Entscheidungsstichwort (Thema)

Elterliche Sorge

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Gebot der Rechtsstaatlichkeit führt jedenfalls in kindschaftsrechtlichen Verfahren dazu, bei überlanger Verfahrensdauer die Beschwerde zu eröffnen.

2. In durchschnittlich gelagerten Sorgerechstverfahren ist von einer überlangen und damit unzumutbaren Verfahrensdauer auszugehen, wenn allein die Erstattung eines psychologischen Sachverständigengutachtens mehr als 11 Monate in Anspruch nimmt.

 

Normenkette

ZPO § 567

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg (Aktenzeichen 134 F 10345/03)

 

Tenor

1. Das AG Tempelhof-Kreuzberg wird im Verfahren 134 F 10345/03 angewiesen, der Sachverständigen I.L. eine Nachfrist von 2 Wochen zur Erstattung ihres Gutachten unter Ordnungsgeldandrohung zu setzen und nach dem eventuellen fruchtlosen Ablauf dieser Frist die Sachverständige mit den in § 411 ZPO in entsprechender Anwendung vorgesehenen Mitteln zur Ablieferung des Gutachtens weiter anzuhalten.

2. Das AG Tempelhof-Kreuzberg wird im Verfahren 134 F 10345/03 weiter angewiesen, binnen zwei Wochen ab Erhalt dieses Beschlusses darüber zu befinden, ob der Umgang zwischen Vater und Kind bis zur Erstattung des Gutachtens der Sachverständigen L. der weiteren Regelung durch eine einstweilige Anordnung bedarf.

3. Die weiter gehende Untätigkeitsbeschwerde des Vaters wird zurückgewiesen.

4. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Eine Anordnung zur Erstattung außergerichtlicher Kosten ergeht nicht.

5. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.500 Euro festgesetzt.

 

Gründe

1. Die Eltern des Kindes J. streiten seit Juli 2003 gerichtlich darum, wer von ihnen die alleinige elterliche Sorge für die Tochter erhalten soll und bei wem das Kind seinen Lebensmittelpunkt haben soll. Das AG hat die Eltern am 2.10.2003 persönlich angehört, nachdem mit Schreiben vom 22.8.2003 auch das zuständige Jugendamt auf eine Gefährdung des Kindes wegen der erheblichen Differenzen der Eltern hingewiesen hatte. Aufgrund des Anhörungstermins, in dem die Eltern sich auf eine vorübergehende Aufenthalts- und Umgangsregelung verständigt haben, hat das AG beschlossen, ein psychologisches Gutachten zur Frage der Regelung der elterlichern Sorge einzuholen und mit Beschluss vom 24.10.2003 die Diplom-Psychologin I.L. zur Sachverständigen bestimmt. Diese hat mit Schreiben vom 18.11.2003 den Erhalt des Gutachtenauftrags bestätigt. Auf Nachfrage des AG hat die Sachverständige unter dem 8.6.2004 mitgeteilt, dass das Gutachten bis Ende Juli 2004 vorliegen werde. Ein Sachverständigengutachten liegt bis heute nicht vor. Unter dem 6.9.2004 hat das AG die Sachverständige an die Übersendung des Gutachtens erinnert.

Mit Schriftsätzen vom 12.8.2003, 12.5.2004 und 8.6.2004 hat der Vater jeweils eine einstweilige Anordnung zum Aufenthaltsbestimmungsrecht bzw. zur Regelung des Lebensmittelpunktes von J. beantragt. Keinem der Anträge hat das AG stattgegeben. Aufgrund des Antrages vom 8.6.2004 hat das AG die Eltern am 14.6.2004 nochmals persönlich angehört und im Anschluss daran die Anträge des Vaters auf Übertragung der elterlichen Sorge, Herausgabe des Kindes sowie betreffend den Lebensmittelpunkt zurückgewiesen. Des Weiteren hat es den Umgang zwischen Vater und Kind für die Zeit von Juni bis August 2004 durch einstweilige Anordnung geregelt. Die Mutter ist im Sommer dieses Jahres mit dem Kind nach B. zu ihrem neuen Lebensgefährten verzogen, wo das Kind im September 2004 eingeschult worden ist.

Unter dem 22.9.2004 hat der Vater Untätigkeitsbeschwerde erhoben, mit der er u.a. rügt, dass das AG den Umgang für die Zeit ab August 2004 nicht geregelt hat, dass es die Sachverständige nicht verstärkt zur Erstattung des Gutachtens anhält und dass es das betroffene Kind bis heute nicht angehört hat.

2. Die Untätigkeitsbeschwerde ist zulässig.

Das Rechtsmittelsystem der ZPO wie des FGG geht davon aus, dass ein Rechtsmittel den Erlass einer Entscheidung voraussetzt, die angefochten und deren Richtigkeit überprüft werden soll; dem entsprechend hat die bisher herrschende Meinung die Auffassung vertreten, dass bei Verweigerung oder Verzögerung der Rechtsgewährung nicht der Rechtsmittelweg eröffnet, sondern die Dienstaufsicht anzurufen ist (vgl. hierzu die Darstellung des Meinungsstandes bei Zöller/Gummer, ZPO, 24. Aufl., § 567 Rz. 21, m.w.N.). Im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung des BVerfG (beispielsweise BVerfG v. 11.12.2000 - 1 BvR 661/00, FamRZ 2001, 753 [754]) ist diese Auffassung nicht mehr aufrechtzuerhalten; vielmehr ist es ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit, in derartigen Fällen die Beschwerde zu eröffnen, wobei zu beachten sein wird, dass durch die Zulässigkeit der Untätigkeitsbeschwerde das Verfahren nicht insgesamt weiter verzögert wird (so auch Zöller/Gummer, ZPO, 24. Aufl., § 567 Rz. 21, m.w.N.).

Die Untätigkeitsbeschwerde ist auch in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang begründet; im Übrigen ist sie unbegründet und deshalb zurückzuweisen.

Das rechtssuchende Publikum hat auch in zivilrechtlichen Strei...

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