Entscheidungsstichwort (Thema)

Verspätete Urteilsabsetzung und Nichtzulassungsbeschwerde

 

Leitsatz (amtlich)

  • Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann nicht hilfsweise für den Fall eingelegt werden, daß eine eingelegte Revision unzulässig ist, weil das Landesarbeitsgericht die Revision nicht zugelassen hat (Bestätigung von BAG Beschluß vom 13. August 1985 – 4 AZN 212/85 – BAGE 49, 244 = AP Nr. 22 zu § 72a ArbGG 1979).
  • Die Überschreitung der fünfmonatigen Frist zur vollständigen Niederlegung von Tatbestand und Entscheidungsgründen durch das Landesarbeitsgericht rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision (Bestätigung von BAG Beschluß vom 20. September 1993 – 9 AZN 400/93 – AP Nr. 28 zu § 72a ArbGG 1979).
 

Normenkette

ArbGG § 72a; ZPO §§ 553, 551

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 09.06.1994; Aktenzeichen 4 (18) Sa 1649/92)

ArbG Detmold (Urteil vom 01.10.1992; Aktenzeichen 3 Ca 714/91)

 

Tenor

  • Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 9. Juli 1994 – 4 (18) Sa 1649/92 – wird als unzulässig verworfen.
  • Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
  • Der Streitwert für das Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde wird auf 22.033,72 DM festgesetzt.
 

Tatbestand

I. Die Parteien streiten um die tarifgerechte Eingruppierung der Klägerin.

Die der Gewerkschaft ÖTV angehörende, am 2. September 1937 geborene Klägerin ist gemäß schriftlichem Arbeitsvertrag vom 25./26. November 1974 seit dem 1. Januar 1975 bei der Beklagten als Angestellte in der Kurklinik L… in B… beschäftigt. Die Beklagte legt den schriftlichen Arbeitsverträgen ihrer Mitarbeiter den Manteltarifvertrag für die Angestellten der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (MTAng-BfA) in der jeweils geltenden Fassung mit seiner zum 31. Dezember 1983 gekündigten, jedoch nachwirkenden allgemeinen Vergütungsordnung (Anlage 1a) zugrunde. Diese gliedert sich in die Teile I bis VI, wobei sich die klinikspezifischen Besonderheiten aus dem Teil V (= zusätzliche Vergütungsordnung für die Angestellten in den BfA-eigenen Klinikbetrieben und Medizinisch-technischen Untersuchungsstellen) und aus dem Teil VI (= Tätigkeitsbeschreibungen für die Angestellten in den BfA-eigenen Klinikbetrieben und Medizinisch-technischen Untersuchungsstellen) ergeben. Die Klägerin war zunächst als Bürogehilfin in der Badeabteilung eingesetzt und “in die Vergütungsgruppe VIII” MTAng-BfA eingruppiert worden. Mit Wirkung vom 1. Januar 1978 wurde sie in Vergütungsgruppe VII MTAng-BfA höhergruppiert. Durch Änderungsvertrag vom 24./28. September 1987 wurde die Klägerin mit Wirkung vom 1. Oktober 1987 “als vollbeschäftigte Verwaltungsangestellte im Rehabilitationszentrum B… (Klinik L… und Klinik am L… )” auf unbestimmte Zeit weiterbeschäftigt und in Vergütungsgruppe VII MTAng-BfA eingruppiert. Seit dem 2. November 1987 erledigt sie für beide Kliniken Tätigkeiten, die von einer Beschließerin wahrzunehmen sind, und verschiedene Tätigkeiten in der Finanzbuchhaltung. In welchem zeitlichen Umfang, gemessen an der Gesamtarbeitszeit, die Klägerin jeweils Tätigkeiten als Beschließerin und Tätigkeiten in der Finanzbuchhaltung verrichtet, ist zwischen den Parteien streitig. Außerdem ist zwischen den Parteien streitig, ob die Einstufung der Klägerin nach dem Teil I oder nach dem Teil V der Vergütungsordnung der Anlage 1a MTAng-BfA vorzunehmen und in welche Vergütungs- und Fallgruppe die Klägerin ggf. einzugruppieren ist.

Mit der Klage hat die Klägerin zuletzt die Feststellung begehrt, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab dem 1. Dezember 1989 eine Vergütung nach Vergütungsgruppe VIa der Anlage 1a zum MTAng-BfA zu zahlen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat mit dem am 9. Juni 1994 verkündeten Urteil auf die Berufung der Klägerin das arbeitsgerichtliche Urteil abgeändert und nach dem Klagebegehren erkannt. Nach dem verkündeten Tenor des berufungsgerichtlichen Urteils hat das Landesarbeitsgericht die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Das Urteil wurde der Beklagten am 7. September 1995 zugestellt.

