Barrierefreiheitspflicht für Online-Angebote von Kanzleien

Ab 28.6.2025 gilt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), das digitale Angebote barrierefrei zugänglich machen soll. Kanzleien mit digitalem Angebot sollten zeitnah prüfen, inwieweit ihre Online-Angebote von den neuen Regelungen betroffen sind. 

Im Gegensatz zum Behindertengleichstellungsgesetz (BGG), das primär für öffentliche Stellen gilt, betrifft das BFSG auch freiberufliche Anbieter, darunter auch Anwaltskanzleien, wenn sie bestimmte Dienstleistungen anbieten.

Geltungs- und Anwendungsbereich des BFSG 

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) wurde am 16. Juli 2021 erlassen und tritt am 28. Juni 2025 in Kraft. Es setzt die Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen (ABl. L 151 vom 7.6.2019, S. 70), kurz European Accessibility Act (EAA), um und gilt für Hersteller, Händler und Dienstleister, die bestimmte Produkte und Dienstleistungen für Verbraucher bereitstellen (§ 1 Abs. 2, 3 BFSG). Im Mittelpunkt stehen dabei die Dienstleistungen des elektronischen Geschäftsverkehrs (§ 2 Nr. 26 BFSG), die auf individuelle Anfrage eines Verbrauchers im Hinblick auf den Abschluss eines Verbrauchervertrags erbracht werden. Das BFSG betrifft also vor allem Online-Angebote und Apps, die zum Kauf von Produkten oder zur Beauftragung von Dienstleistungen genutzt werden: Online-Shops und Plattformen, auf denen mit Verbrauchern Verträge geschlossen werden können, aber auch Buchungen von Dienstleistungen, die nicht online, sondern offline erbracht werden, wie etwa die Buchung von Eintrittskarten, Taxifahrten oder Friseurterminen. 

Hinweis: BFSG gilt nur für den Verbraucherbereich 

Das BFSG gilt ausdrücklich nur für den Verbraucherbereich, nicht aber für private und rein geschäftliche (B2B – Business to Business) Angebote. Anwaltskanzleien, die ausschließlich Unternehmensmandanten beraten und vertreten, sind vom BFSG nicht betroffen. Um dies deutlich zu machen, sollten Kanzleien, die ausschließlich Unternehmen beraten, darauf transparent und eindeutig hinweisen und Verbraucher von ihren digitalen Angeboten, die auf einen Vertragsabschluss gerichtet sind oder eine Online-Beratung darstellen, explizit ausschließen.    

Kleinstunternehmen sind vom BFSG ausgenommen 

Ausgenommen vom BFSG sind Kleinstunternehmen im Sinne von § 2 Nr. 17 BFSG, die im BFSG geregelte Dienstleistungen (inkl. Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr wie Onlineshops) anbieten (§ 3 Abs. 3 S. 1 BFSG). Kleinstunternehmen sind dort definiert als Unternehmen, die weniger als 10 Beschäftigte haben und einen maximalen Jahresumsatz von 2 Mill. EUR bzw. eine Jahresbilanzsumme von 2 Mill. EUR nicht überschreiten. Die Mitarbeiterzahl wird dabei aus der Zahl der Jahresarbeitseinheiten (JAE) ermittelt, also aus der Anzahl der während eines Jahres beschäftigten Vollzeitarbeitnehmer. Teilzeitbeschäftigte, Zeitarbeitskräfte und Saisonarbeiter werden nur entsprechend ihres Anteils an den JAE berücksichtigt.  

Außerdem können noch in Ausnahmefällen eine aktuelle unverhältnismäßige Belastung nach § 17 BFSG in Verbindung mit Anlage 4 BFSG (Vergleich Nettokosten, Nettoumsatz, Vorteile) oder eine grundlegende Veränderung nach § 16 Abs. 1 BFSG vorliegen. 

