Außerordentliche (Delegierten-)Versammlung in der Pandemie

Das Einberufungsverlangen für eine Delegiertenversammlung ist nicht rechtsmissbräuchlich, selbst wenn diese aufgrund von Kontaktbeschränkungen nicht als Präsenzveranstaltung stattfinden kann.

Zum Sachverhalt

Hintergrund des Beschlusses vom OLG München war eine Auseinandersetzung über die Einberufung einer außerordentlichen Delegiertenversammlung bei einem eingetragenen (Dach-)Verein. Ein Teil der Vereinsmitglieder hatte beim Vereinsvorstand die Einberufung  einer außerordentlichen Delegiertenversammlung (die bei dem Verein zulässigerweise anstelle einer Mitgliederversammlung eingerichtet worden war) beantragt, in der unter anderem über die Abberufung von Vorstandsmitgliedern entschieden werden sollte.

Der Vereinsvorstand lehnte die die Einberufung ab. Er begründete dies unter anderem damit, dass aufgrund der geltenden Kontaktbeschränkungen eine Versammlung nicht möglich und das Einberufungsverlangen schon deswegen rechtsmissbräuchlich war. Daraufhin wandten sich die Antragsteller an das Vereinsregister. Dort beantragten sie erfolgreich die Ermächtigung von einem der Antragsteller zur Einberufung der außerordentlichen Delegiertenversammlung. Hiergegen legte der Verein Beschwerde ein.

Der Beschluss des OLG München vom 23.11.2020 (Az. 31 Wx 405/20)

Die Beschwerde blieb ohne Erfolg. Das Gericht sah das Einberufungsverlangen als zulässig und nicht offensichtlich rechtsmissbräuchlich an. In diesem Zusammenhang nahm es zu den erweiterten Handlungsoptionen für Vereine mit Blick auf die Durchführung von Mitglieder- und Delegiertenversammlungen durch das Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (COVMG) Stellung.

Praxishinweis

Das OLG München hat sich in seiner Entscheidung anschaulich mit der eher seltenen Konstellation eines Minderheitsverlangens zur Einberufung einer Mitglieder- bzw. Delegiertenversammlung bei eingetragenen Vereinen befasst. Nach § 37 BGB ist eine Mitglieder- bzw. Delegiertenversammlung einzuberufen, wenn eine Minderheit dies unter Nennung der Einberufungsgründe vom einberufungsberechtigten Organ (im Regelfall dem Vorstand) verlangt.

Das erforderliche Quorum für diese Minderheit kann in der Satzung festgelegt werden; ansonsten gilt ein Quorum von 10 % der teilnahmeberechtigten Vereinsmitglieder / Delegierten. Wird das Quorum durch die Satzung modifiziert – wie im Fall des OLG München – muss der Charakter als Minderheitenrecht gewahrt bleiben. Eine Herabsetzung des Quorums unter die 10 %-Schwelle ist somit regelmäßig unproblematisch, eine Heraufsetzung gerade bei größeren Vereinen schwierig. Kommt das einberufungsberechtigte Organ dem Einberufungsverlangen nicht nach, kann die Minderheit im nächsten Schritt beim Registergericht beantragen, zur Einberufung der Mitglieder- bzw. Delegiertenversammlung mit einer bestimmten Tagesordnung ermächtigt zu werden.

Das OLG München hat die bei der Einleitung eines solchen Einberufungsverlangens zu berücksichtigenden Punkte nachvollziehbar dargestellt. In diesem Zusammenhang hat es auch zu den durch das COVMG eingeführten und für alle Mitglieder- bzw. Delegiertenversammlungen in Vereinen bis zum 31.12.2021 geltenden Sondervorschriften für Vereine Stellung genommen. Zur Bekämpfung der Covid19-Pandemie sind durch diese Vorschriften die Möglichkeiten für Vereine zur Beschlussfassung in Umlaufverfahren, durch schriftliche Stimmabgaben und in virtuellen Versammlungen – selbst ohne entsprechende Satzungsregelungen – ausgeweitet worden. Sie gewähren, das hat das OLG München klar herausgestellt, viel zusätzliche Flexibilität bei der Gestaltung von Mitglieder- bzw. Delegiertenversammlungen. Selbst wenn also eine Präsenzsitzung aufgrund der geltenden Kontaktbeschränkungen nicht möglich sei, haben Vereine die Möglichkeit zur Herbeiführung einer wirksamen Beschlussfassung. Das Argument, das Minderheitsverlangen sei rechtsmissbräuchlich, weil derzeit gar keine (Präsenz-)Beschlussfassung möglich sei, hat das Gericht daher im entschiedenen Fall nachvollziehbarerweise zurückgewiesen.

Ähnliche Rechtsfragen können sich auch bei GmbHs stellen. Zwar gibt es im GmbH-Recht ein eigenes Einberufungsrecht der Minderheit ohne den Umweg über das Registergericht, wenn das einberufungsberechtigte Organ dem Einberufungsverlangen der Minderheit nicht nachkommt (§ 50 Abs. 1, Abs. 3 GmbHG). Insofern stellt sich jedoch ebenfalls die Frage, wie die durch das COMV auch für GmbHs eingeführten Sonderregelungen (Zulässigkeit der Beschlussfassung im Umlaufverfahren ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter selbst ohne Satzungsregelung) auf das Minderheitsverlangen auswirkt.

Die herrschende Auffassung der rechtswissenschaftlichen Literatur ist insofern ähnlich pragmatisch wie das OLG München im vereinsrechtlichen Kontext: Sie geht davon aus, dass die Minderheit durch das Minderheitsverlangen nach § 50 GmbHG auch eine Beschlussfassung im Umlaufverfahren nach § 2 COMV anstelle einer Präsenzsitzung herbeiführen kann.

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Schlagworte zum Thema:  Rechtsmissbrauch, Verein