Kann sich der Strafverteidiger in Abwesenheit des Angeklagten selbst bevollmächtigen?

In dem fraglichen Fall hatte das Amtsgericht Hamburg-Wandsbek die Angeklagte auf der Grundlage einer Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Hamburg wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen verurteilt. Auf ihre hiergegen unbeschränkt geführte Berufung hat das Landgericht Hamburg Termin zur Hauptverhandlung anberaumt. Im Hauptverhandlungstermin erschien die ordnungsgemäß geladene Angeklagte nicht.
Angeklagte hatte allgemeine Strafprozessvollmacht schriftlich erteilt
Ihr anwesender Verteidiger, dem zuvor eine allgemeine Strafprozessvollmacht schriftlich erteilt worden war, teilte mit, dass er von der Angeklagten auch zur Vertretung in der Berufungshauptverhandlung bevollmächtigt worden sei. Zu einer schriftlichen Bevollmächtigung durch die Angeklagte persönlich sei es nicht gekommen. Nachdem das Landgericht Zweifel an der Wirksamkeit und Reichweite der Bevollmächtigung geäußert hatte, erstellte der Verteidiger eine handschriftliche „Vertretungsvollmacht“ für die Berufungshauptverhandlung, die er sogleich selbst „i.V.“ unterzeichnete. Das Landgericht hat die Berufung nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen.
Ohne schriftliche Vollmacht geht nichts
Zu Recht, befand das Oberlandesgericht Hamburg. Der Grund: Im Berufungsrechtszug setze die Vertretung des abwesenden Angeklagten nach § 329 Abs. 2 Satz 1 StPO voraus, dass der Angeklagte den Verteidiger zuvor schriftlich zur Vertretung bevollmächtigt. Die formlose Erteilung einer Vertretungsvollmacht durch den Angeklagten und deren anschließende Verschriftlichung durch den Verteidiger genügen nicht. Das folge schon aus der Gesetzesbegründung zur Neufassung des § 329 StPO (BT-Drucks. 18/3562, S. 68), die eine aufgrund einer mündlichen Ermächtigung durch den Angeklagten vom Verteidiger selbst unterzeichnete Vollmacht ausdrücklich für nicht ausreichend erachtet.
Angeklagter soll vor Übereilung geschützt werden
Die Gegenansicht, die das Bayerische Oberste Landesgericht vor der Gesetzreform vertrat, wird dem Schutzzweck der Norm nach Ansicht der Hamburger Richter nicht hinreichend gerecht. Dieser verlange, dass sich der Angeklagte, nicht sein Verteidiger, schriftlich zur Vollmachtsfrage erklären müsse. Nur dadurch werde dem Angeklagten die besondere Bedeutung seiner Bevollmächtigung bewusst. Zudem dokumentiere der Betroffene damit selbst zuverlässig, dass er wesentliche Verfahrensrechte aus der Hand gibt. Den Bevollmächtigten sich selbst schriftlich zur Bevollmächtigung erklären zu lassen, würde den Schutz des Angeklagten vor Übereilung durch mündliche Erklärung vereiteln und den besonderen Dokumentationswert der schriftlichen Bevollmächtigung ganz wesentlich herabsetzen, betonten die Hamburger Richter.
(OLG Hamburg, Beschluss v. 25.7.2017, 1 Rev 37/17)
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