Aussetzung der Fahrverbote durch Änderung des BImSchG

Das Bundeskabinett hat eine Änderung des BImSchG beschlossen, die es ermöglichen soll, verschiedene von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) erstrittene Verwaltungsgerichtsurteile zur Einführung von Fahrverboten wegen Überschreitung der NO2-Grenzwerte auszuhebeln. Dies dürfte europarechtlich und rechtsstaatlich eine Gratwanderung werden.

Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) will die Bundesregierung die Notbremse ziehen und gerichtlich angeordnete (Diesel-)fahrverbote in den meisten betroffenen Städten vermeiden, zumal die sich häufenden Entscheidungen der Verwaltungsgerichte zunehmend schärfer werden. Jüngst hatte das VG Gelsenkirchen in zwei noch nicht rechtskräftigen Urteilen Fahrverbote für die Städte Gelsenkirchen und Essen vorgeschrieben, im Fall Essen sogar die Einrichtung einer Fahrverbotszone die Teile der Ruhrgebiet Autobahn A 40 sowie einer Bundesstraße umfasst (VG Gelsenkirchen, Urteile v. 15.11.2018, 8 K 5068/15 und 8 K 5254/15).

Die Politik ist - mittlerweile - alarmiert

Nach Fahrverbotsurteilen u. a. für Straßen und Stadteile in Berlin, Köln, Bonn und auch Autobahnstrecken Essen stehen weitere Fahrverbote ins Haus.

  • In ca. 60 Städten laufen Verfahren,
  • weil die Grenzwerte von NO2-Immissionsgrenzwerte von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter (µg/m³)  überschritten werden.

Bundesverkehrsminister Scheuer will zwar die Justiz nicht kritisieren, befindet aber doch, Fahrverbotsurteile wie das zur Sperrung einer Autobahnteilstrecke seien unverhältnismäßig. Sie gefährdeten die Mobilität Hunderttausender Bürger. Niemand verstehe diese "selbstzerstörerische Debatte". Frank Bauer hält auf Tagesschau.de dagegen, dass die Grenzwerte seit 2010 gelten, die Politik daher rund neun Jahre Zeit hatten, sich geeignete Mittel zu überlegen.

Neues Konzept für saubere Luft

Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung ein

„Konzept für saubere Luft und die Sicherung der individuellen Mobilität in unseren Städten“

beschlossen.

Die Bundesregierung hält Verkehrsbeschränkungen und -verbote in der Regel für unverhältnismäßig. Sie geht davon aus, dass der europarechtlich vorgegebene Luftqualitätsgrenzwert für Stickstoffdioxid aufgrund der umfangreichen Maßnahmen, die bereits beschlossen sind, in einem überschaubaren Zeitraum auch ohne Verkehrsbeschränkungen und Verbote eingehalten werden wird.

Kernstück des Gesetzentwurfs: Grenzwert-update von 40 auf 50µg Stickstoffdioxid

Die Bundesregierung möchte vor diesem Hintergrund in einem neuen § 40 Abs. 1a BImSchG regeln, dass

  • Beschränkungen und Verbote für Kraftfahrzeuge mit Selbstzündungsmotor wegen der Überschreitung des Immissionsgrenzwerte für Stickstoffdioxid in der Regel nur in Gebieten in Betracht kommen soll, in denen der Wert von 50 µg Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel“ überschritten worden ist.
  • Fahrzeuge der Schadstoffklasse Euro 6 sollen von Verkehrsbeschränkungen und Verboten komplett ausgenommen sein.
  • Darüber hinaus sollen Fahrzeuge der Schadstoffklassen Euro 4 und 5 von Verkehrsbeschränkungen und Verboten ausgenommen, „soweit diese im praktischen Fahrbetrieb im Sinne der Verordnung EG Nummer 692/2008 der Kommission vom 18.7.2008... weniger als 270 µg Stickstoffoxide pro Kilometer ausstoßen“.

Einzelheiten sollen durch eine Anlage zur StVZO geregelt werden.


BVerwG stützt Fahrverbote auf Unionsrecht

Ein Problem des Gesetzentwurfs ist die Vereinbarkeit mit Art. 23 Abs. 1 UA 2 Richtlinie 2008/50/EG,

  • die bei Überschreitung des Grenzwertes von 40 µg Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft die Aufnahme geeigneter Maßnahmen in die nationalen Luftqualitätspläne fordert.
  • Exakt darauf hat das BVerwG in seinem wegweisenden Urteil die grundsätzliche Zulässigkeit von Dieselfahrverboten gestützt → BVerwG zu Dieselfahrverbot.
  • Nach dem Urteil des BVerwG sind einschneidende Maßnahmen wie Dieselfahrverbote aus unionsrechtlichen Gründen zu ergreifen, soweit diese sich alsdie einzig geeigneten Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung der Grenzwerte erweisen.

Notifizierungsbedarf gegenüber

der EU-Kommission?

Vor diesem Hintergrund bedürfte die geplante Neuregelung daher wohl einer Notifizierung bei der Europäischen Kommission, da die Regelung eine technische Bestimmung im Sinne der EU-Richtlinie 2015/1535 darstellt (Notifizierungsrichtlinie).

Neuregelung führt zur Entwertung des § 47 BImSchG

Mit Einführung des neuen § 41a würde auch die Gesamtregelung des BImSchG an Stringenz verlieren.

  • § 47 BImSchG bestimmt für den Fall, dass die durch Rechtsverordnung festgelegten Immissionsgrenzwerte einschließlich festgelegter Toleranzmargen überschritten werden, 
  • die zuständige Behörde einen Luftreinhalteplan aufzustellen hat, welcher die erforderlichen Maßnahmen zur dauerhaften Verminderung von Luftverunreinigungen festlegt...
  • Die Maßnahmen müssen geeignet sein, den Zeitraum einer Überschreitung von bereits einzuhaltenden Immissionsgrenzwerte so kurz wie möglich zu halten.

