigt und dann von Oktober 1987 bis Ende 1988 als Kraftfahrer im Schneeräum- und Streudienst eines privaten Winterdienstunternehmens.

Das letzte Arbeitsverhältnis wurde aus gesundheitlichen Gründen gelöst, nachdem der Kläger sich der Behandlung eines Bandscheibenvorfalls durch Chemonucleolyse unterzogen hatte. Die Beklagte gewährte dem Kläger daraufhin ein stationäres Heilverfahren, das Anfang 1989 durchgeführt wurde. Im April 1989 leitete die Beklagte auf Antrag des Klägers ein Verfahren zur beruflichen Rehabilitation ein, das im November 1989 beendet wurde, ohne daß dem Kläger mit Hilfe des Arbeitsamtes (ArbA) ein leidensgerechter Arbeitsplatz beschafft worden war. Auch in der Folgezeit gelang es dem ArbA nicht, den Kläger zu vermitteln. Er bezog von Juli 1989 bis zum Juli 1992 Arbeitslosengeld (Alg), unterbrochen durch die Gewährung von Krankengeld (Februar bis Juli 1992). Seit dem 25. Juli 1992 erhielt der Kläger Arbeitslosenhilfe (Alhi).

Nachdem bereits ein im Jahre 1984 gestellter Rentenantrag erfolglos geblieben war, beantragte der Kläger im August 1989 erneut die Gewährung von Rente wegen EU oder BU. Diesen Antrag lehnte die Beklagte nach medizinischer Sachaufklärung mit Bescheid vom 18. Oktober 1989 ab, weil weder BU noch EU vorliege.

Die dagegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) Braunschweig durch Urteil vom 26. März 1991 abgewiesen. Darin heißt es im wesentlichen: Der Kläger könne noch leichte Tätigkeiten vollschichtig verrichten. Er genieße keinerlei Berufsschutz. Den erlernten Beruf eines Bierbrauers habe er seinerzeit nicht aus Gesundheitsgründen aufgegeben. Anschließend habe er nur angelernte Tätigkeiten verrichtet, zumal seine Arbeit als Kraftfahrer nicht den Anforderungen der Berufskraftfahrerverordnung entsprochen habe. Somit sei er auf alle angelernten und ungelernten Tätigkeiten, mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen etwa auf die eines Packers, Sortierers u.ä., zu verweisen.

Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen die erstinstanzliche Entscheidung sowie den angefochtenen Bescheid durch Urteil vom 25. November 1992 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger EU-Rente ab dem 1. August 1992 zu gewähren. Die weitergehende Berufung ist zurückgewiesen worden.

Zur Begründung hat das LSG ausgeführt: Rein medizinisch gesehen sei der Kläger nicht erwerbsunfähig. Er könne keine schweren bis mittelschweren körperlichen Arbeiten mehr verrichten, aber leichte Tätigkeiten seien ihm noch vollschichtig zumutbar. Dabei dürfe er keiner gebückten oder gebeugten Zwangshaltung ausgesetzt sein. Des weiteren sollte die Tätigkeit nicht mit Heben oder Tragen von Lasten über 5 kg verbunden sein und weder im ausschließlichen Gehen oder Stehen noch ausschließlichen Sitzen ausgeübt werden. Die Tätigkeit solle in geschlossenen Räumen stattfinden. Nach alledem könne er nicht mehr als Kraftfahrer arbeiten, aber zB noch als Bürohilfskraft oder Amtsbote.

Trotz dieser theoretisch bestehenden Resterwerbsfähigkeit sei der Kläger dennoch seit dem 1. August 1992 iS des § 1247 der Reichsversicherungsordnung (RVO) - der gemäß § 300 Abs 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung) (SGB VI) vorliegend noch Anwendung finde - erwerbsunfähig. Denn er könne eine Erwerbstätigkeit in absehbarer Zeit nicht mehr ausüben, weil ihm der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen sei. Dazu habe das Bundessozialgericht (BSG) mehrere Fallgruppen gebildet. Diese Rechtsprechung sei bei der gebotenen lebensnahen Betrachtung dahingehend weiterzuentwickeln, daß bei einer Summierung durchaus typischer Leistungseinschränkungen ebenfalls der Arbeitsmarkt verschlossen sei. Dies könne jedoch nur unter bestimmten einschränkenden Voraussetzungen der Fall sein, wenn verschiedene Härten kumulativ vorlägen. Für einen Versicherten der Arbeiterrentenversicherung sei der Arbeitsmarkt demnach dann verschlossen, wenn er

a) seinen bisherigen Beruf bzw seine letzte dauerhafte Berufstätigkeit infolge Krankheit oder Behinderung nicht mehr habe ausüben können und seinen letzten Arbeitsplatz deswegen verloren habe und

b) durch Krankheit oder Behinderung in seiner Erwerbsfähigkeit auch im übrigen erheblich gemindert, aber noch vollschichtig einsetzbar sei und

c) bei Eintritt dieser Minderung der Erwerbsfähigkeit (Beginn dauernder Arbeitsunfähigkeit für die letzte Tätigkeit) das 50. Lebensjahr vollendet gehabt habe und

d) der Arbeitsvermittlung spätestens seit Ende des Krankengeldbezuges im Rahmen seiner verbliebenen Erwerbsfähigkeit zur Verfügung gestanden und Arbeitslosengeld bezogen habe und

e) trotz intensiver Bemühungen des Arbeitsamtes und des zuständigen Rentenversicherungsträgers in eine behinderungsgerechte Beschäftigung nicht mehr habe vermittelt werden können.

Diese Voraussetzungen lägen beim Kläger vor. Er habe seine letzte Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen aufgeben müssen, sei in seiner Erwerbsfähigkeit erheblich gemindert und habe bei dem krankheitsbedingten Verlust des Arbeitsplatzes 1988 das 50. Lebensjahr vollendet gehabt. Bei dem Kläger seien auch die Wiedereingliederungsbemühungen von Rentenversicherungsträger und ArbA bis zum endgültigen Auslaufen des Alg am 24. Juli 1992 ohne Erfolg geblieben.

Für den Zeitraum vor August 1992 stehe dem Kläger auch keine BU-Rente zu. Ihm sei kein Berufsschutz als Facharbeiter einzuräumen. Daher müsse er sich auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsfeldes verweisen lassen, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprächen. Soweit es den Zeitraum bis zur Venenoperation im März 1992 betreffe, kämen Tätigkeiten als Prüfer, Montierer oder Packer von Kleinteilen in Betracht, ohne daß es einer konkreten Benennung bedürfe. Für die Zeit danach sei zwar bereits eine erhebliche Einschränkung des Leistungsvermögens für leichte Vollschichtarbeit anzunehmen, jedoch habe damals wegen der noch laufenden Vermittlungsbemühungen des ArbA noch keine Verschlossenheit des Arbeitsmarktes festgestellt werden können.

