Verkehrsgerichtstag:  Empfehlungen an den Gesetzgeber

Der 60. Verkehrsgerichtstag in Goslar setzte in diesem Jahr Schwerpunkte beim Sanktionsrecht, der Förderung des Radverkehrs, einer neuen Gefährdungshaftung für E-Scooter sowie auf geänderte Grenzwerte beim Cannabiskonsum.

In Goslar haben sich vom 17. bis 19. 8. 2022 Verkehrsexperten aus Deutschland und Europa zum 60. Verkehrsgerichtstag getroffen, um in diversen Arbeitskreisen den Nachholbedarf der Politik und des Gesetzgebers in den verschiedenen Bereichen des Straßenverkehrsrechts zu klären. Die seit dem Jahr 1963 jährlich stattfindenden Verkehrsgerichtstage münden - so auch dieses Jahr - regelmäßig in Empfehlungen an die Politik für überfällige Gesetzesänderungen.

Homogeneres Sanktionsrecht

Der Arbeitskreis zu den Rechtsfolgen von Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr befand, dass das aktuelle Sanktionensystem zu wenig darauf ausgerichtet ist, das zukünftige Verhalten der Delinquenten im Straßenverkehr zu ändern. Der Arbeitskreis fordert die Politik daher auf, das System der straßenverkehrsrechtlichen Sanktionen mit Fokus auf eine effektivere Einwirkung auf die Delinquenten zu ändern. Folgende Maßnahmen werden vorgeschlagen:

  • Einführung einer Option für Betroffene, unter bestimmten Voraussetzungen eine Geldbuße und/oder ein Fahrverbot durch Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Maßnahme oder einer Fahrschulung abzuwenden,
  • die Einführung eines gesetzlichen Regelungskatalogs, der die Voraussetzungen für ein Absehen von einem Fahrverbot exakt definiert,
  • die Ermöglichung der Verhängung eines Fahrverbots auf Bewährung,
  • eine Ermäßigung der Sanktionen bei erstmaligen Verkehrsverstößen.

Neue Grenzwerte für Cannabiskonsum?

Der Verkehrsgerichtstag beschäftigte sich intensiv mit der Absicht des Gesetzgebers, den Konsum von Cannabis zu legalisieren. Der Verkehrsgerichtstag ist der Auffassung, dass nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft der aktuell maßgebliche Grenzwert von 1,0 Nanogramm THC pro ml Blutserum als Nachweis für eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit zu niedrig ist. Der Einfluss von Alkohol werde vom Gesetzgeber wesentlich liberaler gehandhabt. Der Gesetzgeber wird daher aufgefordert, den THC-Grenzwert unter Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse angemessen heraufzusetzen. Auf einen konkreten Grenzwert konnte sich der Verkehrsgerichtstag allerdings nicht einigen, wohl auch deshalb, weil wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse hierzu immer noch äußerst dünn sind.

Schwerpunktthema: Sicherer Radverkehr

Der Verkehrsgerichtstag bemängelt das anhaltend hohe Niveau von Radverkehrsunfällen und fordert die Politik auf, die Ergebnisse der Unfallforschung bei der Radwegeplanung besser zu berücksichtigen und die Radfahrer aus der „Sandwich-Position“ zwischen Kraftfahrzeugen und Fußgängern zu befreien. Die Forderungen im einzelnen lauten:

  • Eine Neuaufteilung des Verkehrsraumes zugunsten des Fahrrades unter Schaffung durchgängig befahrbarer Radnetze,
  • die Schaffung einer wirksamen Qualitätskontrolle der vorhandenen und der zukünftigen Radnetze,
  • die Erweiterung der Spielräume der Kommunen zur Implementierung präventiver und proaktiver Maßnahmen im Rahmen der Verkehrsführung der Radwege,
  • eine Aufstockung des polizeilichen Personals zur Überwachung der Fahrradwege z.B. im Hinblick auf dort parkende Kraftfahrzeuge (Fahrradstaffeln der Polizei),
  • die Schaffung besonderer Angebote für Kinder, Jugendliche und auch für Ältere in Form von Fahrsicherheitstrainings,
  • die Einführung eines eigenen Ordnungswidrigkeitentatbestandes zur Ahndung des Radfahrens unter Alkoholeinfluss,
  • eine Begrenzung der zulässigen Maße und Gewichte für Pedelecs, Lastenräder und Gespanne.

