Leitsatz

Der rechtsuchende Bürger hat auch in zivilrechtlichen Streitigkeiten einen aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Anspruch darauf, dass das strittige Rechtsverhältnis in angemessener Zeit geklärt sind und das Verfahren nicht unangemessen dauert. Ob eine Verfahrensdauer unangemessen lang ist, muss nach den Umständen des Einzelfalls geklärt werden. Zwar gibt es in Sorgerechtsverfahren keine festgelegten Grundsätze, das BVerfG hat jedoch bereits in seiner Entscheidung vom 11.12.2000 zur Geschäftsnummer 1 BvR 661/00 (FamRZ 2001, 753 ff.) darauf hingewiesen, dass in kindschaftsrechtlichen Verfahren zu berücksichtigen ist, dass jede Verfahrensverzögerung wegen der eintretenden Entfremdung häufig schon rein faktisch zu einer Vorentscheidung führt, bevor ein richterlicher Spruch ergeht. Die Dauer der Gutachtenerstattung von fast einem Jahr ist jedenfalls nicht zu rechtfertigen.

 

Sachverhalt

Die Eltern eines minderjährigen Kindes stritten sich seit Juli 2003 um die elterliche Sorge für ihre Tochter. Im Oktober 2003 erfolgte vor dem Familiengericht die Anhörung der Eltern, nachdem bereits im August auch das zuständige Jugendamt auf eine Gefährdung des Kindes wegen der erheblichen Differenzen der Eltern hingewiesen hatte. Aufgrund des Anhörungstermins, in dem die Eltern sich auf eine vorübergehende Aufenthalts- und Umgangsregelung verständigten, beschloss das Amtsgericht, ein psychologisches Gutachten zur Frage der Regelung der elterlichen Sorge einzuholen. Mit Beschluss vom 24.10.2003 wurde eine Dipl.-Psychologin zur Sachverständigen bestimmt, die den Erhalt des Gutachtenauftrages mit Schreiben vom 18.11.2003 bestätigte.

Auf Nachfrage des Amtsgerichts teilte die Sachverständige Anfang Juni 2004 mit, das Gutachten werde bis Ende Juli 2004 vorliegen. Trotz dieser Ankündigung war das Gutachten bis Oktober 2004 nicht erstellt.

Ende September 2004 hat der Vater Untätigkeitsbeschwerde u.a. mit der Begründung erhoben, das Amtsgericht habe die Sachverständige nicht verstärkt zur Erstattung des Gutachtens angehalten.

Der von ihm erhobenen Untätigkeitsbeschwerde wurde in diesem Punkt stattgegeben.

 

Entscheidung

Das Kammergericht hat die Zulässigkeit der Untätigkeitsbeschwerde bejaht, obgleich das Rechtsmittelsystem der ZPO und des FGG davon ausgehen, dass die Einlegung eines Rechtsmittels den Erlass einer Entscheidung voraussetzt, die angefochten und deren Richtigkeit überprüft werden soll. Aufgrund dessen hatte die in der Vergangenheit herrschende Meinung die Auffassung vertreten, dass bei Verweigerung oder Verzögerung der Rechtsgewährung der Rechtsmittelweg nicht eröffnet, sondern die Dienstaufsicht anzurufen sei.

Im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerfG (vergl. BVerfG v. 11.12.2000 zur Geschäftsnummer 1 BvR 661/00 in FamRZ 2001, 753 ff.) kann diese Auffassung nicht aufrechterhalten werden; es ist vielmehr ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit, in derartigen Fällen die Beschwerde zu eröffnen. Das rechtsuchende Publikum habe auch in zivilrechtlichen Streitigkeiten einen aus dem Rechtsstaatprinzip abzuleitenden Anspruch darauf, dass strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit geklärt werden und das Verfahren nicht unangemessen lange dauert. Gerade in kindschaftsrechtlichen Verfahren sei bei der Beurteilung, welche Verfahrensdauer noch als angemessen erachtet werden kann, zu berücksichtigen, dass jede Verfahrensverzögerung wegen der eintretenden Entfremdung häufig schon rein faktisch zu einer Vorentscheidung führe, bevor ein richterlicher Spruch ergehe. Bei der Beurteilung der angemessenen Verfahrensdauer sei nicht allein von objektiven Maßstäben auszugehen, sondern auch zu berücksichtigen, dass das kindliche Zeitempfinden sich von dem eines Erwachsenen unterscheidet und Kinder erst mit zunehmendem Alter die Fähigkeit erwerben, Zeit wahrzunehmen und einzuschätzen. Schon aus diesem Grunde komme in kindschaftsrechtlichen Verfahren der Problematik der Verfahrensdauer eine besondere Sensibilität zu.

Die Dauer der Gutachtenerstattung von mehr als einem Jahr sei nicht zu rechtfertigen. Sowohl die Eltern als auch das Kind hätten an der Gutachtenerstattung mitgewirkt. Auf ihr Verhalten sei die Dauer der Gutachtenerstattung nicht zurückzuführen. Gleichwohl habe das Amtsgericht lediglich mit zwei Verfügungen vom Mai und September 2004 an die Übersendung des Gutachtens erinnert. In diesen Erinnerungen sei die Sachverständige weder auf die besondere Eilbedürftigkeit des Verfahrens hingewiesen, noch sei der Versuch unternommen worden, sie unter Androhung von Ordnungsmitteln zur beschleunigten Erstattung des Gutachtens anzuhalten.

 

Hinweis

Das Kammergericht hat - gestützt auf die Entscheidung des BVerfG vom 11.12.2000 zum Aktenzeichen 1 BvR 661/00 - leider nur relativ vage Kriterien dafür aufgestellt, ab wann von einer unangemessen langen Verfahrensdauer mit der Möglichkeit der Untätigkeitsbeschwerde auszugehen ist.

In dem entschiedenen Fall hatte die Sachverständige fast ein Jahr nach ihrer Beauftragung ihr Gutachten immer noch nicht...

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