Fahrverbot trotz Existenzgefährdung bei mangelnder Einsicht

Ist die wirtschaftliche Existenz gefährdet, kann von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen werden. Allerdings ist diese Gefährdung kein Freibrief für Betroffene. Wer sich uneinsichtig zeigt, beispielsweise durch gehäuft auftretende Verkehrsverstöße, hat trotz möglicherweise existentieller Folgen wenig Chancen, um ein Fahrverbot herum zu kommen.

32 Stundenkilometer zu schnell war ein selbstständiger Taxifahrer innerorts unterwegs gewesen. Das Amtsgericht Emmendingen hatte den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 160 Euro verurteilt und ein einmonatiges Fahrverbot angeordnet.

Existenzgefährdender Verdienstausfall aufgrund hoher Verdienstausfall

Insbesondere gegen das Fahrverbot wendete sich der Taxifahrer. Seine Argumentation: Das Fahrverbot sei für ihn gleichbedeutend mit einem Verdienstausfall als selbstständiger Taxifahrer. Auf diesen Verdienst sei er angewiesen, um seine sechsköpfige Familie zu ernähren. Zudem habe er hohe Verbindlichkeiten, die er bedienen müsse. Das OLG Karlsruhe entschied, dass die Voraussetzungen für ein Absehen vom Fahrverbot nicht vorliegen.

Wann von einem Fahrverbot abgesehen werden kann

Bei Vorliegen eines Regelfalles nach der BKatV kann von der Verhängung eines Fahrverbots angesichts seiner Funktion und des Gleichbehandlungsgebotes nach ständiger Rechtsprechung nur unter besonderen Umständen abgesehen werden: 

  • wenn greifbare und hinreichend belegte Anhaltspunkte für eine durch das Fahrverbot eintretende Existenzgefährdung bestehen
  • oder wenn sich die Maßnahme nach den Umständen des Einzelfalles anderweitig als eine für den Betroffenen besondere Härte darstellen würde. 

Damit kommt es darauf an, ob die für den Betroffenen zu erwartenden persönlichen und beruflichen Einschränkungen einzeln oder in ihrer Summe eine derartige Härte bedeuten würden, dass von der Maßnahme abgesehen werden muss.

Fahrverbot ist eine Denkzettel- und Erziehungsmaßnahme

Einschränkend wies das Gericht darauf hin, dass es sich bei einem Fahrverbot um eine Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme mit Erziehungsfunktion für den Betroffenen handele. Dazu gehöre, dass mit ihm auch erhebliche Erschwernisse in persönlicher und wirtschaftlicher Hinsicht einhergingen (OLG Koblenz, Beschluss v. 24.07.2018, 1 OWi 6 SsBs67/18). Dies ist also nicht immer ein Grund, von ihr Abstand zu nehmen.

Wann ein Ausnahmefall vorliegt, die gegen ein Fahrverbot spricht

Ein Ausnahmefall liegt danach nur dann vor,

  • wenn dem Betroffenen infolge des Fahrverbotes der Verlust der wirtschaftlichen Existenz droht,
  • und diese Konsequenz nicht durch zumutbare Vorkehrungen abgewendet oder vermieden werden kann.

Dieser Ausnahmefall sei bei dem Betroffenen nicht gegeben. Denn der Betroffene habe bereits früher ein Fahrverbot erteilt bekommen, das offensichtlich seine wirtschaftliche Existenz nicht gefährdet habe. Zudem sei der Mindestunterhalt der Familie durch sozialhilferechtliche Ansprüche gesichert.

Bei Uneinsichtigkeit Fahrverbot auch bei Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz

Ungeachtet dessen war die Anordnung des Fahrverbots auch bei Annahme einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz geboten, so das OLG. In der obergerichtlichen Rechtsprechung sei

  • anerkannt, dass der Gesichtspunkt einer nachhaltigen Existenzgefährdung zurückzutreten hat,
  • wenn sich der Betroffene gegenüber verkehrsrechtlichen Ge- und Verboten in einschlägiger Weise vollkommen uneinsichtig zeigt.

