Sturz im anfahrenden Linienbus

Muss der Busfahrer darauf achten, dass jeder Fahrgast sicher sitzt oder steht, bevor er anfährt? Das ist im Busalltag normalerweise nicht zumutbar. Wenn Fahrgäste sich nicht selbst schnellstmöglich einen sicheren Halt verschaffen, schnappt für sie die Haftungsfalle zu.

Fahrkarte beim Busfahrer lösen, Wechselgeld und Fahrschein verstauen, Sitzplatz suchen. Und das alles, bevor der Bus angefahren ist. Im Busalltag klappt das längst nicht immer. So auch im vorliegenden Fall, in dem ein Fahrgast eines Linienbusses stürzte, als der Bus anfuhr und er seinen Sitzplatz noch nicht eingenommen hatte.

Vor Gericht musste die Haftungsfrage geklärt werden. Konkret, ob die Haftung der Beklagten aus der Betriebsgefahr des Busses gemäß § 7 Abs. 1 StVG hinter dem Verschulden des klagenden Fahrgastes vollständig zurücktritt.

Grundsätzlich gilt bei der Benutzung von Linienbussen

Der Fahrer eines Linienbusses darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass seine Fahrgäste entsprechend ihrer Verpflichtung aus § 14 Abs. 3 Nr. 4 BOKraft selbst dafür sorgen, sich im Bus einen festen Halt zu verschaffen.

Dies gilt auch für das Anfahren eines Busses, bei dem es erfahrungsgemäß häufig ruckelt.

Anders stellt sich die Situation nur dar, wenn eine besondere Hilfsbedürftigkeit des Fahrgastes offensichtlich ist, z.B. sichtbare Amputationen, Krücken oder Blindheit.

Gibt es keine Anhaltspunkte für eine sonstige Ursache des Sturzes eines Fahrgastes, spricht der Anscheinsbeweis dafür, dass der Sturz weit überwiegend auf eine mangelnde Vorsicht des Fahrgastes zurückzuführen ist.

Hohe Sorgfaltspflichten für Fahrgäste

Das OLG Celle wies in seinem Urteil darauf hin, dass die Sorgfaltspflichten an das Verhalten von Fahrgästen sehr hoch anzusiedeln seien. Im Massenverkehr seien die Risiken erkennbar und Fahrer würden überfordert, wenn sie sich vor jedem Anfahren vergewissern müssten, ob neu eingestiegene Fahrgäste einen sicheren Halt haben.

Laut Zeugenaussagen hatte der Mann nach dem Kauf der Fahrkarte und bevor der Bus losfuhr, genügend Zeit, sich einen freien Sitzplatz in dem mäßig besetzten Bus zu suchen. So sei vorne im Bus noch ein Sitzplatz frei gewesen, allerdings ein hoher Sitz über dem Reifen.

Da der Mann lieber neben seiner Frau sitzen wollte, habe er nicht diesen ersten freien Sitzplatz gewählt, sondern sich auf den Weg in Richtung seiner Frau gemacht.

Notwendige Eigensicherung vernachlässigt

Aus Gründen der Eigensicherung hätte er in diesem Fall dafür sorgen müssen, dass er sich genügend festhält, um sich auf den zu erwartenden Anfahrruck des Busses entsprechend vorzubereiten. Zur Vermeidung eigener Gefährdung sind Fahrgäste im Linienverkehr verpflichtet, sich im Fahrzeug stets einen festen Halt zu verschaffen (§14 Abs. 3 Nr. 4 BOKraft).

Fazit

Eine Haftung des Beklagten gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, §§280, 831 BGB ist zu verneinen, weil das Mitverschulden des Klägers gem. § 9 StVG, § 254 BGB derart überwiegt, dass er die Folgen seines Sturzes allein tragen muss.

(OLG Celle, Urteil v. 2.5.2019, 14 U 183/18)

Schlagworte zum Thema:  Verkehrsunfall, Haftung, Mitverschulden