Elterliche Sorge um Kind nicht immer im Wechselmodell

Verfassungsrechtlich ist der Gesetzgeber nicht verpflichtet, eine paritätische Betreuung durch die Eltern als Regelfall einzuführen. Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers erlaubt aus Gründen des Kindeswohls auch eine Ungleichbehandlung der beiden Elternteile.

Der Vater eines im September 2011 geborenen nichtehelichen Kindes hatte Verfassungsbeschwerde eingelegt, weil das Familiengericht ihm kein paritätisches Umgangsrecht eingeräumt hatte. Die Eltern hatten sich kurz nach der Geburt des Kindes getrennt. Das Kind lebte im Haushalt der Mutter, die die elterliche Sorge allein ausübte. Die Anträge des Vaters auf Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge waren erfolglos. Im Mai 2013 räumte das Amtsgericht dem Vater ein Umgangsrecht in der Weise ein, dass dieser in geraden Kalenderwochen von Freitag 15:00 Uhr bis Montag 8:30 Uhr Umgang mit dem Kind haben sollte. Außerdem wurde zu Gunsten des Vaters eine großzügige Urlaubsregelung geschaffen.

Kindesvater will paritätisches Umgangsrecht erzwingen

Auf dessen Beschwerde erweiterte das OLG das Umgangsrecht um einen Umgang des Vaters mit seinem Kind von Donnerstag 15:00 Uhr bis jeweils Freitag 8:30 Uhr in den ungeraden Kalenderwochen. Aber auch dies genügte dem Kindesvater nicht. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügte er die Verletzung des Elternrechts. Nach seiner Auffassung war kein nachvollziehbarer Grund ersichtlich, weshalb ihm kein paritätisches Sorgerecht oder zumindest auf der Umgangsebene ein paritätisches Umgangsrecht eingeräumt würde, wonach er sein Kind in zeitlicher Hinsicht gleich intensiv betreuen könne wie die Kindesmutter.

Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen

Die Verfassungsrichter nahmen die Beschwerde des Kindesvaters nicht zur Entscheidung an. Nach Auffassung der Verfassungsrichter kommt ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 GG nach keinem Gesichtspunkt in Betracht. Das dort geregelte Elternrecht sei so auszulegen, dass Eltern für den Fall, dass sie sich über die Ausübung ihrer Elternverantwortung selbst nicht einigen können, der Gesetzgeber Regeln zu schaffen habe, die ihnen jeweils Rechte und Pflichten gegenüber dem Kind zuordnen. Hierbei habe der Staat sicherzustellen, dass die Wahrnehmung des Elternrechts grundsätzlich am Wohl des Kindes orientiert sei.

Eine paritätische Betreuung setzt ein Mindestmaß an Konsens voraus

Die Verfassungsrichter stellten klar, dass Art. 6 Abs. 2 GG sämtliche Elternteile in seinen Schutzbereich einbeziehe. Dies bedeute aber nicht, dass sämtlichen biologischen und rechtlichen Müttern und Vätern stets die gleichen Rechte im Verhältnis zum Kind zuzuordnen seien. Eine gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung getrennt lebender Eltern setze eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus und ein Mindestmaß an Übereinstimmung in den Erziehungszielen. Je mehr es an diesen Voraussetzungen fehle, umso weiter werde die Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers und auch der Gerichte zur Regelung der Elternrechte unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls.

Auch die UN-Kinderrechtskonvention lässt sachliche Differenzierungen zu

Nach Auffassung der Verfassungsrichter folgt aus einer völkerrechtskonformen Auslegung des Grundgesetzes im Lichte von Art. 2, 3 und 18 des Völkerrechtlichen Übereinkommens über die Rechte des Kindes (Convention on the Rights of the Child=UN-Kinderrechtskonvention) vom 20. 11.1989 nichts anderes. Auch Art. 18 Abs. 1 der UN- Kinderrechtskonvention, der den Grundsatz der gemeinsamen Erziehungsverantwortung beider Eltern regelt, zwinge den Gesetzgeber nicht zur Einführung eines paritätischen Betreuungsmodells. Dies zeige sich schon daran, dass Art. 9 der UN-Kinderrechtskonvention eine umgangsrechtliche Spezialregelung für den Fall der Trennung der Eltern enthalte, die ebenfalls nicht in jeder Hinsicht paritätisch ausgestaltet sei. Auch das Diskriminierungsverbot des Art. 2 der UN-Kinderrechtskonvention lasse sachlich begründete Differenzierungen zwischen den beiden Elternteilen unter Berücksichtigung des Kindeswohls zu.

Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers

Innerhalb des so eröffneten Gestaltungsspielraums sei der Gesetzgeber nicht verpflichtet, den Eltern Rechte und Pflichten hinsichtlich ihres Kindes in paritätischer Weise zuzuordnen. Dabei wiesen die Verfassungsrichter darauf hin, dass nach der Rechtsprechung einiger Oberlandesgerichte die Anordnung einer paritätischen Betreuung gegen den Willen eines Elternteils nicht zulässig sei (OLG Saarbrücken, Beschluss v. 8.9. 2014, 6 UF 62/14). Ob diese Auffassung möglicherweise verfassungsrechtlich bedenklich ist, konnte nach Auffassung des BVerfG im vorliegenden Fall dahinstehen, da diese Frage nicht entscheidungserheblich sei. Vorliegend habe das OLG die Anordnung eines paritätischen Umgangsrechts aus verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Gründen des Kindeswohls abgelehnt. Die Ungleichbehandlung der Eltern hinsichtlich der eingeräumten Betreuungsintensität sei im entschiedenen Fall daher durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt.

Kommunikation zwischen den Eltern gestört

Nach Auffassung der Verfassungsrichter hat das OLG plausibel begründet, dass aufgrund erheblicher Spannungen und Kommunikationsprobleme zwischen den Eltern eine paritätische Ausübung der Betreuung des Kindes problematisch sei. Trotz einer ganzen Reihe von Versuchen der Fachkräfte und Gerichte, die Eltern zu professionell begleiteten Elterngesprächen zu bewegen, sei es den Eltern über einen Zeitraum von zwei Jahren nicht gelungen, sich zu verständigen. Das OLG habe sich sowohl in einem Anhörungstermin als auch aufgrund der Berichte des Jugendamtes und des Verfahrensbeistandes sowie des Inhalts der beigezogenen Sorgerechtsakten detailliert davon überzeugt, dass die erheblichen Differenzen zwischen den Eltern ein hohes Konfliktpotenzial beinhalteten, das ein erhebliches Hindernis für eine dem Kindeswohl entsprechende paritätische Betreuung darstelle. Die prognostische Einschätzung der Vorinstanz, eine paritätische Betreuung sei mit dem Kindeswohl nicht zu vereinbaren, sei verfassungsrechtlich daher nicht zu beanstanden.

Die Zuweisung ungleicher Betreuungsintensität ist sachlich gerechtfertigt

Aus diesen Gründen sahen die Verfassungsrichter auch keinen Verstoß gegen Artikel 3GG als gegeben an. Die Ungleichbehandlung beider Elternteile sei ohne weiteres durch sachliche Gründe des Kindeswohls gerechtfertigt. Die Verfassungsbeschwerde habe daher offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.

(BVerfG, Beschluss v. 24.6.2015, 1 BvR 486/14)

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