Bundesgesundheitsminister erwägt Impfpflicht gegen Masern

Masern sind keine Bagatellerkrankung, sie sind gefährlich. Nach einer ungewöhnlichen Häufung von Maserninfektionen in Berlin und dem Tod eines Kleinkindes denken Politiker der Regierung über die Einführung einer Impfpflicht nach. Doch rechtlich ist das nicht so einfach, wie es die allgemeine Aufregung zur Zeit glauben lässt.

Bundesgesundheitsminister Hermann Grohe hat bereits die moralische Keule ausgepackt. Das Unterlassen der Impfung von Kleinkindern gegen Masern sei seitens der Eltern verantwortungslos, denn sie setzten nicht nur die Gesundheit ihrer Kinder, sondern auch die Allgemeinheit einer hohen Gefährdung aus.

Tatsächlich hat nach aktuellen Statistiken jeder fünfte Deutsche keinen Impfschutz gegen Masern. In Südwestdeutschland erhalten laut Untersuchungen die Hälfte der Kleinkinder nicht den erforderlichen Impfschutz.

Von 1000 Infektionen verläuft eine tödlich

Eine Krankheit, die eigentlich längst ausgerottet sein könnte, hat hierdurch wieder Konjunktur. Über 500 Fälle der Infektionskrankheit Masern zählt inzwischen allein die Stadt Berlin. Der Tod eines Kleinkindes hat Politiker und Ärzteschaft aufgeschreckt. Aber nicht nur die unmittelbaren Gefahren der Infektionskrankheit Masern sind eine Bedrohung. Auch Jahre nach dem Abklingen der Krankheit können besonders im Nervensystem Folgeerkrankungen auftreten.

Die sklerosierende Panenzephalitis – eine besondere Form der Gehirnhautentzündung – verläuft immer tödlich. Der Bundesgesundheitsminister hat daher kein Verständnis für impfkritische Eltern, die seiner Meinung nach aus egoistischen Gründen die Gesundheit der Gesamtbevölkerung gefährden.

Die Zwangsimpfung hat eine lange Geschichte

Die Lösung wird sowohl vom Bundesgesundheitsminister als auch vom Präsidenten des Verbandes der Kinder- und Jugendärzte, Wolfram Hartmann, in der Einführung einer Impfpflicht gesehen. Sie verweisen auf die Einführung der Pflicht zur Pockenschutzimpfung in Bayern im Jahre 1807 und die Übernahme dieser Verpflichtung in das Reichsimpfgesetz im Jahre 1875 für das gesamte Deutsche Reich. Hierdurch wurde in Deutschland die Pockenerkrankung nachhaltig ausgerottet. Seit 1980 sind Pocken weltweit kein Thema mehr.

Aktuell mögliche Rechtsgrundlage

Aktuell könnte eine Einführung einer Zwangsimpfung auf § 20 Abs. 6 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) gestützt werden. Hiernach ist das Bundesministerium für Gesundheit ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates anzuordnen, dass „bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen... teilzunehmen haben“. Voraussetzung ist allerdings, dass die epidemische Verbreitung einer übertragbaren Krankheit wahrscheinlich ist. Wenn impfkritische Eltern sich trotz einer solchen Verordnung weigern würden, ihre Kinder impfen zu lassen, könnte gemäß § 72 IfSG gegen sie ein Bußgeld verhängt werden

Eine „Durchimpfung“ der Gesamtbevölkerung ist nicht möglich

  • Nach dem IfSG setzt die Einführung einer Impfpflicht also eine konkrete Bedrohungslage voraus.
  • Die Anordnung einer allgemeinen Durchimpfung der Gesamtbevölkerung, wie sie manchem Politiker wohl vorschwebt, wäre von der Rechtsnorm nicht gedeckt.
  • Zulässig wäre die Anordnung nur gegen den konkret bedrohten Teil der Bevölkerung.

Was sagen das Bundesverfassungs- und das Bundesverwaltungsgericht?

