Änderung beim Wechselmodell kann doch nicht als Umgangsregelung angeordnet werden
Das OLG Frankfurt a.M wendet sich dezidiert gegen die vom BGH vertretene Rechtsansicht (→ BGH: Anordnung des Wechselmodells auch beim Umgangsrecht möglich). Es hat entschieden, dass die Einstweilige Anordnung des paritätischen Wechselmodells allein dem Sorgerecht unterliegt und nicht dem Umgangsrecht.
Mutter beantragte Änderung zum vereinbarten Wechselmodell im Rahmen einer Umgangsregelung
Im vorliegenden Sachverhalt einigten sich die Eltern der beiden damals ein- bzw. fünfjährigen Söhne im Rahmen gegenläufiger Sorge- und Umgangsanträge im Jahr 2018 auf das sog. paritätische Wechselmodell:
- Die Kinder sind Montag und Dienstag bei ihrem Vater,
- wechseln mittwochs zur Mutter und bleiben dort bis Freitag.
- Das Wochenende verbringen die Kinder abwechselnd bei ihren Eltern.
Die Mutter beantragte im Juli 2019 eine Abänderung der von ihr so benannten „Umgangsregelung“. Die Eltern konnten sich in dem Hauptsacheverfahren nicht auf eine Betreuungsform einigen. Das eingeholte Gutachten zur Frage, welche Betreuungsform dem Wohl der Kinder am besten entspräche, steht derzeit noch aus.
Familiengericht ordnete Betreuungsmodell entsprechend der Rechtsprechung des BGH an
Aufgrund der fehlenden Einigung der Eltern ordnete das Familiengericht von Amts wegen das vorliegende einstweilige Anordnungsverfahren als Umgangsverfahren ein. Nach Anhörung der Beteiligten ordnete es entgegen der Vorschläge von Vater und Mutter an, dass sich die Kinder in den geraden Kalenderwochen bei der Mutter und in den ungeraden bei dem Vater aufhalten sollten. Das Familiengericht ging dabei davon aus, dass die einstweilige Anordnung aufgrund der fehlenden Anfechtbarkeit bei Umgangsregelungen bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens gelten würden. Damit folgte das Familiengericht der Rechtsauffassung des BGH, nach welcher ein Betreuungsmodell über eine Umgangsregelung angeordnet werden könne.
Entscheidungen über den (hälftigen) Lebensmittelpunkt keine Umgangsregelung
Die Mutter legte gegen die Entscheidung des Familiengerichts Beschwerde ein und führte hierzu aus, dass das Amtsgericht Kassel dogmatisch betrachtet eine sorgerechtliche Regelung getroffen habe, bei welcher eine Anfechtung möglich sei. In der Sache führte sie aus, dass das vom Gericht angeordnete Modell nicht mit dem Wohl des zwischenzeitlich zweijährigen Sohnes vereinbar wäre, weil er mit den häufigen Wechseln überfordert sei. Auch der größere Sohn habe mit dem Modell große Probleme. Mit dem Rechtsmittel hatte die Mutter Erfolg.
Wechselmodells nur als sorgerechtliche Regelung gem. § 1671 BGB
Entgegen der Rechtsprechung des BGH hat das Oberlandesgericht entschieden, dass die Anordnung des paritätischen Wechselmodells nur in Form einer sorgerechtlichen Regelung im Rahmen des § 1671 BGB erfolgen könne und nicht, wie vom BGH entschieden, im Wege einer Umgangsregelung nach § 1684 BGB. Entscheidungen über den Lebensmittelpunkt des Kindes, so wie vorliegend, beträfen das Aufenthaltsbestimmungsrecht und somit die elterliche Sorge, so das OLG. Nach Auffassung des Gerichts habe hingegen der Gesetzgeber ersichtlich mit „Umgang“ lediglich eine den „Beziehungserhalt gewährende Besuchsregelung“ gemeint.
Erweiterung der staatlichen Eingriffsbefugnisse vom Gesetzgeber unerwünscht
Mit seiner Entscheidung folgt das OLG auch den kritischen Stimmen in der Literatur, da eine Umgangsregelung „in ihren Auswirkungen regelmäßig hinter denjenigen einer Bestimmung des Aufenthaltes im Ausmaß eines hälftigen Anteils der Lebenszeit der Kinder zurückbleibe“. Auch der 72. Deutsche Juristentag (Vorschläge vom 72. Deutschen Juristentag in Leipzig) habe sich mit deutlicher Mehrheit für die rechtsdogmatische Einordnung des paritätischen Wechselmodells als sorgerechtliche Problematik ausgesprochen. Durch die einstweilige Anordnung eines paritätischen Wechselmodells werden elementare Lebensbedingungen für die Kinder und Eltern im Zweifel über längere Zeit festgeschrieben, welche faktisch unabänderlich nicht nur die persönlichen Verhältnisse, sondern u.a. auch Unterhaltsfragen, Meldeverhältnisse, das Recht auf Unterhaltsvorschüsse betreffen. Durch die Einordnung in das Umgangsrecht würden die staatlichen Eingriffsbefugnisse erweitert, was jedoch vom Gesetzgeber unerwünscht sei. Hierbei sei das in Art. 6 GG verankerte Erziehungsrecht der Eltern zu respektieren. Einstweilige Anordnungen von Amts wegen könnten in Sorgerechtsverfahren daher nur bei einer festgestellten Kindeswohlgefährdung ergehen.
(OLG Frankfurt a. M., Beschluss v. 29.01.2020, 2 UF 301/19).
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- gleichwertige Beziehung des Kindes zu beiden Elternteilen gewährleisten,
- dem Kind ein Zuhause bei beiden Elternteilen bieten und
- die elterliche Verantwortung zwischen Mutter und Vater gleich verteilen.
Die damit verbundenen Nachteile sind aber ebenfalls nicht zu übersehen; insbesondere bestehen in vielen Fällen Zweifel an der Praktikabilität dieses Modells.
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