Mit ihrer - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte insbesondere die Verletzung der §§ 1246, 1247 RVO, §§ 43, 44, 300 SGB VI. Die Gründe, weshalb das LSG den Arbeitsmarkt für den Kläger als verschlossen ansehe, sprengten bei weitem den Rahmen, den das BSG bislang abgesteckt habe. Entgegen der Auffassung in dem angegriffenen Urteil sei der Kläger noch in der Lage, als Pförtner zu arbeiten. Es gebe auch noch eine hinreichende Anzahl von verschiedenen Tätigkeiten, die entsprechend den Einschränkungen des Klägers im Wechsel zwischen Stehen oder Sitzen oder mit der Möglichkeit, sich während der Arbeit zu setzen oder hinzustellen, verrichtet werden könnten. Weder erscheine eine weitere vom Gesetzestext losgelöste Rechtsfortbildung als vertretbar, noch vermöge das vom LSG entwickelte Konzept zu überzeugen. Es führe im Ergebnis zu einer weiteren erheblichen Verlagerung des Risikos der Beschäftigungslosigkeit von der Arbeitslosenversicherung zur Rentenversicherung. Schließlich habe das LSG zu Unrecht die Vorschriften der RVO für anwendbar gehalten, denn bei einem Rentenbeginn im August 1992 sei das SGB VI anzuwenden.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des LSG Niedersachsen vom 25. November 1992 aufzuheben,

soweit es das Urteil des SG abgeändert hat, und die Berufung des

Klägers auch insoweit zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der vorlegende Senat hat zu den Verhältnissen des allgemeinen Arbeitsmarktes - insbesondere soweit er für erheblich leistungsgeminderte Arbeiter in Betracht kommt - die Arbeitswissenschaftler Prof. Dr. Frieling (Gesamthochschule Kassel - Universität -, Institut für Arbeitswissenschaft), Prof. Dr. Landau (Universität Hohenheim, Institut für Arbeitswissenschaft und Haushaltstechnologie), Dr. Blaschke sowie Dr. Plath (beide vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesanstalt für Arbeit) schriftlich und - in der Sitzung vom 22. November 1994 - mündlich als Sachverständige gehört.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat legt dem Großen Senat des BSG die im Tenor aufgeführten Fragen von grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 41 Abs 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zur Entscheidung vor, weil er dies zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung für erforderlich hält.

1. Beide Vorlagefragen sind für die Entscheidung des Senats über die Revision der Beklagten gegen das angefochtene Urteil des LSG erheblich. Gegen die Zulässigkeit dieser Revision bestehen keine Bedenken. Die Revision ist begründet, wenn das LSG die Beklagte zu Unrecht verurteilt hat, dem Kläger Versichertenrente wegen EU für die Zeit ab Anfang 1992 zu gewähren. In diesem Falle ist auch darüber zu entscheiden, ob dem Kläger nicht wenigstens die hilfsweise beanspruchte Rente wegen BU zusteht.

Der Anspruch des Klägers auf Rentenleistungen, die erst mit dem August 1992 beginnen, richtet sich nach dem neuen Recht der §§ 43, 44 SGB VI. Insoweit rügt die Beklagte zu Recht, daß die Vorinstanz ihre Entscheidung noch auf § 1247 RVO gestützt hat. § 300 Abs 2 SGB VI, der auf den Zeitraum der Antragstellung abstellt, gilt nur für Ansprüche, die bereits vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts (am 1. Januar 1992) bestanden haben (vgl KassKomm/Niesel, § 300 SGB VI RdNr 7). Auf Ansprüche, deren Voraussetzungen erst nach dem 1. Januar 1992 eingetreten sind, ist hingegen nach dem Sinn des § 300 Abs 1 SGB VI unabhängig von der Antragstellung stets neues Recht anzuwenden (so auch Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, 3. Aufl, § 300 SGB VI RdNr 6).

Nach § 43 Abs 1 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen BU, wenn sie - berufsunfähig sind, - in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der BU drei Jahre Pflichtbeitragszeiten haben und - vor Eintritt der BU die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Anspruch auf Rente wegen EU haben gemäß § 44 Abs 1 SGB VI Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, wenn sie - erwerbsunfähig sind, - in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der EU drei Jahre Pflichtbeitragszeiten haben und - vor Eintritt der EU die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Beide Rentenleistungen unterscheiden sich mithin nur durch die jeweils unter Nr 1 der genannten Vorschriften aufgeführten Merkmale der BU und EU, nicht jedoch hinsichtlich ihrer versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (vgl § 43 Abs 1 Nrn 2 und 3, § 44 Abs 1 Nrn 2 und 3 SGB VI).

Aus dem Zusammenhang der Tatsachenfeststellungen des LSG ergibt sich, daß der Kläger sowohl die allgemeine Wartezeit erfüllt hat (§ 43 Abs 1 Nr 3, § 44 Abs 1 Nr 3 iVm § 50 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB VI) als auch die erforderlichen Pflichtbeitragszeiten vor Eintritt des vom LSG angenommenen Versicherungsfalles vorweisen kann (§ 43 Abs 1 Nr 2, § 44 Abs 1 Nr 2 SGB VI). Bereits mit dem ablehnenden Bescheid vom 18. Oktober 1989 hatte dies die Beklagte zum inhaltsgleichen Recht der RVO anerkannt. Seit diesem Bescheiddatum hat sich auch an der Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen iS von § 43 Abs 1 Nr 2, Abs 3 und 4, § 44 Abs 1 Nr 2, Abs 4 SGB VI nichts mehr geändert. Der Kläger hat nämlich nach den Feststellungen im Berufungsurteil seitdem ununterbrochen Lohnersatzleistungen (Krankengeld, Alg, Alhi) bezogen (vgl § 43 Abs 3 Nr 1 SGB VI).

Es bleibt zu klären, ob der Kläger erwerbsunfähig oder zumindest berufsunfähig ist. Erwerbsunfähig sind nach § 44 Abs 2 Satz 1 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteigt. Berufsunfähig sind gemäß § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten insoweit zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Da diese Begriffsbestimmungen nahezu wörtlich aus den §§ 1246, 1247 RVO übernommen worden sind, bleiben die bisherige Rechtsprechung sowie die Literaturmeinungen zum alten Recht weiterhin einschlägig.

Ausgangspunkt für die Beurteilung der BU ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG der "bisherige Beruf", den der Versicherte ausgeübt hat (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 107 und 169). Aber auch für die hier vorrangig begehrte EU-Rente ist der bisherige Beruf nicht ohne Bedeutung. In bezug auf beide Rentenarten gilt nämlich gleichermaßen, daß ein Versicherungsfall nicht eingetreten ist, solange der Versicherte seinen bisherigen Beruf noch ohne wesentliche Einschränkungen weiter ausüben kann (vgl zB BSG SozR 2200 § 1246 Nr 126).

In der Regel ergibt sich der bisherige Beruf eines Versicherten aus dessen letzter versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit, die auch dann maßgebend ist, wenn sie nur kurzfristig ausgeübt worden ist, aber zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten gewesen ist (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 130 und 164). Nur wenn gesundheitliche Gründe für die Aufgabe einer früheren Tätigkeit verantwortlich waren, bleibt der Berufsschutz ohne weiteres erhalten, da sich insofern gerade das versicherte Risiko der gesetzlichen Rentenversicherung verwirklicht hat (vgl BSGE 2, 182, 187; BSG SozR Nr 33 zu § 1246 RVO).