Gefährdungshaftung für E-Scooter

Nach Ansicht des Verkehrsgerichtstags bedarf § 8 Nr. 1 StVG einer grundlegenden Reform, als der generelle gesetzliche Ausschluss der Gefährdungshaftung für langsam fahrende Kraftfahrzeuge angesichts deren häufiger Unfallbeteiligung nicht mehr zeitgemäß sei. Der Verkehrsgerichtstag fordert,

  • auch langsam fahrende forstwirtschaftliche Kraftfahrzeuge oder Baufahrzeuge sowie
  • selbstfahrende Arbeitsmaschinen,
  • E-Scooter und
  • motorisierte Krankenfahrstühle

aufgrund ihres Gefährdungspotenzials in die Gefährdungshaftung einzubeziehen. Außerdem sollen Verleiher von E-Scootern haften, wenn auf Gehwegen abgestellte Scooter zu Stolperfallen werden oder umfallen und parkende Fahrzeuge beschädigen.

Begründungspflicht der Gerichte für Fahrerlaubnisentscheidungen

Der Verkehrsgerichtstag bemängelt die fehlende Kongruenz bei der Beurteilung der Fahreignung eines Fahrerlaubnisinhabers zwischen den Fahrerlaubnisbehörden und den Strafgerichten. Die Begründung der Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis beschränke sich in Gerichtsurteilen häufig auf einen kurzen Hinweis auf die in § 69 Abs. 2 StGB normierte Regelvermutung der Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen. Für die nach Abschluss des Strafverfahrens wieder zuständige Fahrerlaubnisbehörden seien die sachlichen Gründe für die gerichtliche Entscheidung oft nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Die Strafgerichte sollen daher gesetzlich verpflichtet werden, ihre Fahrerlaubnisentscheidungen mit einer nachvollziehbaren Begründung zu versehen.

Bessere Versorgung und Rehabilitation Schwerstverletzter

Weitere Empfehlungen des Verkehrsgerichtstags betreffen die effektivere Versorgung und Rehabilitation Schwerstverletzter nach Verkehrsunfällen. Die Kfz-Versicherer haben bereits erklärt, sich in die Hilfe der Wiedereingliederung von Unfallopfern in den Alltag einbinden zu lassen. Ein gemeinsames Projekt von Versicherern und der „Akademie der Unfallchirurgie“ soll einen früheren und reibungsloseren Start von Rehabilitationsmaßnahmen für Unfallopfer nach Krankenhausaufenthalten ermöglichen.

Weitere Themenbereiche

Daneben beschäftigte sich der Verkehrsgerichtstag mit den Problemen bei der medizinischen Begutachtung von Verkehrsunfallopfern, dem Umfang und den Grenzen der Schadensminderungspflicht, dem Einsatz von KI im Straßenverkehr (u.a. Fahrassistenz und Leitsysteme), der Anwendung von Unfalldatenspeichern, den arbeitsrechtlichen Aspekten der Straßenverkehrssicherheit, der Einführung klarerer Koordinaten für die Bemessung von Schmerzensgeld sowie der Einführung neuer Geschwindigkeitsbegrenzungen im Innerortsverkehr. Ein weiteres Thema betraf die Durchsetzung der Sicherheits-, Umwelt- und Klimavorschriften in der Seeschifffahrt.

Empfehlungen haben Einfluss auf die Gesetzgebung

Die Empfehlungen des Verkehrsgerichtstages haben auf die Verkehrsgesetzgebung einen starken Einfluss und wurden in der Vergangenheit in weiten Teilen vom Gesetzgeber umgesetzt. Auch in diesem Jahr dürften die Reaktionen aus der Politik nicht lange auf sich warten lassen.

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