Das generische Maskulinum ist keine Benachteiligung der Frauen

Der BGH hat das generische Maskulinum abgesegnet und den Anspruch auf die Übernahme des korrekten Genderns in die Sprache der Bankformulare abgelehnt. Ein Recht der Frauen, in amtlichen oder geschäftlichen Formularen als Frauen angesprochen zu werden, besteht nach dem Urteil nicht, denn die männliche Ansprache ist keine Benachteiligung, das befanden die 5 BGH-Richter.

Nicht nur von Feministinnen ist die  Entscheidung des BGH mit Spannung und auch kontrovers erwartet worden. Die achtzigjährige Klägerin aus dem saarländischen Sulzbach fühlte sich als Frau totgeschwiegen, wenn sie von ihrer Sparkasse in Formularen als Kunde, Sparer und Kontoinhaber in der männlichen Form angesprochen wurde und sie sich als Frau in dieser Sprache nicht wiederfand.

Kundin klagte gegen Sparkasse auf Gender-korrekte Ansprach in Formularen

Die Kundin klagte gegen ihre Sparkasse mit dem Ziel, in den Bankformularen nicht als Kunde, Kontoinhaber oder Sparer, sondern korrekt in der weiblichen Form als Kundin, Kontoinhaberin und Sparerin angesprochen zu werden.

Klägerin fühlt sich als Frau sprachlich totgeschwiegen

„Ich will nicht nur mitgemeint sein“, sondern 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts auch korrekt und konkret als Frau auch in Formularvordrucken angesprochen werden, begründete die Sulzbacherin ihren Schritt.

  • Sie verwies darauf, dass Frauen in Deutschland erst seit dem Jahr 1958 ein Konto im eigenen Namen eröffnen dürfen.
  • Seit diesem Zeitpunkt sei die Bezeichnung Kontoinhaber überholt und sachlich falsch, habe sich aber dennoch über die Jahre erhalten.
  • Schützenhilfe erhielt sie von der Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes (DJB) Maria Wersig. Die Juristin verweist auf die unbestrittene Tatsache, dass die Sprache erheblichen Einfluss auch auf unser Denken hat.
  • Sprache dürfte als Spiegel der gesellschaftlichen Strukturen und als Ausdruck von hergebrachten Hierarchien nicht unterschätzt werden. Durch Sprache würden letztlich eigene Realitäten geschaffen. 

Sparkasse verweist auf unverhältnismäßigen Umstellungsaufwand

Die Sparkasse verteidigte sich im unter anderem mit dem Argument, dass sie ca. 800 unterschiedliche Formularvordrucke im Umlauf habe.

  • Wenn diese bei allen Banken geändert werden müssten, sei dies mit einem unverhältnismäßigen Organisations- und Kostenaufwand verbunden.
  • Auch andere öffentliche und private Institutionen, die mit der geschlechtsneutralen, männlichen Form arbeiten, müssten dann erhebliche Geldbeträge in die Hand nehmen, nur um Formulare zu ändern. 

Der Kampf der Saarländerin endete (zunächst) erfolglos

Die streitbare Saarländerin unterlag in den ersten beiden Instanzen. Der mit drei männlichen und zwei weiblichen Richtern besetzte 6. Senat des BGH zeigte für den Kampf der Sulzbacherin nun zwar grundsätzlich Verständnis, wies aber - möglicherweise auch mit Blick auch auf die organisatorischen und logistischen Konsequenzen einer stattgebenden Entscheidung - die Klage der Saarländerin im dennoch Ergebnis ab.

Kleine Holzfiguren, weibliche Figur vorne

BGH argumentierte mit saarländischem Landes Gleichstellungsgesetz

Der BGH argumentierte u.a. mit § 28 Satz 1 des saarländischen Landes Gleichstellungsgesetzes.

  • Nach dieser Vorschrift haben Dienststellen beim Erlass von Rechtsvorschriften, bei der Gestaltung von Vordrucken, in amtlichen Schreiben und bei anderen Gelegenheiten dem Grundsatz der Gleichberechtigung von Frauen und Männern dadurch Rechnung zu tragen, dass geschlechtsneutrale Bezeichnungen gewählt werden und nur hilfsweise die weibliche und die männliche Form verwendet wird.
  • Diese Vorschrift begründet nach Auffassung des Senats keinen individuellen Rechtsanspruch einzelner Personen, vielmehr wende sich die Vorschrift lediglich an die dort angesprochenen Dienststellen. 

Keine Verletzung des AGG

Auch § 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 und 3 AGG, der jede Benachteiligung einer Person wegen ihres Geschlechts verbietet,  begründet nach Auffassung des Senats keinen Anspruch auf die Verwendung weiblicher Sprachformen in Formularen.

Dies folge daraus, dass weibliche Personen durch die Verwendung einer männlichen Sprache in Formularen im Ergebnis keine fühlbar reale Benachteiligung erlitten.

Maßgeblich für die Beurteilung sei dabei nicht die subjektive Sicht einer speziellen betroffenen Person, sondern die objektive Sicht eines verständigen Dritten.