Von diesen Grundsätzen ausgehend hat das LSG zutreffend die Kraftfahrertätigkeit des Klägers als dessen bisherigen Beruf angesehen. Dazu ist im Berufungsurteil festgestellt worden, daß der Kläger diese Tätigkeit von 1969 bis 1984 und zuletzt von 1987 bis 1988 ausgeübt hat. An diese Feststellungen ist der Senat gebunden, da hiergegen keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben worden sind (§ 163 SGG). Die vom Kläger zwischenzeitlich (von 1984 bis 1987) verrichtete Beschäftigung als Nachtpförtner hat das LSG zu Recht unberücksichtigt gelassen. Unabhängig von der qualitativen Wertigkeit dieser Tätigkeit ist jedenfalls nicht ersichtlich, daß gesundheitliche Gründe für deren Beendigung maßgebend waren. Schließlich kann auch die nur bis 1969 ausgeübte Tätigkeit als Brauer und Mälzer rechtlich nicht als bisheriger Beruf des Klägers angesehen werden. Das LSG hat nämlich für den Senat bindend festgestellt, daß der Kläger diesen Beruf seinerzeit jedenfalls nicht erwiesenermaßen aus gesundheitlichen Gründen aufgeben mußte.

Da nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG eine Tätigkeit als Kraftfahrer für den Kläger nicht mehr in Betracht kommt, ist zur Feststellung von BU oder EU weiter zu prüfen, ob er noch eine andere zumutbare Tätigkeit verrichten kann. Während sich das Verweisungsspektrum bei der BU nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs richtet, ist der Kläger im Rahmen der hier vorrangig zu prüfenden EU grundsätzlich auf alle geeigneten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verweisen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG muß dem Versicherten keine Verweisungstätigkeit benannt werden, wo im Einzelfall offensichtlich ist, daß es für ihn geeignete Tätigkeiten gibt (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 30, 33, 75). Letzteres ist zB angenommen worden, wenn ein auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbarer Versicherter zwar nicht mehr schwere, aber mittelschwere oder leichtere Arbeiten ohne besondere sonstige Einschränkungen verrichten kann (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 30, 75, 81, 90, 104, 136). Diese Regel erfährt dann eine Ausnahme, wenn der Versicherte selbst leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nur noch mit vielfältigen und/oder erheblichen Einschränkungen ausüben kann (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 81, 90). Dabei müssen diese Einschränkungen so erheblich sein, daß von vornherein ernste Zweifel daran aufkommen, ob der Versicherte mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen auch in einem Betrieb einsetzbar ist (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104). Danach zwingt bei einem solchen Versicherten (nur) eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung zu konkreter Benennung (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 117, 136).

Diese Kriterien lassen nach Auffassung des vorlegenden Senats hier nicht den eindeutigen Schluß zu, daß dem Kläger zumindest eine Verweisungstätigkeit konkret zu benennen ist. Die vom LSG festgestellten Leistungseinschränkungen halten sich weitgehend noch in dem Rahmen, in welchem das BSG eine pauschale Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt für zulässig gehalten hat (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 90, 104, 117). Immerhin kann der Kläger jedenfalls noch leichte Tätigkeiten vollschichtig verrichten. Die Arbeiten sollten allerdings nicht in gebückter oder gebeugter Zwangshaltung, ebensowenig ausschließlich im Gehen oder mit langandauerndem Sitzen oder Stehen ausgeübt werden und auch nicht mit Heben und Tragen von Lasten über 5 kg verbunden sein. Arbeiten in geschlossenen Räumen unter Schutz vor Nässe, Kälte und Zugluft sind möglich. Insgesamt gesehen liegt dieses Restleistungsvermögen in einem Grenzbereich, der mit den bisherigen Kriterien nicht klar zu beurteilen ist. Insoweit kommt es für die Entscheidung auf die Beantwortung der Vorlagefrage Nr 1 an. Deren Bejahung würde hier die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit erforderlich machen.

Eine derartige Benennung ist bislang noch nicht ordnungsgemäß vorgenommen worden und kann im Revisionsverfahren mangels ausreichender tatrichterlicher Feststellungen auch nicht nachgeholt werden. Zur konkreten Bezeichnung einer Verweisungstätigkeit genügt es nach der Rechtsprechung des BSG nicht, einzelne Arbeiten oder Arbeitsvorgänge anzugeben, vielmehr muß ein typischer Arbeitsplatz benannt werden, der nicht nur in geringer Anzahl vorkommt. Es ist eine typisierende Beschreibung des Arbeitsinhalts zu geben, aus der sich erkennen läßt, welche Anforderungen an das Leistungsvermögen sowie an die Kenntnisse und Fähigkeiten des Versicherten gestellt werden (vgl BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr 8 S 19f mwN). Diesen Konkretisierungserfordernissen ist das LSG nicht gerecht geworden, indem es lediglich ausgeführt hat, für den Kläger kämen noch Tätigkeiten als Bürohilfskraft oder als Amtsbote in Betracht, wobei erstere im Wechsel von Stehen und Gehen und letztere überwiegend im Gehen mit gelegentlicher Sitzmöglichkeit ausgeübt werde. Abgesehen davon, daß die Vorinstanz damit das Restleistungsvermögen des Klägers (dieser ist auch in dem Heben und Tragen von Lasten beeinträchtigt) nur unvollkommen den Anforderungen der genannten Tätigkeiten gegenübergestellt hat (vgl dazu allgemein BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 29), fehlt es auch an einer positiven Feststellung des Vorhandenseins einer ausreichenden Zahl entsprechender Arbeitsplätze. Insbesondere hat sich das LSG nicht dazu geäußert, ob die betreffenden Tätigkeiten in Tarifverträgen aufgeführt sind (vgl dazu BSG SozR 2200 § 1246 Nr 102 mwN). Da das Urteil auch sonst keine Tatsachenfeststellungen enthält, welche die Benennung zumindest einer geeigneten Verweisungstätigkeit zuließen, müßte die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden, wenn man hier im Sinne der Vorlagefrage Nr 1 eine Benennungspflicht bejaht.

Sollte das LSG bei einer erneuten Behandlung der Sache eine Tätigkeit finden, die der Kläger nach seinen Kräften und Fähigkeiten noch verrichten kann, so wird es sich auch mit der Frage zu befassen haben, ob nicht insoweit zumindest die erhebliche Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes besteht (vgl zB BSG SozR 2200 § 1246 Nr 137 S 440). Der vorlegende Senat sieht es daher als geboten an, der Vorinstanz Hinweise zur Bearbeitung dieses Problembereichs zu geben. In diesem Zusammenhang ist die Vorlagefrage Nr 2 von Bedeutung. Das LSG muß dabei nämlich wissen, ob die vom BSG bislang erarbeiteten Fallgruppen (vgl die Zusammenstellungen bei BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 137, 139) als abschließend anzusehen sind (so BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 41 S 167f) oder ob es bei entsprechenden Entwicklungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auch Erweiterungen geben kann.

Falls der Große Senat des BSG dagegen die Vorlagefrage Nr 1 verneint, wird die Frage Nr 2 für die Entscheidung des vorlegenden Senats insofern unmittelbar erheblich, als er dann selbst eine Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes prüfen müßte. Auf der Grundlage der berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen würde hier keine der dazu vom BSG herausgestellten Fallgruppen vorliegen. Weder ist die Mobilität des Klägers erheblich eingeschränkt, noch ist er auf unübliche Arbeitsbedingungen (zB zusätzliche Pausen) angewiesen. Ohne daß eine konkrete Verweisungstätigkeit benannt worden ist, läßt sich auch nicht sagen, daß der Kläger nur in Teilbereichen eines bestehenden Tätigkeitsfeldes eingesetzt werden kann, daß die an sich für ihn geeigneten Arbeitsplätze typischerweise nur betriebsintern vergeben werden (zB als sog "Schonarbeitsplätze") oder daß die in Betracht kommenden Arbeitsplätze nur in ganz geringer Zahl vorhanden sind. Sofern der Fallgruppenkatalog des BSG zur Seltenheit zugänglicher Arbeitsplätze nicht als abschließend angesehen werden muß, wäre weiter zu fragen, ob nicht aus anderen Gründen zumindest die erhebliche Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes besteht. Eine Modifizierung des Kataloges könnte gerade dann geboten sein, wenn man eine Pflicht zur Benennung einer Verweisungstätigkeit verneint und somit die Verschlossenheitsprüfung bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt vornehmen muß.

