Berufungsschriftsatz statt an das LG an das OLG adressiert

Fristversäumnis ist der Alptraum für die Anwaltskanzlei. Doch Fehler unterlaufen auch den aufmerksamsten Mitarbeitern: Geht aber ein Berufungsschriftsatz am letzten Tag der Frist an das falsche Gericht, kann dies das abrupte, unerwünschte Ende des Verfahrens bedeuten. Der BGH klärt einmal mehr auf, was er von Rechtsanwälten und ihrer Kanzleiorganisation erwartet.

Für Rechtsanwalt, Kanzleimitarbeiterin und nicht zuletzt die Mandanten hieß es fast ein Jahr lang bangen und hoffen, ob trotz der falschen Adressierung des Schriftsatzes noch inhaltlich in das Berufungsverfahren eingestiegen wird oder nicht.

Wenn es nach dem Berufungsgericht selbst ginge, wäre die Sache vom Tisch. Die Richter am OLG München entschieden, dass diese Fristversäumung vom Anwalt verschuldet und daher dessen Klienten zuzurechnen war (§ 85 ZPO).

BGH hebt strenge OLG-Entscheidung auf und gibt Fall zur Entscheidung zurück

Der BGH hat einen anderen Blick auf das Geschehen;

  • er gewährte die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und
  • kredenzte dem OLG den Rechtsstreit zur Entscheidung über die Berufung.

Doppelfehler ließ die Berufungsfrist verstreichen

Passiert war Folgendes: Ein Rechtsstreit vor dem LG München ging verloren. Am letzten Tag der Frist bekam der Anwalt den fertigen Berufungsschriftsatz vorgelegt und unterschrieb ihn.

  • Im letzten Moment fiel ihm auf, dass der Schriftsatz an das LG anstatt das OLG adressiert war.
  • Er wies seine Büroangestellte an, den Schriftsatz mit der richtigen Adresse zu versehen.
  • Das tat sie und er unterzeichnete erneut.
  • Aus Versehen faxte die Mitarbeiterin - hast du Worte? - den ersten Schriftsatz an das Landgericht,
  • von wo aus er erst eine knappe Woche später an das OLG München weitergeleitet wurde.

Noch am selben Tag legte der Anwalt dort direkt Berufung ein, zusammen mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Kanzleiangestellte war normalerweise sorgfältig

Der Rechtsanwalt bescheinigte seiner Kanzleiangestellten,

  • die schon 12 Jahre für ihn tätig war,
  • dass sie gut ausgebildet ist und
  • normalerweise sehr zuverlässig arbeitet.

Dem OLG München reichte das nicht, für seine Exculpation.

BGH führt ständige Rechtsprechung fort

Der BGH hatte in der Vergangenheit schon mehrere, sehr ähnlich gelagerte Fälle entschieden (z.B. BGH, Beschluss v. 22.7.2015, XII ZB 583/14; BGH Beschluss v. 12.11.2013, VI ZB 4/13). Er nutzte mit hiesiger Sache die Gelegenheit, seine ständige Rechtsprechung zu bestätigen und auszubauen. Denn eine Nuance war hier anders:

  • Der Rechtsanwalt hatte seine Mitarbeiterin nicht explizit dazu aufgefordert,
  • den falsch adressierten Schriftsatz zu vernichten.

Ausgangskontrolle ist wichtig, in diesem Fall aber nicht zielführend

OLG und BGH sind sich einig, dass eine Frist erst als erledigt gestrichen werden darf, wenn das entsprechend instruierte Kanzleipersonal überprüft hat,

  • dass der Schriftsatz vollständig und
  • an die richtige Adresse versandt wurde.

Der BGH sieht im konkreten Fall – anders als das OLG München - nicht, dass eine solche Ausgangskontrolle den Fehler ausgemerzt hätte, da Empfangsgericht und Faxprotokoll übereinstimmten.

Nicht päpstlicher als der Papst

Während das OLG vom Rechtsanwalt verlangte, dass er den fehlerhaften Schriftsatz eigenhändig vernichtet, legt der BGH die Latte mit seinen Leitlinien niedriger:

  • Der Rechtsanwalt muss den falsch adressierten Schriftsatz nicht selbst vernichten
  • oder eigenhändige Streichungen vornehmen.
  • Es genügt, wenn er die sonst zuverlässige Kanzleikraft anweist, den korrigierten Schriftsatz zu versenden.
  • Dass der fehlerbehaftete Schriftsatz vernichtet werden sollte, ist konkludent in vorstehender Aufforderung enthalten, quasi logisch..

Zusätzliche Vorkehrungen, die sicherstellen, dass der fehlerhafte Schriftsatz tatsächlich im Schredder landet, sind nicht erforderlich.

Kanzleimitarbeiter sind keine reinen Handlanger

Angestellte in Rechtsanwaltskanzleien sind mehr als nur Handlanger ihrer anwaltlichen Chefs. Sie erledigen täglich anspruchsvolle Arbeiten und tragen große Verantwortung, gerade im Fristenmanagement. Das erkennt der BGH an und traut ihnen zu, dass sie selbständig mitdenken. Das führt auf der Seite der Anwälte zu einer gewissen Entlastung. Man erwartet nicht, dass sie ihren Mitarbeitern ständig über die Schulter schauen.

(BGH, Beschluss v. 25.10.2018, V ZB 259/17).


Hintergrund: Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung

Einer Partei ist nach § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden verhindert war, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 ZPO einzuhalten.

  • Verschulden des Anwalts ist der Partei wie ihr wie eigenes zuzurechnen.
  • Lediglich Verschulden des Büropersonals,
  • welches nicht auf einem Organisationsverschulden des Anwalts beruht, hat die Partei nicht zu vertreten.

Der Wiedereinsetzungsantrag bedarf einer Begründung dergestalt, dass den mitgeteilten Tatsachen die unverschuldete Verhinderung des Betroffenen und Antragstellers an der Fristversäumung entnommen werden kann.

Aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten Garantie des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs dürfen die Anforderungen zur Erlangung der Wiedereinsetzung jedoch nicht überspannt werden (BVerfGE 26, 315).

Aus: Deutsches Anwalt Office Premium

Schlagworte zum Thema:  Berufung, Frist