Beschneidung als Körperverletzung - umstrittenes Urteil

Nach Auffassung einiger Kölner Richter ist die Beschneidung eine rechtswidrige Körperverletzung, die durch religiöse Motive nicht gerechtfertigt werden kann. Diese Auffassung hat jedenfalls das LG Köln in einem jetzt bekannt gewordenen Berufungsurteil vertreten.

Die Vertreter der in Deutschland maßgeblichen Religionen und Kirchen zeigen blankes Entsetzen, vom Zentralrat der Juden über die Vertreter der Muslime bis hin zu katholischen Bischöfen. Das Gericht als staatliches Organ habe massiv in die grundgesetzlich geschützte Freiheit der Religionsausübung eingegriffen, indem es das religiöse Ritual der Beschneidung als rechtswidrige Körperverletzung qualifiziert habe.

Der Sachverhalt:

Angeklagt war ein niedergelassener Allgemeinmediziner. Dieser hatte im November 2010 in einem „de lege artis“ durchgeführten Eingriff die Beschneidung eines 4jährigen Jungen durchgeführt. Eine medizinische Indikation für den Eingriff lag nicht vor. Die muslimischen Eltern hatten den Eingriff aus religiösen Gründen gewünscht.

Gefährliche Körperverletzung

Das Amtsgericht prüfte den Vorgang nach den üblichen Grundsätzen: es erkannte auf eine Verletzung der körperlichen Integrität des Jungen durch den Arzt mittels eines gefährlichen Werkzeuges.

Rechtfertigende Einwilligung

Die Einwilligung der Eltern rechtfertigte nach Auffassung des Amtsrichters aber die Maßnahme, weil sie dem Kindeswohl gedient habe. Zwar habe sich der körperliche Zustand des Jungen durch den Eingriff nicht unbedingt verbessert, jedoch sei zu berücksichtigen, dass die Zirkumzision als traditionell religiöses Ritual der Dokumentation der Religionszugehörigkeit diene.

Das Unterlassen der Beschneidung werde in bestimmten kulturellen Kreisen als ehrenrührig angesehen und führe zur Stigmatisierung der Betroffenen. Vor den damit verbundene negativen Folgen habe die Durchführung der Beschneidung den Jungen geschützt. Im Ergebnis entspreche die Einwilligung der Eltern damit dem Kindeswohl. Das AG sprach den angeklagten Arzt folglich vom Vorwurf der gefährliche Körperverletzung frei.

Staatsanwaltschaft unterliegt und siegt doch

Das amtsgerichtliche Urteil ließ aber  die StA nicht ruhen. Sie legte Berufung ein. Mit Urteil vom 07.05.2012 hat das LG die Berufung verworfen, so dass das Urteil des AG in Rechtskraft erwachsen ist.

Weshalb dann die Aufregung?

Wegen der Urteilsbegründung! Die in dem religiösen Wunsch der Eltern liegende Einwilligung war nämlich nach Auffassung des LG zur Rechtfertigung des Eingriffs nicht geeignet. Die Einwilligung habe gerade nicht dem Wohl des Kindes gedient. Der Eingriff führte nach Auffassung der Richter vielmehr zu einer erheblichen irreparablen körperlichen Verschlechterung.

Auch mit Blick auf die kulturell religiösen Aspekte des Eingriffes sei es für die Beteiligten zumutbar, abzuwarten, bis der Betroffene die erforderliche Einsichtsfähigkeit erlangt habe, selbst über die Sinnhaftigkeit eines solchen Eingriffes zu entscheiden. Dennoch hat die Kammer den Freispruch des AG im Ergebnis bestätigt, denn die Richter haben dem Arzt zugestanden, sich in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden zu haben. Er habe nicht wissen können, dass die Beschneidung als strafbare Körperverletzung gewertet würde.

Verfehltes Urteil?

Nach Auffassung einiger Staatsrechtler ist die Begründung des Urteils unter verfassungsrechtlichen Aspekten nicht haltbar. Der Staatsrechtler Hans Michael Heinig urteilt prägnant: „...rechtlich, kriminalpolitisch und religionspolitisch verfehlt“.

Religionsfreiheit = hohes grundgesetzlich geschütztes Gut

Die Religionsfreiheit als hohes grundgesetzlich geschütztes Gut beinhaltet nach Auffassung der Wissenschaftler auch gewisse Freiräume hinsichtlich ihrer Rituale, solange durch diese nicht höhere Rechtsgüter verletzt würden. Die körperliche Unversehrtheit ist sicher ein solches hohes Gut. Jedoch bestehen insoweit durchaus berechtigte Zweifel an der grundsätzlichen Wertung der Kölner Richter. So ist die Beschneidung des männlichen Geschlechts medizinisch nicht mit der Beschneidung von jungen Mädchen zu vergleichen, die tatsächlich zu einer körperlichen Verstümmelung führt.

Demgegenüber wird auch in einigen westlichen Kulturen, z.B. in einigen Bundesstaaten der USA, die Beschneidung von Jungen insbesondere unter Hygienegesichtspunkten als gesundheitliche Vorsorgemaßnahme angesehen. Schon von daher scheint die Wertung der Kölner Richter auch medizinisch zu pauschal. Im Hinblick auf die Bewertung der religiösen Aspekte ist sie zumindest nicht zu Ende gedacht. Juden wie auch Muslime müssen diese Entscheidung als diskriminierend und ausgrenzend und massiven eingriff in ihre Religionsausübung erleben. Sollte diese Rechtsauffassung sich durchsetzen, würde sie viele Betroffene in die Illegalität treiben und womöglich zu  einem Beschneidungstourismus oder nicht von medizinischen Fachleuten durchgeführten Beschneidungen führen.

Strafbefreiender Verbotsirrtum künftig nicht mehr möglich

Ärzte werden sich für die OP künftig kaum mehr zur Verfügung stellen. Auf Unkenntnis kann sich Zukunft schließlich kein Beteiligter mehr berufen. Ärzte und Eltern müssen ab sofort mit Bestrafung rechnen. Das Urteil des LG hat weitreichende praktische Folgen und wohl mehr Probleme geschaffen als gelöst.

Fraglich wäre schließlich auch, wie sich die Richter zu anderen sozial akzeptierten, wenn auch weniger brisanten Körperverletzungen wie dem Durchstechen von Ohrlöchern bei Kindern, positionieren.

(AG Köln, Urteil v. 21.09.2011, 528 Ds 30/11; LG Köln, Urteil v. 07.05.2012, 151 Ns 169/11).

Hintergrund: Die Beschneidung wird im Koran nicht ausdrücklich vorgeschrieben. Im Judentum wurde sie Abraham von Gott als Reinheitsgebot aufgetragen. Für Paulus war die Verpflichtung zur Beschneidung eines der wesentlichen Gründe für die Trennung des Christentums vom Judentum.