2. Nach Auffassung des erkennenden Senats sind die hiermit vorgelegten Fragen von grundsätzlicher Bedeutung. Sie betreffen eine große Zahl von Fällen, weil es auf sie immer dann ankommt, wenn erheblich leistungsgeminderte Versicherte aus den Gruppen der ungelernten und unteren angelernten Arbeiterinnen und Arbeiter Versichertenrente wegen BU oder EU begehren. Daraus ergeben sich in der Praxis erhebliche rechtliche, wirtschaftliche und soziale Auswirkungen. Einer Klärung dieser Fragen durch den Großen Senat des BSG bedarf es aus folgenden Gründen:

a) Soweit es die Vorlagefrage Nr 1 betrifft, würde ihre Bejahung insoweit eine Weiterentwicklung der bisherigen Rechtsprechung des BSG (vgl zB BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 104, 117, 136; SozR 3-2200 § 1247 Nr 8) bedeuten, als es auf die Kriterien "Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" und "spezifische Leistungsbehinderung" nicht mehr ankäme. Der Bereich einer pauschalen Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt würde dadurch eingeengt. Im Ergebnis würde die Benennungspflicht in etwa der Tendenz entsprechen, die der 4. Senat des BSG in seinem Urteil vom 25. Januar 1994 (SozR 3-2200 § 1246 Nr 41 S 171) erkennen läßt. Danach muß eine konkrete Verweisung jedenfalls dann stattfinden, wenn gesundheitliche Einschränkungen vorliegen, welche die Einsetzbarkeit in körperlich leichten Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zusätzlich begrenzen (BSG aaO S 171). Gerade weil die bisherige Rechtsprechung durch die genannte Entscheidung des 4. Senats in Fluß geraten ist, erscheint eine klare Abgrenzung durch den Großen Senat des BSG geboten.

Hierzu ist es zunächst erforderlich, die Gründe, die zu dem Verweisungskonzept des BSG geführt haben, klar herauszuarbeiten; alsdann ist zu prüfen, inwieweit sich die zugrunde gelegten Bedingungen des Arbeitsmarktes verändert haben und welche Folgerungen sich hieraus im Rahmen dieses Konzepts ergeben. Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung hervorgehoben, daß einem Versicherten, der seinen bisherigen Beruf nicht mehr ausüben kann, die Rente grundsätzlich nur versagt werden darf, wenn ihm eine konkrete Verweisungstätigkeit benannt wird (vgl SozR 2200 § 1246 Nrn 109 und 143; SozR 3-2200 § 1246 Nr 45). Dies ist zum einen erforderlich, damit das Restleistungsvermögen des Versicherten mit den Anforderungen dieser Tätigkeit abgeglichen und festgestellt werden kann, ob er dem Verweisungsberuf gewachsen ist. Zum anderen ergibt sich diese Notwendigkeit verstärkt dort, wo der Verweisungsbereich eingeengt ist, weil man in diesen Fällen nicht sicher sein kann, daß es geeignete Verweisungstätigkeiten gibt, die auch sozial zumutbar sind (BSG aaO). Dementsprechend hat das BSG in seiner Rechtsprechung zur BU bei Verweisung von Facharbeitern mit Vorgesetztenfunktion, besonders hochqualifizierten Facharbeitern sowie Facharbeitern stets die konkrete Benennung von Verweisungstätigkeiten gefordert (vgl SozR 2200 § 1246 Nr 109), später dann auch für Angelernte des oberen Bereichs (vgl SozR 2200 § 1246 Nrn 109 und 143; SozR 3-2200 § 1246 Nr 45).

Eine Ausnahme hat das BSG nur dort zugelassen, wo es angenommen hat, daß das Vorhandensein von Verweisungstätigkeiten offensichtlich ist (vgl SozR 2200 § 1246 Nr 90 S 285). Diese Voraussetzung hat es als gegeben angesehen, wo eine Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt in Betracht kommt. Das sei dort der Fall, wo es um das Vorliegen von EU oder darum gehe, ob ungelernte Arbeitnehmer und angelernte Arbeitnehmer des unteren Bereichs berufsunfähig seien. Hier bestehe grundsätzlich wenig Gefahr, daß der Versicherte, der noch vollschichtig tätig sein könne, auf Arbeiten verwiesen werde, die in der Wirklichkeit der Berufswelt nicht oder kaum aufzufinden seien (vgl SozR 2200 § 1246 Nr 81 S 252 unten, Nr 90 S 285). Das BSG hat jedoch dort, wo es diese Voraussetzungen nicht mehr als erfüllt ansah, wiederum eine Benennung von Verweisungstätigkeiten für erforderliche gehalten.

Das Erfordernis einer konkreten Abgleichung von Leistungsvermögen und Verweisungstätigkeit, das zur Benennung mindestens einer Verweisungstätigkeit zwingt, wird deshalb bejaht, wenn der Versicherte wegen einer spezifischen Leistungsbehinderung oder einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 117 und 136) - insbesondere dann, wenn diese dazu führen, daß er nur noch unter unüblichen Arbeitsbedingungen arbeiten kann (vgl BSG aaO Nr 136) - nur in einem sehr engen Spektrum verweisbar ist.

Diese Übersicht zeigt, daß die Einschränkung der Erforderlichkeit, Verweisungstätigkeiten zu benennen, eng mit der Einschätzung der Gegebenheiten des Arbeitsmarktes verknüpft ist. Nur dort, wo wegen der Vielfalt der sich bietenden Verweisungstätigkeiten eine Abgleichung zwischen dem Restleistungsvermögen des Versicherten und den Anforderungen einer konkreten Verweisungstätigkeit überflüssig erscheint und wo auch unter dem Gesichtspunkt der sozialen Zumutbarkeit keine Einengung auf ein begrenztes Verweisungsspektrum stattfindet, entfällt das Benennungserfordernis.

Insoweit ergeben die Ausführungen der in diesem Verfahren gehörten Sachverständigen gewichtige Anhaltspunkte, die Veranlassung geben, die genannten, vor 10 bis 20 Jahren entwickelten Einschätzungen des BSG zu den für die Verweisbarkeit maßgeblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu überprüfen. Zumindest deuten die von den Sachverständigen aufgezeigten Verhältnisse der heutigen Arbeitswelt darauf hin, daß man jedenfalls bei Versicherten der Gruppe mit dem Leitbild des angelernten Arbeiters im unteren Bereich und der Gruppe mit dem Leitbild des ungelernten Arbeiters, die ihren bisherigen Beruf nicht mehr ausüben und auch sonst nur noch körperlich leichte Arbeiten mit weiteren Einschränkungen verrichten können, ohne konkrete Verweisung nicht mehr sicher sein kann, daß es für sie noch geeignete Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt. Dieser Eindruck besteht unabhängig davon, daß die von den Sachverständigen Prof. Dr. Frieling und Prof. Dr. Landau zugrunde gelegten Erhebungen nicht alle Bereiche des Arbeitsmarkts erfassen; denn sie decken jedenfalls große und wichtige Teile des Arbeitsmarktes ab.

