Richterin muss in mündlicher Verhandlung mitgewirkt haben

Ein zivilgerichtliches Urteil darf nur durch solche Richter gefällt werden, die in der mündlichen Verhandlung anwesend waren. Andernfalls ist der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

Nach der Zivilprozessordnung dürfen nur diejenigen Richter an einem Urteil mitwirken, die in einer vorausgegangenen mündlichen Verhandlung dabei waren. Dieser Grundsatz gilt nach einer aktuellen Entscheidung des BGH auch dann, wenn in dem konkreten Rechtsstreit die Voraussetzungen für eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren vorgelegen hätten.

Neu eingewechselte Richterin entschied aufgrund der Aktenlage

Sowohl das OLG München als auch das LG Augsburg hatten es sich in einem zivilgerichtlichen Verfahren nach einer Entscheidung des BGH zu leicht gemacht. Im erstinstanzlichen Verfahren vor dem LG Augsburg in einer Bausache hatte nach der letzten mündlichen Verhandlung und vor dem Verkündungstermin die zuständige Einzelrichterin gewechselt. Der neu eingewechselten Richterin erschien die Sach- und Rechtslage nach dem Studium der Gerichtsakte eindeutig. Die mit der Klage geltend gemachten Mängelansprüche waren nach ihrer Auffassung eindeutig verjährt. Ohne erneute mündliche Verhandlung wies sie deshalb die Klage durch Urteil ab.

Berufung im schriftlichen Verfahren zurückgewiesen

Die hiergegen eingereichte Berufung wies das OLG - wiederum ohne mündliche Verhandlung - gemäß § 522 Abs. 2 ZPO wegen offensichtlicher Aussichtslosigkeit durch Beschluss zurück. Nach Auffassung des OLG ergaben sich aus der Berufungsbegründung keine Gesichtspunkte, die eine Abänderung des erstinstanzlichen Urteils aus rechtlichen oder tatsächlichen Erwägungen gerechtfertigt hätten. Insbesondere seien auch keine Gründe dafür ersichtlich, dass für die Entscheidung eine mündliche Berufungsverhandlung erforderlich sei. Gegen die Nichtzulassung der Revision hat die Klägerin Beschwerde beim BGH eingelegt.

Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt

Die Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH hatte Erfolg. Der VII. Zivilsenat stellte klar, dass gemäß § 309 ZPO Entscheidungen in Zivilsachen grundsätzlich nur durch Richter erfolgen dürfen, die an der mündlichen Verhandlung teilgenommen haben. Habe eine mündliche Verhandlung stattgefunden, komme es nicht darauf an, ob eine Entscheidung auch im schriftlichen Verfahren möglich gewesen wäre. Eine Verletzung von § 309 ZPO beinhalte vielmehr grundsätzlich eine Verletzung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß § 103 GG (BVerfG, Beschluss v. 3.7.2019, 1 BvR 2811/18).

Gehörsrüge zweifach begründet

Die erstinstanzliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör hätte nach Auffassung des BGH in der Berufungsinstanz durch Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung geheilt werden können. Von dieser Möglichkeit habe das Berufungsgericht aber keinen Gebrauch gemacht, sodass die Klägerin weder vor dem LG noch vor dem Berufungsgericht die Möglichkeit hatte, ihre Argumente in einer mündlichen Verhandlung darzulegen. Damit sei der verfassungsrechtliche Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs in der Berufungsinstanz erneut verletzt worden.

Eindeutige Vorgabe des Gesetzgebers in der ZPO

Der BGH stellte klar, dass aus Art. 103 Abs. 1 GG kein Anspruch der Rechtsuchenden auf eine mündliche Verhandlung folgt. Es sei Sache des Gesetzgebers über die Art und Weise der Gewährung rechtlichen Gehörs zu entscheiden. Deshalb sei in bestimmten Fällen auch die Anhörung der Parteien im schriftlichen Verfahren zulässig. Habe der Gesetzgeber aber - wie hier in § 309 ZPO - bestimmt, dass ein Richter nur entscheiden darf, wenn er an einer bereits durchgeführten mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, so habe der Gesetzgeber damit über die Art und Weise der Gewährung rechtlichen Gehörs eine klare Entscheidung getroffen.

Mündliche Verhandlung hätte im Berufungsverfahren nachgeholt werden müssen

Aus diesen Erwägungen folgerte der Senat, dass das Berufungsgericht im konkreten Fall die Berufung nicht durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung hätte zurückweisen dürfen. Eine mündliche Verhandlung sei wegen der erstinstanzlichen Verletzung rechtlichen Gehörs in der Berufungsinstanz unabdingbar gewesen, um so die erstinstanzliche Rechtsverletzung zu heilen.

Berufungsurteil beruht auf der gerügten Rechtsverletzung

Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht nach der Entscheidung des BGH auch auf dem Gehörsverstoß. Unterbleibe eine gesetzlich zwingend gebotene mündliche Verhandlung, könne nicht ausgeschlossen werden, dass bei Durchführung der mündlichen Verhandlung neue Aspekte hervorgetreten wären, die zu einer anderen Entscheidung geführt hätten. Der Umstand, dass von der Klägerseite bisher keine näheren Darlegungen dazu erfolgt seien, was in der mündlichen Verhandlung an weiteren Aspekten vorgetragen werde, ändere an dieser Beurteilung nichts.

OLG muss erneut entscheiden

Im Ergebnis hat der BGH die klageabweisende Entscheidung des Berufungsgerichts mit diesen Erwägungen aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlungsentscheidung an einen anderen Senat des OLG zurückverwiesen.


(BGH, Beschluss v. 16.4.2025, VII ZR 126/23)


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