Strafbarkeitslücke: Kein Betrug an der Selbstbedienungskasse
Der Angeklagte hatte in einer Ikea-Filiale in Rostock bei vier unterschiedlichen Einkäufen an drei Tagen jeweils Waren im Wert von um die 60 Euro erworben. Den Bezahlvorgang wickelte er jeweils an einem der Selbstbedienungskassenautomaten mittels EC/Maestro-Karte ab, wohl wissend, dass sein Konto keine Deckung aufwies und eine Lastschrift daher nicht eingelöst wurde.
Lastschriftverfahren bei Einkäufen bis 100 Euro
Bei Einkäufen bis zu 100 Euro Wert erscheint - was der Angeklagte wusste - auf dem Bildschirm der SB-Kasse eine Aufforderung, das Unternehmen Ikea zu ermächtigen, im SEPA-Lastschriftverfahren den Betrag vom Girokonto des Kunden einzuziehen. Durch Ausführen einer Unterschrift auf dem elektronischen Pfad des SB-Kassenautomaten und jeweiliges Drücken des OK-Buttons wird das Lastschriftmandat wirksam ausgelöst und gespeichert.
In zwei Instanzen wegen Betrugs verurteilt
In erster und zweiter Instanz wurde der Angeklagte wegen vollendeten Betrugs verurteilt, weil er nach Auffassung der Gerichte die Ikea-Geschäftsleitung über seine Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit am SB-Automaten getäuscht habe. Vor dem mit der Revision befassten OLG hatten diese Verurteilungen keinen Bestand.
An der Bedienkasse wäre es Betrug gewesen
Die Rechtsauffassungen der Vorinstanzen wären nach der Entscheidung des OLG dann richtig gewesen, wenn der Täter an einer von einem Mitarbeiter bedienten Kasse durch Hingabe seiner EC-Karte die Ermächtigung zum Einzug der Kaufbeträge erteilt hätte. Ein Kassierer habe bei Annahme einer Lastschriftermächtigung zumindest gedankliches Mitbewusstsein bezüglich einer vorhandenen Kontendeckung, die der Käufer mit Hingabe der EC-Karte konkludent versichere. Sei das Konto tatsächlich nicht gedeckt, so unterliege der Kassierer einem Irrtum infolge einer Täuschung durch den Karteninhaber und verfüge mit Aushändigung des Kaufgegenstandes über das Vermögen des Händlers. Mit dem hierdurch eingetretenen Schaden beim Händler liege ein vollendeter Betrug in Form eines Dreiecksbetrugs vor (Käufer – Kassierer – Händler).
Eine Maschine kann sich nicht irren
Nach Auffassung des OLG hatten die Vorinstanzen nicht hinreichend bedacht, dass an einer SB-Kasse in der Regel kein Mitarbeiter des Unternehmens zugegen ist, der getäuscht werden könnte. An einer SB-Kasse wirke der Kunde lediglich auf eine Maschine ein, die keine subjektiven Fehlvorstellungen entwickeln könne. Die Ikea-Geschäftsleitung bzw. das Ikea-Unternehmen als solches mache sich über den konkreten Kassenvorgang keinerlei Gedanken, so dass die Auffassung der Vorinstanz, der Angeklagte habe die Ikea-Geschäftsleitung über die Deckung seines Kontos getäuscht, fehlgehe. Da der Tatbestand des Betrugs immer eine durch Täuschung hervorgerufene Fehlvorstellung eines Menschen erfordere, scheitere der Tatbestand des Betrugs deshalb an der fehlenden Irrtumserregung.
Die Tat war auch kein Computerbetrug
Auch der Tatbestand des Computerbetruges gemäß § 263 a Abs. 1 StGB scheidet nach Auffassung des OLG aus. Keine der vier tatbestandlichen Varianten sei hier erfüllt. So habe der Täter das Programm der SB Kasse weder verändert oder gelöscht (erste Variante) noch habe er unrichtige oder unvollständige Daten eingegeben („Input- Manipulation“= zweite Variante) noch habe er Daten unbefugt verwendet (dritte Variante). Insoweit fehle es auch an der Täuschungsäquivalenz, d.h. der Computer der SB-Kasse prüfe ja nicht die Bonität des Karteninhabers und komme deshalb auch nicht auf elektronischem Wege zu einem unrichtigen Ergebnis, vielmehr prüfe der Computer nur die Echtheit der Karte bzw. die in Identität des Karteninhabers. Insoweit habe der Computer aber keine falschen Informationen vom Angeklagten erhalten (BGH, Beschluss v. 19.10.2011, 4 StR 409/11). Auch eine allgemein unbefugte Einwirkung auf den Ablauf des Programmes oder des Datenlaufs sei nicht gegeben (vierte Variante).
Auch Diebstahl scheidet aus
Eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Diebstahls kommt nach Auffassung des OLG deshalb nicht in Betracht, weil der Täter keinen fremden Gewahrsam gebrochen habe. Der Angeklagte habe die SB-Kasse technisch ordnungsgemäß bedient. Nach Abschluss des Kassenvorgangs erfolge an einer SB-Kasse die Gewahrsamsaufgabe durch den Eigentümer und die Eigentumsübertragung an den von dem Bezahlvorgang ordnungsgemäß betroffenen Waren mit dessen Willen (BGH, Beschluss v. 16.11.2017, 2 StR 154/17).
Verurteilung aufgehoben
Mit diesen Erwägungen hob das OLG das Urteil des LG Rostock auf und überwies das Verfahren zur weiteren Sachaufklärung und Verhandlung an das LG zurück. Dabei gab das OLG dem LG auf, zu prüfen, ob eventuell im Kassenbereich ein Mitarbeiter des Unternehmens anwesend war. Dieser dürfe zur Bejahung eines täuschungsbedingten Irrtums allerdings nicht allein zur Unterstützung der Kunden bei etwa auftretenden technischen Schwierigkeiten dort abgestellt worden sein, sondern müsse ausdrücklich Kontrollaufgaben gehabt haben (OLG Hamm, Beschluss v. 8.8.2013, III-5 Rvs 56/13).
Vorinstanz muss die subjektiven Vorstellungen des Angeklagten erforschen
Darüber hinaus wäre eine Strafbarkeit wegen versuchten Betrugs nach den Vorgaben des OLG nur dann gegeben, wenn der Angeklagte von Anfang an darauf bedacht gewesen sei, die Ware gegebenenfalls unter Vortäuschung einer nicht vorhandenen Zahlungsbereitschaft und Zahlungsfähigkeit gegenüber anwesendem Personal an sich zu bringen. Das Gericht müsse daher klären, welche Vorstellungen der Angeklagte bei der Tatausführung gehabt habe. Habe er nicht mit Kassenpersonal gerechnet und gehofft, er werde nicht gesehen, sei auch ein versuchter Betrug nicht gegeben.
(OLG Rostock, Beschluss v. 8.2.2019, 20 RR 90/18)
Ergebnis: Strafbarkeitslücke
Im Ergebnis hat das OLG damit eine Strafbarkeitslücke für die Fälle aufgedeckt, in denen ein Täter Waren trickreich durch Überlistung einer SB-Kasse an sich bringt, ohne hierbei einen Menschen zu täuschen und ohne den Kassen-Computer mit unrichtigen Daten zu füttern.
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