Mit am 28. Juli 1995 beim Bundesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz legte die Beklagte “gegen das Urteil … Revision” (– 4 AZR 534/95 –) “sowie hilfsweise gleichzeitig Nichtzulassungsbeschwerde ein”. Sie führt aus, für den Fall, daß eine Revision zum jetzigen Zeitpunkt für nicht zulässig erachtet werden sollte, da diese vom Landesarbeitsgericht in der verkündeten Entscheidung nicht ausdrücklich zugelassen worden sei, werde gleichzeitig und hilfsweise Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt mit der Maßgabe, die Revision gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts zuzulassen. Die Nichtzulassungsbeschwerde sei zulässig und begründet, da der absolute Revisionsgrund des § 551 Nr. 7 ZPO gegeben sei. Mit Schriftsatz vom 29. September 1995 legte die Beklagte Nichtzulassungsbeschwerde ein und begründete sie am 6. November 1995 mit grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten ist unzulässig.

1. Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann nicht hilfsweise für den Fall eingelegt werden, daß die eingelegte Revision unzulässig ist. Der Rechtsbehelf ist unter einer Bedingung eingelegt. Der Rechtsbehelf soll nämlich nur dann als eingelegt gelten, wenn die von der Beklagten ebenfalls eingelegte Revision ihrerseits aus verfahrensrechtlichen Gründen unzulässig sein sollte. Bei dieser Art prozessualen Vorgehens übersieht die Beklagte, daß aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit Rechtsmittel und Rechtsbehelfe nicht unter einer Bedingung eingelegt werden können, sondern schlechthin bedingungsfeindlich sind (BAG Beschluß vom 13. August 1985 – 4 AZN 212/85 – BAGE 49, 244 = AP Nr. 22 zu § 72a ArbGG 1979, m.w.N.; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, Rz 46; GK-ArbGG/Ascheid, Stand Februar 1994, § 72a Rz 43; a.A. Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 2. Aufl., § 72a Rz 23). Wie andere Rechtsmittel und Rechtsbehelfe kann auch die Nichtzulassungsbeschwerde des Arbeitsgerichtsgesetzes nicht unter einer Bedingung eingelegt werden (BAG, aaO). Dabei kommt es auch nicht darauf an, welche Gründe die Beklagte zur bedingten Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde bestimmt haben.

2. Im übrigen ist die Beschwerde nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form begründet worden (§ 72a Abs. 3 Satz 2 ArbGG).

a) Nach § 72a Abs. 1 ArbGG kann die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht selbständig durch Beschwerde angefochten werden, wenn entweder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und eine der im § 72a Abs. 1 Nr. 1 bis 3 ArbGG angeführten Rechtsstreitigkeiten betrifft oder ein Fall des § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG vorliegt. Die Beschwerdeführerin hat aber weder die Voraussetzungen der Grundsatzbeschwerde noch die der Divergenzbeschwerde dargelegt.

aa) Auf die grundsätzliche Bedeutung des Rechtsstreits kann eine Nichtzulassungsbeschwerde mit Erfolg nur gestützt werden, wenn die Rechtssache eine der in § 72a Abs. 1 Nr. 1 bis 3 ArbGG erschöpfend aufgeführten Rechtsstreitigkeiten betrifft. Unter der Auslegung eines Tarifvertrages im Sinne von § 72a Abs. 1 Nr. 2 ArbGG ist die abstrakte Interpretation tariflicher Rechtsbegriffe zu verstehen. Insoweit muß der Beschwerdeführer im einzelnen darlegen, welche fallübergreifende abstrakte Interpretation tariflicher Rechtsbegriffe das Landesarbeitsgericht vorgenommen hat und daß diese fehlerhaft oder bei der Subsumtion wieder aufgegeben worden ist (BAGE 32, 203, 208; 32, 228, 232 = AP Nr. 1 und 2 zu § 72a ArbGG 1979 Grundsatz).

