Vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth kam es zu einem Vergleich über Schmerzensgeld zwischen den Eltern eines jungen Mannes, der vor einen Zug sprang, und dem dadurch psychisch beeinträchtigten Lokführer. Schienensuizid ist ein heikles und vielschichtiges Thema, das vielen Lokomotivführern unruhige Tage und Nächte beschert.

Vom Traumberuf zum Trauma-Beruf?

Lokomotivführer galt früher als ein Traumberuf. Heute ist er nicht nur von spektakuläreren Berufszielen abgelöst worden - es macht den Lokführern auch eine traurige Missbrauchsvarante ihres Schienegefährtes das Berufsleben schwer.

Jeder Lokführer muss mit hoher Wahrscheinlickeit dazu herhalten, mehrfach in seiner Laufbahn einen "Personenschaden" zu erleben und einen Lebensmüden zu überfahren: "sehenden Auges", aber technisch nicht in der Lage, rechtszeitig zu stoppen, wenn sich jemand vor die Lok setzt, legt oder davor springt.

 

Suizid als agressiver Akt: gegen sich selbst, Nahestehende - und den Lokomotivführer

Im Jahr 2008 nahmen sich auf deutschen Bahnstrecken 714 Menschen das Leben, im Jahr 2009 waren es laut Bericht des Eisenbahn-Bundesamtes 875. Mittlerweile sind es pro Jahr etwa 1000 Menschen, die sich für ihren Tod den "Schienensuizid" wählen.

Statistisch trifft das Ereignis einen Lokführer ca. 3 Mal im Berufsleben. Viele trifft es hart, sie tragen anhaltende psychische Folgen davon, manche werden berufsunfähig.

Der agressive Akt, der in eine er Selbsttötung liegt, richtet sich damit nicht nur gegen das Selbsttötungsopfer, sondern auch gegen den Steuermann des ausgewählten Tötungswerkzeuges, den Lokomotivführer.

 

Bisher kein Urteil

Trotz der Menge der Fälle und einer Vielzahl betroffener Fahrer, gibt es bisher kein Urteil zu dem Sachverhalt. Der Lebensmüde ist meist nichtmehr zu belangen. Selbst, wenn jemand den Versuch überlebt, werden Bedenken gegen einen Haftungsprozess bestehen. Bleibt als möglicher Schuldner sein Rechtsnachfolger, der leidgeprüfte gesetzliche oder testamentarische Erbe und Hinterbliebene.

Auch hier scheuen die betroffenen Fahrer, falls ihnen denn die rechtliche Möglichkeit bewusst ist, sicher oft davor zurück, sich an die seelisch regelmäßig selbst schwer erschütterten Erben zu wenden, um von ihnen Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen Arbeitsunfähigkeit, psychischen Folgen etc. zu fordern.

Rechtlich besteht aber gegenüber den Erben ein Anspruch auf Haftung für die durch die Selbsttötung bei Dritten verursachten Schäden. Der Fall ist nicht wirklich anders zu bewerten, als liefe jemand mit Selbsttötungsabsicht in ein Auto und verursachte dadurch Schäden bei anderen Verkehrsteilnehmern. Eine psychische Folgeerkrankung kann durchaus so folgenschwer sein, wie eine körperliche Verletzung.

 

Bisher nur Vergleiche

Ein Bahnangestellter, der im März 2005 einen Regionalzug lenkte, vor den sich im niedersächsischen Hohnhorst eine 67 Jahre alte Frau warf, wurde psychisch krank und musste in Frührente gehen. Er verklagte den Witwer und es kam zu einem Vergleich über 9000 Euro Schmerzensgeld.

Nun forderte aktuell ein betroffener Lokführer vor der 8. Zivilkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth 15.000 EUR Schmerzensgeld von den Eltern eines Studenten, der zwischen Nürnberg und Lauf, wohl durch Selbsttötung, vor seinen Zug geriet. Zwei Jahre lang habe der Lokführer größte Probleme gehabt, wieder im Alltag Fuß zu fassen.

Die Richterin bewirkte einen Vergleich, indem sie darauf hinwies, dass eine Forderung in dieser Höhe chancenlos sei. Realistisch sei ein finanzieller Ausgleich zwischen 3.000 und 5.000 EUR. Die Eltern des 20-jährigen und der Lokführer verglichen sich über eine Zahlung, über deren Höhe Stillschweigen vereinbart wurde.

Formell geklagt hatte die Frau des Lokführers, an die er seine Schmerzensgeldforderung abgetreten hatte, damit der Lokführer als Zeuge in eigener Sache aussagen konnte.

 

Hintergrund: Mag sein, dass der Gedanke zunächst empört, niedergeschmetterte Hinterbliebene mit Forderungen zu behelligen. Vielleicht wird ein solcher Fall deshalb von Gerichten und Parteien auch lieber auf dem Vergleichsswege und möglichst dezent beendet. Hinzu kommt vielleicht die Überlegung, nicht gegen die Angehörige von Suizid Begehende eine Prozesslawine auszulösen.

Andererseits gibt es ein wenig ausgeprägtes Bewusstsein für die fatale Situation der als Werkzeug für Suizide benutzten Lokführer. In Suizidforen soll es Formulierungen geben wie "Die Bahn zum Ableben nutzen." Ein Urteil, ja auch eine Prozessserie, könnte vielleicht keinen Lebensmüden, aber u.U. einige Lokführer retten, wenn sich ein höheres Unrechtsbewusstsein für diese Handlungsvariant durchsetzen würde.

Suizid selbst ist weder strafbar noch rechtswidrig: Art. 8 EMRK räumt jedem EU-Bürger ein Recht auf Achtung seines Privat- und Familienlebens ein. Hierzu gehört auch das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben. Dabei sollten aber auch die Grundrechte der anderen bedacht werden, etwa ihr Berufsfreiheit und ihre Unversehrtheit.