Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsprüfung. Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen. Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen einen Betriebsprüfungsbescheid bei drohender Insolvenz oder Existenzgefährdung des Betroffenen. unbillige Härte

 

Leitsatz (amtlich)

Von einer unbilligen Härte ist regelmäßig auszugehen, wenn schlüssig belegt ist, dass dem Betroffenen durch die sofortige Zahlung der Beitragsforderung Zahlungsunfähigkeit und Insolvenz droht oder seine Existenz gefährdet wird.

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin und Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Sozialgerichts München vom 5. November 2018 aufgehoben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 27.08.2018 gegen den Bescheid vom 31.07.2018 angeordnet.

II. Die Antrags- und Beschwerdegegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 403.075,61 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Bf) wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die sofortige Vollziehung eines Betriebsprüfungsbescheids, mit dem die Antrags- und Beschwerdegegnerin (Bg) eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen inklusive Säumniszuschlägen in Höhe von 1.612.302,45 Euro festgesetzt hat.

Der Unternehmensgegenstand der im Jahr 2005 in der Rechtsform einer GmbH gegründeten Bf ist laut Handelsregister die Übernahme von Betonarbeiten, Maurerarbeiten, Trockenbauarbeiten und Betonstahlarbeiten, insbesondere Verlegen von Baustahl jeder Art auf Baustellen für Unternehmen des Bauhauptgewerbes und soweit für den Geschäftszweck erforderlich, der Ein- und Verkauf von Baumaterialien und Baustahl.

Im Rahmen von drei Baustellenprüfungen nach §§ 2 ff des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung (SchwarzArbG) durch das Hauptzollamt A-Stadt entstand der Verdacht, dass Arbeitnehmer der Bf nicht zur Sozialversicherung angemeldet worden waren, dass Arbeitnehmern der ihnen zustehende Mindestlohn im Baugewerbe nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz nicht gewährt worden war und dass Sozialversicherungsbeiträge nicht in der entsprechenden Höhe abgeführt worden waren. Gegen den alleinigen Geschäftsführer der Bf wurde am 03.03.2015 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt sowie wegen des Verdachts des Betrugs zum Nachteil der S. Bau eingeleitet.

Nach entsprechender Information durch das Hauptzollamt führte die Bg bei der Bf eine Betriebsprüfung durch. Nach Anhörung der Bf mit Schreiben vom 29.11.2017 setzte die Bg mit Bescheid vom 31.07.2018 eine Nachforderung zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 1.612.302,45 Euro (darin enthalten 590.838,00 Euro Säumniszuschläge) für die Zeit 01.01.2010 bis 30.06.2015 fest. Eine Person sei als vorgeblich selbständiger Eisenflechter tätig gewesen, sei aber tatsächlich abhängig Beschäftigter und deshalb sozialversicherungspflichtig gewesen. Weiter seien keine ordnungsgemäßen Stundenaufzeichnungen geführt worden, aus denen sich die tatsächlichen Arbeitszeiten der Arbeitnehmer ergeben würden. Eine eindeutige Zuordnung der mit Spitznamen benannten Personen in den "Schwarzlohnaufzeichnungen" zu den gemeldeten Arbeitnehmern sei nicht möglich. Zudem seien Scheinrechnungen vorgefunden worden, die dazu gedient hätten, Ausgaben für die Zahlung von Schwarzlöhnen abzudecken. Die Beiträge seien anhand eines betriebswirtschaftlichen Ansatzes geschätzt worden (Schätzbescheid). Eine Nettolohnhochrechnung sei vorgenommen worden und Säumniszuschläge seien zu erheben gewesen.

Dagegen erhob die Bf am 27.08.2018 Widerspruch. Einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte die Bg ab.

Am 14.09.2018 beantragte die Bf beim Sozialgericht München (SG) einstweiligen Rechtsschutz. Sie trug zur Begründung vor, dass sowohl Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestünden, als auch die Vollziehung der Entscheidung eine unbillige und durch überwiegendes öffentliches Interesse nicht gebotene Härte zur Folge hätte. Aufgrund der Beitragsforderung drohe die Zahlungsunfähigkeit der Bf, ein Insolvenzverfahren sei einzuleiten. Es drohe weiter der Verlust von Arbeitsplätzen bei der Bf. Die Bf wirtschafte derzeit rentabel, d.h. sie halte den operativen Betrieb aufrecht. Vorläufige Sicherungsmaßnahmen seien auf andere Art und Weise möglich; die Bf würde hieran mitwirken. Der Steuerberater der Bf bestätigte mit Schreiben vom 27.08.2018 und 19.09.2018, dass aus den vorliegenden Erkenntnissen über die liquide Situation der Bf und deren derzeitigen Vermögensverhältnisse zu erkennen sei, dass die Bf bei Fälligstellung und bei Durchsetzung der Forderung nicht in der Lage sei, diese zu bedienen. Der Geschäftsführer sei in diesem Fall dazu gehalten, wegen Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag zu stellen. Es wurde die betriebswirtschaftliche Auswertung für die Monate Januar bis März 2018 übermittelt.

Die Bg teilte mit, dass keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit d...

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