Leitsatz

Ein Geschäftsführer hat sein Amt auch dann wirksamzu einem bestimmten Termin niedergelegt, wenn er die Gesellschafterversammlung zeitgleich mit seiner diesbezüglichen Mitteilung bittet, die "gesellschaftsrechtlich erforderlichen Schritte zu veranlassen", selbst wenn er mit den Gesellschaftern abspricht, er stelle seinen Wunsch bis zur Klärung der Nachfolgefrage zurück. Für Forderungen der Sozialversicherungsträger, die nach diesem Zeitpunkt fällig werden, haftet er nicht.

 

Sachverhalt

Der Beklagte – Geschäftsführer einer GmbH, über deren Vermögen im Juni 1997 das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet wurde – wurde von Sozialversicherungsträgern wegen rückständiger Sozialversicherungsbeiträge aus der Zeit nach dem 30.4.1996 in Anspruch genommen. Er stützt seinen Antrag auf Klageabweisung auf ein Schreiben, das er vor Fälligkeit der Beträge an die Alleingesellschafterin der GmbH gerichtet hat und in dem es u. a. heißt: "Nachdem Sie die personellen Voraussetzungen für einen Wechsel in der Geschäftsführung bei dem genannten Unternehmen geschaffen haben, möchte ich meine Funktion als Geschäftsführer zum 30.04.1996 niederlegen. Ich bitte Sie, die gesellschaftsrechtlich erforderlichen Schritte zu veranlassen, damit die Veränderung in der Geschäftsführung zu dem genannten Zeitpunkt vollzogen werden kann". Das OLG hatte darin keine Amtsniederlegung, sondern allein die Bitte um Abberufung gesehen, die erst am 30.9.1996 – also nach Fälligkeit der Rückstände – beschlossen worden sei. Dementsprechend hat es den Beklagten antragsgemäß zum Schadenersatz verurteilt.

 

Entscheidung

Der BGH hat die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben und die Klage abgewiesen. Grundsätzlich haftet ein Geschäftsführer zwar auch zivilrechtlich für nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge[1]. Dies gilt aber nur für Pflichtversäumnisse während seiner Amtszeit. Der BGH geht angesichts des Schreiben des Beklagten davon aus, dass dieser sein Geschäftsführeramt bereits zum 30.4.1996 wirksamniedergelegt hat. Der Senat analysiert in diesem Zusammenhang das Kündigungsschreiben ausführlich und kommt zu dem Ergebnis, dass theoretisch zwar der zweite Satz des Schreibens so verstanden werden könne, dass der Beklagte nicht sein Amt niedergelegt, sondern umseine Abberufung gebeten habe. Bezieht man jedoch das gesamte Schreiben in die Auslegung ein, verbietet sich dieses Verständnis. Denn der Beklagte teilt mit, dass er das Amt über den 30.4.1996 hinaus nicht weiter ausüben will. Dass es nicht um die Erfüllung eines in der Zukunft liegenden Wunsches ging, sondern bereits die Amtsniederlegung erklärt worden ist, ergibt sich daraus, dass das Schreiben nicht damit eingeleitet wird, "sobald" die Gesellschafterversammlung die Nachfolgefrage geregelt habe, solle das Organverhältnis beendet werden. Das Schreiben knüpft mit seinen einleitenden Worten, "nachdem Sie die personellen Voraussetzungen für einen Wechsel in der Geschäftsführung geschaffen haben", an einen in der Vergangenheit liegenden, bereits abgeschlossenen Sachverhalt an, aus dem der Beklagte die Folgerungen zieht. Da er sein Amt niederlegen wollte und in dieser Weise handeln durfte, sobald die Nachfolgefrage geklärt war, zielte die "Bitte" nicht nur darauf, einen Abberufungsbeschluss herbeizuführen, sondern legte nahe, rechtzeitig vor dem 30.4.1996 den Nachfolger zu bestellen und die entsprechenden registerrechtlichen Eintragungen herbeizuführen.

 

Praxishinweis

Beträge, die eigentlich den Sozialversicherungsträgern zustehen, werden häufig zur Behebung von Liquiditätslücken verwendet und anderweitig im betrieblichen Bereich eingesetzt. Dies gilt auch für die Löhne, auf die die Arbeitnehmer des kriselnden Unternehmens an sich Anspruch hätten. Die Arbeitsverhältnisse selbst bleiben jedoch unverändert bestehen. Inwieweit der Tatbestand der Beitragsvorenthaltung dennoch erfüllt ist, selbst wenn Lohnzahlungen ausbleiben, war in der Vergangenheit umstritten. Die Literatur ging meist davon aus, in derartigen Fällen mache der Täter sich nicht strafbar. Insoweit müsse insbesondere der nach dieser Auffassung stark untreueähnliche Charakter des § 266a Abs. 1 StGB beachtet werden, weswegen eine Strafbarkeit davon abhängen müsse, ob der Täter wenigstens die Möglichkeit des Lohnabzugs gehabt habe; dies setze eine Lohnzahlung voraus[2]. Dagegen machte die Rechtsprechung[3] sowie ein überwiegender Teil der Literatur[4] die Strafbarkeit von einer Lohnauszahlung nicht abhängig. Bereits der Wortlaut der Bestimmung legt diese Interpretation nahe, da § 266a Abs. 1 StGB nicht mehr verlangt, dass die in der Folge nicht abgeführten Arbeitnehmerbeiträge tatsächlich einbehalten wurden. Vorenthalten bedeutet die Unterlassung einer Leistung unabhängig davon, ob sich der Leistungsgegenstand in der Verfügungsgewalt des Schuldners befindet. Die Entstehung der sozialrechtlichen Beitragspflicht setzt nur die tatsächliche versicherungspflichtige Beschäftigung eines Arbeitnehmers voraus, ist von einer tatsächlichen Lohnzahlung aber...

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