Verfahrensgang

LSG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 27.05.1999)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 27. Mai 1999 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der 1920 geborene, in Mecklenburg-Vorpommern lebende Kläger leistete ab 1939 Kriegsdienst in der ehemaligen Deutschen Wehrmacht. Im Frühjahr 1940 erkrankte er an Carditis, von der als Restzustand ein Myokardschaden und eine Mitralinsuffizienz zurückgeblieben sind. Im November 1990 beantragte er Beschädigtenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Das beklagte Land hat zwar entsprechende Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen anerkannt, das Vorliegen einer rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) aber verneint. Vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht (LSG) hat der Kläger – vergeblich – die Anerkennung einer Neurasthenie als Schädigungsfolge und die Mitberücksichtigung dieses Leidens bei der Bemessung der MdE sowie die Gewährung von Grundrente nach dem BVG angestrebt. Das LSG ist im Ergebnis nicht dem von ihm eingeholten Gutachten des Sachverständigen Dr. R., … Chefarzt des M. … -Klinikums in W., … gefolgt, sondern hat – der Stellungnahme des Dr. S. … vom Versorgungsärztlichen Dienst des Landesversorgungsamtes Mecklenburg-Vorpommern folgend – einen Zusammenhang der Neurasthenie des Klägers mit dem als Schädigungsfolge anerkannten Herzklappenfehler nur als möglich, nicht aber als wahrscheinlich angesehen. Die durch den Herzklappenfehler bedingte MdE bewertete das LSG (entgegen dem von ihm als Sachverständigen gehörten Kardiologen … Dr. M. …) nicht mit 40, sondern – dem zuletzt als Sachverständigen gehörten Internisten Dr. W. … folgend – nur mit 20 vH.

Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger als Verfahrensfehler eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫ (mangelnde Angabe der Gründe für die gewonnene richterliche Überzeugung) hinsichtlich des MdE-Grades und macht geltend, daß er keine Gelegenheit mehr gehabt habe, sich zu den Schriftsätzen des Beklagten vom 19. März, 19. April und 14. Mai 1999 und ihren Anlagen, insbesondere den übersandten versorgungsärztlichen Stellungnahmen, zu äußern (§ 128 Abs 2 SGG). Er habe nicht damit zu rechnen brauchen, daß das LSG sein Urteil auf diese Stellungnahmen stützen werde, zumal das LSG ihn nicht auf die Entscheidungserheblichkeit dieses „Parteivortrages” hingewiesen habe.

 

Entscheidungsgründe

II

Das zulässige Rechtsmittel des Klägers ist nicht begründet. Soweit mit ihm die Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 2 SGG geltend gemacht wird, erhebt er zwar eine schlüssige Verfahrensrüge. Aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils (S 20) geht aber hervor, daß die Umstände, auf die der Verfahrensfehler gestützt wird, nicht vorliegen. Denn das LSG hat sich mit den Sachverständigengutachten – insbesondere demjenigen des Dr. W. – … hinsichtlich des festzustellenden MdE-Grades ausreichend auseinandergesetzt. Das letztgenannte Gutachten wird dort nicht etwa nur erwähnt, sondern die aus diesem Gutachten übernommene MdE-Einschätzung wird anhand des Krankheitsverlaufs und der einschlägigen Randnummern der „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit” überprüft.

