Beherbergungsverbote liegen nun beim Bundesverfassungsgericht

Nachdem der VGH Baden-Württemberg sowie das OVG Niedersachsen die dortigen Corona-Beherbergungsverbote als verfassungswidrig eingestuft und außer Vollzug gesetzt hatten, hat das OVG Schleswig es bestätigt. Verletzt es die Freizügigkeit? Nach den OVG ist jetzt ist das Bundesverfassungsgericht am Zug.

Nachdem die Gerichte beim Beherbergungsverbot genauso uneins waren, wie die "Landesfürsten" liegt nun ein Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht.

Tübinger wendet sich gegen die abschlägige OVG-Entscheidung aus Schleswig-Holstein

Aus Tübingen wurde er gegen die in Schleswig-Holstein geltenden und dort vom OVG bestätigten Vorgaben eingereicht. Tübingen ist eines der (mittlerweile vielen) deutschen Risikogebieten. Die Tübinger dürfen nach aktuell geltendem Recht in Schleswig-Holstein nur als Feriengäste aufgenommen werden, wenn sie negativen Corona-Test vorweisen können. Das OVG Schleswig hatte dies Vorgaben, anders als obersten Verwaltungsgerichten in anderen Bundesländern im Einstweiligen Verfahren bestätigt. 

Die bei Reisenden und Hoteliers kurz aufkeimende Hoffnung, dass die Gerichte Beherbergungsverbote bundesweit kippen, hat sich nach dieser Entscheidung des OVG Schleswig wieder zerschlagen.

Was den Ministerpräsidenten der Länder bei ihrer gemeinsamen Konferenz mit der Kanzlerin am 14.10.2020 nicht gelingen wollte, nämlich eine bundesweit einheitliche Sicht bei den Beherbergungsverboten, gelingt offenbar auch der Justiz nicht. Der deutsche Flickenteppich bei den Beherbergungsverboten bleibt.

Baden-Württembergs VGH entschied gegen das Beherbergungsverbot

In Baden-Württemberg hatten zwei Antragsteller aus Recklinghausen in einem Eilverfahren die Außervollzugsetzung des baden-württembergischen Beherbergungsverbots beantragt. Sie hatten für ihre fünfköpfige Familie eine Unterkunft in Ravensburg zum Preis von über 2.000 EUR gebucht. Seit dem 10.10.2020 gilt der Kreis Recklinghausen als Risikogebiet, sodass nach den baden-württembergischen Bestimmungen die gebuchten Übernachtungen in Ravensburg nicht möglich gewesen wären. § 2 Abs. 1 der CoronaSchVO des Landes Baden-Württemberg untersagte die Beherbergung von Gästen, die in einem Land-, Stadtkreis oder einer kreisfreien Stadt innerhalb der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten oder darin ihren Wohnsitz haben, in dem die Inzidenz von 50 neuen SARS-CoV-2-Fällen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen überschritten wurde.

Vorlage eines negativen Tests organisatorisch kaum möglich

Die Antragsteller hatten sich schon mehrfach auf das Coronavirus testen lassen, jedoch ist es ihnen in keinem einzigen Fall gelungen, das Testergebnis innerhalb von weniger als 72 Stunden erhalten. Die nach § 2 Abs. 2 CoronaSchVO-BW vorgesehene Ausnahmeregelung, wonach das Beherbergungsverbot bei Vorlage eines negativen Tests, der weniger als 48 Stunden alt ist, entfällt, bot den Antragstellern daher keinen praktikablen Ausweg. Sie monierten auch, dass der Test privat gezahlt werden müsse und bei einer fünfköpfigen Familie mit insgesamt 774,55 EUR (pro Test 154,91 Euro) zu Buche schlägt.

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VGH sieht massiven Grundrechtseingriff

Der VGH gab dem gegen das baden-württembergische Beherbergungsverbot gerichteten Eilantrag der Recklinghäuser Familie statt. Der Senat stellte zunächst fest, dass das Beherbergungsverbot in seiner Wirkung massiv in das durch Art. 11 Abs. 1 GG geschützte Grundrecht der Freizügigkeit eingreift. Dem Grundrecht der Freizügigkeit komme ein hohes verfassungsrechtliches Gewicht zu. Eine Einschränkung dieses Grundrechts komme nur in Betracht, wenn der Schutz anderer hochrangiger Rechtsgüter dies unbedingt erfordere.

Verordnungsbegründung zu allgemein, unspezifisch und spekulativ

Die in der CoronaSchVO-BW enthaltene Einschränkung des Rechts auf Freizügigkeit begründete der Verordnungsgeber mit dem überragenden Zweck der Abwendung von Gefahren für das Leben und die körperliche Unversehrtheit der baden-württembergischen Bevölkerung. Diese Begründung erschien dem VGH zu unspezifisch und zu spekulativ. Die baden-württembergische Landesregierung habe nicht nachvollziehbar dargelegt, dass im Zusammenhang mit der Beherbergung von Personen ein besonders hohes Infektionsrisiko entstehe.

Die derzeitigen hohen Fallzahlen in Deutschland sind nach Auffassung des Senats zwar grundsätzlich geeignet, auch drastische Maßnahmen zu rechtfertigen, allerdings seien die staatlichen Stellen in solchen Fällen gehalten, die Notwendigkeit der ergriffenen Maßnahmen nachvollziehbar und penibel zu begründen.

Schutzwirkung von Beherbergungsverboten nicht plausibel

Der Senat wies darauf hin, dass bisher trotz steigender Fallzahlen bundesweit kein Ausbruchsgeschehen in Beherbergungsbetrieben bekannt geworden sei. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sei das derzeit zu beobachtende expotentielle Infektionsgeschehen auf private Zusammenkünfte, auf Feiern in größeren Gruppen und auf den Aufenthalt einer Vielzahl von Personen in Räumen oder auf Plätzen, in denen die Abstands- und Hygieneregeln nicht eingehalten werden können, zurückzuführen.

