Umlaufverfahren gem.  § 2 COVMG bei Satzungsregelung unzulässig

§ 2 COVMG ändert lediglich die gesetzlichen Regelungen zum Umlaufverfahren nach § 48 Abs. 2 GmbHG und greift nicht in § 45 Abs. 2 GmbHG, d.h. den Vorrang der Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages vor den Regelungen in §§ 46 ff. GmbHG, ein. Das vereinfachte Umlaufverfahren nach § 2 COVMG ist daher nur dann anwendbar, wenn die Satzung keinerlei Regelungen zur Beschlussfassung im Umlaufverfahren enthält.

Hintergrund

Unmittelbar nach Ausbruch der COVID-19-Pandemie hat der Gesetzgeber in beispielloser Geschwindigkeit reagiert und u.a. „vorübergehend substantielle Erleichterungen für die Durchführung von […] Gesellschafterversammlungen“ der GmbH geschaffen (vgl. BT-Drucks. 19/18110, S. 5). § 2 COVMG sieht vor, dass Gesellschafterbeschlüsse abweichend von § 48 Abs. 2 GmbHG in Textform oder durch schriftliche Abgabe der Stimmen auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter gefasst werden können. Ausreichend ist vielmehr – auch hinsichtlich des Beschlussverfahrens – eine einfache Mehrheit. Das Verhältnis zwischen § 2 COVMG (dessen Geltungszeitraum bis zum 31.12.2021 verlängert wurde) und gesellschaftsvertraglichen Regelungen zum Umlaufverfahren ist seit Inkrafttreten der Regelung hochumstritten.

Eine Ansicht hält § 2 COVMG generell für unanwendbar, wenn die Satzung – unabhängig von der konkreten Ausgestaltung – Regelungen zum Umlaufverfahren enthält. Andere differenzieren danach, ob es sich bei den Satzungsregelungen um eine bloße Wiedergabe von § 48 Abs. 2 GmbH oder aber um „durchdachte“, auf den Gesellschafterkreis zugeschnittene Regelungen handelt. Wieder andere differenzieren hierbei nochmal danach, ob es sich im Vergleich zu § 48 Abs. 2 GmbH um strengere Regeln handelt oder die Anforderungen an ein Umlaufverfahren etwa durch ein niedrigeres Quorum bereits herabgesetzt wurden. Gemeinsamer Nenner der differenzierenden Ansichten ist jedoch, dass § 2 COVMG bei Satzungsbestimmungen, die sich in der Wiederholung des Gesetzestextes erschöpfen, anwendbar sein soll.

Sachverhalt

In dem Verfahren vor dem LG Stuttgart ging es um die Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers im Wege eines Umlaufverfahrens. Zwar hatte sich eine Mehrheit der Gesellschafter für dessen Abberufung ausgesprochen; jedoch hatten nicht alle Gesellschafter, wie im Gesellschaftsvertrag entsprechend § 48 Abs. 2 GmbH vorgesehen, der Beschlussfassung im Umlaufverfahren zugestimmt. Daraufhin erwirkte der betroffene Geschäftsführer eine einstweilige Verfügung, mit der die Gesellschaft verpflichtet wurde, ihm einstweilen sämtliche Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse zu belassen und ihm ungehinderten Zugang zu den Geschäftsräumen zu gewähren. Gegen diese Entscheidung legte die Gesellschaft Widerspruch ein, mit der Begründung, durch § 2 COVMG sei die Regelung im Gesellschaftsvertrag dahingehend modifiziert worden, dass zu einer Beschlussfassung außerhalb von Versammlungen vorübergehend nicht die Zustimmung sämtlicher Gesellschafter erforderlich sei.

Das Urteil des LG Stuttgart vom 25.01.2021 (Az. 44 O 52/20 KfH)

Das LG Stuttgart hielt die einstweilige Verfügung aufrecht. Es vertrat die Auffassung, dass § 2 COVMG lediglich § 48 Abs. 2 GmbHG ändere und der Vorrang der Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages vor den Regelungen in §§ 46 ff. GmbHG nicht angetastet werde. Es bleibe daher bei den gesellschaftsvertraglichen Regelungen zu den Anforderungen an einen Beschluss im Umlaufverfahren. Eine ergänzende Vertragsauslegung, wonach es dem Willen der Gesellschafter entsprochen hätte, im Falle einer Pandemie per Mehrheitsbeschluss im Umlaufverfahren zu entscheiden, lehnte das Gericht ab. Obwohl es sich um eine „internationale Gesellschaft“ mit weit verstreutem Gesellschafterkreis handele, sei für ein Umlaufverfahren Einstimmigkeit statuiert worden.

Anmerkung

Die Entscheidung des LG Stuttgart trägt dem Sinn und Zweck der „Notfallgesetzgebung“, die Beschlussfassung während der COVID-19-Pandemie substantiell zu erleichtern, nicht ausreichend Rechnung. In Zeiten von Kontakt- und Reisebeschränkungen sollen einzelne Gesellschafter eine Beschlussfassung gerade nicht dadurch verhindern oder zumindest erheblich erschweren können, indem sie auf eine Präsenzversammlung bestehen.

Jedenfalls bei Klauseln, die sich auf die wörtliche oder sinngemäße Wiedergabe von § 48 Abs. 2 GmbHG beschränken, muss § 2 COVMG Anwendung finden. In diesen Fällen liegt keine inhaltlich eigenständige, abweichende Regelung im Gesellschaftsvertrag vor, sondern lediglich eine Wiederholung der oder ein Verweis auf die Gesetzeslage. Da § 2 COVMG wiederum eine Modifikation von § 48 Abs. 2 GmbHG darstellt, ist der Gesellschaftsvertrag in solchen Fällen ergänzend dahin auszulegen, dass die Gesellschafter, hätten sie die Möglichkeit einer Pandemie bedacht, jedenfalls keine Erschwerung der Beschlussfassung im Umlaufverfahren gegenüber der gesetzlichen Konzeption vorsehen wollten

Da das LG Stuttgart auf den konkreten Einzelfall abstellt („internationale Gesellschaft“), ist unklar, ob es eine entsprechende ergänzende Vertragsauslegung generell für ausgeschlossen hält. Das LG Konstanz hat indes zwischenzeitlich geurteilt, dass der Gesetzeszweck von § 2 COVMG nur erreicht werden könne, wenn dieser nicht nur § 48 Abs. 2 GmbHG, sondern auch gleichlautende Satzungsregelungen verdränge (Urteil vom 29.01.2021, Az. 7 O 20/20 KfH). Die Anwendung von § 2 COVMG in diesem Fall lässt sich trotz der Entscheidung des LG Stuttgarts damit weiterhin gut vertreten. Es ist zu hoffen, dass sich dieser auch in der Literatur herrschenden Ansicht zeitnah weitere Gerichte anschließen werden.

Dessen ungeachtet gibt die Entscheidung abermals Anlass, in den Gesellschaftsvertrag zeitgemäße Regelungen zur Beschlussfassung außerhalb von Präsenzversammlungen aufzunehmen.

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