Nicht zur Zulassung der Revision führt auch die Rüge des Klägers, er habe auf das Schreiben des Beklagten vom 19. März 1999 nebst Anlagen nicht mehr eingehen können (§ 128 Abs 2 SGG). Denn eine Prüfung der näheren Verfahrensumstände anhand der Akten des LSG ergibt, daß die angefochtene Entscheidung nicht auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Wie aus den Gerichtsakten der Vorinstanz (S 271 bis 274, insbesondere S 272 R) hervorgeht, ist eine Mehrfertigung des Schreibens des Beklagten vom 19. März 1999 nebst Anlage am 26. März 1999 an den Prozeßbevollmächtigten des Klägers weitergeleitet worden. Auch hinsichtlich der dem Kläger erst am Tag vor der mündlichen Verhandlung vor dem LSG, also am 26. Mai 1999, vorgelegten Schriftsätze des Beklagten vom 19. April und 14. Mai 1999 nebst Anlagen kann der Kläger eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 128 Abs 2 SGG) nicht mit Erfolg rügen. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine Spezialvorschrift zur Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG; Art 103 Abs 1 GG; Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl, RdNr 18 zu § 128). Es mag sein, daß der Kläger in der bis zur mündlichen Verhandlung noch verbleibenden Zeit nicht mehr ausreichend Gelegenheit hatte, zu dem Inhalt der genannten Schreiben Stellung zu nehmen. Er muß sich aber entgegenhalten lassen, daß er sich durch einen Vertagungsantrag hätte rechtliches Gehör verschaffen können (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl, RdNr 18 zu § 128; RdNrn 9, 10 und 11c zu § 62; BVerfG NJW 1992, 3185), zumal er anwaltlich vertreten war. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die einem Beteiligten bereits vor Abschluß der Instanz bekannt ist, muß dieser noch im selben Rechtszug rügen, um einen Ausschluß dieser Rüge im nächsten Rechtszug zu vermeiden (vgl § 202 SGG iVm § 295 Zivilprozeßordnung ≪ZPO≫; BSG Beschluß vom 28. September 1999 – B 2 U 31/99 B – unveröffentlicht –; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 53. Aufl, RdNr 44 zu § 295; BFH in stRspr vgl BFH NV 1997, 143 f; 1996, 618 f mwN; auch BVerwG NJW 1989, 601; BVerwGE 19, 231, 237).

Für eine auf den geltend gemachten Verfahrensmangel gestützte Nichtzulassungsbeschwerde wäre es grundsätzlich sogar Voraussetzung der Zulässigkeit (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14) gewesen, daß der Kläger in der Beschwerdebegründung vorgetragen hätte, er habe die Verletzung des § 128 Abs 2 SGG bereits vor dem LSG gerügt (vgl Beschluß des Senats vom 22. August 1995 – 9 BVs 16/95 und des 5. Senats des BSG vom 26. Juni 1991 – 5 BJ 141/90; anders der vorzitierte Beschluß des 2. Senats vom 28. September 1999). Gleichwohl ist seine insoweit erhobene Verfahrensrüge hier nicht unzulässig. Denn der Kläger trägt vor, er habe mit der Berücksichtigung der ihm zu spät übermittelten Unterlagen des Beklagten im Urteil des LSG nicht zu rechnen brauchen. Träfe dies zu, so wäre ihm der behauptete Verfahrensmangel erst durch Übersendung des Urteils bekannt geworden, so daß seine Rüge insoweit als schlüssig anzusehen ist.

Eine Prüfung des Akteninhalts ergibt jedoch, daß sein Vortrag nicht zutrifft: Der Kläger mußte mit der Berücksichtigung der den Schriftsätzen des Beklagten beiliegenden versorgungsärztlichen Stellungnahmen im Wege des Urkundenbeweises rechnen, da es sich bei ihnen erkennbar nicht nur um Parteivorbringen, sondern (auch) um ärztliche Beurteilungen, dh letztlich um Sachverständigengutachten handelte, mochten diese auch nicht von der Hand eines vom Gericht ernannten unabhängigen Sachverständigen stammen (vgl Meyer-Ladewig aaO RdNr 6 zu § 117 und RdNr 12b zu § 118 und BSG SozR Nr 3 zu § 118 SGG sowie die – unveröffentlichte – Entscheidung des Senats vom 21. Mai 1963 – 9 RV 466/60 –). Eines ausdrücklichen Hinweises, daß das LSG möglicherweise die mit den letztgenannten Schriftsätzen übersandten ärztlichen Stellungnahmen des Versorgungsarztes Dr. S. … vom 7. April und 6. Mai 1999 seiner Entscheidung zugrunde legen würde, bedurfte es daher nicht. Auch ohne einen solchen Hinweis oblag es dem Kläger, die etwaige Unmöglichkeit, sich bis zum Ende der mündlichen Verhandlung zu den versorgungsärztlichen Stellungnahmen zu äußern, noch in der Vorinstanz geltend zu machen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf eine entsprechende Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

SozSi 2001, 328

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