Es ist weiterhin darzulegen, daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Damit wird das Interesse der Allgemeinheit an der Entscheidung des Rechtsstreits gefordert. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nur dann zu bejahen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von einer klärungsfähigen und klärungsbedürftigen Rechtsfrage abhängt und diese Klärung entweder von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen (z.B. wirtschaftlichen) Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teils der Allgemeinheit eng berührt (BAGE 32, 203, 210 = AP, aaO).

bb) Zur erforderlichen Darlegung einer Divergenz gehört, daß aus der Entscheidung des anzufechtenden Urteils ein abstrakter, die Entscheidung tragender Rechtssatz angeführt wird, der von einem ebenfalls angeführten abstrakten Rechtssatz des angezogenen Urteils abweicht. Ferner ist darzulegen, daß jedenfalls das anzufechtende Urteil auf dem abweichenden Rechtssatz beruht (BAG Beschluß vom 9. Dezember 1980 – 7 AZN 374/80 – AP Nr. 3 zu § 72a ArbGG 1979 Divergenz, m.w.N.).

b) Die Beschwerdebegründung entspricht diesen Anforderungen nicht.

aa) Sie führt zum einen aus, die Nichtzulassungsbeschwerde sei zulässig und begründet, da der absolute Revisionsgrund des § 551 Nr. 7 ZPO gegeben sei. Damit ist weder der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung noch derjenige der Divergenz dargelegt. Der Revisionsgrund des § 551 Nr. 7 ZPO begründet nicht die Zulassung der Revision; vielmehr setzt seine Prüfung eine zulässige Revision gerade voraus. Die Überschreitung der fünfmonatigen Frist zur vollständigen Niederlegung von Tatbestand und Entscheidungsgründen durch das Landesarbeitsgericht rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision (BAG Beschluß vom 20. September 1993 – 9 AZN 400/93 – AP Nr. 28 zu § 72a ArbGG 1979). Die Beklagte beruft sich daher der Sache nach zu Unrecht im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde auf den Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 27. April 1993 – GmS-OGB 1/92 – AP Nr. 21 zu § 551 ZPO, wonach ein Urteil, das nicht innerhalb von fünf Monaten nach seiner Verkündung mit Tatbestand und Entscheidungsgründen von den Richtern unterschrieben zur Geschäftsstelle des Gerichts gelangt, als “nicht mit Gründen versehen” gilt und deswegen entsprechend den einschlägigen Prozeßordnungen auf eine Rüge ohne weiteres aufzuheben ist.

bb) Soweit die Beklagte rügt, das Landesarbeitsgericht habe das Tatbestandsmerkmal des § 22 Abs. 2 MTAng-BfA falsch ausgelegt und habe des weiteren auch das Tatbestandsmerkmal “Fünftel selbständige Leistungen” in Teil I der Anlage 1a der Vergütungsordnung zum MTAng-BfA zur Vergütungsgruppe VI Ziff. 1a verkannt, kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte die Auslegung entscheidungserheblicher tariflicher Rechtsbegriffe durch das Landesarbeitsgericht angreift oder lediglich deren Anwendung. Denn die Beklagte hat nicht dargetan, inwieweit die Lösung der vorliegenden Fallkonstellation von einer Rechtsfrage abhängt, deren Klärung entweder von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teils der Allgemeinheit eng berührt. Es ist nicht dargelegt, ob überhaupt und in welchem Umfang im Bereich der Beklagten diesem Einzelfall vergleichbare Sachverhalte existieren. Die Beklagte trägt zwar vor, es sei möglich und sogar zu erwarten, daß die Auslegung der beiden Tatbestandsmerkmale auch in Zukunft Anlaß von Rechtsstreitigkeiten sein könne oder bei der Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten von größerer Bedeutung sei. Das hat die Beklagte aber nicht im einzelnen belegt und ist daher rein spekulativ. Die Beklagte hätte darlegen müssen, daß zahlreiche Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter in vergleichbarer Position wie die Klägerin meinen, nach Vergütungsgruppe VIa der Anlage 1a zum MTAng-BfA vergütet werden zu müssen, was die Beklagte leugne und deshalb die Eingruppierung zwischen den Arbeitsvertragsparteien streitig sei, ggf. daß und welche Verfahren insoweit anhängig sind. Auch sonst ist die grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 72a Abs. 1 in Verb. mit § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG nicht ersichtlich.

III. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

IV. Der festgesetzte Streitwert für das Beschwerdeverfahren entspricht dem Wert des dreijährigen Unterschiedsbetrages zwischen begehrter und gewährter Vergütung (§ 12 Abs. 7 Satz 2 ArbGG), wie ihn das Gericht des ersten Rechtszugs errechnet hat. Diese Wertfestsetzung ist von den Parteien nicht beanstandet worden. Die Beteiligten haben bei ihrer Anhörung zur beabsichtigten Wertfestsetzung im Revisionsverfahren dagegen auch keine Bedenken erhoben.

 

Unterschriften

Schaub, Bott, Friedrich, Hecker, Grätz

 

Fundstellen

Haufe-Index 872261

BB 1996, 488

NJW 1996, 2533

NZA 1996, 554

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