Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 12.05.2017; Aktenzeichen L 5 R 105/16)

SG Fulda (Entscheidung vom 15.03.2016; Aktenzeichen S 1 R 186/12)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 12. Mai 2017 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Gründe

Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen LSG vom 12.5.2017. In dem Rechtsstreit geht es um die Verrechnung einer Beitragsforderung der Beigeladenen.

Der Kläger macht das Vorliegen einer Rechtsprechungsabweichung (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) sowie die grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend.

Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Seine Beschwerdebegründung vom 7.9.2017 genügt nicht der vorgeschriebenen Form, denn er hat die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in der nach § 160a Abs 2 S 3 SGG gebotenen Weise dargetan.

1. Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen tragenden abstrakten Rechtssatz des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht (vgl Senatsbeschluss vom 20.5.2014 - B 13 R 49/14 B - Juris RdNr 10).

Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet das vorstehend Gesagte, dass die Beschwerdebegründung erkennen lassen muss, welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht; ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die oberstgerichtliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (zum Ganzen vgl BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN).

Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Der Kläger rügt eine Abweichung des angegriffenen Urteils insbesondere von dem Urteil des BSG vom 24.7.2003 (B 4 RA 60/02 R), wonach "die Rechtmäßigkeit einer Verrechnungserklärung die Bezeichnung einer bestands- oder rechtskräftig festgestellten Gegenforderung des ermächtigten Leistungsträgers voraussetze". Davon weiche das Hessische LSG mit den Ausführungen ab, dass "bei einer Verrechnung gemäß § 52 iVm § 51 SGB I die Gegenforderung des Leistungsträgers nicht bestands- oder rechtskräftig geworden sein muss".

Damit ist eine Divergenz schon deshalb nicht hinreichend dargelegt, weil der Kläger nicht aufzeigt, dass der dem BSG zugeschriebene Rechtssatz dem Urteil vom 24.7.2003 tatsächlich tragend zugrunde liegt. Aus dem vom Kläger zitierten Ausschnitt aus dem Urteil des BSG vom 24.7.2003 ergibt sich, dass es seine Entscheidung tragend auf die mangelnde Bestimmtheit der Verrechnungserklärung stützt, während der vom LSG zitierte Satz die rechtliche Qualität der Gegenforderung betrifft. Bezüglich der hieran zu stellenden Anforderungen hat das BSG aber ausdrücklich auf eine Aufhebung des damals angefochtenen LSG-Urteils verzichtet.

Darüber hinaus zeigt der Kläger auch nicht auf, dass das BSG in den weiteren genannten Urteilen Fallkonstellationen, die mit derjenigen des Klägers vergleichbar sind, tragend anders entschieden hat. Vielmehr wäre auch der tatsächliche und rechtliche Kontext darzustellen, in dem die vom Kläger für eine Divergenzrüge herangezogenen bundesgerichtlichen Rechtssätze stehen (vgl zB BSG Beschluss vom 7.2.2007 - B 6 KA 56/06 B - Juris RdNr 10 mwN). Hieran fehlt es in der Beschwerdebegründung ebenso wie an einer nachvollziehbaren Darstellung des Sachverhalts, der der Entscheidung des LSG zugrunde liegt. Dies gehört aber zu den Mindestvoraussetzungen, um die Entscheidungserheblichkeit der Divergenzrüge prüfen zu können. Denn eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung kann nur bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt vorliegen, auf den dieselben Rechtsnormen anzuwenden sind (Senatsbeschluss vom 2.9.2016 - B 13 R 229/16 B - Juris RdNr 6).

Dasselbe gilt bezüglich der vom Kläger nur kursorisch genannten Entscheidungen des BSG vom 17.9.1981 (SozR 1200 § 51 Nr 12) und "vom 10.03.1982, SozR AAO Nr. 13, zitiert nach BSG, U.v. 25.02.2010, B 13 R 76/09 R, Rn 92" (gemeint wohl Vorlagebeschluss vom 25.2.2010 - B 13 R 76/09 R - Juris RdNr 49). Dort ging es nach Angabe des Klägers um die Aufrechnung mit einer zivilrechtlichen Forderung. Auch insoweit legt der Kläger aber die Vergleichbarkeit des Sachverhalts nicht dar.

2. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache ist in der Beschwerdebegründung eine Rechtsfrage zu bezeichnen und schlüssig aufzuzeigen, dass diese klärungsbedürftig, in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 19, Nr 22 RdNr 5; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 5 RdNr 2 ff, Nr 9 RdNr 4, jeweils mwN). Um die Klärungsbedürftigkeit aufzuzeigen, muss aus der Beschwerdebegründung ersichtlich sein, dass sich die Antwort auf die Rechtsfrage nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz oder der bisherigen Rechtsprechung ergibt; hierzu bedarf es der Auseinandersetzung mit den vorinstanzlichen Entscheidungen und sonstiger einschlägiger Rechtsprechung. Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung substantiiert vorgetragen werden, dass das BSG zu diesem Fragenkreis noch keine Entscheidung getroffen hat bzw dass sich aus der bereits ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung keine Anhaltspunkte für dessen Beantwortung ergeben (vgl Senatsbeschluss vom 3.1.2011 - B 13 R 195/10 B - Juris RdNr 9).

Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Der Kläger hält folgende Fragen für grundsätzlich bedeutsam:

1. Muss bei einer Verrechnung gemäß § 52 i.V.m. § 51 SGB I die Gegenforderung des Leistungsträgerbestands bestand- oder rechtskräftig geworden sein?

