Keine Zweitwohnungssteuer bei Kindesbetreuung im Nest- oder Wechselmodell

Das VG Weimar sieht in der Erhebung einer Zweitwohnungssteuer eine eklatante Verletzung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutzes der Familie, wenn ein von seinem Ehepartner getrenntlebender Elternteil die Zweitwohnung aus Gründen der Betreuung seiner Kinder im Nest- oder im Wechselmodell unterhält.
Betreuung der Kinder am bisherigen Familienwohnsitz
In dem vom VG entschiedenen Fall lebte der Kläger von seiner Ehefrau getrennt. Die beiden ehelichen Kinder betreuten die Eheleute am Erstwohnsitz in Leipzig zunächst abwechselnd im sogenannten Nestmodell, d.h. die Kinder lebten ständig in der gleichen Wohnung, später im Wechselmodell, d.h. die Kindesbetreuung erfolgte in den Wohnungen der Eheleute. Der Kläger unterhielt aus diesem Grund einen Nebenwohnsitz in Erfurt.
Heranziehung des Kindesvaters zur Zweitwohnungssteuer
Die Zweitwohnungssteuerbescheide der Stadt Erfurt ließen nicht lange auf sich warten. Der Kindesvater sollte jährlich eine Zweitwohnungssteuer in Höhe von 960 Euro zahlen. Rechtsgrundlage war eine Zweitwohnungssteuersatzung der Stadt Erfurt. Der vom Kindesvater gegen die Steuerfestsetzung eingelegte Widerspruch blieb erfolglos. Daraufhin erhob er gegen die Zweitwohnungssteuer Klage beim zuständigen VG in Weimar.
Verfassungsrechtlich gewährleisteter Schutz der Familie verletzt
Das VG erklärte die Zweitwohnungssteuersatzung der Stadt Erfurt insoweit für rechtswidrig, als diese keine Ausnahme von der Zweitwohnungssteuerpflicht für getrenntlebende Eheleute vorsieht, die zum Zweck der Betreuung ihrer Kinder im sorgerechtlichen Nest- bzw. Wechselmodell 2 Wohnungen unterhalten. Die Heranziehung zur Zweitwohnungssteuer ist nach der Entscheidung des VG in solchen Fällen unvereinbar mit dem verfassungsrechtlichen Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 GG.
Auch die Teil-Familie ist verfassungsrechtlich geschützt
Die Beibehaltung des Erstwohnsitzes in Leipzig diente dem Kläger nach den Feststellungen des Gerichts zur Betreuung seiner Kinder zunächst im Nest-, später im Wechselmodell und damit der Aufrechterhaltung seiner mit den Kindern bestehenden Teil-Familie. Abseits der Betreuung der Kinder lebe der Kläger in Erfurt, sodass die Beibehaltung des Erstwohnsitzes in Leipzig zur Betreuung seiner Kinder an deren Lebensmittelpunkt nach der Beurteilung des VG erforderlich war. Die Belastung in dieser Situation mit einer Zweitwohnungssteuer bewertete das Gericht als „eklatante“ Verletzung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutzes der Familie.
Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt
Daneben sah das Gericht in der Zweitwohnungssteuer eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus Art. 3 GG. Die Satzung der Stadt Erfurt sehe für nicht getrenntlebende Eheleute, selbst wenn diese keine gemeinsamen Kinder haben, eine Ausnahme von der Zweitwohnungssteuer vor. Das VG vermisste jede nachvollziehbare Begründung dafür, dass getrenntlebende Eheleute mit Kindern durch eine Zweitwohnungssteuer belastet werden, während nicht getrenntlebende Eheleute - selbst ohne Kinder - von der Zweitwohnungssteuerpflicht ausgenommen sind.
Satzungsgeber hat seine Befugnisse überschritten
Auch das Argument der Stadt, dem Satzungsgeber stehe bei Massenerscheinungen wie der Unterhaltung eines Zweitwohnsitzes die Befugnis zur Vereinfachung und Typisierung zu, überzeugte das Gericht nicht. Dieses Argument berücksichtige nicht die verfassungsrechtlich zentrale besonders geschützte Bedeutung der Familie. Deren Ausklammerung aus den Ausnahmetatbeständen von der Zweitwohnungssteuer überschreite die Befugnis des Satzungsgebers zur Vereinfachung und Typisierung. Die Befugnis des Satzungsgebers zur Typisierung umfasse nicht das Recht, den besonderen verfassungsrechtlich gebotenen Schutz des Art. 6 GG zu missachten.
Klage gegen Zweitwohnungssteuer erfolgreich
Im Ergebnis hatte die Klage gegen die Festsetzung einer Zweitwohnungssteuer damit Erfolg.
(VG Weimar, Urteil v. 17.10.2024, 3 K 1578/23)
Hintergrund:
Mit seiner Entscheidung setzt sich das VG Weimar von 2 Entscheidungen des FG Hamburg aus dem Jahr 2020 ab. Dort hatte das FG die Rechtmäßigkeit einer Zweitwohnungssteuer in ähnlich gelagerten Fällen (Zweitwohnung zur Ausübung des Umgangsrechts) bestätigt (FG Hamburg, Urteil v. 22.9.2020, 3 K 167/19 u. Urteil v. 20.11.2020, 3 K 57/20). Das VG Weimar ist in den Entscheidungsgründen auf diese Abweichung eingegangen. Das VG ist der Ansicht, dass die Entscheidungen des FG Hamburg im Hinblick auf den verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz auch von Teil-Familien rechtlich nicht überzeugen.
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