Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. fiktive Terminsgebühr. schriftlicher Prozessvergleichs als Voraussetzung der Entstehung. Mitwirkung des Gerichts. Verwirkung des Erinnerungsrechts der Staatskasse

 

Leitsatz (amtlich)

1. Unter einem schriftlichen Vergleich im Sinne von Ziffer 3106 Satz 1 Nr 1 2. Alt VV RVG (juris: RVG-VV) ist nur ein nach § 101 Abs 1 Satz 2 SGG geschlossener Vergleich zu verstehen.

2. Ein nach § 202 SGG iVm § 278 Abs 6 ZPO geschlossener Vergleich genügt insoweit nicht.

3. Voraussetzungen für das Entstehen einer fiktiven Terminsgebühr nach § 101 Abs 1 Satz 2 SGG ist die konstitutive Mitwirkung des Gerichts für die vergleichsweise Beendigung des Rechtsstreits. Dabei hat die Initiative für den Vergleichsabschluss auch in inhaltlicher Hinsicht grundsätzlich vom Gericht auszugehen.

4. Zur Verwirkung des Erinnerungsrechts der Staatskasse.

 

Orientierungssatz

1. Zu Leitsatz 1: Festhaltung an LSG München vom 22.5.2015 - L 15 SF 115/14 E = JurBüro 2015, 467.

2. Zu Leitsatz 4: Festhaltung an LSG München vom 4.10.2012 - L 15 SF 131/11 B E = AGS 2012, 584.

 

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 15. Januar 2016 wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Gegenstand des Verfahrens ist die Höhe des Rechtsanwaltshonorars nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), das dem Beschwerdeführer nach Beiordnung im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) aus der Staatskasse zusteht. Streitig ist die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr, ob das Erinnerungsrecht der Staatskasse verwirkt war und ob eine fiktive Terminsgebühr entstanden ist.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Würzburg, Az.: S 17 KR 83/14, ging es um den Krankengeldanspruch des Klägers vom 09. bis 15.11.2013. Am 18.03.2014 erhob der Kläger über seinen Bevollmächtigten, den Beschwerdeführer, Klage und beantragte PKH. Diesem Antrag wurde mit gerichtlichem Beschluss vom 22.10.2014 entsprochen; der Beschwerdeführer wurde beigeordnet.

Das Klageverfahren endete durch die beiderseitige Annahme eines vom SG mit gerichtlichem Schreiben vom 19.01.2015 unterbreiteten Vergleichsvorschlags, den die Beklagte mit Schriftsatz vom 21.01.2015 und der Beschwerdeführer für den Kläger mit Schriftsatz vom 27.01.2015 annahmen. Durch Ziff. 3 des Vergleichs erklärten sich die Beteiligten darüber einig, dass der Rechtsstreit mit der übereinstimmenden Annahme des Vergleichs vollständig erledigt sei.

Am 30.01.2015 beantragte der Beschwerdeführer, seine Vergütung für das Klageverfahren in Höhe von 1.071,00 Euro, im Einzelnen wie folgt festzusetzen:

Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV

 300,00 EUR

Terminsgebühr Nr. 3106 VV

 280,00 EUR

Einigungsgebühr Nr. 1006 VV

 300,00 EUR

Auslagenpauschale Nr. 7002 VV

 20,00 EUR

 900,00 EUR

19 % Mehrwertsteuer Nr. 7008 VV

 171,00 EUR

Insgesamt

 1.071,00 EUR

Mit Beschluss vom 16.02.2015 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des SG die dem Beschwerdeführer zu erstattenden Gebühren und Auslagen in der beantragten Höhe fest.

Zugleich wurde die Beklagte entsprechend der im Vergleich getroffenen Kostenregelung (gemäß § 59 RVG) zur Zahlung des hälftigen Betrags an die Staatskasse aufgefordert; der Betrag wurde am 10.03.2015 gutgeschrieben.

Am 24.06.2015 hat der Beschwerdegegner gegen die Festsetzung der PKH beim SG Erinnerung eingelegt. Nach Auffassung der Staatskasse sei die Terminsgebühr nicht angefallen; sie hat auf den Beschluss des Kostensenats des Bayer. Landessozialgerichts (BayLSG) vom 22.05.2015 (Az.: L 15 SF 115/14 E) verwiesen. Der Vergleich müsse entweder auf einem Beschlussvorschlag gemäß § 101 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) oder auf einer schriftlichen Initiative gemäß § 202 SGG in Verbindung mit § 278 Abs. 6 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) mit nachfolgendem deklaratorischen Beschluss (im Sinne von § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO) beruhen. Nur ein solcher schriftlicher Vergleich löse die fiktive Terminsgebühr aus. Die Staatskasse hat weiter vorgetragen, es sei zu prüfen, ob die Beklagte dem Beschwerdeführer Kosten im Widerspruchsverfahren erstattet habe; in diesem Fall sei eine Anrechnung gemäß § 15a RVG vorzunehmen.

Der Beschwerdeführer hat hiergegen eingewandt, dass die Erinnerung der Staatskasse verfristet sei. Zudem sei die Terminsgebühr von der Beklagten nicht beanstandet worden. Es sei unerheblich, ob das Gericht seinen Vergleichsvorschlag in Form eines Beschlusses unterbreitet habe.

Auf Nachfrage hat der Beschwerdeführer angegeben, am 09.02.2015 von der Beklagten für das Widerspruchsverfahren 190,40 Euro erhalten zu haben. Wieso diese von der Beklagten erstatteten Gebühren auf die Vergütung für die gerichtliche Vertretung anzurechnen seien, bleibe unerfindlich.

Hierzu hat die Staatskasse mitgeteilt, dass angesichts des gezahlten Betrags von 190,40 Euro und der vergleichsweise vereinbarten hälftigen Kostentragung davon auszugehen sei, dass die Beklagte die nicht um den Anrechnungsbetrag verminderte Schwellengebühr nach Nr. 2302 VV RVG von 3...

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