Die Zahl der Beschäftigten ohne Berufsausbildung hat sich in den letzten Jahren sehr verringert. Zwar umfaßt diese Gruppe auch qualifiziertere Arbeiter, die über keinen formalen Ausbildungsabschluß verfügen; jedoch gilt der zu beobachtende Trend gerade auch für Arbeitsplätze im ungelernten Bereich (vgl Prof. Dr. Frieling, Gutachten S 11, Anlage zum Protokoll der Senatssitzung vom 22. November 1994 (Prot) S 13). Der stark rückläufige Arbeitskräftebedarf für einfache Arbeiten läßt sich auch daran ablesen, daß sich die Zahl der ungelernten Erwerbslosen gegenüber dem Durchschnitt erheblich erhöht hat (vgl dazu auch Schimanski, SozVers 1991, 169, 174). Auch wenn der Anteil der Beschäftigten ohne beruflichen Ausbildungsabschluß in verschiedenen Branchen noch recht hoch ist (vgl Prof. Dr. Frieling, Gutachten S 2), kann daraus nicht der Schluß gezogen werden, daß insoweit noch ausreichend viele Arbeitsplätze für Leistungsgeminderte zur Verfügung stehen. Denn ein bedeutender Teil dieser Tätigkeiten ist mit erheblichen Belastungen durch ungünstige Arbeitsbedingungen und starke Körperbeanspruchung verbunden (vgl Prof. Dr. Frieling, Gutachten S 13, 21, Prot S 12f; Prof. Dr. Landau, Gutachten S 4f), denen Versicherte, die nur noch leichtere Arbeiten mit weiteren Einschränkungen verrichten können, häufig gerade nicht ausgesetzt werden dürfen. Schon hierin zeigt sich eine deutliche Einengung des Verweisungsfeldes und auch die Notwendigkeit, Restleistungsvermögen des Versicherten und Anforderungsprofil der Verweisungstätigkeit konkret abzugleichen.

In dem Bereich der körperlich leichten Arbeiten kommen immer mehr neue Produktions- und Organisationskonzepte zum Einsatz, die zu einer tiefgreifenden Veränderung der Arbeitsbedingungen führen. Dadurch fallen gerade solche einfachen Arbeitsplätze fort, die bislang für physisch Leistungsgeminderte in Betracht kamen. So macht der verstärkte Einsatz von elektronischer Datenverarbeitung viele Hilfstätigkeiten überflüssig. Darüber hinaus werden einfache Einzelverrichtungen bei der Einführung von Gruppenarbeit und durch andere Veränderungen der Arbeitsstrukturen ("lean production") mit qualifizierten Aufgaben auf einem Arbeitsplatz zusammengefaßt, der dann an die fachliche Fähigkeit und Flexibilität des Arbeitnehmers Anforderungen stellt, die Leistungsgeminderte aus den Gruppen mit den Leitberufen des ungelernten und unteren angelernten Arbeiters nicht mehr ohne weiteres erfüllen können. Gerade ältere Arbeiter mit geringer beruflicher Qualifikation werden den damit verbundenen psychomentalen Belastungen häufig nicht mehr gewachsen sein (s dazu Prof. Dr. Landau, Gutachten S 3 unten, S 4 unten/5; Prof. Dr. Frieling, Gutachten S 4, 6 ff, Prot S 6/7).

Eine weitere Einschränkung der Verweisungstätigkeiten wird dadurch hervorgerufen, daß die Arbeitsplätze, die für den betreffenden Personenkreis vom Leistungsvermögen her noch in Betracht kommen, dem Arbeitsmarkt offenbar weitgehend nicht zur Verfügung stehen. Hierzu ist darauf hinzuweisen, daß nach den Erkenntnissen von Prof. Dr. Frieling (Gutachten S 13, 21; Prot S 3 unten, 4 Mitte, 5 unten/6, 8 Mitte) und Prof. Dr. Landau (Prot S 46-48) Arbeitsplätze für ungelernte leichte Tätigkeiten fast nur noch betriebsintern besetzt werden. Die Arbeitgeber haben insoweit bereits Schwierigkeiten, leistungsgeminderte Angehörige der Belegschaft unterzubringen, die einen weitgehenden Kündigungsschutz genießen oder aus Gründen der Fürsorgepflicht im Arbeitsverhältnis gehalten werden sollen.

Schließlich haben die Sachverständigen auch darauf hingewiesen, daß der Arbeitsmarkt, auf dem ungelernte Arbeitnehmer noch eine Stelle finden können, weit heterogener ist, als das BSG bisher unterstellt hat. Die Annahme, daß sich allgemeine Hilfstätigkeiten von Betrieb zu Betrieb und von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz nur wenig unterscheiden (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 81 S 252), fand insoweit keine Bestätigung. Prof. Dr. Landau hat auf einen erheblichen Streubereich der Anforderungen hingewiesen (Gutachten S 1, 6, Prot S 14). Dr. Plath hat dies aus der Sicht des IAB bestätigt (Prot S 16 f). Prof. Dr. Frieling hat diese Erkenntnisse mit dem Hinweis ergänzt, daß deshalb eine präzisere Beschreibung der Leistungs- und Einsatzfähigkeit gefordert werden muß, als dies bisher geschieht (Gutachten S 18f).

Die danach hier in Betracht zu ziehende Notwendigkeit der Benennung von Verweisungstätigkeiten scheitert nicht daran, daß die Bezeichnung von Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unmöglich wäre. Allerdings hatte das BSG seine Auffassung, daß die Benennung von Verweisungstätigkeiten bei Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht erforderlich sei, auch damit begründet, daß die nicht oder nur ganz gering qualifizierten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sich einer knappen und kennzeichnenden Benennung entzögen. Dieser Umstand enthebe die Versicherungsträger und Gerichte der sonst bestehenden Pflicht, in dem genannten Bereich Verweisungsberufe konkret zu bezeichnen (BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 81, 90, 104, 136). Auch dieser These kann aus rechtlichen wie aus tatsächlichen Gründen nicht mehr gefolgt werden. Hält man eine Ausweitung des Benennungserfordernisses wegen der Einengung des Verweisungsfeldes und der Heterogenität des allgemeinen Arbeitsmarktes im Hinblick auf eine notwendige versicherungsrechtliche Gleichbehandlung der unteren Arbeitnehmergruppen für geboten, so könnten bestehende Ermittlungsschwierigkeiten allenfalls dann ausschlaggebend sein, wenn sie unüberwindbar wären. Das ist aber nicht der Fall. Schon bisher ist eine Benennung von Verweisungstätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gefordert worden bei Verweisung von Angelernten des oberen Bereichs (BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 109, 143; SozR 3-2200 § 1246 Nr 45). Mit diesen Anforderungen hat die Praxis seit längerem gearbeitet, und es hat sich dabei gezeigt, daß konkrete Verweisungen auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts, zB mit Hilfe berufskundiger Sachverständiger der Arbeitsverwaltung oder berufskundlicher Dokumentationen, möglich sind. Auch die im Termin gehörten Sachverständigen haben dies bestätigt.