Eine Entscheidung des BVerfG zur Einführung einer Zwangsimpfung ist nicht ersichtlich. Allerdings hat das BVerfG im Fall Daschner klargestellt, dass die Achtung der körperlichen Integrität jedes Menschen unter die Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG fällt und eine Person durch körperlichen Zwang und Verletzung seiner körperlichen Unversehrtheit nicht zum bloßen Objekt zur Erreichung eines vorgeblich höherwertigen Ziels herabgestuft werden darf (BVerfG, Beschluss v. 14.12.2004,  BvR 1249/04).

In einer sehr frühen Entscheidung hat das BVerwG den Zwang zur Pockenschutzimpfung für zulässig erachtet. Die verhältnismäßig geringfügige körperliche Beeinträchtigung im Rahmen einer Impfung sei zur Erreichung des sehr hochwertigen Gutes der allgemeinen Volksgesundheit hinzunehmen (BVerwG, Urteil v. 14.7.1959, I C 170.56).

Infizierte Schüler dürfen vom Unterricht ausgeschlossen werden

Wegen erheblicher Ansteckungsgefahren hat der Schulleiter einer Sekundarschule in Berlin Schöneberg die Schließung der kompletten Schule mit ca. 1000 Schülern verfügt. In einer neueren Entscheidung hat das BVerwG gegenüber mit Masern infizierten Personen die Anordnung eines Betretungsverbots für eine Schule als zulässig angesehen (BVerwG Urteil v. 22.3.2012, 3  C 16.11). Nach diesem Urteil dürfte auch die Schließung der Schule in Berlin Schöneberg angesichts der konkreten Bedrohungslage zulässig sein.

Schlechte Karten für Impfgegner

Durch die aktuelle Situation in Berlin und auch in der übrigen Bundesrepublik ist der Druck zur Erzielung einer allgemeinen Impfbereitschaft äußerst hoch. Die Situation gleicht allerdings den Verhältnissen im Jahre 2013, als unter dem damaligen Bundesgesundheitsminister Bahr ebenfalls vermehrt Fälle von Masern aufgetreten waren und eine Impfpflicht ebenfalls in Erwägung gezogen, aber nicht eingeführt wurde.

Wehrhafte Impfgegner

Impfgegner haben es zurzeit schwer, sich Gehör zu verschaffen. Einige Kinderärzte verweisen darauf, dass auch bei der Impfung gegen Masern Impfkomplikationen auftreten können, immerhin in etwa 3-5 % der Fälle. Der Verlauf sei allerdings in aller Regel harmlos. Untersuchungen über mögliche gravierende Spätfolgen (theoretisch mögliche Nervenschäden) lägen allerdings nicht ausreichend vor.

Ohne Impfung kein Kitaplatz?

Einige Kinderärzte haben bei geimpfen Kindern auch schon eine höhere allgemeine Infektanfälligkeit beobachtet. Die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht dürfte vor diesem Hintergrund rechtlich durchaus kritisch sein.

  • Eine Lösung wird zum Teil darin gesehen, dass Kinder nur dann zum Besuch einer mit öffentlichen Geldern finanzierten Kita zugelassen werden, wenn sie entsprechende Impfnachweise vorlegen.
  • Die Opposition fordert dagegen vor allem eine Verbesserung der Beratungsangebote für Eltern.

Der Präsident der Kinder- und Jugendärzte Hartmann hält dies allerdings für „Augenwischerei“. Tatsächlich würden die Eltern von Kinderärzten im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen schon jetzt ausführlich und qualifiziert beraten. Das Impfverhalten könne tatsächlich nur durch Einführung einer Impfpflicht verändert werden.

Vgl. zu dem Thema auch:

Impfzwang oder Impfberatung?

Beschneidung von Kindern und das Recht auf Religionsfreiheit

Vgl. zum Thema Sorgerecht auch:

Kein gemeinsames Sorgerecht ohne ein Mindestmaß an Kommunikationsfähigkeit

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Schlagworte zum Thema:  Sorgerecht, Körperverletzung