2. Ist bei einer Verrechnung gemäß §§ 52 i.V.m. 51 SGB I das Bestehen einer bestands- oder rechtskräftigen Gegenforderung des Leistungsträgers jedenfalls dann entbehrlich, wenn die Gegenforderung in einer Beitragsforderung besteht und die Forderungshöhe auf den eigenen Beitragsnachweisen beruht?

3. Schließt die Zahlungsunfähigkeit des Beitragsschuldners Vorsatz im Sinne des § 52 Abs. 1 Satz 2 SGB IV aus?"

Der Kläger hat die Klärungsbedürftigkeit der Fragen nicht hinreichend aufgezeigt.

Zur ersten Frage führt er aus, dass die Rechtsauffassung des LSG, die sich insbesondere auf die Vollstreckbarkeit eines Beitragsnachweises nach § 28f Abs 3 S 3 SGB IV stütze, mit der Rechtsauffassung des LSG Baden-Württemberg vom 23.2.2017 (L 10 R 1501/16) übereinstimme, aber von der Rechtsauffassung des LSG Berlin-Brandenburg vom 23.2.2012 (L 31 R 486/10) abweiche. Soweit er aus der Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung der LSG die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage ableiten will, gelingt dies aber bereits deshalb nicht, weil aus den Zitaten des Klägers nur deutlich wird, dass auch das LSG Baden-Württemberg über einen Sachverhalt zu entscheiden hatte, auf den § 28f Abs 3 S 3 SGB IV anzuwenden war. Bezüglich der angeblich abweichenden Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg wird aber aus dem zitierten Ausschnitt gerade nicht ersichtlich, dass auch dort die Gegenforderung einen vom Arbeitgeber zu zahlenden Gesamtsozialversicherungsbeitrag und den darüber vorliegenden Beitragsnachweis (§ 28f Abs 3 S 3 SGB IV) betroffen hat. Abgesehen davon, setzt sich der Kläger nicht mit der - bei der Divergenzrüge benannten - Entscheidung des BSG vom 24.7.2003 (B 4 RA 60/02 R - Juris RdNr 27) auseinander, obwohl sich daraus hinreichende Anhaltspunkte zu der aufgeworfenen Frage ergeben.

Letzteres gilt insbesondere auch für die zweite Frage. Der Kläger analysiert zwar den Wortlaut des § 28f Abs 3 S 3 SGB IV, wonach der Beitragsnachweis für die Vollstreckung als Leistungsbescheid der Einzugsstelle gilt, und will dies auf Maßnahmen der Vollstreckung nach dem VwVG beschränken. Er geht aber nicht ansatzweise auf die Ausführungen des BSG in der Entscheidung vom 24.7.2003 (B 4 RA 60/02 R) ein, wonach die bestandskräftige Feststellung der Forderung dazu diene, dass sich durch die Verrechnung die materielle und verfahrensrechtliche Position gegenüber dem die Verrechnung anstrebenden Träger nicht verschlechtern dürfe. Insoweit hält das BSG für erheblich, dass sonst Einwände gegen die Forderung als solche erst im Verrechnungsverfahren geltend gemacht werden könnten. Insoweit hätte sich der Kläger auch mit dem vom LSG Baden-Württemberg zitierten Argument auseinandersetzen müssen, dass solche Einwände vom Arbeitgeber schon deshalb nicht erhoben werden könnten, weil die Forderung auf dessen eigenen Angaben im Beitragsnachweis beruhe. Die Behauptung des Klägers, dass hierzu höchstrichterliche Rechtsprechung noch nicht existiert, reicht demgegenüber nicht. Denn ein Beschwerdeführer hat auch aufzuzeigen, dass sich aus der bisherigen Rechtsprechung keine ausreichenden Anhaltspunkte zur Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfragen ergeben (vgl zu diesem Darlegungserfordernis auch Senatsbeschluss vom 8.2.2017 - B 13 R 294/16 B - Juris RdNr 4).

Zu der dritten Frage zitiert der Kläger die Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 21.3.2007 - B 11a AL 11/06 R), wonach das Vorliegen von Vorsatz anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles individuell zu ermitteln sei. Er hebt im zitierten Text hervor, dass das BSG die Frage, ob Zahlungsunfähigkeit den Vorsatz ausschließe, offengelassen habe, da nach den festgestellten besonderen Umständen nicht zu Gunsten des Klägers angenommen werden könne, er habe sich mangels Liquidität in einem jegliche Dispositionsmöglichkeit ausschließenden Zustand der Handlungsunfähigkeit befunden. Auf das Vorliegen der vom Hessischen LSG festgestellten individuellen Umstände des hier zu entscheidenden Falls geht der Kläger jedoch nicht ein. Insofern fehlt es zumindest auch an hinreichenden Darlegungen zur Klärungsfähigkeit dieser Rechtsfrage in dem angestrebten Revisionsverfahren. Der Kläger behauptet zwar, die Entscheidung des Rechtsstreits hänge von der genannten Frage ab. Aufgrund der lediglich rudimentären Angaben zum maßgeblichen Sachverhalt lässt sich dies jedoch nicht beurteilen. Hierzu reicht es nicht, dass der Kläger unter 4.3 (2) seiner Beschwerdebegründung Angaben zu seiner persönlichen Situation im März 1985 und in den darauffolgenden Jahren macht. Denn diesen Ausführungen kann nicht entnommen werden, was er diesbezüglich vor dem Berufungsgericht vorgetragen hat und welche Feststellungen dazu getroffen worden sind. Nur so gelänge die erforderliche Abgrenzung, dass es dem Kläger nicht nur um die im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde unerhebliche Würdigung der Tatsachen bzw die Anwendung der höchstrichterlich aufgestellten Anforderungen im Einzelfall geht.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI13408622

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