Nach derzeitigem Stand der Wissenschaft seien derartige private Zusammenkünfte die entscheidenden „Treiber“ der Pandemie, nicht aber die Beherbergung von Gästen. Die Geeignetheit eines Beherbergungsverbots zur Abwendung von Gesundheitsgefahren sei daher wenig plausibel.

Auch Betriebe mit höherem Gefahrenpotenzial dürfen wieder öffnen

Der Senat wies weiter darauf hin, dass bis auf Clubs und Diskotheken in Baden-Württemberg sämtliche Geschäfte, Freizeit und Sporteinrichtungen, Gaststätten, Bars - wenn auch mit speziellen Schutzvorkehrungen - wieder geöffnet seien. In Beherbergungsbetrieben hielten sich die Gäste in der Regel in abgeschlossenen Räumlichkeiten auf und übernachten in ihren Zimmern mit einer überschaubaren Personenzahl. Hinzu komme, dass in Hotels die Kontaktdaten der Gäste hinterlegt seien und in der Regel eine Nachverfolgbarkeit im Falle eines Infektionsgeschehens besser als in vielen anderen Bereichen gegeben sei.

Vorlage eines negativen Tests nicht zumutbar

Auch die nach der CoronaSchVO-BW vorgesehene Ausnahme vom Beherbergungsverbot bei Vorlage eines negativen Tests ändert nach Auffassung des Gerichts an diesem Ergebnis nichts. Den Antragstellern sei die Verweisung auf eine Testmöglichkeit nicht zumutbar. In der jetzigen Situation sei nicht davon auszugehen, dass ein solcher Test innerhalb des nach der CoronaSchVO vorgesehenen kurzen Zeitfensters vorgelegt werden könne. Die organisatorischen Voraussetzungen für die kurzfristige Vorlage eines solchen Tests seien nicht überall gegeben. Im Ergebnis gab der VGH dem Antrag auf vorläufige Außervollzugsetzung des Beherbergungsverbots statt.

(VGH Baden-Württemberg, Beschluss v. 15.10.2020, 1 S 3156/20).

Auch niedersächsisches Beherbergungsverbot außer Vollzug gesetzt

Mit ähnlicher Argumentation hat das OVG Lüneburg wenige Stunden nach der baden-württembergischen Entscheidung das Beherbergungsverbot in der niedersächsischen CoronaSchVO auf Antrag des Betreibers eines Ferienparks für verfassungswidrig erklärt und außer Vollzug gesetzt (OVG Niedersachsen, Beschluss v. 15.10.2020, 13 MN 371/20).

OVG Schleswig dagegen bestätigt Beherbergungsverbot für Schleswig-Holstein

Die von Hoteliers und Reisenden erhoffte Signalwirkung dieser Urteile auch für andere Bundesländer dürfte nach der unmittelbar nach diesen Urteilen ergangenen gegenteiligen Entscheidung des OVG Schleswig ausbleiben. Das dortige OVG hat den Eilantrag einer Familie (ebenfalls aus Recklinghausen), die einen Urlaub auf Sylt gebucht hatte, auf Außervollzugsetzung des Beherbergungsverbots zurückgewiesen.

Der dortige Senat sah den derzeitigen steilen Anstieg der Infektionszahlen als hinreichenden Grund, das Beherbergungsverbot beizubehalten. Würde es jetzt außer Vollzug gesetzt und Touristen aus inländischen Risikogebieten unkontrolliert nach Schleswig-Holstein einreisen, sei eine erhebliche Gefährdung der Gesundheit der Bevölkerung sowie des öffentlichen Gesundheitswesens zu befürchten.

Großer Strandkorb, Sylt

Gegenüber dem hohen Rechtsgut der Gesundheit der Gesamtbevölkerung des Landes müssten kurzfristige bloß touristische Interessen zurücktreten. Außerdem hätten die Antragsteller durch Vorlage eines negativen Tests grundsätzlich die Möglichkeit, kurzfristig ihren geplanten Urlaub auf Sylt doch noch zu realisieren (OVG Schleswig, Beschluss v.15.10,  Az. 3 MR 45/20).

Hintergrund

In ihrer Konferenz am 14.10.2020 vermochten die Ministerpräsidenten sich nicht auf eine einheitliche Linie zu den Beherbergungsverboten einigen und haben die Entscheidung auf den 8.11.2020 verschoben. Die Bundesländer haben auf die gerichtlichen Entscheidungen inzwischen unterschiedlich reagiert.

Sachsen hat das dort geltende Beherbergungsverbot noch am 15.10.2020 mit sofortiger Wirkung aufgehoben, ebenso das Saarland. Auch der bayerische Ministerpräsident Söder hat mit Blick auf die beiden Gerichtsentscheidungen aus Baden-Württemberg und Niedersachsen erklärt, die Auswirkungen, die Effizienz sowie die Erforderlichkeit des bayerischen Beherbergungsverbotes in den nächsten Wochen genauestens zu überprüfen und zu kontrollieren. Er rechne damit, dass die Beherbergungsverbote Stück für Stück auslaufen werden. Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, beharrt demgegenüber auf der Beibehaltung des dortigen Beherbergungsverbots.

Zur Zeit bestehen Beherbergungsverbote für Reisende aus Risikogebieten in Schleswig Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Hessen, Rheinland-Pfalz und Bayern.

Norm: Art 11 GG

(1) Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.

(2) Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden oder in denen es zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen, erforderlich ist.


Schlagworte zum Thema:  Coronavirus, Verfassungsrecht