Verwirkung des Räumungsanspruchs durch falsch formuliertes Mahnschreiben

Wer ein Recht längere Zeit nicht geltend macht (= Zeitmoment) und durch sein Verhalten das Vertrauen beim Verpflichteten schafft, er werde sein Recht auch künftig nicht mehr verfolgen (= Umstandsmoment), so dass dieser sich darauf eingerichtet hat, der muss sich, wenn er dann irgendwann doch aktiv wird, den Einwand der Verwirkung entgegenhalten lassen.
Das Rechtsinstitut der Verwirkung findet auch Anwendung bei der Zwangsräumung einer Wohnung.
Vor Gericht Räumung wegen Mietrückständen durchgesetzt
In einem vom Amtsgericht München entschiedenen Fall hatte eine Gemeinde im Landkreis München eine Wohnung an ein Ehepaar mit zwei Kindern vermietet.
- Das Mietverhältnis begann Anfang des Jahres 2000.
- Im Mai 2003 erwirkte die Gemeinde ein Räumungsurteil gegen die Familie, weil Mietrückstände in Höhe von über 3.000 EUR aufgelaufen waren.
- Die Gemeinde sah jedoch zunächst davon ab, aus dem Räumungsurteil die Zwangsvollstreckung zu betreiben.
Hintergrund war, dass die Eltern- und Jugendberatungsstelle des Landratsamtes zum Wohle der minderjährigen Kinder davon abgeraten hatte.
Räumungsauftrag erst nach Volljährigkeit der Mieterkinder erteilt
Erst als die Kinder volljährig waren und weitere Mietrückstände aufgelaufen waren, beauftragte die Gemeinde Ende des Jahres 2016 einen Gerichtsvollzieher mit der zwangsweisen Räumung der Wohnung.
Hiergegen setzten sich die Mieter mit der Vollstreckungsgegenklage zur Wehr und bekamen vor dem Amtsgericht Recht. Das Gericht ging davon aus, dass die Gemeinde das Recht auf Räumung der Wohnung aus dem bereits im Jahre 2003 ergangenen Urteil verwirkt hätte.
Zu lange gewartet, missverständlich gemahnt
Zur Begründung führte das Amtsgericht aus, dass die Gründe, die seinerzeit die Gemeinde zum Absehen von Vollstreckungsmaßnahmen veranlasst hatten, seit längerer Zeit schon nicht mehr vorliegen und die Gemeinde gleichwohl nicht in Bezug auf eine Zwangsräumung tätig geworden ist. Stattdessen hatte sie ein Mahnschreiben an die Mieter versandt, in welchem sämtliche Mietrückstände aufgeführt waren.
Dadurch hätte die Gemeinde nach Ansicht des Gerichts zum Ausdruck gebracht, dass eine Vollstreckung aus dem Urteil nicht mehr beabsichtigt sei.
Im Mahnschreiben falsche Begrifflichkeit gewählt
In den Mahnschreiben war nämlich von rückständiger Miete und nicht etwa von einer rückständigen Nutzungsentschädigung die Rede. Bei einem beendeten Mietverhältnis ist jedoch nur noch eine Nutzungsentschädigung geschuldet.
- Durch die Wortwahl hätte die Gemeinde deutlich gemacht, dass sie selbst von einem bestehenden Mietverhältnis ausgeht.
- Die Mieter hätten daher darauf vertrauen dürfen, dass die Vollstreckung angesichts des erheblichen Zeitablaufs auch tatsächlich nicht mehr betrieben wird.
(AG München, Urteil vom 02.03.2017, 424 C 26626/16).
Hintergrund:
Die Verwirkung ist ein Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens (§ 242 BGB). Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte über einen längeren Zeitraum hinweg untätig geblieben ist und dadurch bei seiner Gegenpartei den Eindruck erweckt hat, sie brauche mit der Geltendmachung des Rechts und der Durchsetzung des Anspruchs nicht mehr zu rechnen, die Gegenseite sich deshalb darauf eingerichtet hat und ihr die verspätete Inanspruchnahme nicht zugemutet werden kann.
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