Allerdings ist insbesondere nach Auffassung von Prof. Dr. Landau für eine arbeitswissenschaftlich abgesicherte Verweisung von leistungsgeminderten Versicherten eine umfangreiche, möglichst flächendeckende Analyse der in Betracht kommenden Arbeitsplätze erforderlich. Ohne diese lasse sich kein Raster von Anforderungs- und Belastungsprofilen typischer ungelernter Tätigkeiten entwickeln (s Gutachten S 8, Prot S 24 ff). Darüber hinaus ist aber vor allem von Prof. Dr. Frieling dargelegt worden, daß auch ohne diese optimale Grundlage branchenbezogen und regional in relativ kurzer Zeit Erkenntnisse gesammelt werden können, die heute schon einen hinreichenden Überblick über in Betracht kommende Arbeitsplätze bieten (Prot S 18/19/20 ff). Deshalb stellt das gegenwärtige Fehlen hinreichenden, arbeitswissenschaftlich aufgearbeiteten Datenmaterials allenfalls ein vorübergehendes Benennungserschwernis dar, das nach Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. Landau bei entsprechendem Mitteleinsatz bereits in zwei bis drei Jahren beseitigt werden kann. Dementsprechend können die noch unzulängliche Arbeitsmarkttransparenz und die damit verbundenen Ermittlungsschwierigkeiten schon gegenwärtig nicht und erst recht nicht auf Dauer einer an sich aus Gründen der versicherungsrechtlichen Gleichbehandlung notwendigen Bezeichnung von Verweisungstätigkeiten entgegengehalten werden.

Die von den Sachverständigen gewonnenen Erkenntnisse wirken sich auch dahin aus, daß bei konkreter Benennung einer Verweisungstätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht ohne besondere Prüfung von einer ausreichenden Zahl von Arbeitsplätzen ausgegangen werden kann, die für den Versicherten in Betracht kommen. Es sind dabei die bereits erörterten Veränderungen in den Anforderungs- und Belastungsprofilen ungelernter Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu berücksichtigen und auch der Umstand, daß sich Versicherte der unteren Arbeitergruppen (Ungelernte, Angelernte im unteren Bereich) bei der Bewerbung um entsprechende Arbeitsplätze auch der Konkurrenz durch (leistungsgeminderte) Facharbeiterinnen und Facharbeiter sowie angelernte Arbeiterinnen und Arbeiter des oberen Bereichs gegenübersehen. Angesichts eines derart strukturierten und umfangreichen Bewerberpotentials werden entsprechend große Zahlen an Arbeitsplätzen verlangt werden müssen (vgl dazu BSG SozR 2200 § 1246 Nr 110 S 352 ff). Insofern dürfte es regelmäßig nicht mehr ausreichen, lediglich auf eine tarifvertragliche Erfassung solcher Arbeitsplätze hinzuweisen.

b) Die Vorlagefrage Nr 2 sollte durch den Großen Senat geklärt werden, weil sich der vorlegende Senat, der diese Frage verneinen möchte, damit in Widerspruch zu einer vom 4. Senat des BSG - wohl als obiter dictum - geäußerten, aber nicht näher begründeten Rechtsauffassung setzen würde. In seiner Entscheidung vom 25. Januar 1994 (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 41 S 167f) hat der 4. Senat nämlich ausgeführt, daß er das Bestehen der erheblichen Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes durch eine abschließende, dh nicht ausdehnbare Auflistung von seltenen Tätigkeiten (Katalogfälle) umgrenzt habe.

Nach Auffassung des vorlegenden Senats spricht bereits die kontinuierliche Entwicklung des Fallgruppenkatalogs anhand von Einzelfallentscheidungen dagegen, daß es sich um eine abschließende Auflistung handelt. Zwar mag der Katalog bei seiner Zusammenstellung im Jahre 1986 (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 137, 139) die bisherige Rechtsprechung zur Verschlossenheit des Arbeitsmarktes vollständig erfaßt haben, auch mögen damals keine Anhaltspunkte für das Vorhandensein weiterer Fallgruppen ersichtlich gewesen sein, gleichwohl wird man aber die Möglichkeit nicht ausschließen können, daß mit Rücksicht auf neuere Entwicklungen des Arbeitsmarktes ein Erweiterungsbedarf auftritt. Da der Katalog die Untergruppen "seltener" Verweisungstätigkeiten vollständig enthalten soll, wird er allen tatsächlichen Veränderungen Rechnung tragen müssen, die für leistungsgeminderte Versicherte zusätzliche Einschränkungen des Zugangs zu vorhandenen Arbeitsplätzen mit sich bringen.

Entscheidend ist, daß sich jede Ausdehnung des Fallgruppenkatalogs zur Verschlossenheit des Arbeitsmarktes an den gesetzlichen Vorgaben orientiert, wie sie von der Rechtsprechung des BSG herausgearbeitet worden sind. Solange diese Bedingung erfüllt ist, handelt es sich nicht um eine unzulässige Rechtsfortbildung, sondern um die Erfassung tatsächlicher Gegebenheiten des Arbeitsmarktes. Ausgangspunkt der bisherigen Rechtsprechung ist dabei der Gedanke, daß der Versicherte nur dann auf eine verbliebene Erwerbsfähigkeit verwiesen werden kann, wenn dafür in der Arbeitswelt, wie sie sich gerade tatsächlich darstellt, eine reale Chance der Verwirklichung besteht, wenn also eine nicht nur theoretische Möglichkeit vorhanden ist, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erlangen (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 110 S 353).

Diese Rechtsauffassung kann sich insofern auf die geltenden gesetzlichen Bestimmungen stützen, als § 44 Abs 2 SGB VI (ähnlich bereits § 1247 Abs 2 RVO) darauf abstellt, ob der Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen in bestimmter Mindesthöhe zu erzielen. Da sich die Ausübung einer Erwerbstätigkeit ebenso wie die Erzielung von Erwerbseinkünften nicht "im luftleeren Raum" abspielt, dürfen die Verhältnisse des Arbeitsmarktes bei der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit nicht außer Betracht bleiben.

Bedeutsam ist allerdings, daß die Erwerbsfähigkeit des Versicherten durch Krankheit oder Behinderung verloren gegangen sein muß. Nach dem im Sozialrecht geltenden Grundsatz der wesentlichen Mitverursachung muß die gesundheitliche Beeinträchtigung - neben anderen Umständen - zumindest gleichwertig an dem Wegfall der Erwerbsfähigkeit mitgewirkt haben. Ist eine Erwerbstätigkeit des Versicherten dagegen allein schon aus anderen Gründen (etwa wegen seines Alters oder hoher konjunktureller Arbeitslosigkeit) praktisch ausgeschlossen, so ist der Tatbestand der Erwerbsunfähigkeit zu verneinen. Dies ist der Fall, solange der Versicherte gesundheitlich noch in der Lage ist, seinen "bisherigen Beruf" auszuüben, ihm der Zugang zu entsprechenden Arbeitsplätzen jedoch durch andere Faktoren verwehrt ist. Scheiden dagegen Tätigkeiten in seinem bisherigen Beruf aus Gesundheitsgründen aus, wird dieser Umstand als wesentliche Bedingung für den Verlust der Erwerbsfähigkeit anzusehen sein, wenn dem Versicherten der Arbeitsmarkt ansonsten aus anderen Gründen verschlossen ist.

