StVG § 3 Abs. 1 S. 1 § 24a; FeV § 11 Abs. 8, Abs. 7 § 46 Abs. 1, Abs. 3; FeV Anlage 4 Nr. 9.2.2

Leitsatz

1. Auch unter Berücksichtigung der Empfehlung der Grenzwertkommission vom September 2015 kann weiterhin ab einer THC-Konzentration von 1,0 ng/ml im Blutserum von fehlendem Trennungsvermögen zwischen gelegentlichem Cannabiskonsum und dem Führen eines Kfz ausgegangen werden.

(amtlicher Leitsatz)

2. Angesichts der Klarstellungen des Vorsitzenden der Grenzwertkommission gegenüber dem VG Gelsenkirchen (Urt. v. 20.1.2016 – 9 K 1253/15, juris Rn 50 ff. [zfs 2016, Ls.]) verbleibt es bei dem zuletzt maßgeblichen Risikogrenzwert von 1 ng/ml THC für das fehlende Trennungsvermögen wegen möglicher Beeinträchtigung der Fahrsicherheit.

3. Der Fahrlässigkeitsvorwurf kann bei einer Ordnungswidrigkeit gem. § 24a Abs. 2, Abs. 3 StVG (Fahrt nach Cannabiskonsum) ausnahmsweise entfallen, wenn der Betreffende die Fahrt erst nach längerem Zuwarten angetreten hat und er zu diesem Zeitpunkt auch unter Berücksichtigung atypischer Rauschverläufe und der Unberechenbarkeit des THC-Abbaus davon ausgehen konnte, dass der Wirkstoff bei Antritt der Fahrt vollständig abgebaut war ("Längere-Zeit-Rechtsprechung").

(Leitsätze der Schriftleitung)

BayVGH, Beschl. v. 23.5.2016 – 11 CS 16.690

Sachverhalt

Der ASt. wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis und der Verpflichtung zur Ablieferung seines Führerscheins.

Nach einer Mitteilung des Polizeipräsidiums Oberpfalz an das Landratsamt Regensburg (im Folgenden: Landratsamt) wurde der am … 1991 geborene ASt. am 28.11.2015 um 2:15 Uhr als Führer eines Kfz einer verdachtsunabhängigen Verkehrskontrolle unterzogen. Die Untersuchung der mit seinem Einverständnis um 3:10 Uhr entnommenen Blutprobe ergab nach dem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Erlangen-Nürnberg v. 9.12.2015 ein positives Ergebnis auf Cannabinoide (THC: 2,6 ng/ml, 11-Hydroxy-THC: 0,9 ng/ml, THC-Carbonsäure: 55 ng/ml).

Nach Anhörung des ASt. entzog ihm das Landratsamt mit Bescheid v. 24.2.2016 die Fahrerlaubnis der Klassen AM, A1, A2, A, B und L (Nr. 1), verpflichtete ihn zur Abgabe seines Führerscheins (Nr. 2), ordnete hinsichtlich der Nr. 1 und 2 die sofortige Vollziehung an (Nr. 3) und drohte für den Fall der nicht fristgerechten Abgabe des Führerscheins ein Zwangsgeld an (Nr. 4). Der ASt. sei zum Führen von Kfz ungeeignet. Er sei mindestens gelegentlicher Cannabiskonsument. Bereits am 5.6.2010 sowie nochmals in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Fahrt am 28.11.2015 habe er Cannabis konsumiert. Er sei auch nicht bereit, zwischen dem Konsum und dem Führen von Kfz zu trennen. Dies ergebe sich aus der festgestellten THC-Konzentration. Bereits ab einem THC-Wert von 1,0 ng/ml könne eine cannabisbedingte Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit nicht mehr ausgeschlossen werden.

Über den gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch hat die Widerspruchsbehörde – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden. Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs hat das VG Regensburg [Beschl. v. 21.3.2016 – RO 8 S 16.321] abgelehnt. Der ASt. habe zumindest gelegentlich Cannabis konsumiert und den Konsum von Cannabis und das Führen eines Kfz nicht hinreichend zu trennen vermocht. Er habe selbst eingeräumt, am Vorabend der Fahrt Cannabis konsumiert zu haben. Er müsse auch den Konsumakt v. 5.6.2010 gegen sich gelten lassen. Außerdem habe er im Rahmen der polizeilichen Kontrolle zunächst angegeben, auch im Sommer 2015 Cannabis konsumiert zu haben. Später habe er sich dahingehend eingelassen, in der Nacht vom 24. auf den 25.11.2015 Cannabis konsumiert zu haben. Damit stünden neben dem Konsum v. 5.6.2010 und der Fahrt am 28.11.2015 noch zwei weitere Konsumakte im Raum. Von mangelndem Trennungsvermögen sei bei einer Fahrt nach Cannabiskonsum auch ohne Auffälligkeit bereits ab einem THC-Wert von 1,0 ng/ml auszugehen.

2 Aus den Gründen:

[7] "… II. Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg."

[8] 1. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der VGH beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 S. 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig wäre. Der ASt. ist gelegentlicher Cannabiskonsument und entweder nicht bereit oder nicht in der Lage, zwischen dem Konsum und dem Führen eines Kfz zu trennen.

[9] a) Nach § 3 Abs. 1 S. 1 des StVG v. 5.3.2003 (StVG, BGBl I S. 310), zuletzt geändert durch Gesetz v. 8.6.2015 (BGBl I S. 9042), und § 46 Abs. 1 S. FeV (BGBl I 2010, S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung v. 2.10.2015 (BGBl I S. 1674), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kfz erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kfz ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 1114 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Gem. § 11 Abs. 7 FeV unterbleibt die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens, wenn die Nichteig...

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