Diese Regelung würde durch die Novelle deutlich relativiert.

Reform als Konkretisierung höchstrichterlicher Rechtsprechung?

Die Bundesregierung stützt sich bei der geplanten Gesetzesänderung laut Eigendarstellung auf die Grundsatzentscheidungen des BVerwG vom 27.2.2018, 7 C 26.16 und 7 C 30.17.

  • Dort hatten die höchsten deutschen Verwaltungsrichter die Verhängung von Fahrverboten für grundsätzlich zulässig erklärt, dies aber an die strenge Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geknüpft,
  • z.B. durch die sukzessive Einführung von Fahrverboten, zunächst nur für ältere Diesel sowie einer zeitlich gestaffelten Ausdehnung auf neuere Fahrzeuge
  • und die Ermöglichung von Ausnahmeregelungen beispielsweise für Handwerksbetriebe.

In sämtlichen bisher ergangenen Urteilen der Verwaltungsgerichte zur Einführung von Dieselfahrverboten wurden diese Grundsätze aber weitgehend beachtet (VG Wiesbaden: VG Wiesbaden macht mit Fahrverboten für Dieselfahrzeuge Ernst, Urteil v. 5.9.2018, 4 K 1613/15.WI; VG Berlin: Diesel-Fahrverbote jetzt auch für Berlin; Urteil v.9.10.2018, 10 K 207.16; VG Stuttgart, Urteil v. 28.7.2017, 13 K 5412/15; VG Düsseldorf, Urteil v. 13.9.2016, 3 K 7695/15).

Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung

Das Gesetz soll nach der erklärten Absicht der Bundesregierung zu einer nachhaltigen Entwicklung der Luftqualität beitragen. Die Bundesregierung nennt es nationale Nachhaltigkeitsstrategie, die

Hier die im einzelnen geplanten Maßnahmen zur Nachrüstung und Umrüstung zwecks Verbesserung der Luftqualität.

Die Wirksamkeit der Neuregelung soll Mitte des Jahres 2019 evaluiert werden.

Faktisch eine Verwässerung des Luftqualitätswertes

In der Realität bedeutet die mit vielen hehren Zielen umschriebene, vom Kabinett beschlossene Gesetzesnovelle nichts anderes als die Erhöhung des Grenzwertes von 40 µg Stickstoffdioxid/Quadratmeter Luft auf 50 µg Stickstoffdioxid/Quadratmeter Luft.

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Stellungnahme des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU)

Die Stellungnahme des BBU zum Gesetzesvorhaben fällt entsprechend kritisch aus:

Durch die Einfügung eines § 40 Abs. 1a BImSchG wird der bisherige Immissionsgrenzwert für Stickstoffdioxid (40 μg/m³ als Jahresmittelwert) faktisch ausgehebelt. § 40 Abs. 1a S. 1 BImSchG soll nun vorsehen, dass Fahrbeschränkungen oder -verbote für Kraftfahrzeuge mit Selbstzündungsmotor (Dieselmotor) in der Regel nur in Gebieten in Betracht kommen, in denen der Jahresmittelwert für Stickstoffdioxid von 50 μg/m³ überschritten wurde. Damit fällt eine wesentliche Maßnahme des  Immissionsschutzes weg. Dies führt zur Verfestigung von Grenzwertüberschreitungen.

Hintergrund:

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 Normen:

§ 47 BImSchGLuftreinhaltepläne, Pläne für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen, Landesverordnungen

(1) Werden die durch eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1 festgelegten Immissionsgrenzwerte einschließlich festgelegter Toleranzmargen überschritten, hat die zuständige Behörde einen Luftreinhalteplan aufzustellen, welcher die erforderlichen Maßnahmen zur dauerhaften Verminderung von Luftverunreinigungen festlegt und den Anforderungen der Rechtsverordnung entspricht. Satz 1 gilt entsprechend, soweit eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1 zur Einhaltung von Zielwerten die Aufstellung eines Luftreinhalteplans regelt. Die Maßnahmen eines Luftreinhalteplans müssen geeignet sein, den Zeitraum einer Überschreitung von bereits einzuhaltenden Immissionsgrenzwerten so kurz wie möglich zu halten.

(2) Besteht die Gefahr, dass die durch eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1 festgelegten Alarmschwellen überschritten werden, hat die zuständige Behörde einen Plan für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen aufzustellen, soweit die Rechtsverordnung dies vorsieht. Besteht die Gefahr, dass durch eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1 festgelegte Immissionsgrenzwerte oder Zielwerte überschritten werden, kann die zuständige Behörde einen Plan für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen aufstellen, soweit die Rechtsverordnung dies vorsieht. Die im Plan festgelegten Maßnahmen müssen geeignet sein, die Gefahr der Überschreitung der Werte zu verringern oder den Zeitraum, während dessen die Werte überschritten werden, zu verkürzen. Ein Plan für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen kann Teil eines Luftreinhalteplans nach Absatz 1 sein.

(3) Liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass die durch eine Rechtsverordnung nach § 48a Absatz 1a festgelegten Immissionswerte nicht eingehalten werden, oder sind in einem Untersuchungsgebiet im Sinne des § 44 Absatz 2 sonstige schädliche Umwelteinwirkungen zu erwarten, kann die zuständige Behörde einen Luftreinhalteplan aufstellen. Bei der Aufstellung dieser Pläne sind die Ziele der Raumordnung zu beachten; die Grundsätze und sonstigen Erfordernisse der Raumordnung sind zu berücksichtigen.

Schlagworte zum Thema:  Umweltschutz, Immissionsschutz, Fahrerlaubnis