VVG § 22 § 19 Abs. 1, 5; BGB § 123; ZPO § 416 § 383 Abs. 1 Nr. 6

Leitsatz

1. Verneint ein VN die Einnahme von Medikamenten, die ihm verordnet wurden, die er aber wegen Beschwerdefreiheit nicht eingenommen hat, handelt er jedenfalls nicht arglistig.

2. Ungefragt muss ein VN auch die bloße Verordnung von Medikamenten nicht ohne Weiteres angeben.

3. Behandelnde Ärzte müssen nach dem Tod eines VN zu der Frage der Aufklärung ihres Patienten über Befunde nicht vernommen werden.

4. Die Ehefrau eines verstorbenen VN trifft keine sekundäre Darlegungslast zur Plausibilisierung von Gründen für objektive Falschangaben des VN bei Antragstellung.

(Leitsätze der Schriftleitung)

OLG Karlsruhe, Urt. v. 3.12.2015 – 12 U 57/15

Sachverhalt

Die Kl. verlangt nach dem durch eine Aortendissektion mit Myokardinfarkt nach Synkope verursachten Tod ihres Ehemanns im März 2011 Auszahlung der Versicherungssumme einer Risikolebensversicherung, die der VN im September 2010 abgeschlossen hatte. Bei Antragstellung hatte ihr Ehemann die Frage nach Untersuchungen und Behandlungen wegen Herzerkrankungen bejaht, die Frage nach Beschwerden und jene nach der Einnahme von Medikamenten indessen verneint sowie eine Nachfrage des VR mit der Angabe eines leichten Bluthochdrucks beantwortet, im Verlauf der Leistungsprüfung stellte der VR eine kardiologische Behandlung des VN durch Dr. Bo fest. Der Hausarzt des VN, Dr. B, attestierte ferner, dass der kardiologische Befund mit dem VN besprochen worden und eine Dauermedikation mit einem blutdrucksenkenden Medikament verordnet worden sei, das der Patient jedoch wegen Beschwerdefreiheit zeitweise abgesetzt habe. Daraufhin focht die Bekl. den Vertrag an und trat von ihm zurück.

2 Aus den Gründen:

" … Die Kl. kann Zahlung von 200.000 EUR aus der Risikolebensversicherung ihres verstorbenen Ehemanns beanspruchen. …"

1. Der Kl. steht der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung der Versicherungssumme i.H.v. 200.000 EUR aus der zwischen der Bekl. und ihrem verstorbenen Ehemann abgeschlossenen Risikolebensversicherung als Erbin zu.

Die Bekl. hat den Versicherungsvertrag nicht wirksam wegen arglistiger Täuschung angefochten. Es fehlt am Nachweis eines arglistigen Verhaltens des Ehemanns der Kl. bei Abschluss der Risikolebensversicherung. Dass der VN bei Ausfüllung des Antrags v. 18.9.2010 und des Fragebogens “Blutdruck/Kreislauf’ v. 9.10.2010 arglistig getäuscht hat, steht nicht zur Überzeugung des Senats fest.

a. Von einem arglistigen Verhalten ist auszugehen, wenn der Täuschende weiß oder damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass er unzutreffende Angaben macht, und dass dadurch bei dem Empfänger seiner Erklärung eine falsche Vorstellung entsteht und diese ihn zu einer Erklärung veranlasst, die er bei richtiger Kenntnis der Dinge nicht oder nicht so abgegeben haben würde. Das Tatbestandsmerkmal der Arglist erfasst nicht nur ein Handeln, das von betrügerischer Absicht getragen ist, sondern auch solche Verhaltensweisen, die auf bedingten Vorsatz im Sinne eines “Fürmöglichhaltens’ reduziert sind und mit denen kein moralisches Unwerturteil verbunden sein muss (BGH NJW 2001, 2326; Senat NJW-RR 2006, 463). Auf Arglist als innere Tatsache kann regelmäßig nur auf der Grundlage von Indizien geschlossen werden. Voraussetzung für die Annahme einer arglistigen Täuschung ist somit, dass der VN mit wissentlich falschen Angaben von Tatsachen bzw. dem Verschweigen anzeige- und offenbarungspflichtiger Umstände auf die Entschließung des VR, seinen Versicherungsantrag anzunehmen, Einfluss nehmen will und sich bewusst ist, dass der VR möglicherweise seinen Antrag nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen annehmen werde, wenn er wahrheitsgemäße Angaben mache. Arglistig täuscht i.S.d. § 123 BGB damit nur derjenige, dem bei der Beantwortung der Fragen nach dem Gesundheitszustand oder früherer Behandlungen auch bewusst ist, dass die Nichterwähnung der nachgefragten Umstände geeignet ist, die Entschließung des VR über die Annahme des Vertragsangebots zu beeinflussen (Senat NJW-RR 2006, 463; 2013, 869).

Dabei gibt es keinen allgemeinen Satz der Lebenserfahrung des Inhalts, dass eine bewusst unrichtige Beantwortung von Fragen nach dem Gesundheitszustand oder früheren Behandlungen immer oder nur in der Absicht erfolgt, auf den Willen des VR Einfluss zu nehmen. Denn häufig werden unrichtige Angaben über den Gesundheitszustand auch aus falsch verstandener Scham, aus Gleichgültigkeit, aus Trägheit oder einfach in der Annahme gemacht, dass die erlittenen Krankheiten bedeutungslos seien. Deshalb muss der VR entsprechend den allgemeinen Beweislastregeln nachweisen, dass der VN mit Hilfe der Abgabe einer falschen Erklärung auf den Willen des VR einwirken wollte, sich also bewusst war, der VR werde seinen Antrag nicht oder möglicherweise nur unter erschwerten Bedingungen annehmen, wenn der VN die Fragen wahrheitsgemäß beantworten würde. Da es sich bei dem Bewusstsein des VN um eine innere Tatsache handelt, kann der Beweis in der Praxis meist nur durch einen Indizienbeweis geführt werden.

Das Ver...

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