Einwilligung der Eltern für medizinischen Eingriff bei Kind

Grundsätzlich bedarf der behandelnde Arzt der Zustimmung beider sorgeberechtigten Eltern. Allerdings darf der Arzt in der Regel davon ausgehen, dass ein anwesender Elternteil von dem abwesenden Elternteil zur Einwilligung ermächtigt wurde.

Die Ehefrau hatte in der 32. Schwangerschaftswoche ein Kind mit multiplen Krankheitssymptomen geboren. Das Kind wurde zunächst stationär in einem Herzzentrum versorgt, dann wegen wiederholter Darmpassagestörungen in eine kinderchirurgische Klinik verlegt zum Zwecke der Durchführung einer diagnostischen operativen Biopsie. Am 16.1.2009 fand ein Aufklärungsgespräch mit der Kindesmutter statt, die schließlich in die seitens des Arztes befürwortete Biopsie einwilligte. Bei der am 19.1.2009 durchgeführten Operation kam es bei der Narkoseeinleitung zu Komplikationen bei der Intubation und Beatmung des Kindes. Nach weiteren mehrfachen Verlegungen des Kindes und mit hoher Wahrscheinlichkeit eingetretenen Gehirnsschädigungen infolge mangelnder Sauerstoffversorgung durch die bei der Narkose aufgetreten Komplikationen verstarb das Kind im Jahr 2011.

Eltern fordern Schmerzensgeld von einer halben Million Euro

Die Eltern verklagten den Krankenhausträger zunächst wegen angeblicher Behandlungsfehler und beschränkten sich später auf die Rüge einer nicht ordnungsgemäßen Aufklärung. Sie beanstandeten insbesondere, dass lediglich mit der Kindesmutter ein Aufklärungsgespräch über die Risiken der Eingriffe stattgefunden habe und nicht mit dem Kindesvater. Dieser habe persönlich keine Einwilligung in die vorgenommenen Eingriffe erteilt und hätte dies bei ordnungsgemäßer Aufklärung auch nicht getan. Die Eltern machten unter Hinweis auf den jahrelangen Leidensweg der gesamten Familie Schmerzensgeldansprüche in Höhe von 500.000 Euro geltend.

Gericht definiert den Umfang der ärztlichen Aufklärungspflichten

Nachdem die Klage der Eltern auf Schmerzensgeld erstinstanzlich abgewiesen wurde, beschäftigte sich das OLG mit der Frage, ob die Eltern hinreichend über die Risiken der geplanten Eingriffe aufgeklärt wurden und die erteilte Einwilligung der Mutter auch Wirkung für ihren Ehemann hatte. Nach Auffassung des Senats war die Aufklärung der Mutter hinsichtlich der Risiken der beabsichtigten Biopsie ausreichend. Das Gericht setzte sich ausführlich mit den Grenzen der Anforderungen an eine ordnungsgemäße ärztliche Aufklärung auseinander.

Ein Aufklärungsgespräch ist keine medizinische Vorlesung

Das Gericht stellte klar, dass die ärztliche Aufklärungspflicht keine medizinische exakte Darstellung aller denkbaren Erscheinungsformen eines möglichen Risikospektrums erfordere. Der Arzt habe lediglich „im Großen und Ganzen“ in der Weise aufzuklären, dass der medizinische Laie eine Vorstellung von dem Risikobild des beabsichtigten Eingriffs erhalte. Der Senat folgte in diesem Zusammenhang den Bekundungen des Narkosearztes, der erklärt hatte, bei Frühgeborenen in der Regel standardmäßig über Beatmungsprobleme bis hin zum Risiko eines Komas und dauerhaften Hirnschäden hinzuweisen. Außergewöhnliche Risiken hätten insoweit im vorliegenden Fall allerdings nicht bestanden. Damit hatte der Arzt nach Auffassung des Gerichts die bestehenden Aufklärungspflichten erfüllt. Übertriebene Anforderungen dürften insoweit nicht gestellt werden (BGH, Urteil v.8.1.1985, VI ZR 15/83).