Andernfalls könnten Betroffene, insbesondere Lkw- oder Taxifahrer, die an sich unzumutbaren Folgen als Freibrief für wiederholtes Fehlverhalten ausnutzen.

Drei Verkehrsverstöße in gut einem halben Jahr

Bei dem Taxifahrer hatten sich die Verkehrsverstöße innerhalb kurzer Zeit gehäuft: innerhalb von wenig mehr als sechs Monaten drei Verkehrsverstöße wegen Geschwindigkeitsüberschreitung und Überfahren einer roten Ampel. Auch die vorherige Geschwindigkeitsüberschreitung hatte bereits zur Anordnung eines Fahrverbots geführt.

Das Gericht schloss daraus, dass es bei dem Taxifahrer in besonders hohem Maße an der erforderlichen rechtstreuen Gesinnung und der Einsicht in früheres Fehlverhalten fehle. Deshalb sei auch bei der Annahme einer wirtschaftlichen Existenzgefährdung die Anordnung des Fahrverbots zur Einwirkung auf den Betroffenen unerlässlich.

(OLG Karlsruhe, Beschluss v. 23.04.2019, 2 Rb 8 Ss 229/19).

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Hintergrund:

Beispiele für relevante Existenzgefährdung

  • Existenzgefährdung eines im Ein-Mann-Betrieb selbstständigen Taxiunternehmers, der trotz 34-jähriger Fahrpraxis keine Voreintragungen hat (BayObLG zfs 98, 34). 
  • Gering verdienender Handelsvertreter (OLG Dresden zfs 1995, 477; AG Königs Wusterhausen zfs 2001, 39). 
  • Selbstständiger Taxi-Alleinunternehmer (OLG Hamm zfs 1995, 315; BayObLG zfs 1998, 35). 
  • Kurierdienst-Jungunternehmer (OLG Oldenburg zfs 1995, 34; OLG Braunschweig zfs 1996, 194; AG Fürstenwalde zfs 2000, 228). 
  • Selbstständiger Montagetechniker ohne Angestellte (AG Usingen zfs 2000, 227). 
  • Kfz-Sachverständiger (AG Arnsburg zfs 2002, 98). 
  • Selbstständiger Bauunternehmer mit 25-jähriger unbeanstandeter Verkehrsteilnahme (OLG Düsseldorf zfs 1993, 389). 
  • Bauunternehmer mit einem Zwei-Mann-Betrieb (OLG Hamm NZV 1999, 301). 
  • Selbstständiger Kraftfahrer, der noch erhebliche Schulden für Anschaffungen hat und mit dem Lkw seinen Lebensunterhalt verdient (OLG Düsseldorf zfs 1996, 356). 
  • Inhaber einer Fahrschule (AG Seligenstadt zfs 2002, 409). 
  • Existenzgründungsphase eines vom Arbeitsamt unterstützten Betroffenen (AG Wuppertal zfs 2011, 709). 
  • Eventuell auch im Falle einer existenzsichernden Nebentätigkeit (AG Lüdinghausen DAR 2013, 402). 

Auswirkungen ist von Amts wegen zu ermitteln

Zwar braucht der Richter nach allgemeiner Meinung ohne besonderen Anlass nicht der Frage nachzugehen, ob nicht bereits Gründe vorliegen, die einen Regeltatbestand in objektiver oder subjektiver Hinsicht ausschließen.

Nach überwiegender Meinung beachtet er den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz jedoch nur dann ausreichend, wenn er die persönlichen Verhältnisse des Betroffenen und die Auswirkungen eines Fahrverbotes auf dessen Lebensverhältnisse ermittelt (OLG Stuttgart DAR 1998, 205; OLG Hamm DAR 2002, 366; zfs 2003, 43; OLG Karlsruhe zfs 2006, 230), wozu spätestens dann Anlass besteht, wenn schon aufgrund der Berufsangaben gravierende Nachteile naheliegen (OLG Köln DAR 2013, 529).

Aus: Deutsches Anwalt Office Premium

Schlagworte zum Thema:  Fahrerlaubnis, Recht