Diese Grundsätze sind auch bei der bisherigen Entwicklung des Fallgruppenkatalogs zur Verschlossenheit des Arbeitsmarktes maßgebend gewesen. Anders als bei Teilzeittätigkeiten (vgl dazu BSGE 43, 75, 79 ff = SozR 2200 § 1246 Nr 13) geht die Rechtsprechung des BSG bislang bei Vollzeittätigkeiten davon aus, daß es für sie zugängliche Arbeitsplätze in ausreichendem Umfange gibt und damit der Arbeitsmarkt für den Versicherten offensteht. Eine entsprechende Prüfung im Einzelfall braucht insoweit regelmäßig nicht vorgenommen zu werden. Anders verhält es sich allerdings dann, wenn Umstände vorliegen, die zumindest die erhebliche Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes bedingen. Dann muß dem Versicherten ein konkreter, für ihn zugänglicher Arbeitsplatz nachgewiesen werden. Derartige "Verschlossenheitsgründe" können nach dem vom BSG aufgestellten Fallgruppenkatalog zum einen wesentlich auf den gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Versicherten beruhen, zB wenn diesem die notwendige Mobilität fehlt (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 19, 22; SozR 3-2200 § 1247 Nr 10) oder er nicht mehr unter betriebsüblichen Bedingungen tätig sein kann (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 19, 22; SozR 3-2200 § 1247 Nr 14). Zum anderen kann sich eine Verschlossenheitsgefahr auch aus einer verbreiteten Verhaltensweise der Arbeitgeber bei der Besetzung entsprechender Arbeitsplätze ergeben, wenn letztere nämlich (zB als sog Schonarbeitsplätze) aus sozialen oder anderen nicht mit der gesundheitlichen Leistungsfähigkeit eines Bewerbers zusammenhängenden Gründen typischerweise nur betriebsintern vergeben werden (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 71, 86, 101, 110).

Soweit die Anhörung der Sachverständigen ergeben hat, daß fachlich einfache und zugleich körperlich leichte Arbeitsplätze in den seltensten Fällen noch von außen besetzt werden (vgl Prof. Dr. Frieling, Gutachten S 13 Prot S 37 f; Prof. Dr. Landau, Prot S 46 ff), kann dieser Umstand bereits mit dem vorhandenen Katalog erfaßt werden. Neu dürfte lediglich sein, daß damit in bestimmten Bereichen die Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes von der Ausnahme zur Regel geworden zu sein scheint. Die Einführung neuer Technologien verbunden mit leistungsorientierten Produktions- und Organisationskonzepten hat die Arbeitgeber weithin in die Lage versetzt, Arbeitsplätze, die für gering qualifizierte, leistungsgeminderte Arbeiter geeignet sind, nur dort zu erhalten oder neu zu schaffen, wo dies zur Vermeidung sozialer Härten für die Stammbelegschaft geboten erscheint. Die betriebliche Arbeitsteilung ist damit zu einem immer flexibler und schneller ablaufenden Prozeß geworden (vgl Prof. Dr. Frieling, Gutachten S 20 f; Prot S 5). Dies könnte zu der Folgerung führen, daß bei der Verweisung auf ungelernte Tätigkeiten dann, wenn nur noch leichte Tätigkeiten mit weiteren Einschränkungen verrichtet werden können, das Vorhandensein von Arbeitsplätzen, die von außen zugänglich sind, grundsätzlich nachgewiesen oder ein zugänglicher Arbeitsplatz bezeichnet werden muß.

Eine besondere Problemgruppe stellen die älteren, erheblich leistungsgeminderten ungelernten oder geringgradig angelernten Arbeiter dar (vgl Prof. Dr. Frieling, Gutachten, S 21 f; Dr. Blaschke und Dr. Plath, Gutachten S 4, 13; Prot S 30 ff). Diese sind in besonderem Maße von Dauerarbeitslosigkeit betroffen. Darin kommt die geringer werdende Bereitschaft der Unternehmen zum Ausdruck, ältere Personen einzustellen. Allerdings haben sich die Sachverständigen außerstande gesehen, eine annähernd gesicherte Aussage zu treffen, daß die gesundheitlichen Einschränkungen im Vergleich zu den anderen einstellungshemmenden Faktoren (Alter, Langzeitarbeitslosigkeit und fehlende Berufsausbildung) bei der Frage eines erschwerten Zuganges zu den Arbeitsplätzen einen etwa gleichen Stellenwert einnähmen (vgl Prot S 41 ff). Gleichwohl könnte für den im einzelnen noch näher zu umschreibenden Personenkreis eine Erweiterung des Katalogs zur Verschlossenheit des Arbeitsmarktes in Betracht kommen, wenn sich herausstellt, daß seine Angehörigen keine Chance mehr haben, ihr Restleistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verwerten. Wenn ein Versicherter, der seinen bisherigen Beruf aus Gesundheitsgründen nicht mehr verrichten kann, nur auf geeignete und zugängliche Tätigkeiten (Arbeitsplätze) verwiesen werden kann, so dürfte es keinen Unterschied machen, aus welchen Gründen ihm bestimmte Arten von an sich geeigneten Verweisungstätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt unerreichbar sind. Ebensowenig wie es in sein Risiko fällt, daß in einem Bereich typischerweise nur betriebsintern zu besetzende Schonarbeitsplätze vorhanden sind, kann es ihm angelastet werden, wenn die Arbeitgeber Einstellungen nur bis zu einem gewissen Lebensalter vornehmen. Diese Schlußfolgerung ergibt sich jedenfalls aus der bisherigen Rechtsprechung des BSG.

Bei der Beurteilung der Möglichkeiten für ältere, ungelernte, in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkte, arbeitslose Versicherte, noch auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, zeigen die Ausführungen der Sachverständigen noch erhebliche Unsicherheiten: Die Sachverständigen Dr. Blaschke und Dr. Plath haben zunächst den Statistiken entnommen, daß aus der genannten Personengruppe (nur) jeder fünften Person der Abgang aus der Arbeitslosigkeit in eine Beschäftigung gelingt (Gutachten S 5/6). Dabei liegt die vorangegangene Arbeitslosigkeit im Durchschnitt bei 88 Wochen (Gutachten S 4). Diese Aussage ist so jedoch für die Frage der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes nur begrenzt aussagekräftig. Dies liegt daran, daß zu den Ungelernten, die von dieser Statistik erfaßt werden, alle Personen gehören, die keinen formalen Abschluß haben, selbst wenn sie hochqualifiziert sind. Außerdem wird als Übergang in Arbeit die Aufnahme jeglicher, auch nur kurzfristiger Beschäftigung gerechnet. Die vorangegangene Arbeitslosigkeit bezeichnet nicht den gesamten Zeitraum zwischen dem Verlust der früheren dauerhaften Beschäftigung und dem der Aufnahme einer neuen, sondern zählt jeweils ab der letzten Unterbrechung der Arbeitslosigkeit, sei es durch eine Maßnahme der beruflichen Bildung, Unterbrechung der Verfügbarkeit oder Aufnahme von kurzfristigen Beschäftigungen. Schließlich ist den Statistiken auch nichts über Art und Umfang der gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Betroffenen zu entnehmen (Prot S 30 bis 33). Der Sachverständige Dr. Blaschke hat deshalb anhand der in das Verfahren eingeführten Erhebung des SG I, die auf eine Verschlossenheit des Arbeitsmarktes für ältere, ungelernte und erheblich leistungseingeschränkte Arbeitnehmer hindeutet, unter Zuhilfenahme weiterer Statistiken seine Erkenntnisse dahingehend interpretiert, daß für die Gruppe der mindestens 58-jährigen, die zuletzt als Hilfsarbeiter tätig waren, gesundheitliche Einschränkungen aufweisen und schon längere Zeit arbeitslos sind, in der gesamten Bundesrepublik etwa 300 Personen pro Jahr in Arbeit abgegangen seien. Bei 1,6 Millionen Betrieben ergäbe sich daraus, daß man nur etwa bei jedem 5.000 Betrieb auf eine solche Person stoßen werde.