Arzt darf den Angaben des erschienenen Elternteils vertrauen

Ein weiteres Problemfeld sah das OLG in der Frage der fehlenden Einwilligung durch den Vater. Hierzu stellte der Senat klar:

  • Grundsätzlich steht die elterliche Sorge für minderjährige Kinder beiden Eltern gemäß § 1627 BGB gemeinsam zu.
  • Dies betrifft die Gestattung und Ermächtigung zur Vornahme sämtlicher Handlungen, die in den Rechtskreis des Gestattenden eingreifen.
  • Solche Handlungen erfordern folglich grundsätzlich das Einvernehmen beider Elternteile (BGH, Urteil v. 28.6.1988, VI ZR 288/87).
  • Hieraus folgt nicht, dass grundsätzlich beide Elternteile zur Erteilung der Einwilligung bei einem Arzt erscheinen müssten. Der Arzt darf darauf vertrauen, dass der erschienene Elternteil auch von dem nicht anwesend Elternteil ermächtigt ist, in seinem Namen eine Einwilligung zu erklären.

Dreistufige Prüfung

Dies gilt nach Auffassung des Senats allerdings nicht gleichermaßen für alle Fälle. Der Senat unterschied nach der Schwere des geplanten Eingriffs und differenzierte die Überprüfungspflicht des Arztes nach drei Intensitätsstufen des geplanten Eingriffs:

1. Stufe: In medizinischen Routinefällen dürfe der Arzt grundsätzlich davon ausgehen, dass der erschienene Elternteil vom anderen Elternteil ermächtigt sei, die Einwilligung in eine ärztliche Behandlung des Kindes zu erteilen.

2. Stufe: Bei ärztlichen Eingriffen schwererer Art mit nicht unbedeutenden Risiken müsse der Arzt sich vergewissern, ob der erschienene Elternteil von dem anderen Elternteil ermächtigt sei. Solange keine konkreten Anhaltspunkte entgegenstünden, dürfe der Arzt allerdings auf die Angabe des erschienenen Elternteils vertrauen, auch im Namen des nicht Erschienenen die Einwilligung abgeben zu dürfen.

3. Stufe: Lediglich bei besonders schwierigen und weitreichenden Entscheidungen, die mit erheblichen Risiken für das Kind verbunden seien, wie zum Beispiel im Fall einer Herzoperation, liegt es nach Auffassung des Senats nicht von vornherein nahe, dass der nicht erschienene Elternteil mit einem solchen Eingriff einverstanden ist. In einem solchen Fall müsse der Arzt sich Gewissheit verschaffen, dass auch der nicht erschienene Elternteil mit der vorgesehenen Behandlung des Kindes einverstanden sei (BGH, Urteil v. 15.6.2010, VI ZR 204/09).

Die Mutter durfte die Einwilligung auch namens ihres Ehemannes erteilen

Der Senat ordnete den vorliegenden Fall der zweiten Stufe als einen Eingriff schwererer Art mit nicht unbedeutenden Risiken zu und kam daher zu dem Ergebnis, dass der behandelnde Arzt lediglich die Pflicht gehabt habe, sich durch Nachfrage bei der Kindesmutter darüber zu vergewissern, dass auch der Vater mit dem Eingriff einverstanden sei. Diese Einverständnis habe die Mutter durch Ihre Unterschrift auf dem Aufklärungsbogen, der einen entsprechenden Hinweis enthalten habe, bestätigt. Darüber hinaus bekundete das Gericht seine Überzeugung, dass Mutter und Vater entgegen ihrer Darstellung vor Gericht den Eingriff vorher auch untereinander besprochen hätten. Dies sei indiziell daran zu sehen, dass über einen Zeitraum von drei Tagen nach dem erfolgten Eingriff keine Reaktion durch den Vater gegenüber den Ärzten oder dem Krankenhausträger erfolgt sei, in der er auf seine fehlende Einwilligung hingewiesen hätte.

Klage abgewiesen

Im Ergebnis sah das OLG die erteilte Einwilligung durch die Mutter als für beide Elternteile wirksam an. Im Ergebnis wies das OLG daher die Klage auf Schmerzensgeld ab. Eine Revision gegen das Urteil ließ der Senat nicht zu.

(OLG Hamm, Urteil v. 29.9.2015, 26 U1/15)