Eine "weniger günstige Behandlung" von Frauen liege nicht vor, weil das generische Maskulinum "keine Geringschätzung gegenüber Personen zum Ausdruck" bringe, "deren natürliches Geschlecht nicht männlich ist"

Warum als Kunde keiner benachteiligt wird

Für das Fehlen einer Benachteiligung bemühte der Senat folgende Argumente:

  • Die männliche Form werde in Formularen wie auch in Gesetzbüchern seit Jahrzehnten geschlechtsneutral als generisches Maskulinum gebraucht.
  • Dies entspreche einer seit 2.000 Jahren gewachsenen, stillschweigenden Übereinkunft und sei damit eine anerkannte Regel der Kommunikation.
  • Auch sei bis heute in einer Vielzahl von Gesetzestexten die Verwendung des generischen Maskulinums üblich (§§ 488 ff BGB „Darlehensnehmer“).
  • Außerdem diene es der Vereinfachung sowohl von Gesetzestexten als auch von Formularen, wenn lediglich die männliche Form für Kläger, Antragsteller, Kontoinhaber etc. verwendet werde.
  • Die Hinzufügung der weiblichen Form würde die Texte unnötig verkomplizieren und verlängern.
  • Die überwiegende Mehrheit der betroffenen Frauen und Männer würde sich an dieser geschlechtsneutralen Verwendung der männlichen Form nicht stören und sehe darin keine Benachteiligung.

Auch Persönlichkeitsrecht ist nicht betroffen

Schließlich erkannte der Senat in der Verwendung des generischen Maskulinums auch keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder des Gleichheitsgrundsatzes gem. Art. 3 GG.

Das Persönlichkeitsrecht sei in seiner Ausprägung als Schutz der geschlechtlichen Identität nicht tangiert, da die Sparkasse Beklagte an die Klägerin in persönlichen Gesprächen und in individuellen Schreiben mit der Anrede "Frau […]" an die Kundin wendet.

Die Verwendung generisch maskuliner Personenbezeichnungen in Vordrucken und Formularen sei kein Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts. 

(BGH, Urteil v. 13.3.2018, VI ZR 143/17)


Deutsche Juristinnenbund kritisiert die Entscheidung

Der DJB kritisierte die Entscheidung und plädierte für eine Änderung des überkommenen Sprachgebrauchs. Frauen dürften nicht länger nur ein Anhängsel ihrer Männer sein.

  • Außerdem habe erst kürzlich das BVerfG in seiner Entscheidung das dritte Geschlecht auf die herausragende Bedeutung der geschlechtlichen Zuordnung für die individuelle Identität hingewiesen (BVerfG, Beschluss 10.10.2017, 1 BvR 2019/16)
  • und das Recht auf die Verwendung des richtigen Geschlechts im Geburtenregister mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und Diskriminierungsverbot aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3 GG begründet.

Verweis auf Gesetzestexte als Zirkelschluss?

Der BGH verwies auch auf den "Sprachgebrauch des Gesetzgebers", für den "der Verwandte", "Ehegatte" oder "Lebenspartner" auch für Personen beiderlei Geschlechts stehe. Es dürfe an Banken keine höher Anforderungen gestellt werden. Hier wird im Spiegel von Dietmar Hipp entgegengehalten, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz zwar die am Wirtschaftsleben Beteiligten bindet, nicht aber den Gesetzgeber.

Die streitbare Saarländerin ist kampferprobt

Der Kampf der achtzigjährigen Klägerin aus dem saarländischen Sulzbach ist mit dem Urteil des BGH nicht beendet. Die streitbare Sulzbacherin hat bereits bei anderer Gelegenheit gezeigt, dass sie beim Kampf für Frauenrechte nicht so schnell aufgibt und sich bereits einen Namen bei der Bekämpfung der männlichen Sprache in den verschiedensten Bereichen gemacht.

  • In den neunziger Jahren verweigerte sie erfolgreich die Annahme eines Personalausweises, weil sie nicht bereit war, ihre Unterschrift als Ausweisinhaber zu leisten. Sie wollte als Frau in der weiblichen Form – als Inhaberin - unterschreiben können.
  • Lange Jahre kämpfte sie mit Unterschriftensammlungen gegen die ausschließliche Verwendung von Frauennamen für Tiefdruckgebiete in den Wetterberichten. Auch diesen Kampf hat sie am Ende bekanntlich gewonnen.

Die Kundin gibt den Kampf noch nicht auf

Die Klägerin hat denn auch bereits angekündigt, den Kampf gegen die männlich orientierte Sprache noch nicht als verloren zu betrachten. Ob ihr nächster Schritt sie zum BVerfG oder direkt zum EuGH führen wird, darüber wird sie sich noch mit ihren rechtlichen Vertretern beraten. Zuständig beim BVerfG dürfte der Erste Senat sein, dessen Richter und Richterinnen schon entschieden haben, dass der Gesetzgeber neben dem männlichen und weiblichen sogar ein drittes, neutrales Geschlecht in Pässen und Geburtsurkunden vorsehen muss.  


Schlagworte zum Thema:  Recht, Diversity, Bundesgerichtshof (BGH)