Diese und weitere Ausführungen der Sachverständigen in diesem Zusammenhang machen deutlich, daß zumindest bei einer Kombination fehlender Ausbildung, gesundheitlicher Einschränkung und vorgerückten Alters für arbeitslose Versicherte die Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes zu diskutieren ist. Wann danach eine solche Gefahr vorliegt, bedarf allerdings unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls eingehenderer Erhebungen zu konkreten Verweisungstätigkeiten. Allgemein erscheint immerhin die Folgerung gerechtfertigt, daß eine Risikokonstellation, wie sie oben beschrieben wurde, eine Prüfung der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes rechtfertigt und somit der Katalog der Fallkonstellationen, aus denen sich eine Verschlossenheit des Arbeitsmarktes ergibt, nicht als abgeschlossen angesehen werden kann.

Sofern die damit verbundenen Konsequenzen für eine weitere Verlagerung des versicherten Risikos von der Arbeitslosen- auf die Rentenversicherung untragbar erscheinen sollten, bliebe - abgesehen von einer Gesetzesänderung - nur der Weg, den Umfang einer Berücksichtigung der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes im Rahmen der §§ 43, 44 SGB VI erneut grundsätzlich zu überprüfen. Dagegen läßt es sich schwerlich rechtfertigen, den bisherigen Fallgruppenkatalog kurzerhand für abschließend zu erklären. Denn dadurch würden Personenkreise, die durch neuere Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt in ihrem Zugang zu geeigneten Arbeitsplätzen beeinträchtigt werden, gegenüber solchen Versicherten, die sich auf bereits anerkannte Fallgruppen stützen können, ohne sachlichen Grund benachteiligt.

Nach Auffassung des vorlegenden Senats ist es der Vorinstanz (vgl auch SG Wiesbaden NZA 1988, 670; SG Münster, Urteile vom 6. Dezember 1990 - S 10 J 103/89 - und - S 10 J 76/90 -; Erlenkämper, ZfS 1992, 4; DRV 1992, 39; NZS 1994, 259) nicht gelungen, in Fortentwicklung des Kataloges eine sachgerechte neue Fallgruppe zu bilden, die einer revisionsgerichtlichen Überprüfung standhält (kritisch dazu auch Ottmüller, DRV 1991, 509; Schmidt-Preuß, SGb 1992, 431; Maier, SozVers 1993, 114; Kamprad, SGb 1993, 413; Langenheim, DRV 1993, 637; Bosien/Thiede, DAngVers 1994, 267).

Ein Hauptproblem des gewählten Ansatzes ist es, daß versucht wird, mit dieser Fallgruppe den gesamten allgemeinen Arbeitsmarkt zu erfassen. Einem derartigen Unterfangen steht nach dem Ergebnis der Sachverständigenanhörung die - jedenfalls zur Zeit noch - fehlende Arbeitsmarkttransparenz entgegen. Wie namentlich der Sachverständige Dr. Blaschke eingehend dargelegt hat, sind insbesondere die Statistiken der Bundesanstalt für Arbeit, die ohnehin auch im Bereich der Arbeitslosen im Alter ab 55 Jahren noch eine nennenswerte Bewegung durch Eingehen von Beschäftigungsverhältnissen verzeichnen, mit erheblichen Unsicherheiten belastet, die sich aus der Erhebungspraxis bei den Arbeitsämtern ergeben. Auch die Vorinstanz bezieht sich insoweit nur auf allgemeine Erfahrungen, nicht jedoch auf spezifische arbeitswissenschaftliche Daten. Die Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes läßt sich daher gegenwärtig wohl nur bezogen auf konkrete Verweisungstätigkeiten feststellen.

Aber auch die im angefochtenen Urteil aufgestellten Einzelkriterien geben zu Bedenken Anlaß. Zum einen ist nicht ersichtlich, daß sie auf gesicherten empirischen Erkenntnissen beruhen. Zum anderen erscheinen die getroffenen Abgrenzungen nicht in jeder Hinsicht als sachgerecht. Zu den auf Bl 16f des Urteilsabdrucks unter Buchst a) bis e) aufgeführten Merkmalen wäre im einzelnen anzumerken:

Zu a):

Da es bei der Frage nach einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes um die Beurteilung von Einstellungschancen für eine zumutbare Verweisungstätigkeit geht, dürfte es nur darauf ankommen, daß der Versicherte seinen bisherigen Beruf aus Gesundheitsgründen nicht mehr ausüben kann. Dann ist es aber unerheblich, ob der Versicherte zusätzlich auch seinen letzten Arbeitsplatz infolge von Krankheit oder Behinderung verloren hat.

Zu b):

Das Ausmaß der erforderlichen Leistungseinschränkungen wird vom LSG nicht hinreichend deutlich gemacht. Wie bereits im Zusammenhang mit der Vorlagefrage Nr 1 erörtert, lassen sich - bezogen auf den gesamten allgemeinen Arbeitsmarkt - gegenwärtig auch kaum sichere Aussagen dazu machen, wie sich bestimmte Leistungseinschränkungen auf die Einsetzbarkeit des Versicherten auswirken.

Zu c):

Hier ist zum einen die Festlegung einer Altersgrenze problematisch, weil es insoweit keine gesicherten Daten geben dürfte. Zum anderen ist nicht recht nachvollziehbar, warum der Eintritt einer erheblichen Leistungseinschränkung an eine solche Altersgrenze geknüpft wird. Auf diese Weise werden ältere Versicherte, die erst während ihrer Arbeitslosigkeit schwer erkranken, ohne ersichtlichen Grund schlechter gestellt.

Zu d):

Soweit hier auf die Bezugsdauer von Alg abgestellt wird, dürfte dies zu sachwidrigen Ergebnissen führen. Der Umstand, daß mit dem Auslaufen des Alg typischerweise eine finanzielle Bedarfssituation eintritt, ist kein geeignetes Kriterium für Vorliegen von EU. Im übrigen müßte ein Versicherter mit besserer Arbeitsbiographie (und damit umfangreicherem Alg-Anspruch) länger auf die EU-Rente warten als ein Versicherter, der in der Vergangenheit nur lückenhaft erwerbstätig gewesen ist.

Zu e):

Erfolglose Vermittlungsbemühungen können ein Indiz für die erhebliche Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes sein (vgl die Rechtsprechung des BSG zum verschlossenen Teilzeitarbeitsmarkt: BSG SozR 2200 § 1246 Nr 13). Sie müßten allerdings eine angemessene Zeit intensiv angedauert haben.

Da nach alledem beiden Vorlagefragen grundsätzliche Bedeutung zukommt, sieht der vorlegende Senat die Grundvoraussetzungen des § 41 Abs 4 SGG als gegeben an. Die Fragen werden dem Großen Senat zur Entscheidung vorgelegt, weil dies nach Auffassung des erkennenden Senats zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Es handelt sich um einen Problembereich, der wegen seiner herausragenden Bedeutung für das Rentenrecht in einer Weise fortentwickelt werden sollte, die von vornherein eine einheitliche Rechtsanwendung durch alle für Angelegenheiten der gesetzlichen Rentenversicherung zuständigen Senate des BSG sicherstellt.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1668944

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