Maßnahmen zur Barrierefreiheit 

Sind Online-Angebote und Apps vom BFSG betroffen, müssen die Inhalte barrierefrei zugänglich sein. Konkret heißt dies, dass das komplette Angebot per Tastatur ohne Maus oder Touchpad vollständig nutzbar sein muss. Außerdem muss es für Bilder, Icons und Schaltflächen Alternativtexte geben sowie die Kompatibilität mit gängigen Screenreadern gewährleistet sein. Beim Layout und der Gestaltung der Angebote sollten ausreichende Schriftgrößen, ausreichende Farb-Kontrast, eine klare, verständliche Navigation, inhaltliche Tastaturbedienbarkeit, überspringbare Abschnitte, sichtbarer Tastaturfokus, ausreichend große Klickbereiche, deskriptive Seitentitel, logisch gegliederte Überschriften und aussagekräftige Linktitel berücksichtigt werden. 

Sanktionierungsmaßnahmen 

Für die Einhaltung des BFSG ist gesetzlich ein Melde- und Überwachungssystem durch Marktüberwachungsbehörden vorgesehen. Die Marktüberwachungsstellen der Länder für die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen (MLBF) müssen allerdings erst noch geschaffen werden. Bei Verstößen und Nicht-Einhaltung werden Bußgelder verhängt. Nach § 37 BFSG drohen Bußgelder bis zu 100.000 EUR und die beanstandeten Online-Angebote und Apps können auch zwangsabgeschaltet werden. 

Da viele Regeln des BFSG zur Stärkung des Wettbewerbs im Binnenmarkt eine Marktverhaltensregel nach § 3a UWG darstellen, sind Verstöße außerdem wettbewerbswidrig und können von Mitbewerbern sowie nach Behindertengleichstellungsgesetz anerkannten Verbänden und Einrichtungen kostenpflichtig abgemahnt werden. 

Sonderfall Kanzleiangebote 

Die Vorgaben des BFSG gelten für das Online-Angebot einer Anwaltskanzlei nur dann, wenn darüber eine konkrete Vertragsanbahnung oder die direkte Beauftragung mit einem Mandat möglich sind. Enthält das Online-Angebot hingegen lediglich allgemeine Informationen über die Kanzlei, die Tätigkeitsfelder und die Kontaktmöglichkeiten ist dieses nicht vom BFSG betroffen. Das entscheidende Kriterium ist, ob das Online-Angebot eine „konkrete digitale Interaktion mit dem Ziel eines Vertragsabschlusses“ ermöglicht. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) weist darauf hin, dass dies bei den folgenden Angeboten auf Kanzleiwebseiten der Fall ist: 

  • Online-Buchung von Beratungsterminen mit verbindlicher Bestätigung
  • Online-Beratung direkt über die Website z. B. per Chat oder Video-Call
  • Online-Buchung von Webinaren zu rechtlichen Themen 
  • Nutzung automatisierter Rechtsberatungs-Tools (z. B. Chatbots, die Vertragsinhalte prüfen) 
  • Vertrags- oder Datenschutzerklärungsgeneratoren, die individuelle Dokumente ausgeben 
  • Legal Tech Angebote zur Online-Bearbeitung von Fällen z. B. Hochladen von Dokumenten, Berechnung von Erfolgschancen bestimmter Rechtsstreitigkeiten   

Dabei ist es nicht entscheidend, ob die jeweiligen Leistungen kostenpflichtig sind, da es sich jeweils um Werbung für kostenpflichtige Leistungen handelt. Maßgeblich ist, ob ein Rechtsbindungswille hinsichtlich der Leistungserbringung anzunehmen ist. Bei rein informativen Webinaren oder rein informatorischen Legal Tech-Tools ist dies oft nicht der Fall. Werden dabei aber Nutzungsbedingungen einbezogen, konkreter Rechtsrat erteilt oder Werbeeinwilligungen abgefragt, liegt ein digitaler Dienst vor. 


Weiterführende Informationen: 

Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen und zur Änderung anderer Gesetze 


Schlagworte zum Thema:  Recht, Kanzleimanagement